Irgendwann war "Extreme Governing" so etwas wie fertig. Doch erst viel später ist mir klar geworden, wer das eigentlich geschrieben hat. Ich war immer davon ausgegangen, ein Kybernetiker und ein Programmierer hätten das weitgehend unter sich ausgemacht. Doch der Hauptautor war wohl der Biologe. Und da das Schicksal sich kaum diese Ironie entgehen ließe, muss es dann wohl auch der Biologe gewesen sein, als der ich lange dem klassischen Paradoxon mit dem Wald und lauter Bäumen erlag.
Denn das ist "Extreme Governing": lauter Bäume. Es ist eine Sammlung ziemlich konkreter Vorschläge, wie man eine Gesellschaft anders organisieren könnte. Dabei greift "Extreme Governing" einen Haufen Konzepte auf - oft für sich genommen eher schlichte Vorschläge, die direkt dem berüchtigten gesunden Menschenverstand entsprungen sein mögen - überspitzt diese Konzepte zuweilen extrem und fügt sie dann zu einem Ganzen zusammen, in dem sich zwischen diesen Konzepten zahlreiche Synergien ergeben. Diese Herangehensweise erinnert an eine bestimmte Methode Computer-Programme zu entwickeln: das sogenannte Extreme Programming.
Da in Extreme Governing nun alles mit Bäumen zugestellt ist, packe ich immer wieder die Axt aus und lasse verlauten, dass das so sicher alles nicht klappen würde, und das sei ja eh eher eine Ideen-Sammlung, die als Denkanstoß gedacht sei. Stimmt. Doch der Wald hat schon etwas. Denn als Ganzes genommen ist "Extreme Governing" ein dritter Weg in diversen Dimensionen.
Etablierte Vorschläge, wie eine Gesellschaft zu organisieren ist, lassen sich unter verschiedenen Aspekten (Dimension) systematisch anordnen. Diese Dimensionen ergeben sich daraus, wie diese Vorschläge gewisse Grundfragen beantworten und Gewichten. So sind Anarchisten grundsätzlich gegen jede Reglementierung während Faschisten sehr strikte Regeln und enge Reglementierung vorsehen. Anarchie und Faschismus stellen somit Pole - Extreme - einer Dimension, eines Aspektes dar. Ein anderer Aspekt ist persönliches Eigentum. Die Pole sind hier Kommunismus und Kapitalismus. Mit diesen zwei Dimensionen lassen sich z.B. einige bekannte Gesellschaftsentwürfe systematisch anordnen:
- Marxismus Anarcho-Kommunistischer Pol
- Stalinismus Faschisto-Kommunistischer Pol
- Liberatismus Anarcho-Kapitalistischer Pol
- Bushjuniorismus Faschisto-Kapitalistischer Pol
Es gibt weitere Dimensionen wie die Breite der Entscheidungsbasis (von Despotismus bis Demokratie), Individualismus versus Syndikalismus/Religiosität/Familienförderung, Konservativismus versus Liberalismus usw. Und ziemlich in der Mitte vieler dieser Dimensionen findet man einen Haufen zeitgenössischer westlicher Gesellschaften.
Extreme Governing nimmt in vielen dieser Dimensionen eine Sonderstellung ein, stellt eine Alternative dar. Einerseits bezieht Extreme Governing in jeder dieser Dimensionen - und in weiteren - klar Stellung. In allen Bereichen, die eine Gesellschaft betreffen, postuliert Extreme Governing erheblichen Regelungs-Bedarf und schlägt konkrete Regeln vor. Doch anders als in den meisten populären Vorschlägen sind diese Regeln nicht nach klassischen juristischen Traditionen gewählt. Extreme Governing versteht eine Gesellschaft als ein komplexes System in dem Regeln nur Kristallisationskeime für Selbstorganisation sind. Die vorgeschlagenen Regeln sind so gewählt, dass sie erwünschte Phänomene durch positive Rückkopplung fördern und unerwünschte durch negative Rückkopplung hemmen. Dabei wird den Bürgern soviel Freiheit wie möglich gewährt indem möglichst wenige aber zuweilen drastisch anmutende Regeln eingeführt werden. Ein realer Test mag ergeben, dass viele dieser Regeln nicht tauglich sind; faules Holz. Doch der Wald, gesellschaftliche Selbstorganisation, birgt Schätze, die uns vielleicht retten können.