Dies ist eine Entgegnung auf Martin Weigerts Artikel “Ich weiß, was du diesen Sommer twittern wirst”. Dort geht es darum, dass Daten – insbesondere Big Data – Menschen vorhersehbar machen und wie das missbraucht werden könnte – ein lesenswerter Artikel. Leider fügt er sich nahtlos in die große Menge derartiger Artikel ein, wenn er auch qualitativ eher positiv hervorsticht und das Thema immerhin differenziert betrachtet.
Das größte Missbrauchs-Potential sieht Martin Weigert in gezielter Meinungsmache zu konkreten politischen Projekten. Ja, in der Tat, Spin-Doktoren, Profi-Lobbyisten, Kampagnen-Journalisten – sie alle sind fleißig dabei die Reste unserer erodierten Demokratie zu zerstören und mit mächtigeren Werkzeugen wird das schneller gehen. Doch so weit muss man meiner Meinung nach gar nicht denken.
Wissen ist Geld ist Macht
Google, Facebook und andere können das Verhalten von Menschen beeinflussen. Diese Fähigkeit ist die Grundlage ihrer Geschäftsmodelle. Die Möglichkeit, das Verhalten von Menschen zu beeinflussen nennt man auch schnöde “Macht”. Informations-Konzerne haben sich zu gigantischen in keiner Weise legitimierten Machtzentren gewandelt.
Nutzen sie diese Macht zur Förderung des Gemeinwohls? Eher nicht. Wie alle großen Konzerne diversifizieren sie ihre Macht. Sie versuchen mehr Einfluss in der Informationswirtschaft zu erlangen, sie verdienen sehr viel Geld (= Macht) und beginnen auch politisch Einfluss zu nehmen indem sie ihre Lobby-Ausgaben erhöhen und eigene Kampagnen fahren.
Werbung für den Untergang
Dabei ist ihr Kerngeschäft die Werbung, die Förderung eines konsumeristischen Weltbildes und Lebensstils, der auf der Ausbeutung der Arbeit und Ressourcen wirtschaftlich unterlegener Kulturen basiert und unseren Planeten in atemberaubenden Tempo zerstört. Ich kann da nicht Gutes aber sehr viel Schlechtes dran erkennen.
Dennoch scheint die Einsicht recht abwegig zu sein, dass gigantische, unkrontrollierte Machtkonzentrationen an sich etwas Schlechtes sind. Warum? Warum akzeptieren wir das einfach? Weil es unvermeidlich scheint?
Machtdiffusion
Ich glaube, die offensichtliche Neigung unseres Wirtschaftssystems zu solchen Machtkonzentrationen ist ein Systemfehler – einer der sich durch eine Reihe von Eingriffen überwinden ließe, ohne dafür dieses System komplett aufgeben zu müssen. Ein wichtiger Faktor für die Neigung unseres Systems zur Machtkonzentration ist unsere Informationsgesetzgebung.
Geschichtsstunde
Es ist mittlerweile offensichtlich, dass die von uns gewährte Möglichkeit, anderen die Nutzung bestimmter Informationen zu verbieten, unmittelbar zu Machtkonzentration führt. Die Indizienkette dazu reicht von der Effizienzsteigerung der Dampfmaschine Anfang des 19. Jahrhunderts über den englischen Buchmarkt um die Mitte des 19. Jahrhunderts, die Bell-Company, IBM, Microsoft, Google bis zu Facebook.
Und in all diesen Fällen gibt es deutliche Hinweise, dass es ohne Patente, Copyright und andere Informationsschranken nicht deutlich schlechter gegangen wäre.
Nachdem das unsäglich Patent von Watt auslief, beschleunigte sich die Effizienzsteigerung der Dampfmaschine stärker als durch Watt – ohne dass die entsprechenden Entwicklungen patentiert worden wären. Der urheberrechtslose Buchmarkt in Deutschland war diversifizierter, schneller und größer als der konzentrierte englische und bot dem durchschnittlichen Autor bessere Verdienstmöglichkeiten.
Microsoft hatet Ende der 90er das Internet verschlafen und hat es dann geschafft, die Entwicklung der Web-Technologie mindestens um fünf Jahre zu verlangsamen indem sie ihren marktbeherrschenden Browser „Internet Explorer“, der für jeden Web-Entwickler eine unerträgliche Zumutung war, über Jahre nicht weiter entwickelten, manche Standards kaputt-verhandelt und andere mit ihren “Alternativ”-Entwicklungen und extra “Features” untergraben haben.
Freiheit für Information und Mensch
Was ist die Schlussfolgerung aus all dem? Information darf in der Wirtschaft keine Schranken haben. Sie, lieber Leser, Martin Weigert und ich, wir alle müssen in der Lage sein, bei Google in die Firma zu spazieren, unsere (gegebenefalls “sterilisierten”) USB-Sticks in beliebige Computer zu stecken, und zu kopieren, was uns interessiert. Wir müssen die Überwachung unserer Wirtschaft Crowd-sourcen. Und wir müssen verhindern, dass solche gefährlichen Leviathane wie Google und Facebook in Zukunft entstehen. Wir können nicht verhindern, dass andere Einfluss auf uns haben. Aber wir können verhindern, dass dieser Einfluss auf wenige Akteure konzentriert wird.
Du meinst also die Machtkonzentration durch eine übergeordnete Instanz (i.d.R. den Staat) verhindern zu müssen?
Leider hat die Erfahrung gezeigt, dass eben gerade diese übergeordnete Instanz für noch mehr Probleme sorgt. Dass diese Instanz einen sehr üblen Systemfehler birgt.
Nein, ganz im Gegenteil. Heute gewährt die übergeordnete Instanz, also der Staat, ein Monopolrecht für bestimmte Zeit an bestimmten Informationen und hilft bei der Durchsetzung dieses Rechts. Das gilt es abzuschaffen, die Kontrolle der übergeordneten Instanz also zu reduzieren.
Dann gilt es, eine einfache Umdefinition vorzunehmen. Heute sind Unternehmen, also praktisch unsere ganze Wirtschaft, private Räume. Sie sollten zu öffentlichen Räumen umdefiniert werden, zu denen jeder Zugang hat. Der Staat soll da nichts machen, was er heute nicht auch schon macht.
Desweiteren hast Du natürlich Recht, dass der Staat in seiner heutigen Konstruktion schlimme Systemfehler birgt. Ich glaube, dass sich Fehler beheben lassen und habe das hier auch schon verschiedentlich erörtert – allerdings keineswegs abschließend. Ein zentraler Artikel über eine bessere Konstruktion des Staates steht auf meine TODO Liste und wird es hoffentlich dieses Jahr mal hier ins Blog schaffen. Auch da geht es um Machtkonzentration und Angreifbarkeit derselben.
Wenn Du von Erfahrung mit einem sehr üblen Systemfehler schreibst, denke ich an Sozialismus. Ich habe hier schon verschiedentlich anklingen lassen, wo ich da das Hauptproblem sehe: Maximale Konzentration der Macht in den Zentralorganen der Planwirtschaft. Aus inhärenten und menschlichen Gründen ist so eine streng hierarchische Machtkonzentration ein famoser Arschlochselektor. Viel „dümmer“ (rückblickend) kann man einen Staat nicht konstruieren.
So, finally, ganze 8 Monate später, wir beide sicherlich um einige Erfahrungen reicher, kann ich nur sagen: die ma(r)ximalistische Konzentration von Macht in den jeweiligen Zentralorganen der jeweiligen Planwirtschaft hat wahrscheinlich zum Kollaps der diversen kommunistischen Systeme geführt, indem die jeweils verantwortlichen Personen schlicht unüberlegt und dämlich gehandelt haben, teilweise weil sie sich garnicht ihrer Verantwortung bewusst waren, teilweise weil sie stumpf „betriebswirtschaftliche“ Strategien auf eine Planwirtschaft projeziert und appliziert haben.
Menschen sind Gewohnheitstiere, Menschen versuchen, die ihnen aufgetragenen Aufgaben mit einem minimalen Aufwand an Arbeit zu erledigen.
Planwirtschaft optimiert den Prozess, der die Aufgabe zum jeweils ermächtigten Erfüller bringt. Denn: die übergeordnete Ebene führt die Personen der jeweils unteren Ebenen zusammen, ohne, dass diese sich (wie im freien Markt) zusammenfinden müssten und ohne, dass diese sich (durch Referenzen etc) beweisen müssten. Diktat eben. Immer jeweils von oben nach unten.
Die „Optimierung“ hat Vorteile, die innerhalb der Planwirtschaft auch propagiert werden, und nicht total aus der Luft gegriffen sind. Aber genauso dumm wie die Mechanismen des Kapitalismus, sind auch die Mechanismen der Planwirtschaft geprägt von Ignoranz und dem Versuch, die Realität der jeweiligen Ideologie zu unterwerfen.
Aber diese jeweilige Arbeits-Aufgabe war — gesamtgesellschaftlich betrachtet — garnicht das Problem: es hätte sich lieber jemand darum kümmern sollen, einen Algorithmus zu entwickeln, der den richtigen „Problemlöser“ dem richtigen Team zuweist, in dem das jeweilige Problem gelöst werden müsste.
Wir wissen doch alle auch: an den Erfüller einer Aufgabe erinnert sich später niemand mehr, alle bejubeln den Typen, der mal darauf hingewiesen HAT, dass es ein Problem gäbe und/oder den Typen, der lang und berstend darüber schwadronierte, warum das Problem überhaupt so relevant wäre inkl. Lösungsvorschlag PLUS (TADA, Überraschung: DER, der das Ding lösen wird). Und/oder den nicht vorhandenen Löser des überhaupt garnicht vorhandenen Problemes, weil es eben dieses garnicht gibt.
Fazit: statt dem schon fast affektivem Schrei nach Korrektur im System, sollte jeder erstmal in sich schauen und herausfinden, welches System man denn haben will. Welche persönlichen und gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen damit verbunden wären und abwägen, Weise wählen. +++alle die klassischen Ratgeberzitate können nun hier eingefügt werden+++
Hallo Robert
Vielen Dank für diesen Kommentar. Wenn Du magst, poste ich ihn gern als eigenen (Gast-) Artikel, dann bekommt er etwas mehr Aufmerksamkeit, verdient hätte er es.
Ich habe mittlerweile den angedrohten Artikel über eine Staatsorganisation, wie sie mir vorschwebt, geschrieben. Das betrifft jetzt nur die Legislative. Die Exekutive habe ich in der Queue. Diese Aspekte decken natürlich auch nur einen Teil des „Systems“ ab, andere Aspekte sind schon hier und da im Blog festgehalten, ich muss die betreffenden Artikel mal irgendwo zusammen packen.
Legislative: http://schrotie.de/index.php/2013/06/regierung-mal-anders/