Ode an die Marktwirtschaft

Die grundsätzliche Organisationsform unserer Wirtschaft ist wahrscheinlich der prägendste Faktor unseres Zusammenlebens. Hier wird eine marktwirtschaftliche Utopie entworfen.

Unsere wirtschaftlichen Aktivitäten bilden ein unvorstellbar komplexes Netz. Jeder trifft täglich Entscheidungen – teils einzelne, teils Dutzende – die an anderer Stelle wirtschaftliche Entscheidungen erfordern. Es beginnt beim Frühstück: Butter oder Margarine? Und geht so den ganzen Tag weiter. Alles was wir konsumieren muss in möglichst passender Menge produziert werden. Bei Produktion, Transport und Verteilung der Güter werden ebenfalls unzählige Entscheidungen getroffen, die wieder andere bedingen, und alle wirtschaftlichen Prozesse werden kontinuierlich optimiert, also verändert. All dies muss koordiniert werden.

Zentrale Planwirtschaft

Es gibt grundsätzlich zwei Wege, diese Koordination zu erreichen: Entweder man plant den gesamten Prozess von zentraler Stelle oder man bestimmt lediglich gewisse Regeln, an die sich alle halten müssen, und überlässt die Koordination dann der Selbstorganisation.

Ein Versuch der zentralen Planung war die sozialistische Planwirtschaft. Da es bisher aufgrund der Komplexität des Problems völlig aussichtslos war, tatsächlich alles an einer Stelle bis ins letzte Detail zu planen, wurden pyramidale Hierarchien gebildet. An der Spitze wurden grobe, strategische Entscheidungen getroffen und die Details der Umsetzung nach unten delegiert. Heute gibt es Ideen, die zentrale Planung mit Computerhilfe tatsächlich an einer Stelle zu konzentrieren.

Ich habe grundsätzliche Zweifel, dass die zentrale Planung funktionieren kann. Ich halte das Problem für zu komplex und zudem chaotisch. Ein System ist chaotisch, wenn kleinste Änderungen einige Zeit später gravierende Folgen haben können. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Schlag des Schmetterlingsflügels, der Wochen später über das Sein oder Nicht-Sein eines tropischen Wirbelsturms „entscheidet“. Das wirtschaftliche Geschehen ist ebenfalls ein chaotisches System und solche Systeme lassen sich prinzipiell nur begrenzt voraus-planen. Sie lassen sich aber sehr wohl dezentral steuern und stabilisieren.

Macht-Zentralisierung

Für noch wichtiger halte ich aber den Einwand der Machtkonzentration. Wenn man alle wirtschaftlichen Entscheidungen an einer Stelle konzentriert, ergibt sich dort eine immense Machtkonzentration. Ich glaube, dass dies der Hauptgrund für das Scheitern des Sozialismus ist. In hierarchischen Systemen hatten historisch und haben heute Menschen Vorteile, die sich gegen andere Menschen durchsetzen, die also ihre eigenen Interessen über die der Konkurrenz stellen und bereit sind, „über Leichen zu gehen“. Wenn alle wirtschaftlichen Entscheidungen zentralisiert werden, sammeln sich an dieser Schaltzentrale der Macht nicht die Mitfühlendsten und Wohlwollendsten unter uns.

Menschen haben grundsätzlich größte Probleme mit Macht. Nur sehr wenige scheinen ihr gewachsen zu sein. Deshalb ist mein wichtigstes Anliegen bei meinen Vorschlägen zur Organisation unserer Gesellschaft die Vermeidung von Machtkonzentrationen. Und deshalb ist mein Ideal für die Organisation unserer Wirtschaft die Marktwirtschaft – allerdings eine Form von Marktwirtschaft, die noch nie erreicht oder auch nur angestrebt wurde.

Zentrale Marktwirtschaft

Zwar ist Marktwirtschaft eine dezentrale Selbstorganisation nach Regeln an die sich alle halten müssen. Doch einerseits wird nur ein sehr kleiner Teil der wirtschaftlichen Entscheidungen nach diesen Regeln getroffen und andererseits werden diese Regeln als gegeben betrachtet.

Innerhalb von Firmen sind die marktwirtschaftlichen Regeln meist aufgehoben. Die Entscheidungsprozesse innerhalb von Firmen orientieren sich eher an den Prinzipien des Sozialismus als an denen der Marktwirtschaft. Firmen sind meist streng hierarchisch organisiert. Die Spitze trifft grobe strategische Entscheidungen und delegiert die detaillierten Entscheidungen zur Umsetzung nach unten. Eine komplexe und aufwendige Bürokratie dient meist – wie im Sozialismus – der Kontrolle und Korrektur der Umsetzung. Je größer eine Firma wird, desto mehr gleichen ihre Charakteristika und Probleme denen sozialistischer Betriebe. Um dieser fatalen Tendenz Herr zu werden, richten große Unternehmen oft sogenannte Profit-Center ein, die dezentrale, marktwirtschaftliche Prinzipien auch innerhalb der firmeneigenen Entscheidungsprozesse etablieren.

Auch auf unterster Ebene gibt es immer mehr Bestrebungen, die klassischen hierarchischen Entscheidungsstrukturen aufzubrechen. Begonnen hat dieser Trend vielleicht bei Toyota mit dem Kanban-Prinzip. Kanban und andere dezentrale Prozesse sind der Schlüssel von Toyotas globalem Siegeszug. Diese Prinzipien wurden unter anderem in der Software-Entwicklung aufgenommen und weiterentwickelt. Hier haben dezentrale – sogenannte „agile“ – Prozesse die zentralen teilweise verdrängt.

Chef

Die klassische hierarchische Entscheidungsstruktur mag vielleicht in der Vergangenheit funktioniert haben. Damals waren die Umstände verglichen mit heute wenig komplex und auf wenige kompetente Menschen kamen viele mit geringen Kompetenzen. Heute bedienen sich selbst kleine Abteilung eines teils unüberschaubaren Wissensschatzes ihrer Mitglieder. Unter solchen Umständen einen Chef zu haben, der grundsätzlich für alle Vorgänge und Entscheidungen in seiner Abteilung allein verantwortlich ist, bedeutet permanente Überforderung des Chefs und setzt ihn einer Machtkonzentration aus, an der die meisten menschlich scheitern.

Der ideale Chef ist heute meist nicht mehr der allmächtige Gebieter und Kontrolleur seiner Untergebenen. Sie ist ein Kommunizierer, der dafür sorgt, dass Informationen innerhalb ihrer Zuständigkeit an die richtige Stelle kommt – idealer Weise ohne dass sie die Information ans Ziel trägt. Sie ist Inspiration durch Vorbild, sie führt nicht durch Autorität sondern dadurch, dass sie den Weg besser kennt.

Freiheit, Gleichheit

Hierarchien und Weisungsbefugnis sind nicht unerlässlich dafür, dass alle den Weg finden. Was sich wie ein schöner Traum anhören mag, wird täglich bewiesen. Da sind natürlich die unvermeidlichen Projekte freier Software-Entwicklung, wo täglich Millionen Menschen kooperieren um das mit Abstand komplexeste Gebilde zu schaffen, das je Menschenhand entsprang: ein Software-System, das mittlerweile von Telefonen zu Groß-Rechen-Zentren alles antreibt, was Bits und Bytes verarbeitet – mit Ausnahme einiger Konsumenten-Gefängnisse wie Apple’s und Microsoft’s gated communities. Die zahllosen Autoren des technischen Wunders der freien Software organisieren sich in einem chaotischen Ökosystem aus Kooperativen, Demokratien, Diktaturen und marktwirtschaftlichen Unternehmen. Ein sehr großer Teil dieses Schaffens basiert nicht auf Befehl und Gehorsam sondern auf Freiwilligkeit, persönlicher Initiative und persönlicher Verantwortung.

Und das funktioniert auch in marktwirtschaftlichen Unternehmen selbst. Den Beweis dazu haben einige Unternehmen angetreten, unter anderem diese brasilianische Firma, die seit Jahrzehnten sehr erfolgreich etwas betreibt, was nach verbreiteter Ansicht eine spinnerte Utopie sein sollte. Doch diese spinnerte Utopie ist gerade Marktwirtschaft. Marktwirtschaft ist nicht die zentrale Planung und Befehlshierarchie klassischer Unternehmen. Was man uns hier als Marktwirtschaft verkaufen will, ist die Machtsicherung einer kleinen kapitalistischen Elite. Marktwirtschaft setzt Wahlmöglichkeiten aller Beteiligten voraus, Wahlmöglichkeiten, die über „friss oder stirb“ hinaus gehen.

Anti-Marktwirtschaft

Doch um diese Freiheit und Effizienz zu erreichen, um sie für die breite Masse erreichbar zu machen, müssen wir die Regeln ändern. Wir betreiben heute ein System, in dem große Unternehmen Vorteile gegenüber kleinen haben. Folgerichtig kommt es in jedem „reifen“ Markt zu starken Marktkonzentrationen, was wiederum das Ende der Markwirtschaft bedeutet. Wir propagieren Marktwirtschaft doch betreiben ein System, das in der kontinuierlichen Abschaffung der Marktwirtschaft besteht. Wir steigern dauernd die Produktivität doch statt den Produktiv-Kräften entsprechende Freiräume und Entscheidungsspielräume zu geben, spannen wir sie immer enger ein und befördern so wieder das Gegenteil dessen, was wir predigen.

Unser System ist im Grunde ein mehr oder weniger eingeschränkter Anarcho-Kapitalismus, dessen Maxime das Recht des Stärkeren ist, gepaart mit einem Staatssozialismus, dessen Steuerung zunehmend von kapitalistischen Machtinteressen unterwandert wird. Immer mehr Bürger geraten in die Zange zwischen diese beiden Kräfte, überwacht und ausgeforscht vom staatlichen Sicherheitsapparat und immer ausgefeilterer „Marktforschung“, gegängelt von den Schergen der staatlichen „Sozialsysteme“ und getrieben vom Effizienzdogma der Kapitalisten. Und diese Pole werden uns als einzig mögliche verkauft.

Utopie

Meine Vision ist ein System, das das Recht des Schwächeren maximiert. Und dieses System kann nur – wenn man davon ausgeht, dass eine menschliche Gesellschaft überhaupt Regeln braucht, was ich fest glaube – dieses System kann nur eine Marktwirtschaft sein, ein selbstorganisierendes System, in dem es keine notwendiger Weise starke Steuerung gibt, sondern unabhängige – freie! – Akteure, die die Bedingungen ihrer Kooperation und Arbeitsteilung individuell aushandeln. Ein solches System zu erreichen erfordert wahrscheinlich drastische Regeländerungen. In einem solchen System ist das Ziel, möglichst wenig Machtkonzentration im Markt zuzulassen. Denn Macht besteht immer darin, dass der Stärkere die Freiheit des Schwächeren einschränkt. Ich habe mich in diversen Artikeln mit einzelnen Aspekten der Machtkonzentration auseinandergesetzt, und wie diesen zu begegnen wäre. Hier eine kurze Übersicht:

Wissen ist Macht. Das ist sehr viel mehr als ein Sprichwort und deshalb ist es unumgänglich, zur Minimierung von Machtkonzentration Wissen zu befreien. Diese Regeländerung ist eine Regelabschaffung, eine Abschaffung von Urheberrecht, Patenten und Ähnlichem. Dies hat Konsequenzen für z.B. Informationswirtschaft, Kultur und Medien (hinter den Links finden sich jeweils ausführliche Ausführungen von mir zu den Themen). Werbung, Propaganda bevorteilt die Starken und hat praktisch ausnahmslos negative Konsequenzen für unsere Gesellschaft. Sie ist abzuschaffen. Wir setzen marktwirtschaftliche Mechanismen zur Verteilung von Arbeitskräften ein. Das bevorteilt massiv die Mächtigen und benachteiligt die Schwächsten, die Arbeitssuchenden. Wir müssen dieses Verhältnis umdrehen. Meine Ideen, wie das erreichbar wäre finden sich hier und hier.

Ich glaube, dass all diese Maßnahmen notwendig sind, um eine Gesellschaft zu erreichen, die freier und fairer ist. Ich glaube aber auch, dass diese Maßnahmen wahrscheinlich nicht exakt so umsetzbar sind, wie ich es vorschlage, und dass sie zum Erreichen dieser Gesellschaft nicht hinreichen würden, selbst wenn sie es wären. Doch ich glaube, das ist die Richtung, in die wir gehen sollten. Es gibt keine simplen Rezepte zum Erreichen einer besseren Gesellschaft. Wir haben unser Zusammenleben zu gründlich und umfassend vermurkst. Wir benötigen viele Anpassungen und radikale Änderung, der Weg ist komplex und Scheitern vorprogrammiert. Doch in vielen Schritten und Fehlentscheidungen werden wir uns doch einer besseren Welt weiter nähern, wie wir es die vergangenen Jahrtausende getan haben.

Die Änderungen, die ich vorschlage, sind dabei nicht radikaler, als beim „Alten“ zu bleiben. Denn das Alte ist der globale Pauperozid und die Zerstörung unserer Lebensgrundlage. Radikaler geht kaum.

Und meine Hoffnung auf die bessere wirtschaftliche Ordnung, die ich hier umreiße, erhält immer mehr Nahrung. Freies Wissen – hier freie Software – weitgehende Autonomie, Freiheit und Eigenverantwortung der Marktteilnehmer: das ist nicht eine spinnerte Utopie für die ich nur ein mickriges Beispiel aus Brasilien gefunden habe. Es sind die zentralen Organisationsprinzipien des modernsten Wirtschaftssegmentes dieses Planeten, wie dieser leider ziemlich technische und noch mehr englische Artikel eindrucksvoll erläutert.

6 Gedanken zu „Ode an die Marktwirtschaft“

  1. Zu denken, dass es nur zwei Wege geben kann, die Produktion zu koordinieren, nämlich entweder Zentralplanung oder Marktwirtschaft, ist ein weitverbreiteter Fehlschluss. Die von dir ausführlich und zu recht gelobte Produktion Freier Software und Freien Wissens ist ein Beispiel für eine weitere Alternative, denn einen Markt, auf dem ge- und verkauft wird, gibt es dort ja gerade NICHT. (Wäre es anders, wäre die Software nicht frei.)

    Zudem ist der Markt ja kein Mechanismus für Selbstorganisation, sondern eine Alternative dazu – Käuferin und Verkäufer organisieren sich nicht, sie kooperieren nicht miteinander, sondern tauschen einfach nur.

    Wie eine gesamtgesellschaftliche Alternative zu Markt und Planwirtschaft funktionieren könnte, ist Thema vieler Artikel des von dir verlinkten Keimform-Blogs, u.a. meiner Texte Produzieren ohne Geld und Zwang und Das gute Leben produzieren.

    1. Ich kenne Keimform, kenne, respektiere, ja schätze es. Der Feed ist in meinem Reader und ich lese es Regelmäßig.

      Ich schrieb von zwei Wegen, vielleicht hätte ich besser zwei Pole geschrieben. Von Marktwirtschaft ist an der Stelle gar nicht die Rede. Die Theorie der Keimform fällt eindeutig unter den zweiten „Weg“, es gibt keine zentrale Steuerung „nur“ Regeln – auch wenn diese nicht die Form von Gesetzen haben mögen.

      Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen informationellen und physischen Gütern. Informationelle Güter lassen sich zu vernachlässigbaren Kosten beliebig vervielfältigen und eine maximale Verbreitung ist der Produktion weiterer informationeller Güter zuträglich. Physische Güter stellen immer begrenzte Ressourcen dar und zu ihrer Produktion ist in der Regel eine gewisse Konzentration physischer Güter notwendig. Physische und informationelle Güter verhalten sich in zentralen Belangen gegensätzlich. Daher glaube ich, dass für die Produktion physischer und informationeller Güter unterschiedliche Produktionsformen vorteilhaft sind.

      Entschuldige und korrigiere mich, wenn ich es falsch darstelle: Die Theorie der Commons-basierten Peer-Produktion geht davon aus, dass die Mitglieder der Produktionsgemeinschaft aus persönlichem Bedürfnis, aus Freude am Schaffen, am Produkt oder auch mal aus Altruismus zur Produktion beitragen und Vernunft und Solidarität zu einem produktiven Austausch und einer für alle vorteilhaften Verteilung der Güter führen würden. Diese Vorstellung passt nicht zu meinem Menschenbild.

  2. @schrotie:

    Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen informationellen und physischen Gütern… Physische Güter stellen immer begrenzte Ressourcen dar und zu ihrer Produktion ist in der Regel eine gewisse Konzentration physischer Güter notwendig.

    Ja, aber warum es zu einfach ist, diesen Gegensatz zu postulieren und zu glauben, damit wäre alles Nötige gesagt, darum geht es in unserem Blog jeden Tag. Siehe z.B. die verlinkten Texte, wo ja diskutiert wird, warum schon die Entwicklungen im Kapitalismus dazu führen, dass tendenziell immer weniger Ressourcen für die Produktion physischer Güter nötig sind – Stichworte Dezentralisierung und Miniaturisierung. Und umgekehrt braucht es für den dauerhaften Betrieb der Wikipedia immense Mengen an Ressourcen, und Peer-Produktion kriegt das hin.

    Die Theorie der Commons-basierten Peer-Produktion geht davon aus, dass die Mitglieder der Produktionsgemeinschaft aus persönlichem Bedürfnis, aus Freude am Schaffen, am Produkt oder auch mal aus Altruismus zur Produktion beitragen…

    Ja, das tun sie ja auch – das ist keine Theorie, sondern täglich gelebte Praxis von Millionen, die in der Theorie nur reflektiert und analysiert wird.

    … und Vernunft und Solidarität zu einem produktiven Austausch und einer für alle vorteilhaften Verteilung der Güter führen würden. Diese Vorstellung passt nicht zu meinem Menschenbild.

    Das klingt so, als ob Peer-Produktion nur mit irgendwelchen fiktiven bzw. seltenen Gutmenschen funktionieren könnte, aber so ist es ja keineswegs. Siehe das schöne Torvalds-Zitat: „Die eigentliche Idee von Open Source ist, dass sie jedem erlaubt »eigennützig« zu sein“. Sprich die spannende Frage, die wir zu untersuchen versuchen, ist ja gerade wie man mit den real existierenden Menschen eine bessere Welt bauen kann, sprich wie sich die Bedingungen ausbauen lassen, unter denen alle aus ihren unterschiedlichen und eigennützigen Beweggründen heraus so zusammenarbeiten, dass es zum Wohle alle ist und nicht auf Kosten anderer geht.

    1. Es kommt vermutlich darauf an, wie begrenzt oder unbegrenzt die Ressourcen sind. Du hebst darauf ab, dass diese Grenzen sich in unserer Gesellschaft immer weiter ausdehnen. Ich gebe Dir recht, dass ein rein commonistisches System plausibler wird, wenn wir ueber die Verwaltung unermesslichen Wohlstandes reden. Noch reden wir, ich zumindest, ueber die Verwaltung bitterer Not. Denn wenn man jenseits unserer Insel der Glueckseligkeit schaut, ist es das womit wir es zu tun haben. Wie Du sicher weißt, basiert unser Wohlstand zu einem guten Teil auf der globalen Not. Es ist aber einfach (noch?) nicht genug da, fuer globalen Wohlstand. Und dass sich in Anbetracht dieser Not Menschen so verhalten, wie es zur Funktion eines commonistischen Systems notwendig waere, halte ich nicht fuer plausibel.

      Das klingt so, als ob Peer-Produktion nur mit irgendwelchen fiktiven bzw. seltenen Gutmenschen funktionieren könnte, aber so ist es ja keineswegs.

      Stimmt, so ist es keineswegs, denn gute Menschen sind die Mehrheit. Solange die das unter sich ausmachen, funktioniert es offenbar. Ein System fuer die ganze Gesellschaft muss aber fuer die allermeisten funktionieren. Wir haben heute einen sehr effektiven Arschlochselektor fuer die Steuerung unserer Gesellschaft installiert. Das ist nicht gut. Ich sehe nicht, wo der Commonismus Widerstaende gegen Missbrauch hat. Es muss auch gar nicht Missbrauch sein. Es gibt Menschen, denen ist es sehr wichtig, mehr zu … erreichen? … als andere. Wo haben die ihren Platz im Commonismus und wie werden dem Grenzen gesetzt?

      Ich weiß Du siehst das anders, aber es ist fuer mich voellig unbefriedigend beantwortet, wie der Commonismus die Erledigung der unangenehmen Aufgaben gewaehrleistet.

      Zudem ist der Markt ja kein Mechanismus für Selbstorganisation, sondern eine Alternative dazu

      Du scheinst zu bestreiten, dass Marktwirtschaft ein dezentrales Steuerungssystem darstellt. Das waere eine erstaunliche Feststellung. Da fehlen mir die Worte. Außer: „Tut sie wohl“. Ich kann mir noch vorstellen, wie Microoekonomische Steuerung im Commonismus funktioniert, aber sobald es darueber hinaus geht, oder gar die Makrooekonomie betrifft – wie sollte das im Commonismus funktionieren?

  3. Es kommt vermutlich darauf an, wie begrenzt oder unbegrenzt die Ressourcen sind. Du hebst darauf ab, dass diese Grenzen sich in unserer Gesellschaft immer weiter ausdehnen. Ich gebe Dir recht, dass ein rein commonistisches System plausibler wird, wenn wir ueber die Verwaltung unermesslichen Wohlstandes reden.

    Nein, von bloßer „Verwaltung unermesslichen Wohlstandes“ zu reden wäre in jedem Fall unsinnig, denn der fällt ja nicht vom Himmel, sondern muss erstmal produziert werden, bevor er verwaltet werden kann. Kann die Peer-Produktion das? Das würde ich ganz sicher nicht behaupten, aber ich denke, es ist recht klar, dass die Chancen der commonsbasierten Peer-Produktion, genug für alle zu produzieren – allen ein gutes Leben zu ermöglichen – ganz gut sind, während es bei Marktwirtschaft definitiv nichts werden kann. (Dass die Marktwirtschaft heute vor allem „bittere Not“ produziert, sagst du ja selbst).

    Das nicht, weil Peer-Produktion ein Wundermittel ist, sondern weil sie so aufgebaut ist, dass die Menschen strukturell zusammenarbeiten, während bei Marktwirtschaft strukturell alle gegeneinander arbeiten. Und zwar weil sie müssen, wenn sie sich auf dem Markt durchsetzen wollen (und wer sich nicht durchsetzen kann oder will, dem droht eben bittere Not oder Schlimmeres), nicht weil sie schlecht, böse, Arschlöcher oder was auch immer sind. Deshalb sind Spekulationen über die „Natur des Menschen“ auch müßig, solange die Verhältnisse so sind wie sie sind.

    Es kommt darauf an, Verhältnisse zu schaffen, in denen die Menschen sich strukturell gegenseitig bei ihrer Bedürfnisbefriedigung unterstützen, und zwar weil das für sie jeweils sinnvoller ist als die Alternative, NICHT weil sie „Gutmenschen“ sind. Statt dass sich jeder auf Kosten der anderen durchsetzen will/muss, wie es das Konkurrenzprinzip der Marktwirtschaft mit sich bringt.

    Niemand behauptet, dass das einfach wäre, aber ich denke, die Verfechter_innen der commonsbasierten Peer-Produktion sind da für einem guten Weg. Erhoffte Reformen der Marktwirtschaft sind es hingegen nicht, denn solange es das Konkurrenzprinzip gibt, wird die strukturelle Anderen-ein-Bein-Stellerei erhalten bleiben, und ohne Konkurrenzprinzip wäre es keine Marktwirtschaft mehr.

    1. Ich arbeite für ein (markt-)wirtschaftliches Unternehmen und erlebe fast ausschließlich Kooperation und praktisch keine Bein-Stellerei. Kooperation ist nämlich eine absolute Voraussetzung für Erfolg. Marktwirtschaft hat Kooperation in großem Maßstab überhaupt erst ermöglicht und befördert. Natürlich ist unser System auch für unendlich viel Übel verantwortlich. Aber das ist alles so fürchterlich kompliziert. Also sagen wir lieber Marktwirtschaft = böse. Und ignorieren meine Einwände bezüglich ökonomischer Steuerung und der Verrichtung unangenehmer Arbeiten weiter, gell?

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