Der Tod der Schönheit

Wohl denen, die wie Frederick daheim Schönheit für den Winter gehortet haben. Denn heute ist der Tag, an dem die Schönheit stirbt.

Es ist der 7. November 2015. Anfang Oktober war das Wetter mal etwas garstig, aber in den Wochen bis heute, war es extrem mild und freundlich. Darum und aus anderen Gründen haben viele Bäume ihr Laub bis heute behalten. Es war ein außergewöhnlich schöner Herbst.

“There is so much beauty in the world.” An diesen Satz aus dem Film “American Beauty”, gesprochen zum Home-Video von einer weißen Plastiktüte, die in einem Windwirbel tanzt, an diesen Satz denke ich oft.

Wie jedes Jahr strahlten die hiesigen Ginkos in einem grandiosen leuchtenden Gelb. Große, markant gewachsene Bäume in einem leuchtenden freundlichen Gelb. Die Amberbäume zünden jeder ein eindrucksvolles Feuerwerk über die ganze Palette von Grün über Gelb und Orange zu strahlendem Rot. Eins muss man den Amis lassen. Indian Summer haben sie drauf. Doch selbst unsere Buchenhaine mit eingestreuten Eichen, Eschen und Birken waren diesen Herbst besonders prächtig in satten Farben in der freundlichen Oktobersonne.

Heute, am siebten November, erleben wir das herbstliche Ende einer außergewöhnlichen Hitze-Welle. Über Wochen war es viel zu heiß für die Jahreszeit und gegen Ende dieser Phase purzelten auch Temperatur-Rekorde.

Wir waren heute in Münster. Ich war viel zu warm angezogen. Wir gingen unter einem Ahorn her, der sein spitzblättriges Laub nahezu komplett in kurzer Zeit hat fallen lassen. Aufgrund der extrem hohen Luftfeuchtigkeit der letzten Tage ist das Laub prall und seine Spitzen zeigen überall in surrealer Bedrohlichkeit nach oben. Die Blätter sind von einem schönem blassen Gelb mit Dunkelroten Akzenten.

Ein letztes mal hat die Natur für dieses Jahr einen überraschenden Moment atemberaubender Schönheit mal eben auf die Straße fallen lassen. Denn nun kommt der Herbststurm und bläst die meiste Schönheit für die nächsten paar Monate aus der Natur.

Ich war eben im Garten, es regnet gerade nicht. Es ist jetzt, am siebten November um 23:33 Uhr noch 16°C. Ein seltsam warmer Wind zerrt das letzte Laub von den Zweigen. Es ist ein passend ungewöhnliches Ende für einen Herbst von ungewöhnlicher Schönheit.

Berenike Steiger

Oder Nike, wie sie sich selbst nennt. Es ist schon erstaunlich, wie durch das Weglassen von zwei Silben aus dem altmodisch, schrägen “Berenike” der coole Name “Nike”, Turnschuh-Gigant und Siegesgöttin wird. Mit Turnschuhen hat unsere Nike so weit nicht viel zu tun, aber von der Siegesgöttin hat sie etwas.

Dieser Text steht in meiner Blog-Kategorie “Egotrip”. Das ist ausnahmsweise mehrfach zutreffend. Nikes Reise ist ein monumentaler Egotrip. Sie reist allein. Sie segelt allein.Das muss ich wahrscheinlich etwas ausführen.

Segeln auf dem Meer ist wunderbar. Aber es kann auch sehr schrecklich sein. Ein Sturm auf dem Ozean ist auch mit modernsten Segelyachten immer ein großes Risiko. Es braucht nur einen kleinen Fehler und die Segel oder Stricke werden beschädigt. Und beschädigtes Material bei einem Sturm kann den Tod bedeuten.

Menschen, die allein auf das Meer segeln, müssen ein ganz besonderer Schlag sein. Kommt ein Sturm, können sie glücklich sein, wenn sie nach 48 Stunden ohne Schlaf keine ernsten Fehler gemacht haben. Aber auch wenn – wie natürlich meist – kein Sturm ist, sind sie allein. Und allein auf einem Segelboot ist, zumindest auf dem Meer, ganz schön allein. Auf langen Strecken muss man mit speziellen Techniken mit wenigen Stunden Schlaf auskommen und während des Schlafens halt blind übers Meer schippern. Und man gehört zu den alleinsten Menschen auf dem Planeten. In jede Richtung ist in x Meilen: niemand.

Nicht nur segelt Nike nur mit sich (na gut, auch immer wieder mit wechselnden Gästen), sie segelt auch zu sich. Ihr Ziel ist ihr persönlicher Traum: auf einem Segelboot zu leben und um tropische Traumstrände zu schippern. Das ist kein besonders origineller Traum. Meiner ist es auch, und der Traum vieler Hobby-Segler und von Träumern, die es werden wollen. Ein dreifacher Egotrip: Nike segelt nur mit sich zu ihrem Traum und zu meinem.

Aber zum Segeln braucht man ein Boot. Nike hat eins in Panama gekauft, für 10.000 Euro. Und sie hat auch so ziemlich bekommen, was sie bezahlt hat. “You get what you pay for” sagt da der Angelsachse. Ein Wrack sage ich.

Und diese wunderbare Siegesgöttin macht sich an die Arbeit. Schuftet neun Monate an dem Boot ohne zu segeln und mit haufenweise Enttäuschungen. Aber sie gibt nicht auf. Und sie packt es.

Es wäre eine saublöde Story, wenn sie nicht wahr wäre. Diese uralte Geschichte ist ausnahmweise mal mitreißend – weil sie tatsächlich authentisch ist. “Untie the lines” ist eine Weekly Soap. Aber wenn eine Soap das echte Leben nicht schlecht imitiert sondern das echte Leben ist, dann hat das eine ganz andere Qualität.

Die Darstellerin der Hauptfigur – oder in diesem Fall tatsächlich nur die Hauptfigur – war mir zunächst unsympathisch. Vielleicht lag es daran, dass es Nike unangenehm war, eine Niederlage nach der anderen ins YouTube zu senden. Als sich die dunklen Wolken endlich verziehen, wird sie etwas sympathischer. Aber sie bleibt seltsam unzugänglich. Vielleicht liegt es daran, dass sie eine starke Frau auf einem doppelten Egotrip ist. Vielleicht will sie ihre Seele aber auch einfach nicht zu nackig ins YouTube senden. Letzteres glaube ich.

Es gibt Spannungsbögen, Cliffhanger, Sex-Appeal und kleine Dramen inklusive beinahe-Havarien, Abwechslung im Setting und in den Nebenrollen. Es ist noch mit mindestens zwei Jahren zu rechnen, wenn Nike nicht scheitert oder aufgibt. Das nächste wirklich große Abenteuer wird der Pazifik werden. “Wirklich groß” bedeutet: wenn man sich einen Globus aus einer bestimmten Richtung ansieht, sieht man fast nur Pazifik. Ein halber Globus voller Wasser, zu bezwingen mit einer 37 Fuß Alu-Schüssel von zweifelhafter Zuverlässigkeit, dafür aber haufenweise Charakter und Chuzpe sowie einem ungewöhnlichen Namen.

Ein cleverer „Kniff“ (oder tatsächlich vermutlich eher ein persönlicher Spleen) der Akteurin personifiziert Karl, ihr Boot, und schafft so einen immer anwesenden Sidekick der eine eigene “Charakter-Entwicklung” vollzieht. Vor allem: es ist ein interessantes Format, eine Weekly-Soap-Reality-TV-Sendung, nur echt. Es ist professionell geschnitten und in brauchbarer Qualität gefilmt. Anseh-Empfehlung!

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Feuerkunst

Ein Feuer ist das perfekte abstrakte Kunstwerk.

Und damit meine ich nur das Feuer, nicht sein Substrat, denn das ist ja meist nicht nur gegenständlich sondern gar Gegenstand. Also zum Beispiel ein Holzscheit. Aber wenn man sich den wegdenkt und auch das Drum-Herum (vulgo z.B. “Kamin”), wenn nur die Flamme bleibt, blickt man in die perfekte abstrakte Kunst.

Auch abstrakte Kunst ist letztlich ein Gegenstand – ein Gemälde, eine Skulptur, eine Video-Installation, eine Flamme. Wie wird ein Feuer „gemalt“? Aufgrund der großen Hitze vergasen flüchtige organische Verbindungen. Diese Kohlenwasserstoffe verbinden sich mit dem Sauerstoff der Luft zu Kohlendioxid und Wasser. Dabei wird viel Energie frei, die die beteiligten Moleküle so aufgeregt, dass sie anfangen zu leuchten. Sie leuchten von mildem Rot zu heißem Blau.

Die Formen- und Farb-Vielfalt des Feuers übersteigt die der Wolken ums Unendliche. Es verbrennt in einer endlosen Folge von Andeutungen und Schemen. Doch anders als die der Wolken lassen sich die Allusionen des Feuers nie festhalten. Hat der Beobachter geglaubt, etwas zu erkennen, ist es auch schon wieder dahin. Man kann im Feuer alles sehen. Und nichts.

Sogar eine vulgäre Kerzen-Flamme kann manchen Betrachter lange gefangen nehmen. Und schon die banale Choreografie eines einzelnen Scheits, der in meinem Kamin abbrennt, hat eine hypnotische Kraft, die man in den meisten Museen vergebens sucht.

Mein Kamin ist schmal und hoch – ein Durchmesser von vielleicht fünfundzwanzig Zentimetern bei einer Höhe von sechzig. Ein einzelner Scheit steht aufrecht auf den Resten der abgebrannten vorigen Füllung und verbrennt in der Hitze der blauen Flammen auf feuriger Glut.

Die Kunst! Die Flammen! Hoch recken sie sich über die ganzen sechzig Zentimeter in den wohl-bekannten Zungen. An einer Ecke entspringen kleine Feuerschlangen aus einer unregelmäßigen Folge unterschiedlich großer Brennpunkte. Anderswo brennen größere Flächen relativ regelmäßig. Oben in der Brennkammer jagt frischer Sauerstoff von der Hitze durch die dortigen Luftlöcher gesogen der Flamme frisches Blau in dieselbe und drischt eine schnelle Folge vielfältiger Formen in die oben schon sterbende Flamme.

Das Feuer bewegt sich stets in dieser schmalen, Symbol-trächtigen Zone zwischen Struktur und Chaos. Es ist der manifeste wie flüchtige Ausdruck der größten Macht des Universums – der alles zermahlenden Kraft der Entropie. Die Vielfalt der Farben und Formen des Feuers ist unendlich. Denn sie entspringt der unendlichen Vielfalt des gewesenen Lebens, aus der es sich speist.

ISS

Anfang August, Hochdruck, 23 Uhr 20, T-Shirt, Garten, allein. Ich schaue zufällig in den West-Himmel. Es ist klar, viele Sterne sind zu sehen und die ISS geht auf, die “International Space Station”, die in gut 400 km Höhe einmal alle ein einhalb Stunden die Erde umrundet.

Die ISS ist der hellste “Stern” am Himmel und einer der zackigsten. Ich habe sie bei ihrem ganzen Zug über den Himmel beobachtet. Im Osten gab es ein paar zarte Schleierwolken, aber sonst war die ganze Bahn von Horizont zu Horizont frei. Das hat so schätzungsweise fünf Minuten gedauert.

Die ISS zog fast durch den Zenit. Der Mensch ist nicht dafür gebaut, in den Zenit zu starren. Das mag das Genick gar nicht. Aber im Zenit sind die Leute da oben gerade noch gut 400 Kilometer von mir entfernt, einmal von hier bis Flensburg.

Da oben schweben Leute von allen Teilen der Erde und schauen auf uns herab. Sie sehen unseren fragilen anmutig schönen Planeten aus einer einzigartigen Perspektive. Und deshalb begreifen sie unmittelbar wie irrsinnig unsere Konflikte und Verwüstungen hier unten auf unserer Glaskugel sind.

Diese Perspektive bleibt mir verwehrt. Aber – da muss das Genick dann halt mal durch – ich kann zu ihnen aufschauen.

Kalorien-Flash

Ich habe vier Monate auf 500 Kalorien verbracht. Das ist schon eine bemerkenswert hirnrissige  Brutal-Diät. Wenn man so einen par force Ritt machen möchte, gibt es einen limitierenden Faktor. Nicht den, dass man Vitamin-Pillen nehmen muss, vier Monate lang. Das ist nicht gut, aber normaler Weise hat man Glück, und das macht keine gesundheitlichen, gustatorischen oder psychologischen Probleme. Aber man braucht Protein. Proteinmangel ist überhaupt gar nicht gut.

Ich musste so rund 80g Protein zu mir nehmen (jetzt sind es weniger, weil ich weniger bin). 80g sind gut 400 Kilokalorien. Long Story short: 4 Monate lang pro Tag eineinhalb Hühnerbrüste, nett verpackt mit ein bisschen Sauce und etwas knackigem Gemüse.

30 Kilo später: Heute ist meine Diät zu Ende. Heute ist mein Geburtstag. Rückblickend eine interessante Kombination.

7 Uhr 15, ich werde mit einem Geburtstags-Kuchen geweckt. Mein erstes Frühstück nach vier Monaten ist ein Stück Nuss-Nougat-Kuchen – Zucker geht direkt ins Blut, die Stärke des Mehls hält den Blutzucker-Spiegel mittelfristig oben, Fett gibt dem Stoffwechsel Gehalt und Manövrierraum. Ich nehme das in dem Moment nicht bewusst wahr: Kalorien durchfließen den Körper als ein unfassbarer Strom aus reiner Energie.

Vorgestern war ich einkaufen. Durch das bisschen Sport, das ich jetzt zweimal die Woche mache, habe ich verblüffend viel mehr Kraft und Ausdauer. Ich habe mal zwei Kisten Wasser gleichzeitig aus dem Auto getragen. Das ist schon schwer. Noch vier Monate früher habe ich ständig zwei einhalb Kisten Wasser (genau-genommen: Fett) durch die Gegend getragen. Weil ich mit fortschreitender Auszehrung meines Körpers kontinuierlich diesen Ballast abgeworfen habe, habe ich nicht gemerkt, wie die Diät mich schwächt. Es ging ja trotzdem sanft bergauf.

Ich habe den ganzen Vormittag keinen Hunger, das erste Mal seit vier Monaten. Mein Körper kann noch nicht recht glauben, dass die Dürre nun zu Ende gehen könne. Entschuldigt diese mindestens dubiose Aberration: in der Firma gebe ich zum Mittag-Essen Mett-Brötchen für alle aus. Selbst meine automatische Rechtschreibprüfung findet “Mett” anrüchig und unterkringelt es rot.

12 Uhr, mit dem Näher-Rücken des Mittags hellt sich meine Laune auf. Schon kurz vor dem Mittag ist meine Laune so gut wie schon lange nicht mehr. Ich esse viereinhalb halbe Mett-Brötchen. So viel wie fünf meiner Kollegen. Einer isst weniger.

Halb eins, bis fünf Uhr Freitagnachmittag arbeiten: kurz aufräumen, nach dem Essen, noch schnell ein paar Programm-Fehler beheben, damit nächste Woche, wenn ich im Urlaub bin, nichts anbrennt, zwischendurch mit einem Kollegen diskutieren, wie er ein bestimmtest Feature implementieren soll, unter Zeitdruck noch zwei letzte dringend benötigte Features vor dem Urlaub implementieren, öfter unterbrochen von den Fragen anderer Kollegen, selbst einen Fehler bei der Implementierung gemacht, den glücklicher Weise ein Kollege noch schnell gefunden hat, den beheben.

15 Uhr. Aus dem Gedächtnis und mit Hilfe einiger Notizen aus der Diskussion mit dem ganzen Team gestern muss vor dem Urlaub noch eine Spezifikation fertig geschrieben werden, damit die Kollegen wissen, wie das umgesetzt werden soll. Es kommt auf jedes Wort an, Fehler im Text führen zu Fehlern im Programm und somit zu teurer Zeit-Verschwendung. Immer wieder Unterbrechungen von Kollegen. Ein ganz normaler Tag im Büro, Stress leicht überdurchschnittlich, kaum mentale Atempausen. Normaler Weise baue ich Freitagnachmittag merklich ab. Heute nicht.

17 Uhr, “Tschüss”, “Schönes Wochenende”, “Schönen Urlaub!”. Direkt zum Einkaufen fahren, noch ein paar Sachen für das Geburtstags-Essen besorgen. In der Reihenfolge: Getränkemarkt, Supermarkt, Weinhandlung. Nach Hause, meiner Frau bei den letzten Vorbereitungen helfen. 10 vor acht, 7 Minuten Pause, bevor die ersten Gäste kommen, dann noch aller-allerletzte Vorbereitungen.

20 Uhr, Ding Dong, “Hallo!”, “Herzlichen Glückwunsch”, 5 Stunden Party. Viel Essen, wie früher (Fehler, ich weiß, aber hey: Geburtstag, Party, Ausnahme): zwei selbst gemachte Hamburger, einen kleinen Wrap mit Lachs, zum Nachtisch Apple-Crumble mit Vanille-Sauce, etwas Süßigkeiten, ein Bier, drei Gin Tonic, etwas Käse. “Tschüss”, “Danke für die Einladung”, “Schön, dass Ihr hier wart”.  Nahtlos weiter mit Aufräumen. Kurze Pause.

Viertel nach eins, 18 Stunden fast völlig ohne Abschalten, immer Arbeit oder engagierte Konversation, dabei immer besser gelaunt, nicht ein Fitzel von Ermüdung. Jetzt erst mal einen Text über diese ungewöhnliche Erfahrung schreiben:

Kalorien sind ein ziemlich coole Droge. Guten Appetit!

Busch

Er hat sich zu uns verirrt. Und wir haben ihn einfach behalten und in die vorletzte Ecke gestellt. Da steht er noch und rächt sich indem er alles in den Schatten stellt. Dabei haben wir eine Menge spektakuläres Gebüsch.

Die Geschichte beginnt an einem nassen März-Tag. Kalter Wind weht um das Haus. Die Familie ist gerade ins neue Eigenheim gezogen und lebt sich ein. Der Neubau steht in einer 800m² großen lehmigen Schlammwüste. Heftige Regenfälle bergen noch die Gefahr, das Haus in seiner kleinen, sandigen Baugrube absaufen zu lassen, solange noch keine Vegetation – vulgus: Garten – das Haus wie ein großer Schwamm umgibt. Nur die Einfahrt ist durch Bauschutt-Aufschüttung einigermaßen wasserfest.

Sie steht am Fenster, viele Stunden am Tag. Sie blickt auf die 800m² und versucht sich den künftigen Garten vorzustellen. Die wichtigste Prämisse ist: Außen, zum Rest der Welt, der auf unseren 800m² höchstens zu Gast ist, gibt es eine grüne Mauer. Diese sollte möglichst das ganze Jahr Blick-dicht sein. Und nach innen soll es schön sein. Laut städtischem Bebauungsplan, dürfen wir nach Außen keine durchgehende Einfriedung haben, erlaubt ist lediglich eine “Blütenhecke”.

Einige Wochen später treffen die Gärtner ein und bringen die Büsche mit. Die werden heute gepflanzt. Sie läuft kreuz und quer durch den den Garten und zeigt den Gärtnern, wo welcher Busch eingepflanzt werden soll. Die Büsche sind zarte Pflanzen, höchstens 80cm durchmessendes Buschwerk, das später rund 3 Meter groß werden wird. Zwischen ihnen klaffen große Lücken, die sich für sie schmerzhaft langsam schließen werden.

Und bei diesen über hundert Pflanzen – 30m Hainbuchenhecke säumt die Einfahrt – ist er dabei, nicht bestellt und doch geliefert. Und weil er schon mit seinen 80cm eine hübscher Bursche ist, darf er bleiben. Rückblickend glaube ich, das war geschicktes Marketing vom Gärtner und kein Zufall. Jedenfalls hatte sie sich diesen Busch nie in der Schlammwüste vor Augen gehalten und er hat deshalb keinen Platz in dem von ihr erträumten Garten.

Und so landet er in der vorletzten Ecke des Gartens. Es gibt noch abseitigere Winkel: beim Kompost und Abfall, und im toten Winkel neben der Einfahrt.

Bis heute steht er da: nahe der Nordost-Ecke des Gartens. Doch – Ironie des Schicksals – er steht stets im Blickbereich, den sie nach hinten von ihrem Schreibtisch aus hat. Und an diesem Schreibtisch sitzt sie viel. Er ist jetzt 3 Meter hoch und nicht müde zu wachsen. Seine Schönheit schützt ihn vor der Schere. Man sieht deutlich, dass er da nicht geplant war. Seine zweite Etage von dreien kreuzt sich bereits mit der Krone des Apfelbaumes. Und beide werden noch sehr viel größer. Das wird ein spannendes Durcheinander.

Das kann man von dem ganzen Garten sagen. Es ist eine florale Symphonie, die sich über das ganze Jahr entfaltet. Sie hat darauf geachtet, dass es immer irgendwo blüht und zwar in allen Ecken des Gartens.

Schon im Januar oder Februar geht es mit der Zaubernuss los. Die Blüte ist spektakulär nur wegen ihres Zeitpunktes. Doch schon einige Wochen später folgen Schneeglöckchen, Tulpen und Narzissen deutlich expressionistischer. Das erste echte Feuerwerk eröffnen zwei Forsythien, ökologisch nutzlos aber strahlend gelb, gefolgt von den elegant geschwungenen zarten Felsenbirnen. Es folgen eine Reihe Büsche die fürs Auge mäßig attraktiv sind, für Nektar-sammelnde Insekten um so mehr. Ein drei Meter hoher auf Blüte gezüchteter Busch hat eine Menge Blüten, und viele dieser Blüten produzieren eine Menge Nektar, das ist schon eine veritable Bienen- und Hummel-Weide.

Eine dieser Insekten-Weiden ist die Berberitze Julianae. Sie steht im Außen-Wall und hat mittelgroße längliche immergrüne Blätter. Zur Blüte treibt auch das hellgrüne frische Laub und setzt eigene Akzente. Die kleinen gelben Blüten sitzen in den Achseln, 3cm langer Nadel-spitzer Dornen, die jeweils zu dritt im rechten Winkel beisammen stehen. Sie ist eine eigensinnige, waffenstarrende Schönheit.

Den nächsten Höhepunkt setzt dann er im Mai zur gleichen Zeit mit dem roten Rhododendron. Der rote Rhododendron ist reiner Garten-Porno. 2,5m, übersät mit obszön großen, tief-roten, nutzlosen Blüten. Doch gegen unseren zugelaufenen Pagoden-Hartriegel muss selbst er zurückstecken. Drei Etagen hellgrün gebänderte Blätter, jeweils in horizontalen Ebenen, vertikal auf drei Meter verteilt. Die Blüten – sehr viele – stehen alle in Dolden direkt nach oben. So stehen dort, nahe der Nordecke des Gartens, zur Blütezeit schwebende Rabatten weißer Dolden in drei Etagen im Garten und lassen selbst den edlen Porno-Rhododendron  etwas billig aussehen.

Evolution ist Scheiße – Oder – Blinder Hass auf den blinden Uhrmacher

Der menschliche Körper ist eine unglaubliche Muskelmaschiene. Über 650 Muskeln bewegen über haufenweise Gelenke gut 212 Knochen mit einem perfekt dämpfenden Polster namens Fleisch, welches auch bekannt ist als Muskeln.

Und tief in der festen Hülle aus Knochen und Fleisch bewegen Muskeln die Luft durch die Lunge, das Blut durch die Adern und die Speise einmal quer durch alles durch. Die Augen bewegen sie mit atemberaubender Geschwindigkeit und Präzision. Das Herz ist eine unfassbar grandiose Muskelmaschine in einer Fleisch und Knochenmaschine. Das Herz pumpt oft klaglos und ohne wesentliche Aussetzer über 80 Jahre unentwegt Liter um Liter Blut durch winzige Muskelschläuche namens Adern.

Die Verdauung ist eine Zeitlupenchoreographie eines großen Muskelorchesters. Durch den Eingang der Verdauung, den hermetisch luft- und und wasserdicht schließenden Muskelring der Lippen, durch die Zerkleinerung der Nahrung durch die Kaumuskulater und ihre sensorische Schnellanalyse durch die haptische Muskellupe Zunge, durch die Muskeltransportpipeline Speiseröhre in den ventilverschlossenen Muskelmixer Magen.

Dann durch die mächtig aufgepimpte Muskelpipeline Darm wo die chemische Erschließung und Resorbtion der Nahrung während ihres langsamen Transports durch den Muskelschlauch stattfindet. Bei Frauen geht die Reise der Nahrung durch den Körper vorbei an einer ganz besonderen Muskelkugel – der Gebärmutter, der ersten Heimat jeden menschlichen Wesens.

Diese unfassbar unverwüstliche Muskelmaschine Mensch hat die Evolution geschaffen. Wir Menschen sind noch sehr weit davon entfernt, von einer ähnlichen Ingenieursleistung auch nur träumen zu dürfen.

Die Evolution ist ein blinder Prozess darum hat sie sich auch nichts dabei gedacht, wie die Reise der nun zu Scheiße verwandelten Nahrung durch den Körper zu ende geht. Und es kommt halt auch einfach nicht drauf an. Es ist besser, da etwas Energie zu sparen und 40 Jahre hälts ja auch. Es ist evolutionär irrelevant.

Während durch den luftdichten Muskelring Lippen nicht mal ein unfreiwilliger Pups entweichen würde, hat die Evolutions ans andere Ende der Verdauung die Hämorriden designt. Das sind Blutgefäße, die den Darm da verschließen. Das ist billiger als ein Muskel. Und an der Stelle gut genug. Zum Ficken ist das System in Form der Schwellkörper im männlichen Glied ja auch gut genug. Und wie gesagt an der Stelle reicht das ja. 40 Jahre.

Danach können die Dinger schonmal ausleiern. Hässlich, aber für die Evolution nicht so relevant. Denn mit der Fortpflanzung hat es sich nach 40 unter den Bedingungen der Evolution weitgehend erledigt. Also hat die Evolution da mal einen teureren Muskel gespart und dann leiern die Dinger halt aus.

Evolution ist Scheiße.

Ironie des Schicksals

Ich habe eben einen Mitschnitt von einem Freddy Mercury Tribute Konzert gesehen. Ich war früher Queen Fan, also habe ich da mal rein-geschaut. Das war eine große Veranstaltung. Die 72.000 Eintrittskarten für diese Veranstaltung waren innerhalb von 6 Stunden ausverkauft. Und als ich so die Bilder von dem Konzert, den begeisterten Zuschauern und den Musikern gesehen habe, ist mir eine seltsame Ironie des Schicksals bewusst geworden. Das Leben hat echt einen schrägen Sinn für Humor.

Wenn ein Musiker ein Mega-Star wird, sieht er sich plötzlich mit einer überraschenden musikalischen Schwierigkeit konfrontiert. “Mega-Star” heißt einer von vielleicht wenigen Dutzend Acts auf der Welt, die zuverlässig Stadien füllen. So ein Mega-Star.

So ein Mega-Star wird man ja nun nicht, weil man sich allen Erwartungen widersetzt. Man wird nicht bei allen möglichen Menschen beliebt, wenn man sich dauernd gegen sie wendet.

Und nun wenden sich diese Massen an Fans unfreiwillig gegen ihre Stars, wenn sie anfangen, im Takt zu deiner Musik zu klatschen. Denn wenn 36.000 deiner 72.000 Fans 50 Meter und mehr von dir weg stehen, dann braucht deine Musik anderthalb Zehntel Sekunden zu ihnen und ihr Klatschen dann anderthalb Zehntel zu Dir. Das sind zusammen 300 Millisekunden. Das ist schon bei einer langsamen Ballade ein Achtel daneben. Bei einem up-tempo Stück verschiebt es die Eins irgendwo in die Mitte des Taktes.

Wem das alles nichts sagt: Es ist in etwa so, als würde dir beim Tanzen jemand dauernd das Bein stellen. Und zigtausend Fans stehen da begeistert vor dir und klatschen dir dauern gegen den Takt. Du solltest besser Stücke finden, wo die nicht mit-klatschen.

Noch Wer

Es ist Mitte Januar. Dafür ist es nicht so eine bittere Eiseskälte, sondern eher so eine trockene kühle Kälte. Tagsüber kurz über Null, Nachts dann knapp darunter. Auf dem Weg vom Kaminholzregal zwitschert es im Busch. Da habe ich wohl jemanden erschreckt. Tut mir Leid. Da sitzt man friedlich bei minus zwei Grad mit geplusterten Federn Nachts in einem windigen Garten-Gesträuch, und dann kommt dann so ein komischer Kerl mit Kaminholz-Scheit daher getrampelt. Ein empörtes Gezwitscher ist da noch ein sehr euphemistischer Fluch.

Chips-Diät

Angefangen hat es vor Jahren mit Chilipulver. Etwas davon auf ein Brot mit dem richtigen Ketchup – die Schärfe wirkt kurz wie ein Geschmacksverstärker bevor sie den Geschmack weitgehend ausknipst. Vielleicht ist das sogar ein und dasselbe: das Capsaicin des Chilis stimuliert den ganzen Mund – auch die Geschmacksnerven – dermaßen, dass aufgrund sensorischer Ermüdung kurz nach dem Flash der Geschmackssinn durchbrennt. Und es ist auch so schön, wenn der Schmerz nachlässt.

Angefangen hat es also mit Chilipulver. Das war jetzt sehr laienhaft geschrieben, “Chilipulver”. Es handelte sich um gemahlenen Cayenne-Pfeffer. Das ist so die Einstiegsdroge in die Chilitis.

Jetzt wirds mal kurz wissenschaftlich. Schärfe misst man in “Scoville”. Ohne jetzt auf die vielleicht etwas langweilige Geschichte der Scoville-Skala einzugehen sei gesagt, dass hier letztlich der Gehalt an dem im Chili enthaltenen Molekül “Capsaicin” gemessen wird.

Cayenne-Pfeffer hat rund 10 mal so viele Scoville wie Tabasco-Soße: 30.000 bis 50.000 Scoville. Mittlerweile bin ich bei Habanero-Pfeffer angelangt. Der hat so 100.000 bis 350.000 Scoville. Den Pfeffer habe ich im Internet bestellt. In normalen Läden gibts das nicht.

Das geht gut zu Pringles, weil die so gleichförmig sind: eine Priese davon auf jeden einzelnen Chip – man breitet sie dazu am besten auf einem Teller aus – und man isst keine ganze Packung mehr am Stück, bekommt aber ein vielfaches des Geschmackserlebnisses.

Geeignet ist eine Pringles-Sorte, die man mag, bei mir Sweet Paprika. In Kombination mit weiteren Zutaten eignet sich auch Pringles Original sehr gut. Die sind leicht gesalzen (weniger als die meisten anderen salzigen Chips) und ziemlich neutral. Wenn es bei Chilipulver bleibt, kann man beliebige Chips nehmen: etwas Chilipulver in die Tüte und gut schütteln, fertig. Aber wenn man weiter verfeinert, ist es angenehm, einen gleichförmigen Chip wie Pringles zu haben.

Ich habe z.B. festgestellt, dass geschroteter Habanero Chili aromatischer ist als gemahlener. Chilis sind leckere, tropisch Früchte mit einer fruchtigen Süße hinter der Schärfe und dieses Aroma kommt dann noch besser zur Geltung. Geschrotete Chili kennt man u.a. vom Türken. Da wird man oft gefragt, ob der Döner scharf gemacht werden soll. Antwortet man “ja”, wird etwas Rotes, Grobkörniges auf den Döner gestreut. Das ist Chili, allerdings kein Habanero sondern wahrscheinlich Cayenne. Die groben, getrockneten Chili-Flocken haften nicht so an Chips wie Pulver. Darum muss man auf jeden Chip einzeln ein wenig streuen.

Ich habe auch mit verschiedenen Soßen experimentiert, mit und ohne zusätzliches Chili. Klar, Ketchup auf jeden Chip ist naheliegend. Verschiedene Grillsoßen bieten sich an. Mein persönlicher Favorit ist die klassische “Sweet Chilisauce for Chicken”. Die enthält aber Knoblauch, muss man vorsichtig dosieren. Dann kann auch ein kleines Stück Putenbrust zwischen den Chip und die Soße.

Wir hatten auch mal Mango-Chutney vom Grillen übrig. Das war nicht übel, aber auch nicht richtig gut. Ich wusste, dass es Mango-Chutney gibt, dass ich sehr gerne esse. Also habe ich mal im Netz recherchiert, welches Mango-Chutney denn gemeinhin für lecker gehalten wird: Geeta’s. Ich habs dann mal bestellt. Super.

Das erste hatte ich bei Amazon bestellt. Als es alle war, habe ich mal nach einem Laden gesucht, der das vertreibt, um Versandkosten zu sparen. Denn bei Amazon Marketplace muss man den Versand für jeden einzelnen Artikel zahlen, auch wenn man mehrere Artikel vom gleichen Anbieter kauft. Und die Versandkosten dort waren auch noch relativ hoch. Der Laden, den ich gefunden habe, hatte auch andere Sorten Geeta’s im Angebot. Also habe ich die auch mal bestellt. Mango-Chili Chutney ist nicht übel, aber von der Schärfe relativ mild.

Geeta’s Lime and Chili Chutney ist der Hammer. Chutney ist so ungefähr die indische Variante von Marmelade. Man kocht Früchte mit Zucker ein um sie haltbar zu machen. Bei der indischen Variante kommen dann noch Gewürze dazu. Und Geeta’s Chutneys sind genial gewürzt, wenn man denn indische Küche mag. Geeta’s Lime and Chili Chutney ist eingekochte Limette und Chilischote mit ordentlich Zucker und Gewürzen. In Geeta’s Chutney werden die Früchte klein geschnitten, nicht püriert. Man merkt also deutlich die Fruchtstücke.

Limetten-Chili-Chutney ist eine Geschmacksbombe. Starke Zitronen-Säure entschärft durch den Zucker aber verstärkt durch die Chili-Schärfe zusammen mit intensivem Limetten-Aroma und exotischen Gewürzen (die auch mit eingekocht also nicht getrocknet und/oder gemahlen sind). Boom.

Das ist der Stand, jetzt. Das geht sicher noch weiter. Eine Frucht würde glaube ich gut passen: Unten der Chip, darauf ein kleines Eckchen Putenbrust, dann vielleicht eine dünne Scheibe von einem Apfel (?) und oben drauf das Chutney mit evtl. etwas Chili. Zum Beispiel.

Ich kann diese Diät jedem empfehlen. Ich esse jetzt deutlich weniger Chips als früher. Und die fortdauernde Suche nach dem perfekten Chips-Rezept hat etwas seltsam Zen-haftes. Ok, vergesst mal die diversen Perversionen in dem “Rezept”. Was ist denn Eure Droge? Schokolade vielleicht? Da ist haufenweise Platz für Zen. Gummibärchen sieht schon schlechter aus. Und falls es Tabak ist, tut Eurer Umwelt einen Gefallen und kommt nicht auf die Idee, dass Zigarren das Zen des Rauchens sind.

Mit Schokolade habe ich immerhin kleine Eindrücke. Ich nasche vermutlich mehr als man mir ansieht. Und was man mir ganz sicher nicht ansieht ist irgendeine Andeutung von Dürrheit oder Magerkeit. In der Weihnachtszeit hatten wir ab Nikolaus eine immer gut bestückte Etagere mit Weihnachts-Süßkram. Und das sind alles leckere Sachen. Marzipan-Kartoffeln, Mandeln im Schoko-Mantel, mit Marzipan, Karamel oder Knister-Brause gefüllte Schoko-Kugeln, fast alles einzeln verpackt.  Ja, ein Müll, der Wahnsinn. Aber darum gehts gerade mal nicht.

Ich habe festgestellt, dass ich nicht mehr nasche als sonst. Und nicht, weils nicht geht, im Gegenteil. Die Psychologie meines Naschens scheint wenig mit der Menge zu tun zu haben. Es geht mehr so um die Handgriffe und die sensorischen Stimulationen. Eine Schoko-Kugel ist einfach viel weniger als ein Riegel von der dicken Milka-Extra.

Das ist natürlich noch weit weg von Zen. Aber es hat die Richtung eingeschlagen und ist ein kleines Stück des Weges gegangen:

Zen und die Kunst des Naschens.