Sollten unsere Ideale am Markt kleben?

Ein offener Brief an Oliver Schwarzmann als Antwort auf seinen Artikel „Kann es einen idealen Markt geben?“.

Sehr geehrter Herr Schwarzmann

Sie sind der Anlass aus dem ich dieses Blog eröffnet habe. Ich habe mich schon länger mit dem Gedanken getragen. Dann las ich ihren Artikel Versteckspiele im Netz und später auch Schein oder Sein im Netz? bei Telepolis. Ich freute mich, dass mal jemand wagt, einen etwas anderen Blickwinkel ein zu nehmen als die unreflektierten Facebook Kollaborateure und die in ihrer Meinung offenbar versteinerten Datenschützer. Ich glaubte auch gewisse Parallelen zu dem zu erkennen, was ich in KiIsWhoWi geschrieben habe. Ich nahm mir also vor, Sie mal irgendwann zu kontaktieren und folgte Ihnen auf Twitter.

So wurde ich auf Ihren Artikel Kann es einen idealen Markt geben? aufmerksam. Wieder war ich beeindruckt, dass sie eine Perspektive abseits der gewohnten Denk-Pfade einnehmen. Und ich wollte Ihnen direkt auf diesen Artikel antworten. Und eine leidlich ausgefeilte Antwort auf einen Blog Eintrag gehört nun mal in ein Blog. So wurde dieses Blog geboren.

Die oben angedeuteten „gewohnten Denkpfade“ führen entweder zu einer Lobpreisung der alt hergebrachten Markt-Mechanismen und der Annahme, dass diese – würde man ihnen nur genügend Raum einräumen – schon alle Probleme lösen würden (nicht mehr ganz so „Neo“-Liberalismus). Oder sie führen zur unvermeidbaren Abschaffung dieser Mechanismen, entweder ersatzlos (Marxismus, diverse Formen von Anarcho-Kommunismus) oder  ersetzt durch legislative Steuerung (Planwirtschaft, Sozialismus). Derweil verweilt der Mainstream bei der Kombination, die sich bisher bei der Zerstörung der Welt (das verlinkte Buch ist nebenbei bemerkt 14 Jahre alt) und seiner Bewohner vortrefflich bewährt hat (merke, dass unter den hungernden Ländern viele z.B. Soja zur Mast unserer Schweine exportieren), und fordert eine Kombination aus Marktwirtschaft und Planwirtschaft, in leicht variierter Abwägung.

Auf tritt O. W. Schwarzmann und schreibt, dass der Markt doch vielleicht gar nicht zwangsläufig böse sein muss. Bravo! „Ja, da bin ich bei Ihnen“ (bin ich wirklich, es handelt sich aber auch um ein Zitat aus dem dritten Satz Ihres Artikels und hat sich somit Anführungszeichen verdient). Doch ach! Ja wenn es jetzt kein „aber“ gäbe, gäbe es diesen Artikel wohl nicht und somit vielleicht auch nicht dieses Blog.

Ich glaube auch, dass der Markt nicht böse sein muss. Ich glaube auch, dass der Markt ein besserer Weg ist, als die oben angedeuteten Alternativen. Doch ich glaube auch, dass unsere aktuelle Misere sehr wohl in den Mechanismen des Marktes wurzelt. Sie scheinen hingegen vor zu schlagen, die Markt-Teilnehmer statt des Marktes zu ändern. Das Angebot müsse Magie entfachen und wir, die Nachfrage, müssen uns verzaubern lassen. Sie schreiben, die Wirtschaft sei „ein Forum, über das wir uns ausdrücken, austauschen und entfalten“.

Es scheint mir dies die selbe Tendenz zu sein, die unsere Gesellschaft hierhin (in die Welt von 2010) geführt hat. Es ist eine Tendenz, den Markt und seine Mechanismen in seinem Geltungsbereich immer weiter aus zu dehnen. Wir sind was wir kaufen und wir lösen gesellschaftliche Probleme indem wir ein Preisschild drauf kleben. Sie stellen fest, die „Ökonomie ist der Ausgangspunkt zur Gestaltung unserer Welt, berührt sie doch jeden Winkel unseres Lebens“. Mir gefällt der Ansatz, aus dieser Not ein Tugend zu machen. Ich verstehe allerdings nicht ganz, worauf sie anspielen, wenn sie von Produkten sprechen, „die einen magischen Zauber verströmen“. Mir fallen dazu zwei Dinge ein: besonders gelungene Kombinationen aus Nutzbarkeit und Marketing wie das iPhone (welches ich aus zahlreichen Gründen ablehne und, wenn überhaupt, für schwarze Magie halte) und besonders gelungene Handarbeiten. Während Produkte wie das erste i.d.R. asoziale Marketing Strategien verfolgen passen letztere nicht in moderne Wirtschaftsabläufe. Woran also denken Sie?

Wie die Antwort auf diese Frage auch lauten mag, ich stimme Ihnen vielleicht zu, dass ein wie auch immer gearteter Zauber in Produkten nicht unser Nachteil sein muss. Doch in wie fern bringt uns dieser Zauber einem idealen Markt näher? Das führt zu einer zentralen Frage: was zeichnet einen idealen Markt aus? Die eigentliche Grundfrage, die noch vorher beantwortet werden muss, ist aber: Welche Funktion soll der Markt überhaupt erfüllen? Sie scheinen an zu nehmen, der Markt soll uns Raum zu unserer individuellen Verwirklichung bieten und uns ideale Produkte liefern.

Ich schlage vor, dass wir uns andere Räume zu unserer Verwirklichung suchen – das hat doch die paar zig tausend Jahre vor der Allgegenwart des Marktes auch ganz gut geklappt – und dass wir uns, wenn nötig, mit dem heute verfügbaren Maß an Magie begnügen. Dann kann der Markt das tun, wozu wir ihn wirklich brauchen, und sich ansonsten soweit möglich aus unserem Leben heraus halten: Der Markt ist ein Regelwerk, das die selbstorganisierte Steuerung und Optimierung unserer Wirtschafts-Abläufe bestimmt.

Diese Steuerung hat Schwächen. Zum Beispiel verteilt sie begrenzte Ressourcen nicht unbedingt fair. Während ich vermutlich irgendwann an zu viel Körper-Fett und zu wenig Bewegung sterben werde, sterben andere an übermäßiger körperlicher Belastung oder verhungern schlicht. Da lässt sich vielleicht noch etwas verbessern. Auch lässt diese Steuerung vorhandene Ressourcen ungenutzt – 10% Arbeitslosigkeit scheinen in modernen Gesellschaften normal zu sein – während sie andere Ressourcen überansprucht – siehe z.B. Überstunden und Umweltzerstörung. Auch da lässt sich vielleicht etwas verbessern. Marktwirtschaft scheint auch ohne Gegensteuerung zu übermäßiger Machtkonzentration zu führen. Diese Konzentration stört das fragile Gefüge unserer Demokratie und lässt Chefs zurück, die mit ihrer allumfassenden Entscheidungsbefugnis überfordert sind. Und letztlich gibt es meiner Meinung nach doch auch Bereiche, die sich besser mit anderen mitteln steuern lassen als mit denen der Marktwirtschaft.

All dies wird üblicher Weise zum Anlass genommen, Marktwirtschaft rund weg zu verdammen. Deshalb hat mich gerade Ihr Artikel angesprochen. Sie erkennen Probleme an und suchen alternative Lösungsansätze, ohne den Markt aber grundsätzlich in Frage zu stellen. Da bin ich ganz genau bei Ihnen. Doch statt den Geltungsbereich des Marktes schlicht als universal zu definieren, schlage ich vor, ihn ein zu grenzen.

Der Markt hat immense Stärken in der Optimierung der Verwendung begrenzter Ressourcen. Doch gegenwärtig wird versucht, die alten Marktgesetze unüberprüft auf das Management einer ganz besonderen Art von Ressource an zu wenden: Information. Doch Information ist nicht in der gleichen Art und Weise begrenzt wie dingliche Ressourcen. Für Information gelten andere Regeln, sie lässt sich beispielsweise fast ohne Kosten vervielfältigen. Ja eine weite Verbreitung bestimmter Informationen beschleunigt sogar die „Produktion“ neuer Informationen usw. Viele inherente Gesetzmäßigkeit des Informationsflusses sind geradezu denen der Wirtschaft dinglicher Ressourcen entgegengesetzt. Da ist es doch sehr zweifelhaft, dass die selben Marktgesetze für dingliche und informationelle „Güter“ gleichermaßen ideale Ergebnisse liefern.

Es ist unmöglich, vorher zu sagen, welche Regeln wo welche Ergebnisse liefern. Dazu sind die Zusammenhänge zu komplex. Man wird experimentieren müssen. Einen Vorschlag für Regeln des Informations-Marktes habe ich hier gemacht. Es ist auch vorstellbar, dass Information schlicht völlig frei sein sollte, wie vielfach gefordert wird. Das wäre dann eine noch radikalere Eingrenzung des Geltungsbereiches des klassischen Marktes als die von mir geforderte. Auf jeden Fall ist es nicht sonderlich plausibel, dass die selben Marktregeln für so unterschiedliche Ressource wie dingliche und informationelle ideal sein sollten. Daher ist an zu nehmen, dass der Geltungsbereich des Marktes in diesem Punkt nicht ausgedehnt sondern eingeschränkt werden sollte.

Sie schlagen vor, dass sich die Marktteilnehmer ändern. Vollzogen wird diese Veränderung in einer „Kultur der Verzauberung“. Ihr Vorschlag hat viel Charme. Doch wie soll diese Kultur herbei geführt werden? Sie haben selber festgestellt, dass Anonymität viele Schattenseiten hat. Die weitgehende gegenseitige Anonymität der Marktteilnehmer hat zur Folge, dass sie sich langfristig ungestraft gegenseitig übervorteilen können ohne großen Schaden zu nehmen. Das scheint doch deutlich bessere Renditen zu bringen als Magie und Legendenbildung.

Ich schlage daher vor, die Marktregeln zu variieren, um dem negativen Effekt der Anonymität Herr zu werden. Auch hier wird man experimentieren müssen. Aber da es gegenwärtig so aussieht, als würden uns unsere aktuellen Experimente in Sachen Marktwirtschaft bald mit einem gehörigen Knall um die Ohren fliegen, kann man ja vielleicht mal etwas wagen.

Ich frage mich auch, wie Ihre Vorschläge die Nutzung der brachliegenden Arbeitskraft verbessern sollen. Sollen sie das überhaupt? Arbeitskraft ist wieder eine besondere Ressource. Sie ist begrenzt wie dingliche Ressourcen. Daher ist es gut möglich, dass Marktwirtschaft sehr wohl zu ihrem Management geeignet ist. Aber anders als bei jeder dinglichen Ressource entsteht großer gesellschaftlicher Schaden, wenn zu große Teile dieser Ressource ungenutzt bleibt. Diese Eigenart legt nahe, dass bezüglich der Arbeitskraft mindestens eine deutliche Variation der Marktgesetze angesagt ist. Eine mögliche Denk-Richtung habe ich hier vor geschlagen. Wiederum wird dies nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Doch nach zweihundert Jahren Erfahrung mit Arbeitslosigkeit, sollte man vielleicht mal über andere Alternativen nachdenken als „Magie“ oder „weiter so“.

Ich stimme Ihnen also zu, dass der Markt ausbaufähig ist. Doch anstatt bei „Ausbau“ an „Anbau“ zu denken, schlage ich einen Rück- und Umbau vor. Weniger könnte viel mehr sein.

Auch wenn ich mich sehr kritisch mit Ihrem Artikel auseinander gesetzt habe, so schätze ich doch Ihren Mut andere Denkpfade zu beschreiten und die Originalität, die Sie dabei an den Tag legen, Herr Schwarzmann.

Ich würde mich freuen von Ihnen zu hören
Thorsten Roggendorf

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