Ich habe mich entschlossen, die Bewertungskategorien von KiIsWhoWi allein von den Usern festlegen zu lassen. Zu verdanken ist dieser komplette Sinneswandel meinerseits Ankes Sturheit, die zurecht auf ihrem Standpunkt beharrte. Hier lege ich kurz die Argumente dar, die mich lange von diesem Schritt abgehalten habe, und jene, die mich letztendlich überzeugt haben.
Contra
Ich habe KiIsWhoWi zwar immer als eigenständiges Projekt gesehen, doch ich habe es auch immer als notwendige Voraussetzung für Extreme Governing gesehen. Und in diesem Zusammenhang hielt ich die vorgegebene Kategorisierung eigentlich für notwendig, denn hierfür ist es wichtig, die Kategorien in Zusammenhang zu bringen. Diesen Zusammenhang nachträglich herzustellen bedeutet einen großen Aufwand, der von mir kaum zu bewältigen ist.
Außerdem stellt die nachträgliche Herstellung dieses Zusammenhangs eine Verzerrung der Ergebnisse dar. Wenn ich dies nachträglich umsetzte würde dies einen Akt der Willkür darstellen, der so von manchen Nutzern sicher nicht akzeptiert würde.
Pro
Die Idee zu KiIsWhoWi ist stark von Wikis inspiriert. Wikis werden bekanntlich von Nutzern gestaltet. Die vorherige Festlegung der Kategorien würde eine zu starke Einschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten darstellen. Viele Nutzer würden sich durch das enge Korsett der vorgegebenen Möglichkeit unangenehm eingeschränkt fühlen.
Die Kategorien dienen zunächst dazu, Nutzern einen schnellen übersichtlichen Überblick über die bewertete Person zu geben. Vorgegebene Kategorien würden diesen Nutzen viel zu stark einschränken. Es gibt Dinge, die sich sehr sinnvoll bewerten ließen, sich aber unmöglich in vorgegebene Kategorien gießen lassen. Beispiele hierfür sind tiefgehende Kenntnisse spezieller Systeme, zum Beispiel des Programmcodes von KiIsWhoWi, Kommunikationsfähigkeiten bezüglich spezieller Personen, zum Beispiel „X ist der einzige, der Y folgen kann und auf den Y hört“ (dies ist übrigens auch für Extreme Governing relevant, siehe Ideen zur Außenpolitik), oder besondere Ortskenntnisse, zum Beispiel Kenntnisse einer bestimmten Höhle oder einer bestimmten Stadt. Diese Reihe ließe sich wahrscheinlich länger fortsetzen. All diese nützlichen Informationen auszuschließen ist nicht sinnvoll.
Wenn auch die Nutzer einen Nutzen darin sehen, Kategorien in einen Zusammenhang zu bringen, dann kann man es auch den Nutzern überlassen, diesen Zusammenhang herzustellen. Dies macht das Problem zu einem leicht zu bewältigenden und schließt Willkür meinerseits aus.
Danke Anke.
Was hälst du eigentlich in dem Zusammenhang von sowas wie Tagolution ( http://www.heise.de/tp/artikel/36/36141/1.html )?
Ich habe den Artikel gelesen und kommentiert. Ich bin mit dem Autor in Verbindung und vielleicht wird eine Kooperation daraus. Ich finde den Ansatz von Dave sehr gut und interessant. Danke für den Hinweis!
Bitte, gern 🙂
Ich hab in der letzten Zeit viel von dir gelesen und finde das meiste davon nachvollziehbar, vielleicht sogar richtig. Trotzdem weigere ich mich, Postprivacy generell als die Lösung zu akzeptieren – um ehrlich zu sein stehe ich meist auf der anderen „Seite“. Der Unterschied ist wohl:
„Natürlich. Ich spiele mit dem Feuer. Ich tröste mich damit, dass die
Welt bereits lichterloh brennt. Schlimmer geht immer. Momentan ist
aber auch besonders viel Luft nach oben.“
Ich spiele nicht gern mit dem Feuer. Ich weiß wie schnell das „außer Kontrolle“ bzw. in vorher nicht bedachte Bahnen läuft. Ich glaube insbesondere, dass viele noch nicht bereit dafür sind. Es fehlt an kritischer Reflexion zum einen über das, was man selbst über sich oder andere veröffentlicht/bewertet/sendet, zum anderen über das, was man über sich oder andere eben liest/empfängt/aufnimmt. Ich glaube nicht, dass sich das System (momentan?) selbst reguliert. Wissen tu ich’s nicht, man müsste es testen… aber gesellschaftsweite Tests/Versuche sind.. ein Spiel mit dem Feuer. Und machen es nur wenige, verlieren die wenigen…
Trotzdem finde ich es wichtig sich eben darüber Gedanken zu machen.
Ich sehe Postprivacy auch nicht als Lösung. Ich hoffe, dass Informationsfreiheit ein Teil der Lösung ist und Postprivacy ist lediglich ein (unwillkommener) Aspekt von Informationsfreiheit. Ich hoffe und glaube, dass sich langfristig eine neue Kultur von Privatheit und Intimität entwickelt, die mit Informationsfreiheit besser vereinbar ist, als das, was wir heute haben. Im Artikel Postpostprivacy Teil 2 fordere ich ein gesetzlich garantiertes Recht auf Pseudonymität. Das ist mein erster Schritt in eine neue Richtung und viele weitere müssen folgen. Meine frühen Gedanken zu Postprivacy (die sind nicht im Netz, aber ich beziehe mich manchmal darauf) sind radikal – und Unfug. Aber ich brauchte diese Radikalität, um mich überhaupt mit etwas dermaßen Fremdartigen auseinandersetzen zu können (das war vor 10 Jahren). Ich vermute, dass es der Spackeria ähnlich geht. Diese Radikalität ist nötig um sich von überkommenen Vorstellungen zu lösen. Doch dann muss irgendwann etwas Neues beginnen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Privatheit ersatzlos gestrichen wird. Doch wie dieses Neue aussieht, davon habe ich noch kaum eine Vorstellung.
Bezüglich des Feuers bin ich absolut Deiner Meinung. Alles was ich schreibe ist vermutlich im Ganzen oder mindestens im Detail Unsinn. In der Realität ergeben sich immer unvorhergesehene Zusammenhänge und Entwicklungen. Es würde garantiert aus dem Ruder laufen und wenn das mit der ganzen Gesellschaft geschähe, könnte das eine Katastrophe sein. Andererseits habe wir bereits eine Katastrophe. Alle 5 Sekunden verhungert ein Kind. Und wir zerstören die Biosphäre. Das ist nicht unvermeidlich sondern eine zwangsläufige Konsequenz unsere derzeitigen Systems.
Darum brauchen wir Alternativen und darum führt nichts an Versuchen im Kleinen Maßstab vorbei. Um das zu ermöglichen und um eine weitere kontinuierliche Entwicklung unseres Gesellschaftssystems zu ermöglichen plädiere ich für die Mosaik-Gesellschaft. Es ist möglich, neue Organisationsformen zunächst inner- und unterhalb existierender Staaten zu entwickeln und zu testen. Dies kann man mit global vernetzten Gruppen einer gewissen Größe tun. Zunächst müssen die Mitglieder dieser Gruppen garnichts riskieren oder verlieren. Doch wenn sie beginnen, mit ihren Organisationen Funktionen existierender Staaten nicht nur zu ergänzen sondern zu ersetzen, müssen sie etwas riskieren. Aber das ist dann kein Schuss ins Blaue mehr. Und diese Gruppen haben dann auch viel zu gewinnen. Das Beste: Man kann sich einer Gruppe anschließen, die die eigenen Ideale teilt und so eine Gesellschaft auf einem grundsätzlichen Konsens aufbauen.
Ich finde Deine kritisch-interessierte Haltung toll. Ich zweifle selbst oft genug an meinen Ideen. Ich bekomme selten Feedback, dass mir so viel Mut macht wie Deins. Danke für Deine Worte und Deine Haltung. Und einen guten Rutsch.
Danke für die Ausführung, das macht es etwas klarer. Was meine „kritisch-interessierte“ Haltung angeht: Ich glaube ich bin konservativ — nicht im parteigebundenen Sinn, sondern im wahrsten Sinn des Wortes: Ich bin vorsichtig und neige eher zum „erhalten“ von bisherigen, als gut wahrgenommenem (weil auch nach unten noch SEHR viel Platz ist). Das führt in mir selbst zu Widersprüchen, denn innerlich bin ich schon lang der Auffassung, dass das System bricht und hoffe eigentlich nur, dass es sich noch lang genug weiterschleppt bis etwas neues (und besseres) kommt. Ich kann nur hoffen, dass das neue dann wirklich vorher durchdacht und im kleinen getestet wurde. Meine bisherige Einschätzung war der eher nicht so positiv: Ca. 2003 habe ich für rein gefühlsmäßig auf bewaffnete Konflikte innerhalb Deutschlands in den folgenden 20-25 Jahren getippt…
Nun gut, dir aber jetzt auch erstmal einen guten Rutsch!