Die Kernschmelze der Demokratie

Die Nutzung der Atomenergie illustriert die größten Schwächen der repräsentativen Demokratie. In diesem Artikel wird erörtert, wie eben diese Schwächen mit Extreme Governing behoben würden und wieso es unwahrscheinlich ist, dass sich die zivile Nutzung der Atomenergie unter Extreme Governing durchsetzen könnte.

Die Nutzung der Atomenergie illustriert die größten Schwächen der repräsentativen Demokratie. In diesem Artikel wird erörtert, wie eben diese Schwächen mit Extreme Governing behoben würden und wieso es unwahrscheinlich ist, dass sich die zivile Nutzung der Atomenergie unter Extreme Governing durchsetzen könnte.

Die Nutzung der Atomenergie ist einer der großen Fehltritte der westlichen Demokratien. Nur für den Fall, dass noch Unklarheit über die Vor- und Nachteile der Atomenergie besteht, seien hier die wichtigsten Argumente noch einmal kurz angerissen.

Unbillig

Atomenergie wurde in den einschlägigen Propagandalügen als billig dargestellt. Kernkraft wurde und wird massiv subventioniert und zwar in deutlich höherem Maß als regenerative Energien. Greenpeace hat eine Studie erstellen lassen, die die Subventionen erstmals zusammenfasst. Das statistische Bundesamt hat diese Gesamtkalkulation bisher verschleiert.

Zählt man nur Forschungsförderung, Steuervorteile und bisher geleistete Zahlungen für Endlager zusammen, so ergibt sich eine Subvention von 4,3 Cent pro Kilowattstunde. Erneuerbare Energien werden entsprechend mit 2 Cent pro kW/h gefördert. Zählt man andere Faktoren wie regelmäßige Polizei-Großeinsätze zum Schutz der Atommülltransporte und erwartbare Kosten für die Endlagerung hinzu liegt die Förderung erheblich höher.

Die Risiken der Kernkraft trägt die Gesellschaft: die Deckelung der Haftung für Kernkraft-Havarien stellt eine weitere Subvention dar. Müssten Kernkraftanlagen für einen Supergau versichert werden, wäre Kernkraft völlig unbezahlbar.

Unsicher

Das führt uns zum nächsten Punkt. Kernkraftanlagen, insbesondere deutsche, seien sicher. Mit dem Ausstieg aus dem Ausstieg wurde auch der Ausstieg der fortlaufenden Modernisierung beschlossen. Die Gesetze, die die Betreiber zwangen, ihre Atomkraftwerke sicherheitstechnisch auf dem neuesten Stand zu halten, wurden erheblich gelockert, Sicherheitsfragen zunehmend dem Ermessen und Wohlwollen der Betreiber überlassen.

Doch schon vorher kann von hinreichender Sicherheit keine Rede sein. Brunsbüttel war 2001 vermutlich nur 2 Meter Rohleitung von einer Kernschmelze entfernt. Wäre der Wasserstoff an anderer Stelle detoniert, wäre eine weitere Kühlung vermutlich unmöglich gewesen. Tatsächlich hatte es schon eine Explosion im kritischen Bereich gegeben, die war nur etwas kleiner und war unentdeckt geblieben.

Der GAU ist also praktisch schon mindestens zweimal eingetreten, wir hatten nur beide Male großes Glück, dass es noch einmal gut gegangen ist. Doch schon kleinere Probleme hätten in Brunsbüttel zur Katastrophe führen können. Denn das Kraftwerk lief über Jahrzehnte ohne zuverlässige Backup-Systeme. Wie gesagt, wir hatten bisher lediglich Glück.

Ungeeignet

Atomkraft sei eine „Brückentechnologie“. Der Einsatz regenerativer Energien hat heute schon einen solchen Umfang erreicht, dass in Spitzenzeiten ein ganzes Drittel unseres Stroms regenerativ erzeugt wird (die aktuellen Werte kann man übrigens hier verfolgen). Bei einem weiteren Ausbau der regenerativen Energien werden wir sehr bald in Bereiche kommen, wo regelmäßig sogenannte Grundlastkraftwerke herunter geregelt werden müssten um Platz für die Regenerativen zu machen. Atomkraftwerke sind aber nicht kurzfristig regelbar. Zudem erhöht jede zusätzliche Regelung das Betriebsrisiko von Kernkraftanlagen erheblich.

Wie konnten wir uns also entgegen aller Vernunft für die Atomkraft entscheiden? Hier haben sicher einige historische Gegebenheiten eine wichtige Rolle gespielt. Der Enthusiasmus über die scheinbare Beherrschung des Atoms hat die Epoche von den 50er bis 70er Jahren derart geprägt, dass wir gar vom Atomzeitalter sprechen. Wieder glaubten wir an die grundsätzliche Beherrschbarkeit von Technologie. Das Menetekel des Gegenteils, die unsinkbare Titanic, ward verdrängt. Hinzu kam Anfang der 70er der Ölschock.

Doch dass wir uns überzeugen ließen, dass Atomkraft sicher und billig und zukunftsfähig ist, hat andere Gründe. Diese Gründe sind fundamentale Konstruktionsfehler in der repräsentativen Demokratie. Es sind letztendlich die gleichen Gründe, die uns das Leid verdrängen lassen, das unser Lebensstil über die Menschheit bringt, und die Verheerung, die er über die Ökosysteme des Planeten bringt.

Populismus & Inkompetenz

Die Menschen, die in repräsentativen Demokratien die politischen Entscheidungen treffen, verfügen in den Fragen, über die sie entscheiden, meist nur über eine sehr begrenzte Kompetenz. Unsere Entscheider sind Rhetoriker, Darsteller, Überzeuger, Mehrheitsbeschaffer, Vermittler, Diplomaten, Unterhändler – aber selten auch Fachleute. Sie sind bezüglich der Fachkompetenz auf Dritte angewiesen. Diese Dritten sind teils Staatsangestellte, eine erhebliche Rolle spielen aber die Lobbyisten.

Diese verfügen über massive Gelder und Heerscharen von Fachleuten mit tiefen Einblicken in z.B. die Kerntechnik. Da können auch staatliche Fachleute mangels interner Einblicke in die betreffenden Branchen kaum mithalten. Die Lobbyisten sind natürlich immer darauf aus, ihrer Branche Vorteile zu verschaffen. Den Bock zum Gärtner zu machen ist kein Unfall in der repräsentativen Demokratie, es ist ein Leitmotiv. Lobbyisten mit Zugriff auf die absoluten Spitzenfachleute der industriellen Kerntechnik war es ein Leichtes, inkompetente Politiker von der Sicherheit und Rentabilität der Kerntechnik zu überzeugen.

Extreme Governing geht hier einen völlig anderen Weg. Hier darf grundsätzlich nur Entscheiden, wer genügend Fachkompetenz besitzt, um die fraglichen Probleme selbst zu beurteilen. Darüber hinaus kommt es nicht auf Popularität an, sondern auf moralische Integrität. Diese beiden Kriterien, sorgen dafür, dass die Entscheider den richtigen Weg erkennen können, und dann gewillt sind, diesem auch zu folgen. Doch ein weiterer Faktor ist mindestens genau so wichtig. Dieser Faktor ist der Schutz, den Minderheiten unter Extreme Governing genießen, bzw. der ihnen in Demokratien weitgehend vorenthalten wird.

Diktatur der Mehrheit

Ein wichtiges Argument gegen Atomkraft wurde hier noch gar nicht genannt. Der Müll muss irgendwo hin. Und niemand will ihn bei sich haben. Die Lösung dieses Problems liegt darin, dass man sich eine möglichst kleine Gruppe von politisch möglichst wenig wehrhaften Leuten sucht, auf deren Rücken man Kernenergie durchsetzt. In unserem Fall sind diese Menschen die Wendländer Landbevölkerung. Die Gegenwehr ist dennoch beachtlich, insbesondere weil sich Gruppen aus ganz Deutschland mit den Wendländern solidarisieren. Doch dieser Widerstand wird regelmäßig mit Polizei-Einsätzen gebrochen, deren Größe selbst für demokratische Regime bedenklich sind.

Wenn der Laut und deutlich vorgebrachte Protest breiter Bevölkerungsschichten regelmäßig mit massiver Exekutiv-Gewalt gebrochen werden muss, ist offenbar selbst der fragwürdige Interessenausgleich gescheitert, den Demokratien bieten. Die Durchsetzung von Beschlüssen, die Minderheiten derartig stark in ihren Interessen verletzen, dass sie Reisen ins Wendland auf sich nehmen um dort im nasskalten November zu protestieren – die Durchsetzung solcher Beschlüsse mit staatlicher Gewalt illustriert ein weiteres Mal das Scheitern der Demokratie. Demokratie ist ein System, dass Menschen nicht vor willkürlichen Interessen schützt.

Da unter Extreme Governing jeder jeden beurteilen kann, gibt es hier keine reinen Mehrheitsentscheidungen. Mehrheitsentscheidung sind grundsätzlich gut und richtig und würden auch unter Extreme Governing eine große Rolle spielen. Doch auch das Interesse der Mehrheit kann nicht als Rechtfertigung dafür dienen, massivst in die Interessen Weniger oder Einzelner einzugreifen. Einzelne können sicher mal für die Mehrheit Opfer bringen. Doch das Opfer der Heimat, der Gesundheit oder – siehe nächster Absatz – des Lebens darf die Mehrheit nicht fordern.

Das Sterben der Anderen

Und dann waren da noch die Neger. Uns ist es üblicher Weise egal, ob die sich mit unseren Waffen abschlachten, ob sie verhungern, weil wir Nahrungsmittel lieber verbrennen oder an Schweine als an Neger verfüttern, ob sie an Aids eingehen, weil wir unsere Medikamente nicht kostendeckend an solch wertlose „Menschen“ abgeben wollen, ob sie auf der Flucht vor der Hölle, die wir in ihrer Heimat schaffen, im Mittelmeer ertrinken, oder ob sie eben in unseren Uranminen verheizt werden. In der Entscheidungsfindung westlicher Demokratien spielt das Leben oder gar andere Interessen afrikanischer Bürger nicht die geringste Rolle.

Bei Extreme Governing gibt es keine Grenzen. Die Urteile afrikanischer Minenarbeiter sind erst mal genau so viel Wert, wie die Urteile westdeutscher Lehrer. Eine Entscheidung zu treffen, für die dann Nigerianer sterben müssen, wäre unter Extreme Governing kaum weniger verhängnisvoll als Entscheidungen zu treffen, für die Deutsche sterben müssen.

Integrität, Kompetenz, Grenzenlosigkeit

In der Demokratie werden Entscheidungen von populären Menschen getroffen. Kompetenz wird hauptsächlich von Lobbyisten eingebracht, moralische Integrität spielt überhaupt keine Rolle. Extreme Governing wählt die Menschen, die zu Entscheiden haben, nach Kompetenz und moralischer Integrität aus. Die Interessen von Minderheiten können in Demokratien völlig missachtet werden. Extreme Governing zählt jedermanns Urteil. Zu massive Eingriffe in die Rechte Einzelner sind nicht tolerierbar.

Nationalstaaten ignorieren die Rechte von Menschen jenseits der Nation grundsätzlich komplett. Verlust von Heimat, Gesundheit und Leben Dritter wird ohne weiteres in Kauf genommen. Extreme Governing ist nicht national. „Bürger“ wie „Nicht-Bürger“ haben unabhängig von Wohnort und Herkunft eine Stimme. Den Tot von „Nicht-Bürgern“ in Kauf zu nehmen hat für die Entscheider die gleiche Bedeutung, wie den Tot von „Bürgern“ in Kauf zu nehmen. Es ist schwer vorstellbar, dass mit diesem System Kernenergie im industriellen Maßstab genutzt worden wäre.

6 Gedanken zu „Die Kernschmelze der Demokratie“

  1. „Müssten Kernkraftanlagen für einen Supergau versichert werden, wäre Kernkraft völlig unbezahlbar.“
    Gesundheit ist unbezahlbar.
    Es wäre wunderschön wenn man Kernkraftanlagen gegen einen Supergau oder nur gegen irgendeinen Gau versichern könnte.
    Da bezahlt dann die Versicherung ein paar Millionen und alle bösen Strahlen sind weg.
    Zauberei.

  2. Das wichtigste Argument gegen Kernenergie ist nicht die Technikfrage, wahrscheinlich auch nicht die Entsorgungsfrage sondern die Frage: wie werden die Politiker und Verantwortlichen uns im Falle eines Falles aufklären?

    Ich wette, dass das immer schief laufen wird. Das sieht man auch wieder in Japan, wo mir der Aufklärung bzgl. Strahlungsbelastung nicht verantwortlich umgegangen wird.

    Interessanters Video: http://www.youtube.com/watch?v=sDiThP-JZCA

    Shameless ad: http://karussell.wordpress.com/2010/11/17/pro-und-kontra-kernenergie/

  3. Hallo Schrotie,
    sag mal, welche W’keit gibst Du der Realisierung des Extreme Governing?
    So im Vergleich zu den anderen Zukunftsszenarien wie Polizeitstaaten etc.?
    Mein Tip liegt bei weit unter einem Promill, was ich sehr optimistisch finde.
    Würde es nicht mehr Sinn machen, sich mit wahrscheinlicheren Szenarien zu beschäftigen, als sich in einer Illusion zu ergehen?
    Oder dient das hier alles nur Deiner Unterhaltung?
    Die wäre dann allerdings gut gelungen.
    Viele Grüße,
    Sven

    1. Hi Sven

      Die Chancen der Verwirklichung genau nach meinen Vorstellungen liegen sicher nahe null. Wäre auch irgendwie erschreckend, wenn ich in so vielen Dingen richtig liegen würde. Einen globalen Polizeistaat halte ich langfristig auch für unwahrscheinlich, weil sich in sowas immer Widerstand bildet. Es kann natürlich sein, dass sich mit Hilfe moderner Überwachungstechnologie sowas auch durchsetzt. Die Zukunft vorherzusehen bleibt schwer.

      Aber es gibt Dinge, die weiß ich ziemlich sicher. Ich habe vielleicht noch 40 Jahre zu leben. Bis dahin wird sich die Welt radikal verändern. Das hat sie in den knapp 40 Jahren, die ich bisher erlebt getan und sie scheint das nochmal toppen zu wollen. In dieser bevorstehenden radikalen Veränderung gibt es große Gefahren wie Du richtig feststellst, aber auch große Chancen. Ich habe offenbar eine Perspektive, die nicht von vielen geteilt wird. Deshalb ist es das wert, meine Zeit dafür auf zu wenden zu sagen: seht mal, man kann viele Dinge auch ganz anders sehen und was man da sieht, sieht gar nicht schlecht aus. Unsere Gesellschaft steckt in einer Sackgasse, was ihre Selbstkonzeption betrifft. Wir brauchen Ideen, die über das Bekannte hinaus gehen. Ich will provozieren und zum Nachdenken anregen.

      Aber unter uns: Vielleicht habe ich ja doch teilweise recht und manche meiner Ideen lassen sich tatsächlich so umsetzen. Ich gehe ja davon aus, dass Extreme Governing nie das dominante System sein wird, wondern nur eine Gesellschaft zwischen anderen. Ich nenne das Mosaikgesellschaft, der der es vor 150 Jahren das erste mal vorgeschlagen hat, nannte es Panarchie. Und damit kann man heute anfangen. Es hat Gesellschaftsexperimente in Kommunen und Kibbuzim gegeben. Das Internet erlaubt uns, solche Sachen heute zu machen, ohne dass wir dafür in einen Kibbutz ziehen müssten. Wir können ein globales Gesellschaftsexperiment starten. Jetzt. Die Zeit ist *jetzt* reif für neue Kommunen, doch diesmal werden wir keine Häuser besetzen sonder Server. Wenn es gelingt ein Millionstel der Menschen zu überzeugen, haben wir ein veritables Modell. Dann kann es ganz schnell gehen. Das machen dann nämlich Sozialisten und Liberatisten und was weiß ich nicht noch alles nach. Und eh Du Dichs versiehst, sind die 10%, 20% der abenteuerlicheren Mitbürger in solche Experimente involviert. Und wenn 10%, 20% das wirklich wollen, dann können sie auch Autonomierechte erstreiten.

    2. Hallo Swen
      Jahrelang war ich was Zukunftsszenarien anbelangt in schlimme Resignation verfallen.
      Alles stellte sich für mich so aussichtslos dar.
      Da war es, obwohl zunächst befremdlich, doch wunderbar von Extreme Governing zu lesen. Ich sehe darin einen Weg der tatsächlich funktionieren könnte. In einer Illusion zu ergehen, und durch die innere Veränderung vielleicht auch eine äußerliche zu bewirken, ist allemal besser als stagnierende Resignation.
      Was mich in meiner „Illusion“ bestärkt ist, das es in meinen Augen bisher niemand geschafft hat die Logik des Systems von Extreme Governing zu brechen.
      Wenn man sich interessiert, kann man überall Ansätze sehen die deutlich in die Richtung von Extreme Governing gehen. So gibt es funktionierende Open Source Projekte die nicht auf Software beschränkt sind, sondern tatsächlich Maschinen bauen.
      Hier kann man es hören:
      http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2011/05/07/drk_20110507_1410_1eaa55ad.mp3
      Und Unterhaltsam ist Extreme Governing allemal. Ich kann ewig darüber nachdenken, und alle möglichen Situationen aus dem Blickwinkel Extreme Governing betrachten, und immer wieder feststellen wie viel besser alles wäre wenn…..

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