Machtfragen

Welche verbreiteten Vorstellung gibt es darüber, wie unsere Gesellschaft organisiert sein sollte? Wie ordnet sich dieses Blog da ein?

Wie soll unsere Gesellschaft organisiert sein? Das läuft auf die Fragen hinaus: Wie werden Entscheidungen getroffen, wie Macht verteilt? Es gibt zwei starke Fraktionen unter uns, die versuchen, ihre jeweilige Antwort auf diese Frage durchzusetzen. Die einen sind die aktuellen Machthaber in Staat und Wirtschaft. Die anderen sind der überwiegende Teil der linken und progressiven Kräfte. Dann gibt es noch libertäre und anarchistische Splittergruppen sowie Proponenten von (auch flüssigen) Basis-Demokratien und Räte-Republiken. Meiner Ansicht nach liegen diese alle „falsch“. Keine der verbreiteten Antworten stellt mich auch nur ansatzweise zufrieden, weshalb ich mich vor vor gut zehn Jahren diesem Thema verschrieben habe.

Wirtschaft versus Staat

Die aktuelle Machtelite möchte die Steuerung unserer Gesellschaft im Großen wie im Kleinen der Geld-getriebenen Marktwirtschaft überlassen. Der Staat soll lediglich einen rechtlichen Rahmen bieten, der marktwirtschaftliche Transaktionen rechtlich vorhersagbar macht und die so errungenen Vorteile gegen die Benachteiligten absichert. Dazu soll eine weitgehende Überwachung der Bevölkerung und autoritäre Durchsetzung der Gesetze im Law & Order Stil umgesetzt und andere – z.B. Sozial-Gesetzgebung – zurückgefahren werden. Große Kapital- und somit Macht-Akkumulation wird als segenbringend begrüßt. Macht wird vor allem an wirtschaftlich Erfolgreiche und ihre Erben verteilt. Entscheidungen werden nach der Maxime der Maximierung des Profits getroffen. Diese Position lässt sich zusammenfassen als „Alle Macht den Kapitalisten“.

Die populärste Replik darauf lautet heute wie vor hundert Jahren: „Alle Macht dem Staat“. Die Extremposition dieser Fraktion ist der Sozialismus. Diese Position hat mit dem Zusammenbruch des Ostblocks stark an Einfluss verloren. Doch Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen setzen letztendlich schon darauf, dass der Staat Geld und somit Macht einsammelt und wieder verteilt. Mindesteinkommen, Bankenaufsicht, politische Europäische Einheit und Solidarität – all dies sind Forderungen nach einem starken Staat, der uns vor den Kapitalisten beschützt. Die Macht wird auf gewählte Repräsentanten konzentriert. Da Repräsentanten i.d.R. alleine nichts entscheiden können, müssen Mehrheiten organisiert werden. Entscheidungen werden also nach der Maxime des politischen Kuhhandels und der Wiederwahl in spätestens vier Jahren – also kurzfristiger Popularität – getroffen. Letzteres bedeutet, dass Entscheidungen vor allem bei jenen gut ankommen müssen, die nichts von der Materie verstehen – denn von den allermeisten Themen verstehen auch ausgesprochene Experten von Einzeldisziplinen nichts.

Ferner liefen

Anarchisten lehnen eine formale Regelung der Gesellschaft gänzlich ab. Meist stehen dahinter linke Ideologien und die Hoffnung, dass Menschen sich „von allein“ vernünftig verhalten. Diese Ideale finden sich schon in der jüdischen Heilsversprechung (Schalom) und (sehr viel später) im Kommunismus. Libertäre wünschen eine Form von Anarcho-Kapitalismus.

Basisdemokraten aller Couleur fordern die Verteilung von Macht gleichmäßig auf alle. Die Extremposition dieser Richtung ist die Räte-Republik („Rat“ in diesem Sinn heißt auf russisch „Sowjet“, die Sowjet-Union war allerdings eine Diktatur). Ich kann nicht sagen, welche die Entscheidungsprinzipien einer reinen Basisdemokratie wären, da das Prinzip nicht auf größere Gruppen von Menschen skaliert – sprich Basisdemokratie funktioniert nur in sehr kleinem Rahmen und ist dort schon recht anstrengend.

Die von den Piraten favorisierte liquid (= flüssige) Demokratie ist eine Mischform aus Basis-Demokratie und repräsentativer Demokratie (das aktuelle deutsche politische System). Es gibt noch keine hinreichenden Erfahrungswerte mit flüssiger Demokratie um Aussagen über die Entscheidungsprinzipien zu treffen.

Die deutsche und skandinavische Praxis der sogenannten sozialen Marktwirtschaft ist eine Kompromissposition aus Kapitalismus und (repräsentativ-demokratischem) Sozialismus. Tatsächlich ist das deutsche System in dieser Hinsicht auffällig ausgewogen. Etwa die Hälfte des Geldes, also die Hälfte der Macht, wird wirtschaftlich gesteuert, die Hälfte politisch. Allerdings hat die Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten massiv Einfluss auf die Politik erlangt und große Teile der politisch verwalteten Macht werden nach wirtschaftlichen und teils entsprechend unmenschlichen Gesichtspunkten angewendet.

Summa Summarum

Hier noch einmal eine kompakte Zugsamenfassung aller hier besprochenen Extrem-Positionen:

  • Alle Macht den Kapitalisten; Entscheidung nach Profitmaximierung;
  • Alle Macht dem Staat; Entscheidung nach Popularität;
  • Keine formelle Macht-Verteilung;
  • Macht gleichmäßig an alle verteilen;

Bezüglich der Verteilung der Macht gibt es offenbar nur zwei Positionen: Starke Konzentration oder maximale Verteilung. Konzentriert wird entweder auf Superreiche oder Regierungsoberhäupter und ihr Kabinett. Verteilt wird auf alle oder gar nicht – wobei Letzteres eine informelle Verteilung impliziert. Mir ist nur ein einziges Konzept bekannt, das wenigstens versucht, die Verteilung der Macht etwas intelligenter zu gestalten – die flüssige (liquid) Demokratie. Doch ich vermute, das Konzept scheitert daran, wie Entscheidungen letztendlich zustande kommen, da es die meisten Fehler gängiger Demokratie-Konzepte wiederholt und teils verschlimmert.

Staattdessen

Mein Ideal ist eine Verteilung der Macht, die so breit wie möglich und eine Konzentration, die so stark wie nötig ist. Wir brauchen keinen Führer eines ganzen Volkes – höchstens als präsidiale Identifikationsfigur. Wir brauchen keine unantastbaren Wirtschaftslenker. Aber natürlich sollten Entscheidungen von denen getroffen werden, die etwas von den anstehenden Problemen verstehen. Doch es gibt sehr viel mehr kompetente Entscheider als mächtige. Wir könnten und sollten Macht viel stärker verteilen. Wo starke Machtkonzentration nötig ist – z.B. wenn Gesetze für ein ganzes Volk gemacht werden – muss diese z.B. zeitlich begrenzt werden (auf die Verabschiedung eines einzigen Gesetzes), so dass die Macht nicht so leicht korrumpierbar ist und ein bewegliches Ziel bleibt. Macht sollte auch nicht – z.B. in Form von Vermögen – vererbbar sein.

Geld und Wählerstimmen sind nicht die schlechtesten Ratgeber. Aber es sind auch nicht die besten. Den Entscheidungen, die wir als Gesellschaft treffen fehlt eine langfristige Motivation. Und Menschlichkeit. Menschen streben nicht direkt nach Macht und Geld. Sie streben nach gegenseitiger Anerkennung. Und diese Anerkennung sollte direkten Einfluss auf unsere Entscheidungen haben. Mit Geld belohnen wir Menschen teils für Unmenschlichkeit. Doch unsere ehrliche und direkte Anerkennung vergeben wir für Integrität, Kompetenz, langfristigen Erfolg. Wenn es um den Ruf eines Menschen geht, geht es um eine Lebenspanne, nicht um eine Legislaturperiode. Es geht um unsere gesamte Urteilskraft, nicht „bloß“ um Geld. Achtung kann ich auch Entscheidungen entgegenbringen, die nicht in meinem unmittelbaren Interesse sind.

Verteilung der Macht so breit wie möglich und so eng wie nötig; Entscheidungen nach Kompetenz, persönlicher Verantwortung und gegenseitiger Anerkennung – diese zwei Prinzipien ergeben ein völlig neues System. Doch sieht es oberflächlich betrachtet nicht unbedingt so anders aus wie unser derzeitiges. Marktwirtschaft enthält beispielsweise bereits viele Elemente zur breiten Verteilung von Macht nach Kompetenz. Auch ist das alles nicht neu. Noch vor hundert Jahren war „Ehre“ ein enorm wichtiges Konzept.

Doch eine freiheitliche Gesellschaft, mit individualistisch liberaler Kultur, mit überall flachen bis nicht-existenten Hierarchien, mit über soziale Netzwerke vermittelter persönlicher Verantwortung und Anerkennung: das wäre eine beispiellose (R)Evolution, meine Vision für die Gesellschaft, in der ich leben möchte.

Glatzen!

Haare sind was schönes. Sie sind weich, sie können toll aussehen. Wenns Euch egal ist, ist gut. Aber wenn nicht, dann macht was draus. Haare wachsen langsam und Ihr habt weniger Zeit, als Ihr glaubt, zumindest Ihr Männer.

Als Mann auf der Mitte seiner Lebenserwartung kenne ich mich aus mit Glatzen. Da gibt es die etwas alberne Tonsur. Die Kahlheit breitet sich vom oberen Hinterkopf aus aus. Sieht zwar wie gesagt etwas albern aus, aber lässt sich dafür relativ lange mit Kopfbedeckungen verbergen. Und es wird ja auch kalt, wenn da ein Loch im Fell ist. Oder es gibt Sonnenbrand. Eine Baseballmütze ist völlig legitim.

Wenn aber die Stirn immer höher wird? Mit Mütze sieht man da schnell mal aus, wie ein Krebspatient, und ein Toupet würden heute höchstens noch entschlossene Selbstmörder tragen. Aber das schlimmste ist die gleichmäßig abnehmende Behaarung. Ist wohl nicht oft, habe ich sich erst einmal entwickeln sehen. Das Haar wird immer dünner. Hat ein paar Jahre gedauert, dann sah das ziemlich krank aus. Auf jedem Quadratmillimeter ein Haar gepflanzt, gleichmäßig überall, wo man Haare erwartet. Da bleibt nur noch der Babypopo. Kahlschlag, polieren.

Letztendlich landen wir da alle, mehr oder weniger, wenn nicht vorher die Pumpe aussetzt. Ich bin glaube ich bei der zweitglücklichsten Fraktion. Die glücklichsten sind die paar, die ihre Haare weitgehend behalten dürfen. Aber wir Geheimratseckenträger dürfen sie wenigstens halbwegs würdig abgeben.

Doch ich freu mich auf meine Glatze. Ich hatte drei mal im Leben eine Zeit lang lange Haare, als Kind, als Student, als alternder Mann, der noch ein letztes mal lange Haare haben will. Doch als es soweit weit war, war es zu spät. Als der Zopf endlich zuging, habe ich sie ziemlich schnell abgeschnitten. Sie waren schon zu dünn. Nichts ist peinlicher, als ein langhaariger Mann, der nicht bemerkt, dass seine Mähne gerupft aussieht.

Und dann ist da noch mein Familienfluch. Als Kind hatte ich wie gesagt eine zeitlang lange Haare. Wenn ich ernsthaft getobt hatte, waren meine Haare so nass, als hätte ich geduscht. Der Schweis tropfte aus meinen langen nassen Haaren. Ich schwitze mehr als die meisten. Immer noch … kommt von meiner Mama. Wenigstens bleiben mir die Wechseljahre erspart, die machen das nicht besser.

Jetzt habe ich also Geheimratsecken, und das Fell wird licht. Noch sind meine Haare zu dunkel. Es ginge nur Kahlschlag – schwarze Stoppeln überall, sehen aus nach Verbrecher. Aber wenn sie grauer und heller werden, geht das in Ordnung. Ich bin zu faul, mir ständig die Birne zu rasieren. Und etwas graue Stoppeln halten die Mütze auch besser. Und bis es soweit ist, bleibe ich bei 11 Millimeter plus Faulheit.

Einmal Recht, bitte

Was wäre, wenn man sich bei Vertragsabschluss (z.B. Kauf) ein Rechtssystem aussuchen könnte? Ein kundenfreundliches?

Der nächste bitte, was hättens denn gern? Einmal Recht, bitte.

Wer nicht gerade US-Amerikaner ist, ist höchstwahrscheinlich Kunde einer ausländischen, also US-amerikanischen, Firma – Google, Apple, Facebook, Amazon … Das kann alle möglichen rechtlichen Probleme mit sich bringen, wie zum Beispiel diese Norwegerin erfahren musste, die Dutzende von Büchern „verlor“. Wenn es zu rechtlichen Problemen kommt, ist man schnell völlig rechtlos, da kaum jemand in der Lage ist, sein Recht fern der Heimat und in einem fremden Rechtssystem durchzusetzen.

Diese sporadische Erfahrung von Internetnutzern ist kaum die Spitze des Eisberges. Gigantische Waren-, Dienstleistungs- und Geldströme werden in jeder Sekunde quer über den Globus durch unzählige Rechtssysteme bewegt. Im Gegensatz zu Privatpersonen haben Unternehmen meist die möglich, ihr Recht auch in fremden Rechtssystemen durchzusetzen. Doch auch dies bedeutet einen riesigen völlig sinnlosen Aufwand.

Wahlrecht

All diese wirtschaftlichen Transaktionen – zwischen Privatleuten und Unternehmen und zwischen Unternehmen untereinander – werden im Wesentlichen (in Deutschland) durch das Bürgerliche Gesetzbuch geregelt. Es gibt keinen prinzipiellen Grund, diese Art der Rechtsprechung geografisch – also national – zu binden. Es wäre durchaus praktikabel, ein beliebiges Rechtssystem zu wählen, egal, wo man sich auf dem Globus befindet. Natürlich würde sich kein nationaler Souverän dieses Vorrecht nehmen lassen, aber sehen wir davon erst mal ab.

Allein die Möglichkeit, sich international bei Vertragsabschlüssen (also z.B. bei der Eröffnung eines Accounts auf einem türkisch-russischen Server auf den Philippinen) auf eines von einer handvoll international etablierter Rechtssysteme zu einigen, allein diese Möglichkeit würde unsere Wirtschaft signifikant entlasten und könnte die Welt für ihre Bewohner ein klein bisschen besser machen. Das heutige System bevorzugt große Teilnehmer deutlich: Unternehmen stehen besser da als Privatleute und große Unternehmen besser als kleine. Denn Finanzkraft ist für das bestehen im internationalen Rechtschaos unabdinglich. Die seltenen Siege von David gegen Goliath erlangen nur aufgrund ihrer Absonderlichkeit eine gewisse Bekanntheit. Dass David sich international gegen Dole durchsetzt ist gleich ein historisches Ereignis.

Das Recht des Schwächeren

Man stelle sich vor, die Rechtsparteien hätten eine freie Wahl des Rechtssystems. Wie wäre es mit einem System, das die finanzstärkere Partei nicht bevorzugt? So ein System hätte das Potential, eine große Verbreitung zu finden. Denn für Kunden wäre ein Angebot unter so einem Rechtssystem ungleich attraktiver als unter einem beliebigen anderen.

Es ist allerdings nicht damit getan, ein Gesetzbuch zu „schreiben“. Eine Entität, die ein Rechtssystem anbietet, muss auch Jurisdiktion, Legislative und Exekutive anbieten. Das muss natürlich nicht alles aus einer Hand kommen, doch will ich darauf nicht näher eingehen. Rechtsprechung ist ein ausgesprochen komplexes unterfangen. Vor Gericht und auf hoher See sind wir bekanntlich allein in Gottes Hand. Doch trotz dieses Bonmots liegt der wesentliche Vorteil eines Rechtssystems darin, dass es eine gewisse Vorhersagbarkeit bietet, zumindest in „eindeutig“ gelagerten Fällen.

Rechtsstaat

Um diese Vorhersagbarkeit zu bieten bedarf es mehr als eines Gesetzbuches. Die Jurisdiktion muss als Prozess (im Sinn von „prozedural“) etabliert sein, der durch die Gesetze geregelt wird. Nur ein etablierter Rechtsprechungsprozess kann eine gewisse Vorhersagbarkeit bieten.

Eine Exekutive ist auch im bürgerlichen Recht nötig, um die errungenen Rechtstitel durchsetzen zu können. Exekutive benötigt im Gegensatz zu Judikative und Legislative geografisch lokalisierte Elemente. Es spielt keine elementare Rolle für die Nutzer eines Rechtssystems, wo Gesetze gemacht werden oder wo die Verhandlung stattfindet – letzteres kann zum Beispiel im Prinzip durch Tele-Präsenz irrelevant werden. Doch die Exekutive muss vor Ort Urteile gegen die Rechtsparteien durchsetzen und zum Beispiel physisches Eigentum pfänden können.

Daher kann die Exekutive eines internationalen Rechtssystem zum Beispiel aus Verträgen mit lokalen Exekutiven bestehen, oder darin, die errungenen Rechtstitel im lokalen Rechtssystem nochmal nach dem Vertragsrecht durchzusetzen und somit von der lokalen Exekutive durchsetzbare Rechtstitel zu liefern.
Eine Legislative letztlich ist nötig, um das Rechtssystem ständig den sozialen und technischen Neuerungen anzupassen.

All dies kann kaum in Form einer kommerziellen Dienstleistung erbracht werden. Wer würde schon einem Rechtssystem vertrauen, dessen Ziel allein die eigene Profitmaximierung ist, und das aufgrund der kulturellen Gegebenheiten vermutlich allein von den Unternehmen und nicht von Privatleuten bezahlt wird? Natürlich kann ein transnationales Rechtssystem Gebühren zur Kostendeckung erheben. Aber sein Ziel darf eben nicht die Rendite sein.

Ideal wäre es, wenn ein internationales Rechtssystem nicht nur zu dem Zeck existierte, unabhängigen Parteien als Service zur Verfügung zu stehen. Stattdessen sollte es aus internationalen staaten-artigen Gebilden hervorgehen. Nur so kann sich der komplexe Prozess aus Legislative, Judikative und Exekutive einschleifen, etablieren und genügend Vertrauen aufbauen, um tatsächlich unabhängige Parteien als „Kunden“ zu gewinnen. Internationale „Staaten“ sind ein eigenes Thema, das ich an anderer Stelle angeschnitten habe.

Preisgericht

Klassische Rechtssysteme kranken an der Bevorzugung, finanzstarker Parteien. Schon eine gerichtliche Instanz kann bei nicht trivialem Gegenstand mit ein paar Gutachten, Anwälten und Gerichtskosten schnell mal 10.000 € kosten. Juristisches Recht zu erstreiten können sich nicht viele leisten. Das ist eine große Chance für Alternativen: Wie wäre es, wenn ich bei Vertragsschluss – also z.B. mit einem Kauf – mein bevorzugtes Rechtssystem wähle. Die Rechtskosten könnten dann durch eine prozentuale Abgabe auf den Vetragsgegenstand gedeckt werden. Die Rechtskosten für einen Lolli wären geringer als für einen Fernseher. Im Falle eines Rechtsstreites fallen dann keinerlei zusätzliche Kosten an, bwz. nur im Falle des Missbrauchs des Rechtssystems. Eine universelle – zivilrechtliche – Rechtsschutzversicherung. Wahrscheinlich wäre es sachdienlich, die Streitparteien in geringem Maße – und vermögens- und einkommens-abhängig – an den Kosten eines tatsächlichen Verfahrens zu beteiligen, um eine Hemmschwelle einzubauen. Doch das sind Details 🙂

Die Kultur-Apokollapse

Hallo da draußen, Liebe Leser

Es tut mir leid. Ich habe eine ganz schlechte Nachricht. Aber dafür muss ich etwas ausholen.

Ich bin seit 40 Jahren auf dieser Welt. Ich bin nie ein großer Serienfan gewesen, aber ich hab doch seit gut dreißig dieser vierzig Jahre meist mitgekriegt, welche Serien gerade so angesagt sind. Das muss Sie gar nicht interessieren, Serien sind unwichtig. Nur eins ist interessant: es gibt immer schon einen Haufen Serien, meist aus den USA. Doch nur ganz wenige werden richtig erfolgreich. Das sind immer die Serien, bei denen es um Dinge geht, die die Menschen gerade besonders faszinieren. Die erfolgreichsten Serien haben in den vergangenen drei Jahrzehnten Leitbilder und Ängste der Gesellschaft gespiegelt.

Fangen wir doch mit einer guten Nachricht an. Was wie eine komische Kette zusammenhangloser Ausreißer aussieht, ist die einzige Konstante dieser Dekaden. Star Trek, Magnum, Ausgerechnet Alaska, Die Simpsons und immer wieder Star Trek, Big Bang Theory, Sherlock Holmes … unsere Gesellschaft verehrt Nerds! Nerds verändern unsere Welt schneller als wir uns anpassen könnten, natürlich verehren wir Sie! Nerds gehen immer.

Aber sonst? Hemmungslose Glorifizierung des obszönen Reichtums in Dallas und Denver, die Angst vor dem organisierten Verbrechen in Miami Vice. Titten in Baywatch. Sex in der Stadt, Terrorismus in 24, verzweifelte Hausfrauen in eben diesen. Geht alles irgendwie in Ordnung. Kann man sich für interessieren, kann man sich von faszinieren lassen.

Wissen Sie, welche zwei Serien gerade riesen Erfolg haben? Da geht es nicht darum, ob die Zivilisation zusammenbricht, sondern wie weit. Klar, den Zusammenbruch unserer Zivilisation würden die meisten von uns nur zur Hälfte mitkriegen. Aber wenn unsere Wirtschaft und Staatenordnung erst mal kollabiert ist, gibt es zwei plausible Szenarien.

In The Walking Dead ist die Gesellschaft bis auf die Ur-Clans zusammengebrochen. Von den Strukturen bleibt nur noch der Kreis, der einer größeren Familie entspricht, die Ur-Sippe. In Falling Skies bleiben noch größere Stämme übrig. Ein paar hundert Leute haben sich irgendwie eine kohärente Struktur erhalten und kämpfen zusammen ums Überleben. Sieger dieser beiden ist eindeutig The Walking Dead. Die Zombie Apokalypse ist running Gag und geflügeltes Wort in den sozialen Netzen geworden.

Aber eine Frage hätte ich an die Macher der Serie. Nach der Apokalypse ist es verdammt schwer und gefährlich, an genießbares Fleisch zu kommen. Es gibt nur eine einigermaßen verfügbare Fleischquelle. Sagt mal, wollte Bifi nicht zahlen, oder wie haben die es aus der Produktion raus geschafft?

Deutsche Verbraucher subventionieren ausländischen Strom

Die EEG Umlage macht Strom in Deutschland teurer und im Umland billiger

Das Deutsche Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) regelt letzendlich eine gezielte Investition in erneuerbare Energien, die aus der EEG-Umlage – einem Aufschlag auf den Strompreis – bezahlt wird. Die EEG-Umlage wird ausschließlich von Deutschen Stromkunden bezahlt. Der Ausbau der erneuerbaren Energien aus Mitteln einer Zwangsabgabe von Deutschen Stromkunden führt direkt zu einer (relativen!) Senkung des Strompreises wie er an der Leipziger Strombörse ermittelt wird. Dieser Zusammenhang ergibt sich zwangsläufig aus der Funktionsweise der Strombörse.

Der mittelbar durch die Deutsche EEG-Umlage gesenkte Börsenpreis für Strom führt dazu, dass ausländische Kraftwerke immer öfter abgeschaltet bleiben und im Ausland statt dessen billiger deutscher Strom verwendet wird. Die deutschen Stromexporte erreichen neue Rekorde. Gleichzeitig wird der Strom in Deutschland unverhältnismäßig teurer.

Kommentar

Ich bin überzeugt, dass wir die Energiewende so schnell wie möglich umsetzen müssen. Ich hätte nie gedacht, dass wir in der Energiewende so schnell positive Preiseffekte erzielen, aber so ist es offensichtlich. Doch durch diese absurden Marktmechanismen wird den Deutschen, den Vorreitern der Energiewende, dieselbe vermiest. Die Wende steht momentan politisch schlecht da. Wenn dieser Unsinn beendet wird, und wir selbst profitieren, sieht es hoffenlich besser aus.

Sicherheit schlägt Privatsphäre

Big Data bedroht Privatsphäre, die schleichende Obsoleszenz des Sicherheitskonzeptes „Passwort“ erfordert Kompromisse bezüglich der Privatsphäre: Schranken im Datenozean nutzen Nutzern nicht.

Ich bin zufällig über zwei fast zeitgleich erschienene Artikel gestolpert. Beide haben unterschiedliche Themen und unterschiedliche Stoßrichtungen. Der erste befasst sich mit Big Data und seinen verheerenden Auswirkungen auf die Privatsphäre. Wie aus der Schmiede der Aluhüte – Netzpolitik.org – nicht anders zu erwarten, erschöpft er sich in einer lächerlich inadäquaten Forderung nach „Datenbriefen“, die die erfassten Daten für die geneigten Nutzer nachvollziehbar machen sollen. Naja, für Elitenerds zumindest, die eine ungefähre Vorstellung entwickeln können, was sich mit gegebenen Datensätzen anfangen lässt.

Der zweite Artikel hingegen ist ein überaus hellsichtiges Dokument. Aus seinem persönlichen harten Schicksalsschlag – dem Verlust seiner Online-Identität durch gecrackte Accounts – zieht der Autor nicht etwa die üblichen Schlüsse: Forderungen nach mehr Sicherheit, Offenlegung von Sicherheitslücken und so weiter. Nein, er hat sich auf eine Odyssee zur Erforschung von Online-Sicherheit begeben und kommt zu dem Schluss, dass Passwörter ausgedient haben.

Interessant und symptomatisch ist das, was beide Artikel verbindet: Wenn man ein paar Daten zusammen nimmt, ergeben sich plötzlich neue Informationen. Der Big Data Kritiker beklagt, dass man mit Alter, Geschlecht und Wohnort bereits die meisten Menschen eindeutig identifizieren kann. Der Passwort-Kritiker begrüßt, dass Aufenthaltsort, Stimme und Aussehen eine ziemlich gute Identifikation hergeben. Des einen Leid ist des anderen Freud.

Während unsere Alu-behüteten Landsmänner noch der Illusion digitaler Privatsphäre huldigen, hat der seiner Online-Identität verlustig gegangene Autor erkannt, dass Informationstresore nur den Banken und Tresorknackern dienen; dass in unserer Gesellschaft der Wettbewerb zwischen Privatsphäre und Effizienz keiner ist, weil Privatsphäre irrelevant wird, wenn es um Effizienz geht.

Was beide übersehen, obwohl es der Passwort-Artikel andeutet, ist das große Bild hinter beiden Phänomenen. Wir leben mittlerweile mit einem Ozean von Daten. Viele leben zu einem guten Teil darin. Der Versuch, den Ozean zu kanalisieren, Grenzen, Schranken und Barrieren einzubauen, nutzt am allerwenigsten den normalen Nutzern. Schranken dienen immer am meisten denen, die sie umgehen können. Wie so oft sind das große Konzerne und kleinere Verbrecher.

Kultur Kann Man Nicht Delegieren

Kultur ist das was wir alle tun und wie wir es tun. Kultur lässt sich daher nicht delegieren, Arbeitsteilung funktioniert hier nur sehr eingeschränkt. Das Urheberrecht einzuführen war einer der größten Fehler unserer jüngeren Geschichte.

Neulich lief mal wieder „I am Legend“ in der Glotze. Kannte ich schon, hatte ich mehr als einmal gesehen, wollte ich nicht nochmal sehen. Aber als ich den Fernseher einschaltete, landete ich zufällig in dem Film und zwar wenige Sekunden nach dem Anfang. Der Protagonist bewegt sich durch ein menschenleeres Manhattan, er Jagd ein Reh. Manns-hohes Gras wächst aus Rissen im Asphalt. Gerade als er seine Beute stellt, kommt ihm ein Löwen-Rudel zuvor. Ich bleibe in dem Film hängen und sehe ihn mit anderen Augen.

Medien Meister

Der Film hat zahlreiche sehr starke Szenen, die eines verbindet: sie machen sich sehr gut auf der Leinwand. Es ist ein enormes kreatives Potential in diesen Streifen geflossen. Daran gemessen ist der künstlerische Gehalt erschütternd gering. Doch es gibt noch viel krassere Beispiele für dieses Phänomen: Transformers, gigantische Roboter kämpfen um die Weltherrschaft. Die Protagonisten wurden mit enormen Aufwand in teils künstlichen, teils realen Settings zum leben erweckt. Allein der Aufwand, einen computergenerierten Robotor in einer Realfilm-Szene natürlich aussehen zu lassen, erfordert immense Meisterschaft und Kreativität. Während ein minimaler künstlerischer Gehalt es trotz kommerzieller Zwänge in „I am Legend“ geschafft hat, kann man das den Transformers nicht vorwerfen.

Ich habe mich Jahrzehnte gefragt, wo die Meisterwerke der bildenden Kunst unserer Zeit sind. Sind Gerhard Richter und Gesellen tatsächlich das Höchste was unsere Kultur hervorbringt? Nein, unsere visuellen Meisterwerke sind in der Matrix, im Herrn der Ringe und in Computerspielen, mit denen ich mich aber nicht mehr auskenne. Kunstwerke wie die Matrix hat keine Epoche vor uns hervorbringen können: Schauspiel, Choreografie, Musik, Lichtkunst, Skulpturen, „Malerei“ verbinden sich zu einem einzigartigen Gesamtkunstwerk. Abertausende unserer begabtesten Künstler arbeiten in CGI-Firmen, bei Spieleherstellern und natürlich in der Werbung.

Kommerz Kunst

Doch unsere Meisterwerke sind vor allem Produkte. In der Antike wurde nicht zwischen Kunst und Handwerk unterschieden. Zwar lässt unser „Handwerk“ in der Regel die künstlerische Liebe zum Werk vermissen, aber unsere Kunst ist meist ein Handwerk – und lässt leider zu oft und genau wie unsere Produkte die Qualität und handwerkliche/künstlerische Liebe zum Werk vermissen. Schließt sich bei uns der Kreis? Ist Kunst und Kultur um ihrer selbst willen ein exzentrisches Pläsier verbohrter Bildungsbürger?

Wir sind als Persönlichkeiten nicht von unserer Kultur unabhängig, ganz im Gegenteil. Wir sind zu einem erheblichen Maße was wir tun und wie wir es tun. Und eben das ist auch Kultur: Kultur sind Tischsitten, Redewendungen, Benimm und Höflichkeit, unser alltäglicher Umgang, die Art, wie wir unsere Arbeit verrichten. Kunst spiegelt immer die Alltagskultur. Kunst steht nie allein, Meisterwerke entstehen auf den Schultern von Riesen – den Meistern der Vergangenheit – und auf unser aller Schultern, denn wir schaffen die Kultur aus der die Meisterwerke hervorgehen.

Ich glaube an das Ideal, dass Kunst frei sein sollte. Doch die überwältigende Mehrheit der Kunst mit der ich im Alltag konfrontiert bin, ist nicht frei sondern verfolgt unerbittlich eins von lediglich zwei universellen Zielen: 1. Sieh her! 2. Kauf mich! Entweder soll Aufmerksamkeit für Werbung oder Umsatz des Werkes selbst erregt werden oder es handelt sich um Werbung. Oder einfacher gesagt: Es ist Eigenwerbung, Werbung für Werbung oder Werbung.

Arbeitsteilung = Delegation

Die enormen Fähigkeiten unserer Kultur sind auf Arbeitsteilung zurückzuführen. Arbeitsteilung ist eine phantastische Errungenschaft. Doch lässt sie sich nicht auf alles anwenden. Ich bin zu einem guten Teil was ich tue und Kultur ist, was wir alle tun. Wir können Kultur nicht delegieren, wir können nicht anders als sie selbst zu erschaffen. Natürlich gibt es Menschen unter uns, die besondere Fähigkeiten besitzen und einen herausragenden Beitrag zu unserer Kultur leisten. Und wir wollen tatsächlich, dass dieses herausragende Schaffen fast ausschließlich unter den Maximen „Sie her!“ und „Kauf mich!“ entsteht? Dass die Sperrspitze unserer Kultur mit derselben Lieblosigkeit produziert wird wie unsere Alltagsprodukte? Und wir wundern uns über die Lieblosigkeit der Letzteren während wir denen Kulturverachtung vorwerfen, die Freiheit für kulturelles Schaffen fordern?

Ideale

Unsere kulturellen Vorreiter sind Vorbilder und Ideale. Justin Biber und Konsorten haben ab einem gewissen Alter unserer Kinder größeren Einfluss auf dieselben als die Eltern. Wir sind was wir tun, Kultur ist was wir alle tun, Vorbilder prägen unsere Kultur, ihre Motive prägen die Vorbilder. Die Existenz und gegebenenfalls Gestaltung des Urheberrechts hat darum großen Einfluss darauf, wer wir sein werden. Sind Geld und Ruhm alles, was im Leben zählt?  „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ [unbekannt] Doch unsere Kultur wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach radikal wandeln. Zumindest hat sie das in den letzten Jahrhunderten getan.

Ein Blick in die Vergangenheit

Wo kommt unsere Kultur her, wer waren wir? Kultur ist das, was ihre Mitglieder tun und wie sie es tun. Was hätten wir, Sie und ich, früher um diese Zeit getan? Die folgende Beschreibung gilt für Bewohner der nördlichen gemäßigten Breiten mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dreihundert bis vor dreitausend Jahren.

Sie und ich, wir, Sie bei sich, ich bei mir. Ein kalter Herbst-Abend vor dreihundert Jahren. Nur dreihundert Jahre. Wir haben beide wahrscheinlich mit jemandem geredet, der mit jemandem geredet hat, der mit jemandem geredet hat, der das selbst alles erlebt hat. Um uns herum ist es mehr oder weniger düster. Vielleicht hat einer von uns beiden das Glück, sich ein paar Kerzen leisten zu können, oder stinkende Öllampen. Aber es um diese Zeit wirklich hell zu haben – das kann sicher keiner von uns zweien finanzieren.

Die Arbeit des Tages ist getan, denn im Dunkeln kann man nicht arbeiten. Wir können nicht lesen, ich als Mann mache keine Handarbeiten. Doch genau jetzt prägen wir unsere Kultur. Die Zeit der Reflektion des Tagewerks prägt das Tagewerk. Jetzt arbeitet die Tradition, die Kunst „das Feuer weiter zu tragen, nicht die Asche zu bewahren“ [Gustav Mahler]. Wir singen, wir erzählen unseren Kindern Märchen und uns Geschichten aus unserem Leben. Wir schaffen den Fundus, aus dem die Begabtesten von uns die Meisterwerke unserer Zeit schaffen.

Die Kultur formt Sein und Bewusstsein

Es ist kalt und feucht und zugig. Wie praktisch alle Menschen um diese Zeit in diesen Breiten, sitzen wir wahrscheinlich am Feuer. Wir kennen Feuer ganz genau. Wir haben endlose Stunden hinein geschaut in unserem Leben. Wir wissen genau, wie sich Holz in Asche verwandelt, vom lodernden Scheit zum glühenden Kohlen, zum Zerbrechen in kleinere Scheite, zum Glimmen und Erlöschen.

Was würden wir um diese Zeit tun, Sie und ich, in einer Kultur wie vor 300 oder 3000 Jahren? Ich würde ins Feuer starren, wie alle anderen. Dabei würde ich mir vielleicht Bilder vorstellen wie Hieronymus Bosch, Bilder, die ich natürlich niemals malen könnte. Denn mir würde das Geld für die teuren Utensilien fehlen und ich könnte gar nicht malen – wie sollte ich neben der harten Arbeit in meinem abgelegen Städtchen einen Meister finden und bezahlen? Oder ich würde mir Märchen von der Art ausdenken, die andere Eltern nicht so gern weiter erzählen. Abwegige Märchen, wie ich es auch jetzt tue. Ich könnte kaum Spuren hinterlassen.

Und Sie? Was würden Sie tun? Natürlich, Sie würden ins Feuer starren. Sie wüssten auf die Minute genau, wann der nächste Scheit bricht. Doch Sie hätten keine auch nur entfernt genaue Vorstellung, wie lange eine Minute dauert. Und was würden Sie sonst jetzt gerade tun, am Abend eines kalten Herbsttages?

Kultur kann man nicht delegieren

Stattdessen sitze ich auf dem Sofa. Der Kamin brennt, doch ich starre nicht in sein Feuer. Ich starre ins kalte Feuer eines Tablett-PC Bildschirms und tippe einen abwegig utopischen Text in sein angedocktes Keyboard. Sie blicken ebenfalls auf einen Bildschirm und lesen das Zeug. Wir machen immer noch Kultur. Ich indem ich ein mikroskopisches Tröpfchen zum kulturellen Schaffen beitrage, Sie indem Sie das weitertragen (durchs Erzählen, Liken, Verlinken) oder nicht.

Wow. Wir sind weit gekommen. Und wie soll es weiter gehen mit unserer Kultur? Mal angenommen wir verpassen eine erdrückende Zahl an Möglichkeiten, unsere Zivilisation zu vernichten, wo wollen wir in 30 und 300 Jahren an einem kalten Herbstabend sein und was wollen wir tun? Sie können diese Entscheidung nicht treffen, genauso wenig, wie ich. Aber Sie und ich können mit allen anderen entscheiden, ob und wem wir diese Entscheidung überlassen wollen. Ob wir sie wirklich allein kommerziellen Interessen überlassen wollen.

Und egal wie wir uns entscheiden: Wir können die Entscheidung anderen überlassen, doch abnehmen kann sie uns keiner. Denn Kultur ist das, was wir tun. Kultur kann man nicht delegieren.

Nachts im Neubaugebiet

Herrscherkaste

Guten Tag, mein Name ist Thorsten Roggendorf. Ich lebe so grob das Leben der Klasse, die uns beherrscht. Nicht die, die letztendlich entscheiden, wo’s lang geht. Das ist ein kleiner Club. Man kennt sich in der Gemeinde oder halt im Umfeld seines Einflussbereichs. Ich gehöre nicht zu den 0,1% oder den Top-Politikern.

Unterhalb von denen, die bei uns die Entscheidungen treffen, gibt es eine große Klasse von Leuten, die für die Umsetzung der Entscheidungen sorgen. Das sind Menschen, die über die Gesundheit anderer herrschen. Die Bauten und Projekte planen. Die die Auslegung des Rechts betreiben. Die andere bei der Umsetzung aller Pläne anleiten. Die Meinungen und Kaufwünsche beeinflussen. Die uns ausbilden.

Ich bin nur ein kleines Rädchen in dem Getriebe. Ich helfe Software zu entwickeln, die anderen hilft, Gebäude und Städte zu automatisieren. Jede Software erledigt Arbeit, oft Arbeit, die sonst von Menschen gemacht werden müsste. Man investiert ja nur in die Entwicklung von Software, weil man glaubt, dass sich die Investition lohnt. Lohnen kann sie nur, wenn sich anderswo durch die Software genug einsparen lässt, um die Investition – und mehr – wieder rauszuholen. Und einsparen tut man durch Software meist Arbeitskraft. Software-Entwickler bestimmen also Arbeitsabläufe, oft solche ohne oder mit geringer menschlicher Beteiligung.

Und Software – leider nicht meine – ist so gut, dass die Automatisierung jetzt diese Klasse selbst angreift. Diese Klasse, die ich kenne. Meine Bekannten und Verwandten sind Ärzte, Anwälte, Professoren, Manager und Lehrer. Ich wohne, wo sie wohnen. Und Software ersetzt jetzt Pharmazeuten, Ärzte, Anwälte und Wissenschaftler. Langsam wirds interessant.

Herrenhaltung

Ganz überwiegend wohnen hier junge Familien mit Kindern zwischen 5 und 15. Auch einige etwas Ältere haben sich ihren Traum vom eigenen Heim verwirklicht. Die Häuser sind um die 5 Jahre alt und gehören den Banken. In dieser halben Dekade sind noch nicht allzu viele Existenzen gescheitert und so stehen die meisten bürgerlichen Fassaden noch. Nur der Mann, dessen Frau in die Klapse gekommen ist, der hat dann eine Phillipina geheiratet. Aber der hat vorher auch schon niemanden gegrüßt – Vorsehung oder vorhergesehen? Die eine oder andere gescheiterte Ehe bleibt vorerst wegen der Kindern zusammen. Die ersten Herzanfälle schlagen ein, der Krebs eines Ernährers zerfrisst die ganze Familie.

Doch das sind nicht die Probleme, die man so in der Nachbarschaft bespricht. Neulich wurde eingebrochen. Das ist immer mal wieder Thema. Oder der Garten. Letzterer sollte Blick-dicht sein. Einbruch, Blick-dicht – die Einfamilienhäuser und Doppelhaushälften in der Vorstadt sind auch Burgen, die die Einwohner vor der feindlichen Welt da draußen schützen sollen. Ein Einbruch ist für die Bewohner – besonders für die Bewohnerinnen – immer auch ein Trauma.

Das Leben auf der Straße und im Garten findet Tags statt. Nachts zieht man sich in den Schutz der Burg zurück. Man unterhält sich, spielt, sieht fern. Vielleicht geht man auch aus. Wenn man dann aber nach hause kommt, geht man meist schnell in Haus. Die Bewohner kennen ihr Viertel nachts wenig. Als ich unser Viertel das letzte mal nachts etwas intensiver erlebt habe – mitten in den Sommerferien, Hochsaison der Einbrecher – habe ich nach eben diesen Ausschau gehalten.

Nachts im Neubaugebiet

23:00 Uhr, Frau und Kinder schlafen. Keine Glotze, keine Musik. Das Haus ist jetzt sensorisch eine relativ simple Umgebung. Die Sinne halten nur den Körper auf Kurs, die Umwelt entspricht komplett dem mentalen Modell ihrer selbst. Wenn es doch mal Abweichungen gibt – unerwartete Geräusche, etwas ist nicht an seinem erwarteten Platz – wird sofort ein interner Alarm ausgelöst und die Konzentration richtet sich weitgehend auf die Modell-Abweichung.

Vorbei am Kamin, intensive Infrarot-Strahlung brandet an den Körper. Durch die Küche, das Geräusch der Lüftung wird deutlicher vernehmbar. Nach der Taschenlampe strecken, einstecken, in den Flur. Temperaturabfall um ein paar Grad, hier bin ich jenseits der Kaminzone. Tür zu. Jetzt leise sein, im Flur trennt mich – wenn überhaupt – nur je eine Tür von meiner schlafenden Familie. Hinsetzen, die Bank knarrt. In die Schuhe, Schnürsenkel binden.

Durch die Haustür. Die Luft ist erstaunlich warm für Ende Oktober. Ich trage nur ein Fleece-Hemd über dem T-Shirt. Es ist angenehm. Die Bewohner des Viertels haben sich in ihren Burgen verschanzt. Dennoch ist erstaunlich viel los. Geräusche werden durch die Stille der Nacht weit getragen.

Menschen lassen ihre Hunde ein letztes mal pinkeln und Tretminen verteilen. Sammeln die Besitzer auch im Schutz der Dunkelheit die stinkenden Hinterlassenschaften ihrer Tiere ein? Wahrscheinlich manche, die Heiligen unter den Hundehütern. Heilige Scheiße.

Im sensorischen Chaos des modernen Tages sind die Sinne voll damit beschäftigt, all das Zeug wegzuwerfen, das gerade nicht unbedingt wichtig erscheint, in der Beschaulichkeit der nächtlichen Wohnung reduzieren sie sich auf einen glorifizierten Kompass. Doch jetzt hier, wo man Menschen in zweihundert Metern Entfernung über den Kies laufen hört, erinnern sie sich ein bisschen an ihre urtümliche Funktion – alles aufsaugen, was geht, und aus den verfügbaren Fragmenten ein möglichst genaues Bild der Umwelt in den Kortex zeichnen.

Meine eigenen Schritte auf dem Kiesweg sind erstaunlich laut. Spielt das bei der Wahl des Belages eine Rolle? Dass man Passanten hört, auch wenn man sie nicht sieht? Jetzt ist es auf jeden Fall angenehm. Von hinten kommt ein Fahrrad. Ich schalte die Taschenlampe an und leuchte den Boden neben meinen Füßen an während ich weiter gehe. Ich höre das Rad noch, es fährt, aber kommt nicht mehr näher. Es dauert etwas, bis ich begreife, dass das Rad auf den Weg nach schräg links abgebogen ist. Lampe aus.

Wenn jemand in gleichem Tempo hinter mir geht – oder ich hinter jemandem – ändere ich meist das Tempo, weil ich es nicht mag, wenn ich jemanden kurz hinter mir höre, und ich glaube, dass auch andere das so empfinden. Auf dem Weg von Links gehen zwei in meine Richtung, die sich unterhalten. Ich höre nicht, worum es geht. Ich habe kein Ziel, ich biege links auf die Wiese ab, auf den Hügel, zu den Steinen über dem Spielplatz. Die zwei gehen hinter mir vorbei.

Vor mir ist der Neubau der Fachhochschule. Die graugrüne Fassade ist hell erleuchtet. In der milden, klaren Nacht wirkt sie seltsam nah, wie sie sich vor mir erhebt. Die Schritte sind jetzt genau hinter mir. Es muss ein seltsames Bild für die Passanten sein, wenn sie aus ihrem Gespräch auf, zu mir blicken. Ein einzelner Mann, nachts, auf einem Grashügel, auf ein paar Steinquadern, still, meine Silhouette zeichnet sich deutlich vor der hellen Fassade ab.

Vielleicht ist es auch gar nicht seltsam. Ich weiß nicht, was nachts normal ist, ich bin so selten nachts spazieren. Die Luft ist nicht normal. Die gehört einem Spätsommerabend und hat sich irgendwie hier hin verlaufen. Nächste Woche wird es Frost geben und dann November-Wetter, kalter Regen. Aber heute hat sich der Sommer noch mal aufgerafft und erinnert uns, dass wir gefährliche Spielchen mit der dünnen Lufthülle unseres Planeten spielen. Heute T-Shirt, nächste Woche Wintermantel.

Die Schritte entfernen sich langsam. Ich schaue immer noch unentwegt unbewegt auf die helle Fassade umgeben von dunkler Nacht. In meinem starren Blick beginnt die Perspektive zu wabern. Seltsam nah, nach oben seltsam näher. Eine graugrüne Betonwelle, erstarrt in dem Moment, als sie über das Neubauviertel brechen sollte.

Egotrip

Ankündigung der neuen Artikelkategorie „Egotrip“.

Fast alle Artikel, die ich bisher hier veröffentlicht habe waren reine Sachartikel oder Glossen. Ich werde in Kürze eine neue Kategorie von sehr persönlichen Artikeln eröffnen. Wer keinen Bock auf so einen personality show, human touch Quark hat, kann einfach rechts die Kategorie „Utopilotik“ wählen und bekommt das schrotie.de wie bisher. Die neue Kategorie wird „Egotrip“ heißen und unregelmäßig befüttert werden.

Kreutzer kommt, sieht, siegt

Rezension der Sendung „Kreuzer kommt … ins Krankenhaus“, kulturelle und ökonomische Einordnung.

Ein Neugeborenes, ein krebskranker Junge, ein Mann mittleren Alters mit der modisch gerade diktierten Antwort auf Haarausfall. Drei Glatzen in einem einzigen großartigen Bild. Ein Kabinett absurder Situationen, das an Monty Python erinnert. Schwärzester Zynismus. In einer Menagerie grotesker seelischer Krüppel ist die einzig scheinbar halbwegs intakte Persönlichkeit die Mörderin.

Deutschland ist Krimiland. Das Flaggschiff deutscher Fernsehunterhaltung ist ein Krimi und die Konkurrenz ist riesig. Lücken im Krimiprogramm füllen hervorragende skandinavische und britische Produktionen. Wie soll gegen diese öffentlich rechtliche Großmacht ein kommerzielles Angebot ein Geschäft machen? Indem es alles anders macht.

Riesig wie die Konkurrenz ist der Markt. Deutschland ist Krimiland. Und das Marktangebot ist recht gediegen. In einen gediegenen, gesättigten Markt kann man nur mit Innovation einbrechen. Und Innovation ist das beste an Kultur. Kreativität, das Schaffen von Neuem, das finden einer neuen Sprache um die uralten Kernfragen der menschlichen Existenz zu besingen.

„Kreutzer kommt“ ist ein lichter Teil der Gegenwartskultur. Es schafft nichts Neues. Das geschieht sehr selten. Aber es nimmt zahlreiche Elemente moderner audiovisueller Ausdrucksformen, überspitzt alles bis zur Schmerzgrenze, nimmt einen etablierten Star, der perfekt in das überzeichnete Setting passt, und formt aus all dem eine moderne, attraktive, originelle Interpretation des Krimi-Genres. Dabei bedient man sich des besten kreativen Personals, das man für das Budget kaufen kann. Mit perfektem Sound, stimmiger Ausleuchtung, solider Kamera und Regiearbeit, brauchbaren Darstellern und State-of-the-Art Ausstattung entstand eine sehr respektable kulturelle Leistung.

„Kreutzer kommt“ zeigt, was kommerzielle Kultur in ihren besten Momenten leisten kann, nur übertroffen, wenn ein wirklich großer Künstler mal ein kommerzielles Budget verbraten darf. „Kreutzer kommt“ zeigt den Zenit unserer Alltagskultur – wenn wir an der Kommerzialisierung der Kultur festhalten.