Regierung mal anders

Hier stelle ich eine Alternative zur Demokratie vor. Ein System, das die Ideale der Demokratie um zu setzen versucht – ohne Wahl, ohne Lobbyismus, ohne Regierung im klassischen Sinn, doch mit effizienten klar umrissenen Entscheidungs-Prozessen.

In meinem letzten Artikel habe ich erörtert, woran unsere Demokratie gescheitert ist. Was kann man nun daraus lernen? In diesem Artikel stelle ich die Grundsätze eines Regierungssystems vor, das die Lehren aus dem Scheitern der Demokratie zieht.

Woran ist unsere Demokratie gescheitert?

Doch zunächst werden ich diese Lehren hier noch einmal kurz rekapitulieren, Details finden sich im besagten Artikel. Der Prozess des Interessenausgleichs basiert in der Demokratie auf dem Kuhhandel zur Förderung der Karrieren von Berufspolitikern. Dies trägt wesentlich zur Entfremdung der Konstituenten der Demokratie von ihrem politischen System bei. Aufgrund der begrenzten Legislaturperioden ist der Zeithorizont demokratischer Entscheidungen zu kurz um die großen Probleme unserer Zeit zu lösen.

Diese beiden Faktoren – Entfremdung und Unfähigkeit zur Lösung zentraler Probleme – haben unsere Demokratie strukturell stark geschwächt. Während die vierte Gewalt – unser Mediensystem – mit seinem eigenen Ausverkauf beschäftigt war, nutzten mächtige Partial-Interessen diese und andere Schwächen unseres kränkelnden System, um ihm den Garaus zu machen. Heute können wir nur noch die mehr oder weniger unterhaltsame Aufführung einer marktkonformen Demokratiesimulation bewundern.

Und was kann man daraus lernen?

Eine Lehre, die man daraus ziehen kann ist, dass wir ein Mediensystem brauchen, das sich nicht so leicht korrumpieren lässt. Damit habe ich mich z.B. hier und hier beschäftigt. Nun geht es um das eigentliche politische System. Dieses muss drei zentrale Forderungen erfüllen, ohne den Vorteil der repräsentativen Demokratie, den Interessenausgleich, aufzugeben.

  1. Es muss eine starke Identifikation zwischen Staat und Bürgern fördern.

  2. Es muss einen langen Zeithorizont für Entscheidungen erlauben.

  3. Es muss extrem Widerstandsfähig gegen Unterwanderung durch Partial-Interessen sein.

Einer für Alle

Es gibt zahlreiche Faktoren, die uns heute eine Identifikation mit unseren Volksvertretern sehr schwer machen. Das fängt schon damit an, dass es immer sehr viele Beteiligte bei allen Entscheidungen gibt. Theoretisch werden die Entscheidungen vom Parlament mit einigen hundert Abgeordneten getroffen. In der Praxis sind es Dutzende von gesichtslosen Karrieristen, die unsichtbar hinter den Kulissen ebenso unsichtbare Fäden ziehen. Unterdessen sondern im Vordergrund ein paar aalglatte Rhetorik-Profis genau geplante Worthülsen in feinstem Neusprech ab. Wenn man gezielt versuchte, Identifikation unmöglich zu machen, könnte man es kaum besser machen.

Die tieferen Ursachen für die Unmöglichkeit der Identifikation sind

  • die Zahl der Beteiligten,

  • die Intransparenz der eigentlichen Entscheidungsfindung,

  • die Tatsache, dass die Entscheider keine normalen Menschen sind, sondern mediale Inszenierungen von Profis im Wieder-Gewählt-Werden.

Kompetenz & Motivation

Ich schlage ein System vor, in dem jede Entscheidung jeweils von wenigen Menschen getroffen wird; In dem die Entscheider keine Profis darin sind, sich vor den Menschen, die sie vertreten, möglichst gut zu verkaufen; In dem völlig transparent ist, wer die Entscheidung trifft. Das sind optimale Bedingungen für die Identifikation der Bürger mit ihrem politischen System.

Zunächst muss man Menschen finden, die die Entscheidungen treffen sollen. Dazu muss das Grundproblem jedes politischen Systems gelöst werden, das irgendwie im Sinn seiner Bevölkerung handeln soll. Das Problem besteht darin Menschen zu finden, die

  1. kompetent sind, die anstehenden Entscheidungen zu treffen und die

  2. motiviert sind, im Interesse der Bevölkerung zu entscheiden.

Ich bestreite, dass unser System der Wahl auch nur eine dieser beiden Anforderungen im Fokus hat. Unser System sucht Selbstdarsteller aus, die psychisch relativ stabil sind, sich wenige all zu große Skandale leisten und die ihre unmittelbare Bedürfnisbefriedigung auf die Zeit nach ihrer politischen Karriere verschieben können – unser System ist völlig korrupt, aber die Auszahlung findet meist erst nach Niederlegung der Ämter statt. Tony Blair, Gerhard Schröder, ehemalige Mitglieder amerikanischer Regierungen – alles absolute Top-Verdiener.

Weder Kompetenz noch das Interesse der Bevölkerung spielen da eine große Rolle. Lediglich all zu krasse Auswüchse werden gehemmt.

Kompetenz

Ich habe mit KiIsWhoWi ein System vorgestellt, mit dem sich die Kompetenz von Menschen in bestimmten Fachgebieten ermitteln lässt. Es handelt sich um eine Art Who is Who Wiki, wo jeder seine Meinung kund tun kann und wo aus Einzel-Meinungen in einer Abwandlung des wissenschaftlichen Peer-Review-Prozesses eine Urteil ermittelt wird. Dieser Artikel ist schon ein paar Jahre alt, und mittlerweile gibt es derartiges bereits vielfach. Wer einen Finanzberater sucht, kann das beispielsweise bei Google Maps tun. Dort finden sich auch zahlreiche (teils gefälschte) Urteile. Etwas weiter treibt es beispielsweise dieser Service zum Auffinden eines kompetenten Arztes für bestimmte Malessen.

Das Problem, kompetente Menschen zu beliebigen Themen zu ermitteln, ist gelöst. Mindestens der wissenschaftliche Betrieb hat eine Lösung etabliert und diese lässt sich verallgemeinern und mit technischen Mitteln auf die gesamte Bevölkerung übertragen. KiIsWhoWi legt dar, wie dieser Prozess bereits heute als Teil des normalen Zusammenlebens etabliert wird und welche enormen Vorteile es hätte, diesen Prozess aus der Kommerzialisierung zu befreien – Vorteile weit jenseits der Regierungsbildung.

Motivation

Wie kann man also die so gefundenen kompetenten Menschen motivieren, langfristig und im Sinn der Bevölkerung zu entscheiden? Die Antwort liegt wieder zu einem großen Teil in der Auswahl. Man kann nicht nur Kompetenz beurteilen, sondern auch den Charakter von Entscheidern. Um Entscheidungen für alle zu treffen, sollten nur charakterlich einwandfreie Personen ausgewählt werden.

Doch mindestens ebenso wichtig ist der Auswahl-Prozess selbst. Wir sind ständig den Urteilen unserer Mitmenschen und Nachbarn ausgesetzt. Doch meist erfahren wir davon wenig. KiIsWhoWi macht diese Urteile transparent.

Geld regiert die Welt

Das mag man ablehnen, doch was ist die Alternative? Heute ist der wichtigste gesellschaftliche Faktor für die Beurteilung eines Menschen sein Reichtum. Zur Schau gestellter Reichtum ist der Weg, sich vor seinen Mitmenschen aus zu zeichnen. Viele Menschen versuchen daher Reichtum zu erlangen. Unser Differenzierungs- und Auswahl-System fördert so direkt unmoralisches, asoziales Verhalten, Bereicherung auf Kosten anderer. Anderen zum eigenen Vorteil zu schaden ist nach unserem am weitesten verbreiteten und anerkannten Standard etwas Gutes.

Wenn man den Menschen die Möglichkeit, sich vor ihren Mitmenschen auszuzeichnen, nicht gänzlich nehmen möchte, dann sollte man dieses Streben vieler Menschen nach ein wenig Ruhm wenigstens zum Guten wenden. Indem das fortgesetzte gegenseitige Urteil eine große Bedeutung in unserem Zusammenleben bekommt, wird es für die Entscheider viel wichtiger, sich ihren Mitmenschen gegenüber korrekt zu verhalten.

Arschlochalarm

Eine politische Entscheidung ist eine einzigartige Chance für den Entscheider. Er kann sich bereichern, oder er kann seine Reputation verbessern. Wenn er das richtige tut, bekommt er in der Kneipe sicher ein Bier ausgegeben. Wenn er das Falsche tut, kann er sich vielleicht nicht einmal mehr ein Bier kaufen – weil ihm schlicht keins verkauft wird, egal, was er zahlt.

Man bedenke, dass Smartphones erst der Anfang sind. Mit Google Glass steht gerade die nächste Stufe des Life-Logging-Device vor der Tür. Wir kommen aus einer Welt, in der Information schwer zugänglich war. Mit der beginnenden Vernetzung wurde sie leichter zugänglich. Mit Google Now beobachten wir gerade einen der ersten Dienste, der Information Kontext-Abhängig automatisch einblendet. Die Information kommt zu uns. Wir werden bald in einer Welt leben, wo Informationen zu der Person, die die Kneipe betritt, automatisch eingeblendet werden, wenn das für uns relevant ist. Mit dieser Technik auf Google Glass wäre das bereits heute möglich. Und das ist sicher erst der Anfang. Wenn diese Informationseinblendung der Arschlochalarm ist, ist das gar nicht gut für den, der seine Entscheidungsbefugnis missbraucht hat.

Resistenz gegen Lobbykratie

Wir haben also eine Möglichkeit, einen starken positiven Motivations-Faktor für unsere Entscheider zu schaffen. Doch auch das dürfte nicht reichen, eine Regierung vor der Unterwanderung durch Partial-Interessen zu schützen. Um einen optimalen Schutz zu erreichen, muss man den Entscheidungsprozess zu einem beweglichen Ziel machen. Heute sind unsere Entscheider Jahre, teils Jahrzehnte lang den Einflüsterungen der Lobby ausgesetzt. Dieses ewige Dauerfeuer sowie die korrumpierende Wirkung der Macht selbst sind mehr, als die meisten Menschen auf Dauer verkraften.

Ein politischer Entscheider sollte daher nur sehr kurz agieren, sollte idealer Weise nur genau eine politische Entscheidung treffen. So wird der Einfluss seiner Entscheidung auf seine Reputation maximiert und der Einfluss der Lobby minimiert.

Langfristigkeit

So kommt auch der Faktor der Langfristigkeit in den Entscheidungsprozess. Die Pflicht, eine Entscheidung für alle Mitmenschen zu treffen, ist so eine einzigartige Chance für das ganze eigene Leben. Plötzlich steht man im Rampenlicht. Die Entscheidung, die man trifft, wird großen Einfluss auf die eigene Reputation für den Rest des eigenen Lebens haben. Denn einmalig wird man von vielen Menschen beurteilt, von denen man sonst nie wieder etwas hören wird. Es ist also eine Entscheidung auf Lebenszeit und in wenigen Fällen sogar darüber hinaus. Ein längerer Zeithorizont wird sich für Entscheidungen kaum erreichen lassen.

Zusätzlich zu diesen intrinsischen Schutzmechanismen gegen Lobbykratie, sollten bestimmte Formen politischer Einflussnahme grundsätzlich Untersagt werden. Dies fiele zum Beispiel unter das hier vorgeschlagene generelle Werbeverbot. Statt dessen sollten die Entscheider sich die nötigen Information jederzeit holen können. Dies würde schon durch die umfassende Transparenz ermöglicht, die ich für alle öffentlichen (auch wirtschaftlichen) Lebensbereiche fordere.

Technokratie?

Der Umstand, dass hier nach Kompetenz ausgewählt wird, könnte einen auf die Idee bringen, dass es sich bei meinem Vorschlag um eine Form der Technokratie handelt. Dem ist keineswegs so. Das wesentliche Merkmal einer Technokratie sind Technokraten – eine Klasse von professionellen Entscheidern, die allein nach sachlichen Kriterien entscheidet. Kompetenz macht keinen Technokraten, sondern seine Entscheidungskriterien.

In der Technokratie sind das reine Sachkriterien. In meinem Vorschlag hingegen ist der Maßstab das Urteil der Mitmenschen. Es ist genau das, was es in einer Demokratie sein sollte aber nicht ist. Im Ideal der Demokratie steht im Mittelpunkt der demokratische Diskurs, die Debatte, der Meinungsaustausch. Tatsächlich ist dies bei uns zu einem reinen Schauspiel verkommen. Wenn legislative Entscheidung zur Basis der Reputation werden, bekommt der Diskurs wieder eine viel größere Bedeutung.

Ebenso wichtig ist es, die fatale Nähe von Mächtigen zu ihren Hofberichterstattern aufzubrechen. Dies geschieht in den von mir vorgeschlagenen System automatisch dadurch, dass die „Mächtigen“ ständig wechseln. So kommt es gar nicht er zu der persönlichen Nähe zwischen Politik und denen, die darüber Berichten. So kann der Diskurs sich wieder frei entfalten.

Zudem kann von Technokraten schon gar keine Rede sein. Denn es gibt ja weder Techno- noch sonst welche -kraten. Wer nur eine oder wenige Entscheidungen in seinem Leben trifft, kann kein professioneller Politiker werden.

Frau des Volkes

So jemand bleibt ein Mann oder eine Frau des Volkes. Es sind die berühmten 15 Minuten Ruhm – oder eher fifteen minutes of blame. Auf diese Weise sowie dadurch, dass es jeweils nur wenige Entscheider gibt, wird auch die Identifikation der Bevölkerung mit den Entscheidern und ihrem politischen System gefördert.

One Man One Vote

Was wurde aus dem Prinzip „Ein Mensch, eine Stimme“? Es war ein wichtiger und richtiger Schritt in unserer kulturellen Entwicklung. Ohne dieses Prinzip wäre unsere Welt heute wahrscheinlich ein noch deutlich schlimmerer Ort. Doch wenn sie uns auch paar Schritte in die richtige Richtung gebracht hat, so konnte die Demokratie ihre großen Versprechen letztlich doch nicht erfüllen.

Das romantische Ideal von „Ein Mensch, eine Stimme“ ist gerade, dass jede Stimme zählt, das niemand überhört wird. Doch die Realität der Demokratie verkehrt dieses Ideal in sein genaues Gegenteil: Eine einzeln Stimme wird grundsätzlich überhört, wenn sie nicht in den Chor der Masse einstimmt. Selbst große Minderheiten, wie Homosexuelle, werden Jahrzehnte lang tyrannisiert, wenn nicht zufällig „political correctness“ zur Mode wird.

Die Anwohner des Wendlandes (Gorleben, oder wo immer das Endlager letztlich landet) werden nach ihrem subjektiven Empfinden gar von der Mehrheit ihrer Heimat beraubt. Da braucht niemand mit „rationalen Argumenten“ zu kommen. Atommüll in meinem Hinterhof ist ein drastischer Eingriff in meine Persönlichkeitsrechte. Demokratie ist die Diktatur der Mehrheit.

Das hier vorgeschlagene Prinzip gibt einzelnen dagegen tatsächlich eine Stimme. Wenn meine politische Entscheidung einem einzelnen massiv schadet, kann dieser das bei KiIsWhoWi über mich schreiben. Andere können das dann lesen, und beurteilen, ob meine Entscheidung dennoch gerechtfertigt war.

Das Ideal von „Ein Mensch, eine Stimme“ ist richtig. Doch um das Ideal zu erreichen, muss man sich gerade von diesem Prinzip verabschieden.

Die Demokratie ist Prinzip-bedingt unfähig unsere zentralen Probleme zu lösen und sie bietet nur unzureichenden Schutz gegen Inkompetenz und Usurpation. In der letzten großen Weltwirtschaftskrise hat sie sich konsequent abgeschafft und in dieser ist sie gerade wieder dabei. Demokratie hatte ihre Berechtigung, doch sie ist nicht das Ende der Geschichte.

Ein neuer Weg

Dies sind die Prinzipien eines politischen Systems von den Menschen für die Menschen: Eines Systems, das kompetente Entscheider wählt und sie motiviert, langfristig und im Sinn des Volkes zu entscheiden; Das resilient ist und resistent gegen Lobbykratie und Usurpation; Das es den Bürgern ermöglicht, sich mit ihrem legislative System zu identifizieren; Das die großen zentralen Probleme unserer Gesellschaft mit ihrem sehr langen Zeithorizont angehen kann.

Ich habe einen legislativen Prozess, der diese Prinzipien beherzigt, hier exemplarisch dargelegt. Dies ist nur ein Beispiel, wichtig sind die Prinzipien: Gegenseitiges Ansehen muss wichtiger sein als Geld, Kompetenz und Integrität sind Voraussetzungen für legislative Entscheidungen, Entscheider treffen nur eine oder wenige Entscheidungen, die große Bedeutung für ihr ganzes Leben haben, der Prozess ist transparent und frei von gezielter Einflussnahme.

Woran ist unsere Demokratie gescheitert?

Was leistet Demokratie und wieso zerstört sie sich zum wiederholten Male selbst?

Und was kann man daraus lernen?

Doch fangen wir damit an, was die Demokratie Gutes leistet. Sie setzt die potentiellen Regenten einem sehr harten Auswahlprozess aus. Volldeppen scheitern an den rhetorischen Anforderungen und debile Monarchensöhne bleiben uns nunmehr erspart. Wer seine Bosheit überhaupt nicht verstecken kann, hat genauso wenig eine Chance, wie der, der das Volk zu offensichtlich bluten lässt.

Doch all dies sind sehr relative Anforderungen. Mit George W. Bush wurde ein Regent wiedergewählt, der über mäßige rhetorische Begabung verfügt, der sein Volk belogen hat und damit aufgeflogen ist, es in einen sinnlosen, teuren Krieg geführt hat, in diesem Krieg weitgehend gescheitert ist, den Löwenanteil der Bevölkerung hat ausbluten lassen und sein Land ruiniert hat. Das ist schlimm doch minderbemittelte und bösartige Despoten haben weit schlimmeres angerichtet. Demokratie bietet offenbar einen begrenzten Schutz davor.

Interessenausgleich?

Der Kern der Demokratie ist der Interessenausgleich. Interessenausgleich gibt es seit vielen Jahrhunderten. Könige können schon sehr lange nicht mehr nach belieben schalten und walten. Doch früher waren die Parteien des Interessenausgleichs oft recht begrenzt. Sie rekrutierten sich im Wesentlichen aus Adel und Klerus. Und es war die Regel, dass einzelne Parteien durch Intrigen und andere Mechanismen aus dem Prozess des Interessenausgleichs herausfielen.

Es ist ein Verdienst der Demokratie, dass jeder, der viel Geld und/oder viel (Meinungs-) Einfluss hat, am Prozess des Interessenausgleichs teil hat. Dadurch bekommen die Interessen des Volkes tatsächlich ein etwas höheres Gewicht und finden mehr Berücksichtigung in dem Prozess. Doch Demokratie bietet nicht annähernd genügenden Schutz gegen die Einflüsterung von Partialinteressen, wie z.B. das Beispiel des FDP-Steuergeschenks an die Hoteliers zeigt (vorletzter Satz des Absatzes).

Tatsächlich sahen die letzten Jahrzehnte eine Zunehmende Professionalisierung der Interessenvertretung. Gleichzeitig nahm die Fähigkeit der „Spin-Doktoren“, die öffentliche Meinung zu beeinflussen solche Ausmaße an, dass Lobbyismus den Einfluss der Volksinteressen sehr weit zurückgedrängt hat.

Lobbykratie!

Ein Grundproblem der Demokratie ist, dass Entscheidungsträger auf externe Experten angewiesen sind, die sich mit der betreffenden Materie auskennen. Und die besten Experten arbeiten meist für die, die die größten Interessen (Investitionen) in den betreffenden Bereichen haben. So bekommen die, die ein finanzielles Interesse in einer gegebenen Frage haben, oft stark überproportionalen Einfluss in ihrem Bereich.

Dabei sind die Einflüsterungen der Lobbyisten noch vergleichsweise subtil. In vielen Fragen werden unsere Entscheidungsträger von Interessenvertretern erpresst. Ein besonders offensichtliches Beispiel ist in diesem Artikel beschrieben: Mitarbeiter des griechischen Parlamentes verhinderten eine Abstimmung bis ein ihnen nicht genehmer Passus aus dem Gesetzesentwurf entfernt wurde.

Doch auch in Deutschland kann sich kein Parlamentarier beispielsweise gegen Springer stellen, da die BILD als Gegner i.d.R. ein politisches Todesurteil ist. Dieser Umstand dürfte uns unter anderem das (mit Ausnahme von den Profiteuren) einhellig verdammte Leistungsschutzrecht beschert haben. Und immer wieder kommt es vor, dass Interessenvertreter mit dem Abbau von Arbeitsplätzen drohen, was meist ein „Killerargument“ (sprich Erpressung) ist und jede Debatte beendet.

Wenn der Prozess des Interessenausgleichs Opfer von Erpressung geworden ist,

  • werden Sachlagen oft völlig ignoriert (z.B. das Gutachten des Max Planck Instituts für Immaterialgüterrecht zum Leistungsschutzrecht),

  • versteckt (z.B. die geheimen Verträge über die Berliner Wasserversorgung, die sehr lange gegen den Volkswillen geheim gehalten wurden)

  • und verfälscht (Armutsbericht , Gorleben-Gutachten siehe „Einflussnahme der Regierung Helmut Kohls“).

Kuhhandel

Wenn man sich den eigentlichen Prozess des Interessenausgleichs ansieht, wundert es nicht, dass dieser völlig korrumpiert ist. Es ist nicht etwas so, dass da die Interessen des Volkes abgewogen werden um einen möglichst ausgewogenen Kompromiss widerstreitender Interessen zu finden. Viel mehr handelt es sich um einen gnadenlosen Konkurrenzkampf desillusionierter Karriere-Politiker, die fürs eigene Fortkommen die Interessen ihrer Wähler verschachern. Wir haben unser Wohl und Wehe an eine Bande – wenn auch ehemals idealistischer – Gebrauchtwagen-Händler delegiert.

Wer die Wahl hat bekommt die Qual

Das definierende Element der Demokratie ist bekanntlich die Wahl. Bemerkenswert ist nun, dass – wie jeder Bürger einer Demokratie bestätigen kann – ausgerechnet die Wahl Regierung in weiten Teilen unmöglich macht. Für ein ganzes Jahr – das gefürchtete „Wahljahr“ – liegen die Regierungsgeschäfte großenteils danieder und die gewählten „Volksvertreter“ beschränken sich weitgehend aufs Verwalten. Reformen sind ausgeschlossen.

Doch die schädliche Wirkung der Wahl geht weit über das Wahljahr – immerhin rund ein Viertel der Zeit – hinaus. Unsere Entscheider werden immer nur für einen begrenzten Zeitraum gewählt, meist vier oder fünf Jahre. Weil das so ist, weil nach spätestens fünf Jahren über das Weitere Schicksal unserer Entscheider entschieden wird, können sie kaum Entscheidungen treffen, die kurzfristige Einschnitte bedeuten und erst jenseits dieses Zeithorizontes positive Folgen haben.

Gesetze sollten eigentlich für eine lange Zeit gemacht sein. Doch tatsächlich erleben wir fortwährende Schnellschüsse und Flickschusterei. Kaum ein politisches Projekt ist auf zehn Jahre angelegt, geschweige denn länger.  Bei der nächsten Wahl darf es nicht gar zu fatal aussehen, danach ist die Frage ohnehin nur noch, wer geschickter lügt.

Damit ist Demokratie ein völlig ungeeignetes System um den großen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Denn diese Herausforderungen haben alle einen sehr langen Zeithorizont:

  • Seit vierzig Jahren (in den alten westlichen Industrienationen) kommt das Wirtschaftswachstum nicht mehr mit dem Produktivitätswachstum mit. Die digitale Revolution verschärft das Problem gerade wieder. Selbst Deutschland, das mit Lohndumping versucht, dieses Problem zu exportieren, kann nur noch Arbeit umverteilen. Seit 20 Jahren wird in Deutschland pro Jahr ungefähr die gleiche Zahl an Arbeitsstunden geleistet (nämlich 57-58 Milliarden; Statistisches Jahrbuch 2012 des Bundesamtes für Statistik Seite 350, oberste Tabellenzeile). Und ganz Europa erstickt an der Deutschen Strategie. Die soziale Marktwirtschaft funktioniert unter diesen Bedingungen nicht mehr und die Politik ist völlig handlungsunfähig –  wenn sie nicht gerade wie die SPD mit der (meiner Meinung nach übrigens verfehlten) Agenda 2010 nachhaltigen politischen Selbstmord begeht, was ja eigentlich nicht im Sinne des Systems ist.

  • Ebenso lange ist bekannt, dass unser Gesellschaftsmodell nicht skaliert, weil der Planet nicht genügend Ressourcen hergibt. Deutschland ist es als einem von ganz wenigen Ländern gelungen, überhaupt halbherzige Schritte zur Lösung des Problems zu unternehmen. Wir laufen sehenden Auge ins Verderben, doch Lobbykratie und die Kurzfristigkeit demokratischer Entscheidungshorizonte lassen uns unseren Ritt ins Verderben beschleunigen statt einen anderen Weg zu suchen.

  • Der Demografische Wandel kommt auch nicht überraschender als die beiden obigen Probleme. Doch statt nach Lösungen zu suchen, werden unsere künftigen Senioren an die private Finanzwirtschaft verschachert.

Diese Probleme bedürfen größter Weitsicht. Sowohl die Entwicklung der Probleme wie ihre Lösung nimmt ganze Generationen, ja ganze Lebenspannen in Anspruch. Und je länger wir warten, desto teurer wird es. Und wir warten immer noch.

Demokratie war laut Churchill die schlechteste Regierungsform – außer all den anderen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert wurden. Doch auch das liegt hinter uns. Mittlerweile spricht selbst unsere Kanzlerin von marktkonformer Demokratie. Was nun? Zurück zur schlechtesten Regierungsform, zur Demokratie, die unsere Zivilisation und den Planeten, den sie bewohnt, mit Vollgas auf einen  Abgrund zusteuert und kurz vor der Klippe aus dem Wagen springt, sich selbst abschafft?

Ich glaube – nicht im Sinn von „ich vermute“ sondern es ist meine Überzeugung – dass wir etwas neues ausprobieren müssen. Die soziale Revolution der Vernetzung und das Vakuum, das die Demokratie hinterlassen hat, bringen uns heute in eine einzigartige Situation. Wir können und müssen unser Zusammenleben neu erfinden. Was können wir nun aus dem Scheitern der Demokratie lernen? Darum wird es in meinem nächsten Artikel gehen.

Anti Amok Utopie

Wie müsste eine Gesellschaft aussehen, in der jeder schnell und risikolos an eine Kriegswaffe gelangen kann?

Es ist jetzt bestimmt zehn Jahre her, eher mehr. Doch die Erinnerung ist lebhaft. Denn es war das Highlight der Exkursion. Im Fraunhofer-Institut stand das Ding. Es war nicht der Grund, aus dem wir da waren. Wir wollten irgendeinen Laufroboter besichtigen. Doch dieser Plexiglaskasten war sehr viel eindrucksvoller. Primitiv zwar, doch unverkennbar standen wir vor dem Urahn des Star Trek Replikators. Ein früher 3D-Drucker im Fraunhofer-Institut.

Bei unserem Staubsauger ist diese Halterung rausgebrochen, wo man das Saugrohr im Lagerzustand reinhängt. Ich habe das Teil mit Blender modelliert. Ein Kollege hat jetzt einen 3D-Drucker und hat mir das Teil gedruckt. Der erste Versuch scheiterte an meiner Klebetechnik – habs zu heiß gemacht. Der zweite war ganz gut, aber ich hätte vorm Kleben schmirgeln müssen, hat nicht lange gehalten. Beim dritten experimentierte mein Kollege mit dem Material – zu schwach. Aber wir kriegen das in den Griff, kein Zweifel. Die Technik steckt für den Heimbedarf noch nicht mal in den Kinderschuhen sondern in so einem Säuglings-Strampler mit Söckchen dran. Doch das Potential ist unverkennbar.

Gewehr Gedruckt

Cody ist ein Ami. Und selbst für einen Ami sind seine Vorstellungen von Freiheit „interessant“ – wenn auch leider keineswegs einzigartig. Er findet, jeder sollte das Recht haben, mit Kriegswaffen rumzulaufen. Obama findet das nicht. Oder Obama sieht nach dem Newtown Massaker eine Chance mit dem Thema Wählerstimmen abzugreifen. Was auch immer. Aber nicht mit Cody. Cody arbeitet daran, mit einem 3D-Drucker ein Teil herzustellen, mit dem man aus einer Halbautomatik-Waffe eine Maschinengewehr machen kann. Und er druckt größere Magazine. Denn natürlich sollte jeder das Recht haben, mit fünfzig-Schuss Magazinen in seiner Kriegswaffe rumzulaufen – egal was Obama meinen lässt. Cody ist erfolgreich. 600 Schuss ohne Ausfall.

Ich war lange in keinem Fraunhofer-Institut mehr. Aber die Drucker haben die Forschungsanstalten eh lange verlassen. Sie krempeln gerade die Industrieproduktion um. Lasersintern. Selektives Laserschmelzen. Damit lässt sich Metall und Keramik drucken. Ich versteh nichts von Metallurgie. Aber die Technik – Laser, Argon-Athmosphäre, diverse Stähle als Werkstoffe – klingt für mich, als könnte man damit grundsätzlich auch Waffenstahl drucken. Man kann Härten und Anlassen, den Kohlenstoffanteil und die Legierung wählen. Durch die ultradünnen Schichten hat man unvergleichliche Kontrolle über die Materialeigenschaften. Im Zweifelsfall müssen die Läufe deutlich dicker sein als bei High-Tech-Waffen. Das macht sie schwerer aber nicht weniger tödlich.

Amok auf Abruf

Wann kommt diese Technik in unseren Haushalten an? Meine Tochter erklärt meiner Frau ihr Handy. Erklärt meine Enkelin meiner Tochter dereinst ihren Lasersinter? Druckt mein Enkel eine Kalaschnikow, wenn er das Mobbing nicht mehr aushält?

Heute bereiten sich Amokläufer lange auf ihre Tat vor. Das schwierigste und langwirigste ist die Waffenbeschaffung. Das ist viel Zeit für Zweifel. Wie muss eine Gesellschaft aussehen, in der jeder, sofort, ohne Risiko, ohne großen Aufwand, ohne Probleme oder Kosten, eine Kriegswaffe drucken kann?

Um das gleich mal aus der Welt zu schaffen: Es gibt da nicht die eine Lösung, auch keine simplen Lösungen, es ist nicht ganz einfach und es wird ganz bestimmt nicht alles gut.

Verbrechen Deorganisieren

Der wichtigste Aspekt im Umgang einer Gesellschaft mit der Verfügbarkeit schwerer Waffen ist das organisierte Verbrechen. Darauf will ich jetzt aber gar nicht groß eingehen. Die USA demonstriert überzeugend, dass man dem mit Null-Toleranz und Sicherheitspolitischer Aufrüstung nicht Herr wird. Man kann dem organisierten Verbrechen aber beikommen, indem man ihm die Grundlage entzieht. Ich habe das für Drogen-Handel mal hier dargelegt und für Menschen-Handel hier. Für Drogen beweist Portugal übrigens seit einem Jahrzehnt, dass das keinesfalls ein Hirngespinst ist.

Der Waffenhandel erledigt sich ja vermutlich von selbst. Schrecklich, aber nun geht es ja gerade darum, wie man damit umgehen kann. Andere Betätigungsfelder des organisierten Verbrechens lassen sich durch allgemeine wirtschaftliche Transparenz bekämpfen, wie ich sie z.B. hier und hier analysiere.

Gemeinschaft gegen Amok

So. Zum Thema. Amok. Das Problem verschärft sich vor allem dadurch, dass Waffen leicht und schnell zugänglich sind. Es ist davon auszugehen, dass die heute „erfolgreichen“ Amokläufer nur ein winziger Bruchteil derer sind, die grundsätzlich in Frage kämen. Nur die, die ihr Vorhaben über Monate konsequent verfolgen, laufen heute Amok. Wenn ein gemobbter Schüler am nächsten Tag mit einer Uzi in der Tür des Klassenraumes stehen kann, dürfte das ein Problem werden. Gleiches gilt für die Gemobbten, Geschassten, Aufgegebenen, Ausgeschlossenen in Schulen, Fabriken, Büros, Arbeitsämtern, Altenheimen und so weiter.

Das Amok-Potential unserer Gesellschaft ist erschütternd, weil wir es uns leisten, so, so viele aus unserer ohnenhin atomisierten Gemeinschaft auszuschließen. „Gemeinschaft“ ist das Schlüsselwort. Wenn jeder beim nächsten Treffen mit einer automatischen Waffe auftauchen kann, gibt es zwei Möglichkeiten, dem zu begegnen: Wir rüsten alle auf. Oder wir vertrauen einander.

Vertrauen setzt aber Vertrautheit voraus, Gemeinschaft. Wenn wir nicht zu einer Gesellschaft von Waffennarren werden wollen, müssen wir wieder eine Gemeinschaft werden. Wir müssten zum Beispiel die Getthoisierung von all jenen aufgeben, die ihr Leben (noch) nicht auf dem Altar des Konsums opfern, wie ich hier erörtere. Wir müssten allen eine Chance geben, mit uns zusammen etwas zu unserer Gesellschaft beizutragen. Dazu müssen wir uns Regeln geben, die Arbeit verteilt und mehr nach persönlichem Einsatz entlohnt als nach persönlicher Chancenlosigkeit.

Wir müssten aufeinander achten und dazu müssten wir ein Stück von unserer eingebildeten Privatsphäre abgeben. Wir müssten mehr Zeit miteinander verbringen als damit, uns zu besseren Konsumenten erziehen zu lassen. Und wir müssten füreinander Verantwortung übernehmen. Diesen letzten Artikel habe ich noch nicht geschrieben. Wird nachgeliefert.

Von Gläsern, Dietrichen und der großen Freiheit

Wir glauben Freiheit für unsere Sicherheit eintauschen zu können und verlieren dabei beides.

Meine Thesen sind radikal. Denn es sind die Kompromisse, die ich einer radikalen Realität abringe. Vor über zehn Jahren schrieb ich am ersten Entwurf der Utopie, die Thema dieses Blogs ist. Ich entwarf eine Gesellschaft, in der jeder jeden Moment seines Lebens dokumentiert. Eine Gesellschaft ohne Verbrechen, Misstrauen … Privatsphäre. Nun – etwas später als ich damals erwartete – steht das Life-Logging-Device vor unserer Tür: Google-Glass. Und ich habe meine Meinung geändert.

Wir können und müssen unsere Privatsphäre noch ein bisschen schützen. Doch um das zu tun, müssen wir unseren Begriff von Privatheit sehr viel enger fassen als es den meisten lieb ist.

Als ich mit diesem Thema anfing, gab es Handys, Digitalkameras, erste soziale Netze und Moore’s Law. Es war ziemlich klar, dass das Life-Logging-Device kommen würde. Heute sind ein paar andere Dinge ebenso klar.

2023

Ein Ausflug in die Welt von 2023 – wenn unsere Kultur bis dahin nicht kollabiert. Überwachungskameras auf öffentlichen Plätzen werden langsam bedeutungslos, weil autonome Automobile jeden Quadratzentimeter mit Infrarot, Radar, Ultraschall und Video abscannen. Mit dem Arsenal, kann man vielleicht auch schon einfache Lügendetektoren verwirklichen. Mini-Drohnen erledigen kleine Kurierdienste und liefern Sensor-Überwachung aus der Luft. Unsere Handys, Wrist-Screens oder was auch immer registrieren unsere Position, Richtung, Beschleunigung. Glass-ähnliche Geräte erfassen uns aus unmittelbarer Nähe. Jeder Druck auf einen Lichtschalter wird von einem intelligenten Stromzähler registriert. Bewegungsmelder, Heizungen, Ladegeräte und weitere Elemente des allgegenwärtigen Energie-Managements umgeben uns mit ihren Sensoren und Netzwerken.

Mehr Mauern!

Wers mag kann sich bei diesen Aussichten ordentlich gruseln und auch gleich noch mal auf Google Glass schimpfen. Ändern wird das nichts. Mich gruselt es vor der sozialen Vision, die der Mainstream für diese Zukunft vorsieht.

Wir wollen eine Welt voller Mauern und Zäune. Man kann keine paar Meter gehen, ohne vor einer Tür zu stehen. Und alle diese Türen sind fest verschlossen. Nur für ganz wenige habe ich einen Schlüssel. Was hinter diesen Türen liegt, bleibt mir verborgen. Aber einige Menschen – gar nicht mal so wenige – haben Generalschlüssel. Einige haben auch Dietriche und das Wissen, damit Türen zu öffnen.

Die Menschen mit den Generalschlüsseln bestimmen, wie das Manna dieser magischen Zukunft – die Information – durch die Knoten des allgegenwärtigen Informationsnetzes fließt. Sie legen falsche Spuren in Amazon-Bewertungen und Facebook-Profilen und zeigen den Menschen nur das, was diese sehen sollen, lenken sie dahin, wo sie sie haben wollen.

„Together the powerful spy on the powerless, and they’re not going to give up their positions of power, despite what the people want.“

Bruce Scheier in The Internet is a surveillance state

Alu gegen Freiheit

Unsere Leben verlagern sich mehr und mehr in die Welt der Information. Diese ist ein dystopischer Gefängnisstaat. Und die, die unser Streben nach Freiheit anführen sollten, die digitalen Bürgerrechtler, setzen sich Aluhüte auf und schreien nach dickeren Gefängnismauern. Was ist nur aus uns geworden? Freiheit war über Jahrtausende das Ziel, das die Beherrschten einte. Und heute? Heute geht es nicht um Freiheit, sondern um Sicherheit. Die Sicherheit einer Gefängniszelle. Wir glauben Freiheit für unsere Sicherheit eintauschen zu können und verlieren dabei beides. Ich will das nicht. Ich will Freiheit.

Doch dafür muss ich akzeptieren, was heute schon eine verdrängte Wahrheit ist. Es gibt keine garantierte Privatheit digitaler Information. Privatheit gibt es in meinem Kopf und in meinen eigenen vier Wänden – wenn ich Glück habe. Darüber hinaus wird es sehr schnell sehr dünn mit der Privatheit.  Wenn ich schon keine garantierte Privatheit jenseits eines sehr engen Bereiches haben kann, dann will ich wenigsten all die Vorteile, die Offenheit und Transparenz hat. Und ich will Freiheit.

Ich sollte wissen, was Twitter weiß

Wir haben Angst vor Twitter, Google, Facebook. Wieso kann es nicht umgekehrt sein?

Dies ist eine Entgegnung auf Martin Weigerts Artikel “Ich weiß, was du diesen Sommer twittern wirst”. Dort geht es darum, dass Daten – insbesondere Big Data – Menschen vorhersehbar machen und wie das missbraucht werden könnte – ein lesenswerter Artikel. Leider fügt er sich nahtlos in die große Menge derartiger Artikel ein, wenn er auch qualitativ eher positiv hervorsticht und das Thema immerhin differenziert betrachtet.

Das größte Missbrauchs-Potential sieht Martin Weigert in gezielter Meinungsmache zu konkreten politischen Projekten. Ja, in der Tat, Spin-Doktoren, Profi-Lobbyisten, Kampagnen-Journalisten – sie alle sind fleißig dabei die Reste unserer erodierten Demokratie zu zerstören und mit mächtigeren Werkzeugen wird das schneller gehen. Doch so weit muss man meiner Meinung nach gar nicht denken.

Wissen ist Geld ist Macht

Google, Facebook und andere können das Verhalten von Menschen beeinflussen. Diese Fähigkeit ist die Grundlage ihrer Geschäftsmodelle. Die Möglichkeit, das Verhalten von Menschen zu beeinflussen nennt man auch schnöde “Macht”. Informations-Konzerne haben sich zu gigantischen in keiner Weise legitimierten Machtzentren gewandelt.

Nutzen sie diese Macht zur Förderung des Gemeinwohls? Eher nicht. Wie alle großen Konzerne diversifizieren sie ihre Macht. Sie versuchen mehr Einfluss in der Informationswirtschaft zu erlangen, sie verdienen sehr viel Geld (= Macht) und beginnen auch politisch Einfluss zu nehmen indem sie ihre Lobby-Ausgaben erhöhen und eigene Kampagnen fahren.

Werbung für den Untergang

Dabei ist ihr Kerngeschäft die Werbung, die Förderung eines konsumeristischen Weltbildes und Lebensstils, der auf der Ausbeutung der Arbeit und Ressourcen wirtschaftlich unterlegener Kulturen basiert und unseren Planeten in atemberaubenden Tempo zerstört. Ich kann da nicht Gutes aber sehr viel Schlechtes dran erkennen.

Dennoch scheint die Einsicht recht abwegig zu sein, dass gigantische, unkrontrollierte Machtkonzentrationen an sich etwas Schlechtes sind. Warum? Warum akzeptieren wir das einfach? Weil es unvermeidlich scheint?

Machtdiffusion

Ich glaube, die offensichtliche Neigung unseres Wirtschaftssystems zu solchen Machtkonzentrationen ist ein Systemfehler – einer der sich durch eine Reihe von Eingriffen überwinden ließe, ohne dafür dieses System komplett aufgeben zu müssen. Ein wichtiger Faktor für die Neigung unseres Systems zur Machtkonzentration ist unsere Informationsgesetzgebung.

Geschichtsstunde

Es ist mittlerweile offensichtlich, dass die von uns gewährte Möglichkeit, anderen die Nutzung bestimmter Informationen zu verbieten, unmittelbar zu Machtkonzentration führt. Die Indizienkette dazu reicht von der Effizienzsteigerung der Dampfmaschine Anfang des 19. Jahrhunderts über den englischen Buchmarkt um die Mitte des 19. Jahrhunderts, die Bell-Company, IBM, Microsoft, Google bis zu Facebook.

Und in all diesen Fällen gibt es deutliche Hinweise, dass es ohne Patente, Copyright und andere Informationsschranken nicht deutlich schlechter gegangen wäre.

Nachdem das unsäglich Patent von Watt auslief, beschleunigte sich die Effizienzsteigerung der Dampfmaschine stärker als durch Watt – ohne dass die entsprechenden Entwicklungen patentiert worden wären. Der urheberrechtslose Buchmarkt in Deutschland war diversifizierter, schneller und größer als der konzentrierte englische und bot dem durchschnittlichen Autor bessere Verdienstmöglichkeiten.

Microsoft hatet Ende der 90er das Internet verschlafen und hat es dann geschafft, die Entwicklung der Web-Technologie mindestens um fünf Jahre zu verlangsamen indem sie ihren marktbeherrschenden Browser „Internet Explorer“, der für jeden Web-Entwickler eine unerträgliche Zumutung war, über Jahre nicht weiter entwickelten, manche Standards kaputt-verhandelt und andere mit ihren “Alternativ”-Entwicklungen und extra “Features” untergraben haben.

Freiheit für Information und Mensch

Was ist die Schlussfolgerung aus all dem? Information darf in der Wirtschaft keine Schranken haben. Sie, lieber Leser, Martin Weigert und ich, wir alle müssen in der Lage sein, bei Google in die Firma zu spazieren, unsere (gegebenefalls “sterilisierten”) USB-Sticks in beliebige Computer zu stecken, und zu kopieren, was uns interessiert. Wir müssen die Überwachung unserer Wirtschaft Crowd-sourcen. Und wir müssen verhindern, dass solche gefährlichen Leviathane wie Google und Facebook in Zukunft entstehen. Wir können nicht verhindern, dass andere Einfluss auf uns haben. Aber wir können verhindern, dass dieser Einfluss auf wenige Akteure konzentriert wird.

Machtfragen

Welche verbreiteten Vorstellung gibt es darüber, wie unsere Gesellschaft organisiert sein sollte? Wie ordnet sich dieses Blog da ein?

Wie soll unsere Gesellschaft organisiert sein? Das läuft auf die Fragen hinaus: Wie werden Entscheidungen getroffen, wie Macht verteilt? Es gibt zwei starke Fraktionen unter uns, die versuchen, ihre jeweilige Antwort auf diese Frage durchzusetzen. Die einen sind die aktuellen Machthaber in Staat und Wirtschaft. Die anderen sind der überwiegende Teil der linken und progressiven Kräfte. Dann gibt es noch libertäre und anarchistische Splittergruppen sowie Proponenten von (auch flüssigen) Basis-Demokratien und Räte-Republiken. Meiner Ansicht nach liegen diese alle „falsch“. Keine der verbreiteten Antworten stellt mich auch nur ansatzweise zufrieden, weshalb ich mich vor vor gut zehn Jahren diesem Thema verschrieben habe.

Wirtschaft versus Staat

Die aktuelle Machtelite möchte die Steuerung unserer Gesellschaft im Großen wie im Kleinen der Geld-getriebenen Marktwirtschaft überlassen. Der Staat soll lediglich einen rechtlichen Rahmen bieten, der marktwirtschaftliche Transaktionen rechtlich vorhersagbar macht und die so errungenen Vorteile gegen die Benachteiligten absichert. Dazu soll eine weitgehende Überwachung der Bevölkerung und autoritäre Durchsetzung der Gesetze im Law & Order Stil umgesetzt und andere – z.B. Sozial-Gesetzgebung – zurückgefahren werden. Große Kapital- und somit Macht-Akkumulation wird als segenbringend begrüßt. Macht wird vor allem an wirtschaftlich Erfolgreiche und ihre Erben verteilt. Entscheidungen werden nach der Maxime der Maximierung des Profits getroffen. Diese Position lässt sich zusammenfassen als „Alle Macht den Kapitalisten“.

Die populärste Replik darauf lautet heute wie vor hundert Jahren: „Alle Macht dem Staat“. Die Extremposition dieser Fraktion ist der Sozialismus. Diese Position hat mit dem Zusammenbruch des Ostblocks stark an Einfluss verloren. Doch Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen setzen letztendlich schon darauf, dass der Staat Geld und somit Macht einsammelt und wieder verteilt. Mindesteinkommen, Bankenaufsicht, politische Europäische Einheit und Solidarität – all dies sind Forderungen nach einem starken Staat, der uns vor den Kapitalisten beschützt. Die Macht wird auf gewählte Repräsentanten konzentriert. Da Repräsentanten i.d.R. alleine nichts entscheiden können, müssen Mehrheiten organisiert werden. Entscheidungen werden also nach der Maxime des politischen Kuhhandels und der Wiederwahl in spätestens vier Jahren – also kurzfristiger Popularität – getroffen. Letzteres bedeutet, dass Entscheidungen vor allem bei jenen gut ankommen müssen, die nichts von der Materie verstehen – denn von den allermeisten Themen verstehen auch ausgesprochene Experten von Einzeldisziplinen nichts.

Ferner liefen

Anarchisten lehnen eine formale Regelung der Gesellschaft gänzlich ab. Meist stehen dahinter linke Ideologien und die Hoffnung, dass Menschen sich „von allein“ vernünftig verhalten. Diese Ideale finden sich schon in der jüdischen Heilsversprechung (Schalom) und (sehr viel später) im Kommunismus. Libertäre wünschen eine Form von Anarcho-Kapitalismus.

Basisdemokraten aller Couleur fordern die Verteilung von Macht gleichmäßig auf alle. Die Extremposition dieser Richtung ist die Räte-Republik („Rat“ in diesem Sinn heißt auf russisch „Sowjet“, die Sowjet-Union war allerdings eine Diktatur). Ich kann nicht sagen, welche die Entscheidungsprinzipien einer reinen Basisdemokratie wären, da das Prinzip nicht auf größere Gruppen von Menschen skaliert – sprich Basisdemokratie funktioniert nur in sehr kleinem Rahmen und ist dort schon recht anstrengend.

Die von den Piraten favorisierte liquid (= flüssige) Demokratie ist eine Mischform aus Basis-Demokratie und repräsentativer Demokratie (das aktuelle deutsche politische System). Es gibt noch keine hinreichenden Erfahrungswerte mit flüssiger Demokratie um Aussagen über die Entscheidungsprinzipien zu treffen.

Die deutsche und skandinavische Praxis der sogenannten sozialen Marktwirtschaft ist eine Kompromissposition aus Kapitalismus und (repräsentativ-demokratischem) Sozialismus. Tatsächlich ist das deutsche System in dieser Hinsicht auffällig ausgewogen. Etwa die Hälfte des Geldes, also die Hälfte der Macht, wird wirtschaftlich gesteuert, die Hälfte politisch. Allerdings hat die Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten massiv Einfluss auf die Politik erlangt und große Teile der politisch verwalteten Macht werden nach wirtschaftlichen und teils entsprechend unmenschlichen Gesichtspunkten angewendet.

Summa Summarum

Hier noch einmal eine kompakte Zugsamenfassung aller hier besprochenen Extrem-Positionen:

  • Alle Macht den Kapitalisten; Entscheidung nach Profitmaximierung;
  • Alle Macht dem Staat; Entscheidung nach Popularität;
  • Keine formelle Macht-Verteilung;
  • Macht gleichmäßig an alle verteilen;

Bezüglich der Verteilung der Macht gibt es offenbar nur zwei Positionen: Starke Konzentration oder maximale Verteilung. Konzentriert wird entweder auf Superreiche oder Regierungsoberhäupter und ihr Kabinett. Verteilt wird auf alle oder gar nicht – wobei Letzteres eine informelle Verteilung impliziert. Mir ist nur ein einziges Konzept bekannt, das wenigstens versucht, die Verteilung der Macht etwas intelligenter zu gestalten – die flüssige (liquid) Demokratie. Doch ich vermute, das Konzept scheitert daran, wie Entscheidungen letztendlich zustande kommen, da es die meisten Fehler gängiger Demokratie-Konzepte wiederholt und teils verschlimmert.

Staattdessen

Mein Ideal ist eine Verteilung der Macht, die so breit wie möglich und eine Konzentration, die so stark wie nötig ist. Wir brauchen keinen Führer eines ganzen Volkes – höchstens als präsidiale Identifikationsfigur. Wir brauchen keine unantastbaren Wirtschaftslenker. Aber natürlich sollten Entscheidungen von denen getroffen werden, die etwas von den anstehenden Problemen verstehen. Doch es gibt sehr viel mehr kompetente Entscheider als mächtige. Wir könnten und sollten Macht viel stärker verteilen. Wo starke Machtkonzentration nötig ist – z.B. wenn Gesetze für ein ganzes Volk gemacht werden – muss diese z.B. zeitlich begrenzt werden (auf die Verabschiedung eines einzigen Gesetzes), so dass die Macht nicht so leicht korrumpierbar ist und ein bewegliches Ziel bleibt. Macht sollte auch nicht – z.B. in Form von Vermögen – vererbbar sein.

Geld und Wählerstimmen sind nicht die schlechtesten Ratgeber. Aber es sind auch nicht die besten. Den Entscheidungen, die wir als Gesellschaft treffen fehlt eine langfristige Motivation. Und Menschlichkeit. Menschen streben nicht direkt nach Macht und Geld. Sie streben nach gegenseitiger Anerkennung. Und diese Anerkennung sollte direkten Einfluss auf unsere Entscheidungen haben. Mit Geld belohnen wir Menschen teils für Unmenschlichkeit. Doch unsere ehrliche und direkte Anerkennung vergeben wir für Integrität, Kompetenz, langfristigen Erfolg. Wenn es um den Ruf eines Menschen geht, geht es um eine Lebenspanne, nicht um eine Legislaturperiode. Es geht um unsere gesamte Urteilskraft, nicht „bloß“ um Geld. Achtung kann ich auch Entscheidungen entgegenbringen, die nicht in meinem unmittelbaren Interesse sind.

Verteilung der Macht so breit wie möglich und so eng wie nötig; Entscheidungen nach Kompetenz, persönlicher Verantwortung und gegenseitiger Anerkennung – diese zwei Prinzipien ergeben ein völlig neues System. Doch sieht es oberflächlich betrachtet nicht unbedingt so anders aus wie unser derzeitiges. Marktwirtschaft enthält beispielsweise bereits viele Elemente zur breiten Verteilung von Macht nach Kompetenz. Auch ist das alles nicht neu. Noch vor hundert Jahren war „Ehre“ ein enorm wichtiges Konzept.

Doch eine freiheitliche Gesellschaft, mit individualistisch liberaler Kultur, mit überall flachen bis nicht-existenten Hierarchien, mit über soziale Netzwerke vermittelter persönlicher Verantwortung und Anerkennung: das wäre eine beispiellose (R)Evolution, meine Vision für die Gesellschaft, in der ich leben möchte.

Einmal Recht, bitte

Was wäre, wenn man sich bei Vertragsabschluss (z.B. Kauf) ein Rechtssystem aussuchen könnte? Ein kundenfreundliches?

Der nächste bitte, was hättens denn gern? Einmal Recht, bitte.

Wer nicht gerade US-Amerikaner ist, ist höchstwahrscheinlich Kunde einer ausländischen, also US-amerikanischen, Firma – Google, Apple, Facebook, Amazon … Das kann alle möglichen rechtlichen Probleme mit sich bringen, wie zum Beispiel diese Norwegerin erfahren musste, die Dutzende von Büchern „verlor“. Wenn es zu rechtlichen Problemen kommt, ist man schnell völlig rechtlos, da kaum jemand in der Lage ist, sein Recht fern der Heimat und in einem fremden Rechtssystem durchzusetzen.

Diese sporadische Erfahrung von Internetnutzern ist kaum die Spitze des Eisberges. Gigantische Waren-, Dienstleistungs- und Geldströme werden in jeder Sekunde quer über den Globus durch unzählige Rechtssysteme bewegt. Im Gegensatz zu Privatpersonen haben Unternehmen meist die möglich, ihr Recht auch in fremden Rechtssystemen durchzusetzen. Doch auch dies bedeutet einen riesigen völlig sinnlosen Aufwand.

Wahlrecht

All diese wirtschaftlichen Transaktionen – zwischen Privatleuten und Unternehmen und zwischen Unternehmen untereinander – werden im Wesentlichen (in Deutschland) durch das Bürgerliche Gesetzbuch geregelt. Es gibt keinen prinzipiellen Grund, diese Art der Rechtsprechung geografisch – also national – zu binden. Es wäre durchaus praktikabel, ein beliebiges Rechtssystem zu wählen, egal, wo man sich auf dem Globus befindet. Natürlich würde sich kein nationaler Souverän dieses Vorrecht nehmen lassen, aber sehen wir davon erst mal ab.

Allein die Möglichkeit, sich international bei Vertragsabschlüssen (also z.B. bei der Eröffnung eines Accounts auf einem türkisch-russischen Server auf den Philippinen) auf eines von einer handvoll international etablierter Rechtssysteme zu einigen, allein diese Möglichkeit würde unsere Wirtschaft signifikant entlasten und könnte die Welt für ihre Bewohner ein klein bisschen besser machen. Das heutige System bevorzugt große Teilnehmer deutlich: Unternehmen stehen besser da als Privatleute und große Unternehmen besser als kleine. Denn Finanzkraft ist für das bestehen im internationalen Rechtschaos unabdinglich. Die seltenen Siege von David gegen Goliath erlangen nur aufgrund ihrer Absonderlichkeit eine gewisse Bekanntheit. Dass David sich international gegen Dole durchsetzt ist gleich ein historisches Ereignis.

Das Recht des Schwächeren

Man stelle sich vor, die Rechtsparteien hätten eine freie Wahl des Rechtssystems. Wie wäre es mit einem System, das die finanzstärkere Partei nicht bevorzugt? So ein System hätte das Potential, eine große Verbreitung zu finden. Denn für Kunden wäre ein Angebot unter so einem Rechtssystem ungleich attraktiver als unter einem beliebigen anderen.

Es ist allerdings nicht damit getan, ein Gesetzbuch zu „schreiben“. Eine Entität, die ein Rechtssystem anbietet, muss auch Jurisdiktion, Legislative und Exekutive anbieten. Das muss natürlich nicht alles aus einer Hand kommen, doch will ich darauf nicht näher eingehen. Rechtsprechung ist ein ausgesprochen komplexes unterfangen. Vor Gericht und auf hoher See sind wir bekanntlich allein in Gottes Hand. Doch trotz dieses Bonmots liegt der wesentliche Vorteil eines Rechtssystems darin, dass es eine gewisse Vorhersagbarkeit bietet, zumindest in „eindeutig“ gelagerten Fällen.

Rechtsstaat

Um diese Vorhersagbarkeit zu bieten bedarf es mehr als eines Gesetzbuches. Die Jurisdiktion muss als Prozess (im Sinn von „prozedural“) etabliert sein, der durch die Gesetze geregelt wird. Nur ein etablierter Rechtsprechungsprozess kann eine gewisse Vorhersagbarkeit bieten.

Eine Exekutive ist auch im bürgerlichen Recht nötig, um die errungenen Rechtstitel durchsetzen zu können. Exekutive benötigt im Gegensatz zu Judikative und Legislative geografisch lokalisierte Elemente. Es spielt keine elementare Rolle für die Nutzer eines Rechtssystems, wo Gesetze gemacht werden oder wo die Verhandlung stattfindet – letzteres kann zum Beispiel im Prinzip durch Tele-Präsenz irrelevant werden. Doch die Exekutive muss vor Ort Urteile gegen die Rechtsparteien durchsetzen und zum Beispiel physisches Eigentum pfänden können.

Daher kann die Exekutive eines internationalen Rechtssystem zum Beispiel aus Verträgen mit lokalen Exekutiven bestehen, oder darin, die errungenen Rechtstitel im lokalen Rechtssystem nochmal nach dem Vertragsrecht durchzusetzen und somit von der lokalen Exekutive durchsetzbare Rechtstitel zu liefern.
Eine Legislative letztlich ist nötig, um das Rechtssystem ständig den sozialen und technischen Neuerungen anzupassen.

All dies kann kaum in Form einer kommerziellen Dienstleistung erbracht werden. Wer würde schon einem Rechtssystem vertrauen, dessen Ziel allein die eigene Profitmaximierung ist, und das aufgrund der kulturellen Gegebenheiten vermutlich allein von den Unternehmen und nicht von Privatleuten bezahlt wird? Natürlich kann ein transnationales Rechtssystem Gebühren zur Kostendeckung erheben. Aber sein Ziel darf eben nicht die Rendite sein.

Ideal wäre es, wenn ein internationales Rechtssystem nicht nur zu dem Zeck existierte, unabhängigen Parteien als Service zur Verfügung zu stehen. Stattdessen sollte es aus internationalen staaten-artigen Gebilden hervorgehen. Nur so kann sich der komplexe Prozess aus Legislative, Judikative und Exekutive einschleifen, etablieren und genügend Vertrauen aufbauen, um tatsächlich unabhängige Parteien als „Kunden“ zu gewinnen. Internationale „Staaten“ sind ein eigenes Thema, das ich an anderer Stelle angeschnitten habe.

Preisgericht

Klassische Rechtssysteme kranken an der Bevorzugung, finanzstarker Parteien. Schon eine gerichtliche Instanz kann bei nicht trivialem Gegenstand mit ein paar Gutachten, Anwälten und Gerichtskosten schnell mal 10.000 € kosten. Juristisches Recht zu erstreiten können sich nicht viele leisten. Das ist eine große Chance für Alternativen: Wie wäre es, wenn ich bei Vertragsschluss – also z.B. mit einem Kauf – mein bevorzugtes Rechtssystem wähle. Die Rechtskosten könnten dann durch eine prozentuale Abgabe auf den Vetragsgegenstand gedeckt werden. Die Rechtskosten für einen Lolli wären geringer als für einen Fernseher. Im Falle eines Rechtsstreites fallen dann keinerlei zusätzliche Kosten an, bwz. nur im Falle des Missbrauchs des Rechtssystems. Eine universelle – zivilrechtliche – Rechtsschutzversicherung. Wahrscheinlich wäre es sachdienlich, die Streitparteien in geringem Maße – und vermögens- und einkommens-abhängig – an den Kosten eines tatsächlichen Verfahrens zu beteiligen, um eine Hemmschwelle einzubauen. Doch das sind Details 🙂

Kultur Kann Man Nicht Delegieren

Kultur ist das was wir alle tun und wie wir es tun. Kultur lässt sich daher nicht delegieren, Arbeitsteilung funktioniert hier nur sehr eingeschränkt. Das Urheberrecht einzuführen war einer der größten Fehler unserer jüngeren Geschichte.

Neulich lief mal wieder „I am Legend“ in der Glotze. Kannte ich schon, hatte ich mehr als einmal gesehen, wollte ich nicht nochmal sehen. Aber als ich den Fernseher einschaltete, landete ich zufällig in dem Film und zwar wenige Sekunden nach dem Anfang. Der Protagonist bewegt sich durch ein menschenleeres Manhattan, er Jagd ein Reh. Manns-hohes Gras wächst aus Rissen im Asphalt. Gerade als er seine Beute stellt, kommt ihm ein Löwen-Rudel zuvor. Ich bleibe in dem Film hängen und sehe ihn mit anderen Augen.

Medien Meister

Der Film hat zahlreiche sehr starke Szenen, die eines verbindet: sie machen sich sehr gut auf der Leinwand. Es ist ein enormes kreatives Potential in diesen Streifen geflossen. Daran gemessen ist der künstlerische Gehalt erschütternd gering. Doch es gibt noch viel krassere Beispiele für dieses Phänomen: Transformers, gigantische Roboter kämpfen um die Weltherrschaft. Die Protagonisten wurden mit enormen Aufwand in teils künstlichen, teils realen Settings zum leben erweckt. Allein der Aufwand, einen computergenerierten Robotor in einer Realfilm-Szene natürlich aussehen zu lassen, erfordert immense Meisterschaft und Kreativität. Während ein minimaler künstlerischer Gehalt es trotz kommerzieller Zwänge in „I am Legend“ geschafft hat, kann man das den Transformers nicht vorwerfen.

Ich habe mich Jahrzehnte gefragt, wo die Meisterwerke der bildenden Kunst unserer Zeit sind. Sind Gerhard Richter und Gesellen tatsächlich das Höchste was unsere Kultur hervorbringt? Nein, unsere visuellen Meisterwerke sind in der Matrix, im Herrn der Ringe und in Computerspielen, mit denen ich mich aber nicht mehr auskenne. Kunstwerke wie die Matrix hat keine Epoche vor uns hervorbringen können: Schauspiel, Choreografie, Musik, Lichtkunst, Skulpturen, „Malerei“ verbinden sich zu einem einzigartigen Gesamtkunstwerk. Abertausende unserer begabtesten Künstler arbeiten in CGI-Firmen, bei Spieleherstellern und natürlich in der Werbung.

Kommerz Kunst

Doch unsere Meisterwerke sind vor allem Produkte. In der Antike wurde nicht zwischen Kunst und Handwerk unterschieden. Zwar lässt unser „Handwerk“ in der Regel die künstlerische Liebe zum Werk vermissen, aber unsere Kunst ist meist ein Handwerk – und lässt leider zu oft und genau wie unsere Produkte die Qualität und handwerkliche/künstlerische Liebe zum Werk vermissen. Schließt sich bei uns der Kreis? Ist Kunst und Kultur um ihrer selbst willen ein exzentrisches Pläsier verbohrter Bildungsbürger?

Wir sind als Persönlichkeiten nicht von unserer Kultur unabhängig, ganz im Gegenteil. Wir sind zu einem erheblichen Maße was wir tun und wie wir es tun. Und eben das ist auch Kultur: Kultur sind Tischsitten, Redewendungen, Benimm und Höflichkeit, unser alltäglicher Umgang, die Art, wie wir unsere Arbeit verrichten. Kunst spiegelt immer die Alltagskultur. Kunst steht nie allein, Meisterwerke entstehen auf den Schultern von Riesen – den Meistern der Vergangenheit – und auf unser aller Schultern, denn wir schaffen die Kultur aus der die Meisterwerke hervorgehen.

Ich glaube an das Ideal, dass Kunst frei sein sollte. Doch die überwältigende Mehrheit der Kunst mit der ich im Alltag konfrontiert bin, ist nicht frei sondern verfolgt unerbittlich eins von lediglich zwei universellen Zielen: 1. Sieh her! 2. Kauf mich! Entweder soll Aufmerksamkeit für Werbung oder Umsatz des Werkes selbst erregt werden oder es handelt sich um Werbung. Oder einfacher gesagt: Es ist Eigenwerbung, Werbung für Werbung oder Werbung.

Arbeitsteilung = Delegation

Die enormen Fähigkeiten unserer Kultur sind auf Arbeitsteilung zurückzuführen. Arbeitsteilung ist eine phantastische Errungenschaft. Doch lässt sie sich nicht auf alles anwenden. Ich bin zu einem guten Teil was ich tue und Kultur ist, was wir alle tun. Wir können Kultur nicht delegieren, wir können nicht anders als sie selbst zu erschaffen. Natürlich gibt es Menschen unter uns, die besondere Fähigkeiten besitzen und einen herausragenden Beitrag zu unserer Kultur leisten. Und wir wollen tatsächlich, dass dieses herausragende Schaffen fast ausschließlich unter den Maximen „Sie her!“ und „Kauf mich!“ entsteht? Dass die Sperrspitze unserer Kultur mit derselben Lieblosigkeit produziert wird wie unsere Alltagsprodukte? Und wir wundern uns über die Lieblosigkeit der Letzteren während wir denen Kulturverachtung vorwerfen, die Freiheit für kulturelles Schaffen fordern?

Ideale

Unsere kulturellen Vorreiter sind Vorbilder und Ideale. Justin Biber und Konsorten haben ab einem gewissen Alter unserer Kinder größeren Einfluss auf dieselben als die Eltern. Wir sind was wir tun, Kultur ist was wir alle tun, Vorbilder prägen unsere Kultur, ihre Motive prägen die Vorbilder. Die Existenz und gegebenenfalls Gestaltung des Urheberrechts hat darum großen Einfluss darauf, wer wir sein werden. Sind Geld und Ruhm alles, was im Leben zählt?  „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ [unbekannt] Doch unsere Kultur wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach radikal wandeln. Zumindest hat sie das in den letzten Jahrhunderten getan.

Ein Blick in die Vergangenheit

Wo kommt unsere Kultur her, wer waren wir? Kultur ist das, was ihre Mitglieder tun und wie sie es tun. Was hätten wir, Sie und ich, früher um diese Zeit getan? Die folgende Beschreibung gilt für Bewohner der nördlichen gemäßigten Breiten mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dreihundert bis vor dreitausend Jahren.

Sie und ich, wir, Sie bei sich, ich bei mir. Ein kalter Herbst-Abend vor dreihundert Jahren. Nur dreihundert Jahre. Wir haben beide wahrscheinlich mit jemandem geredet, der mit jemandem geredet hat, der mit jemandem geredet hat, der das selbst alles erlebt hat. Um uns herum ist es mehr oder weniger düster. Vielleicht hat einer von uns beiden das Glück, sich ein paar Kerzen leisten zu können, oder stinkende Öllampen. Aber es um diese Zeit wirklich hell zu haben – das kann sicher keiner von uns zweien finanzieren.

Die Arbeit des Tages ist getan, denn im Dunkeln kann man nicht arbeiten. Wir können nicht lesen, ich als Mann mache keine Handarbeiten. Doch genau jetzt prägen wir unsere Kultur. Die Zeit der Reflektion des Tagewerks prägt das Tagewerk. Jetzt arbeitet die Tradition, die Kunst „das Feuer weiter zu tragen, nicht die Asche zu bewahren“ [Gustav Mahler]. Wir singen, wir erzählen unseren Kindern Märchen und uns Geschichten aus unserem Leben. Wir schaffen den Fundus, aus dem die Begabtesten von uns die Meisterwerke unserer Zeit schaffen.

Die Kultur formt Sein und Bewusstsein

Es ist kalt und feucht und zugig. Wie praktisch alle Menschen um diese Zeit in diesen Breiten, sitzen wir wahrscheinlich am Feuer. Wir kennen Feuer ganz genau. Wir haben endlose Stunden hinein geschaut in unserem Leben. Wir wissen genau, wie sich Holz in Asche verwandelt, vom lodernden Scheit zum glühenden Kohlen, zum Zerbrechen in kleinere Scheite, zum Glimmen und Erlöschen.

Was würden wir um diese Zeit tun, Sie und ich, in einer Kultur wie vor 300 oder 3000 Jahren? Ich würde ins Feuer starren, wie alle anderen. Dabei würde ich mir vielleicht Bilder vorstellen wie Hieronymus Bosch, Bilder, die ich natürlich niemals malen könnte. Denn mir würde das Geld für die teuren Utensilien fehlen und ich könnte gar nicht malen – wie sollte ich neben der harten Arbeit in meinem abgelegen Städtchen einen Meister finden und bezahlen? Oder ich würde mir Märchen von der Art ausdenken, die andere Eltern nicht so gern weiter erzählen. Abwegige Märchen, wie ich es auch jetzt tue. Ich könnte kaum Spuren hinterlassen.

Und Sie? Was würden Sie tun? Natürlich, Sie würden ins Feuer starren. Sie wüssten auf die Minute genau, wann der nächste Scheit bricht. Doch Sie hätten keine auch nur entfernt genaue Vorstellung, wie lange eine Minute dauert. Und was würden Sie sonst jetzt gerade tun, am Abend eines kalten Herbsttages?

Kultur kann man nicht delegieren

Stattdessen sitze ich auf dem Sofa. Der Kamin brennt, doch ich starre nicht in sein Feuer. Ich starre ins kalte Feuer eines Tablett-PC Bildschirms und tippe einen abwegig utopischen Text in sein angedocktes Keyboard. Sie blicken ebenfalls auf einen Bildschirm und lesen das Zeug. Wir machen immer noch Kultur. Ich indem ich ein mikroskopisches Tröpfchen zum kulturellen Schaffen beitrage, Sie indem Sie das weitertragen (durchs Erzählen, Liken, Verlinken) oder nicht.

Wow. Wir sind weit gekommen. Und wie soll es weiter gehen mit unserer Kultur? Mal angenommen wir verpassen eine erdrückende Zahl an Möglichkeiten, unsere Zivilisation zu vernichten, wo wollen wir in 30 und 300 Jahren an einem kalten Herbstabend sein und was wollen wir tun? Sie können diese Entscheidung nicht treffen, genauso wenig, wie ich. Aber Sie und ich können mit allen anderen entscheiden, ob und wem wir diese Entscheidung überlassen wollen. Ob wir sie wirklich allein kommerziellen Interessen überlassen wollen.

Und egal wie wir uns entscheiden: Wir können die Entscheidung anderen überlassen, doch abnehmen kann sie uns keiner. Denn Kultur ist das, was wir tun. Kultur kann man nicht delegieren.

Ode an die Marktwirtschaft

Die grundsätzliche Organisationsform unserer Wirtschaft ist wahrscheinlich der prägendste Faktor unseres Zusammenlebens. Hier wird eine marktwirtschaftliche Utopie entworfen.

Unsere wirtschaftlichen Aktivitäten bilden ein unvorstellbar komplexes Netz. Jeder trifft täglich Entscheidungen – teils einzelne, teils Dutzende – die an anderer Stelle wirtschaftliche Entscheidungen erfordern. Es beginnt beim Frühstück: Butter oder Margarine? Und geht so den ganzen Tag weiter. Alles was wir konsumieren muss in möglichst passender Menge produziert werden. Bei Produktion, Transport und Verteilung der Güter werden ebenfalls unzählige Entscheidungen getroffen, die wieder andere bedingen, und alle wirtschaftlichen Prozesse werden kontinuierlich optimiert, also verändert. All dies muss koordiniert werden.

Zentrale Planwirtschaft

Es gibt grundsätzlich zwei Wege, diese Koordination zu erreichen: Entweder man plant den gesamten Prozess von zentraler Stelle oder man bestimmt lediglich gewisse Regeln, an die sich alle halten müssen, und überlässt die Koordination dann der Selbstorganisation.

Ein Versuch der zentralen Planung war die sozialistische Planwirtschaft. Da es bisher aufgrund der Komplexität des Problems völlig aussichtslos war, tatsächlich alles an einer Stelle bis ins letzte Detail zu planen, wurden pyramidale Hierarchien gebildet. An der Spitze wurden grobe, strategische Entscheidungen getroffen und die Details der Umsetzung nach unten delegiert. Heute gibt es Ideen, die zentrale Planung mit Computerhilfe tatsächlich an einer Stelle zu konzentrieren.

Ich habe grundsätzliche Zweifel, dass die zentrale Planung funktionieren kann. Ich halte das Problem für zu komplex und zudem chaotisch. Ein System ist chaotisch, wenn kleinste Änderungen einige Zeit später gravierende Folgen haben können. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Schlag des Schmetterlingsflügels, der Wochen später über das Sein oder Nicht-Sein eines tropischen Wirbelsturms „entscheidet“. Das wirtschaftliche Geschehen ist ebenfalls ein chaotisches System und solche Systeme lassen sich prinzipiell nur begrenzt voraus-planen. Sie lassen sich aber sehr wohl dezentral steuern und stabilisieren.

Macht-Zentralisierung

Für noch wichtiger halte ich aber den Einwand der Machtkonzentration. Wenn man alle wirtschaftlichen Entscheidungen an einer Stelle konzentriert, ergibt sich dort eine immense Machtkonzentration. Ich glaube, dass dies der Hauptgrund für das Scheitern des Sozialismus ist. In hierarchischen Systemen hatten historisch und haben heute Menschen Vorteile, die sich gegen andere Menschen durchsetzen, die also ihre eigenen Interessen über die der Konkurrenz stellen und bereit sind, „über Leichen zu gehen“. Wenn alle wirtschaftlichen Entscheidungen zentralisiert werden, sammeln sich an dieser Schaltzentrale der Macht nicht die Mitfühlendsten und Wohlwollendsten unter uns.

Menschen haben grundsätzlich größte Probleme mit Macht. Nur sehr wenige scheinen ihr gewachsen zu sein. Deshalb ist mein wichtigstes Anliegen bei meinen Vorschlägen zur Organisation unserer Gesellschaft die Vermeidung von Machtkonzentrationen. Und deshalb ist mein Ideal für die Organisation unserer Wirtschaft die Marktwirtschaft – allerdings eine Form von Marktwirtschaft, die noch nie erreicht oder auch nur angestrebt wurde.

Zentrale Marktwirtschaft

Zwar ist Marktwirtschaft eine dezentrale Selbstorganisation nach Regeln an die sich alle halten müssen. Doch einerseits wird nur ein sehr kleiner Teil der wirtschaftlichen Entscheidungen nach diesen Regeln getroffen und andererseits werden diese Regeln als gegeben betrachtet.

Innerhalb von Firmen sind die marktwirtschaftlichen Regeln meist aufgehoben. Die Entscheidungsprozesse innerhalb von Firmen orientieren sich eher an den Prinzipien des Sozialismus als an denen der Marktwirtschaft. Firmen sind meist streng hierarchisch organisiert. Die Spitze trifft grobe strategische Entscheidungen und delegiert die detaillierten Entscheidungen zur Umsetzung nach unten. Eine komplexe und aufwendige Bürokratie dient meist – wie im Sozialismus – der Kontrolle und Korrektur der Umsetzung. Je größer eine Firma wird, desto mehr gleichen ihre Charakteristika und Probleme denen sozialistischer Betriebe. Um dieser fatalen Tendenz Herr zu werden, richten große Unternehmen oft sogenannte Profit-Center ein, die dezentrale, marktwirtschaftliche Prinzipien auch innerhalb der firmeneigenen Entscheidungsprozesse etablieren.

Auch auf unterster Ebene gibt es immer mehr Bestrebungen, die klassischen hierarchischen Entscheidungsstrukturen aufzubrechen. Begonnen hat dieser Trend vielleicht bei Toyota mit dem Kanban-Prinzip. Kanban und andere dezentrale Prozesse sind der Schlüssel von Toyotas globalem Siegeszug. Diese Prinzipien wurden unter anderem in der Software-Entwicklung aufgenommen und weiterentwickelt. Hier haben dezentrale – sogenannte „agile“ – Prozesse die zentralen teilweise verdrängt.

Chef

Die klassische hierarchische Entscheidungsstruktur mag vielleicht in der Vergangenheit funktioniert haben. Damals waren die Umstände verglichen mit heute wenig komplex und auf wenige kompetente Menschen kamen viele mit geringen Kompetenzen. Heute bedienen sich selbst kleine Abteilung eines teils unüberschaubaren Wissensschatzes ihrer Mitglieder. Unter solchen Umständen einen Chef zu haben, der grundsätzlich für alle Vorgänge und Entscheidungen in seiner Abteilung allein verantwortlich ist, bedeutet permanente Überforderung des Chefs und setzt ihn einer Machtkonzentration aus, an der die meisten menschlich scheitern.

Der ideale Chef ist heute meist nicht mehr der allmächtige Gebieter und Kontrolleur seiner Untergebenen. Sie ist ein Kommunizierer, der dafür sorgt, dass Informationen innerhalb ihrer Zuständigkeit an die richtige Stelle kommt – idealer Weise ohne dass sie die Information ans Ziel trägt. Sie ist Inspiration durch Vorbild, sie führt nicht durch Autorität sondern dadurch, dass sie den Weg besser kennt.

Freiheit, Gleichheit

Hierarchien und Weisungsbefugnis sind nicht unerlässlich dafür, dass alle den Weg finden. Was sich wie ein schöner Traum anhören mag, wird täglich bewiesen. Da sind natürlich die unvermeidlichen Projekte freier Software-Entwicklung, wo täglich Millionen Menschen kooperieren um das mit Abstand komplexeste Gebilde zu schaffen, das je Menschenhand entsprang: ein Software-System, das mittlerweile von Telefonen zu Groß-Rechen-Zentren alles antreibt, was Bits und Bytes verarbeitet – mit Ausnahme einiger Konsumenten-Gefängnisse wie Apple’s und Microsoft’s gated communities. Die zahllosen Autoren des technischen Wunders der freien Software organisieren sich in einem chaotischen Ökosystem aus Kooperativen, Demokratien, Diktaturen und marktwirtschaftlichen Unternehmen. Ein sehr großer Teil dieses Schaffens basiert nicht auf Befehl und Gehorsam sondern auf Freiwilligkeit, persönlicher Initiative und persönlicher Verantwortung.

Und das funktioniert auch in marktwirtschaftlichen Unternehmen selbst. Den Beweis dazu haben einige Unternehmen angetreten, unter anderem diese brasilianische Firma, die seit Jahrzehnten sehr erfolgreich etwas betreibt, was nach verbreiteter Ansicht eine spinnerte Utopie sein sollte. Doch diese spinnerte Utopie ist gerade Marktwirtschaft. Marktwirtschaft ist nicht die zentrale Planung und Befehlshierarchie klassischer Unternehmen. Was man uns hier als Marktwirtschaft verkaufen will, ist die Machtsicherung einer kleinen kapitalistischen Elite. Marktwirtschaft setzt Wahlmöglichkeiten aller Beteiligten voraus, Wahlmöglichkeiten, die über „friss oder stirb“ hinaus gehen.

Anti-Marktwirtschaft

Doch um diese Freiheit und Effizienz zu erreichen, um sie für die breite Masse erreichbar zu machen, müssen wir die Regeln ändern. Wir betreiben heute ein System, in dem große Unternehmen Vorteile gegenüber kleinen haben. Folgerichtig kommt es in jedem „reifen“ Markt zu starken Marktkonzentrationen, was wiederum das Ende der Markwirtschaft bedeutet. Wir propagieren Marktwirtschaft doch betreiben ein System, das in der kontinuierlichen Abschaffung der Marktwirtschaft besteht. Wir steigern dauernd die Produktivität doch statt den Produktiv-Kräften entsprechende Freiräume und Entscheidungsspielräume zu geben, spannen wir sie immer enger ein und befördern so wieder das Gegenteil dessen, was wir predigen.

Unser System ist im Grunde ein mehr oder weniger eingeschränkter Anarcho-Kapitalismus, dessen Maxime das Recht des Stärkeren ist, gepaart mit einem Staatssozialismus, dessen Steuerung zunehmend von kapitalistischen Machtinteressen unterwandert wird. Immer mehr Bürger geraten in die Zange zwischen diese beiden Kräfte, überwacht und ausgeforscht vom staatlichen Sicherheitsapparat und immer ausgefeilterer „Marktforschung“, gegängelt von den Schergen der staatlichen „Sozialsysteme“ und getrieben vom Effizienzdogma der Kapitalisten. Und diese Pole werden uns als einzig mögliche verkauft.

Utopie

Meine Vision ist ein System, das das Recht des Schwächeren maximiert. Und dieses System kann nur – wenn man davon ausgeht, dass eine menschliche Gesellschaft überhaupt Regeln braucht, was ich fest glaube – dieses System kann nur eine Marktwirtschaft sein, ein selbstorganisierendes System, in dem es keine notwendiger Weise starke Steuerung gibt, sondern unabhängige – freie! – Akteure, die die Bedingungen ihrer Kooperation und Arbeitsteilung individuell aushandeln. Ein solches System zu erreichen erfordert wahrscheinlich drastische Regeländerungen. In einem solchen System ist das Ziel, möglichst wenig Machtkonzentration im Markt zuzulassen. Denn Macht besteht immer darin, dass der Stärkere die Freiheit des Schwächeren einschränkt. Ich habe mich in diversen Artikeln mit einzelnen Aspekten der Machtkonzentration auseinandergesetzt, und wie diesen zu begegnen wäre. Hier eine kurze Übersicht:

Wissen ist Macht. Das ist sehr viel mehr als ein Sprichwort und deshalb ist es unumgänglich, zur Minimierung von Machtkonzentration Wissen zu befreien. Diese Regeländerung ist eine Regelabschaffung, eine Abschaffung von Urheberrecht, Patenten und Ähnlichem. Dies hat Konsequenzen für z.B. Informationswirtschaft, Kultur und Medien (hinter den Links finden sich jeweils ausführliche Ausführungen von mir zu den Themen). Werbung, Propaganda bevorteilt die Starken und hat praktisch ausnahmslos negative Konsequenzen für unsere Gesellschaft. Sie ist abzuschaffen. Wir setzen marktwirtschaftliche Mechanismen zur Verteilung von Arbeitskräften ein. Das bevorteilt massiv die Mächtigen und benachteiligt die Schwächsten, die Arbeitssuchenden. Wir müssen dieses Verhältnis umdrehen. Meine Ideen, wie das erreichbar wäre finden sich hier und hier.

Ich glaube, dass all diese Maßnahmen notwendig sind, um eine Gesellschaft zu erreichen, die freier und fairer ist. Ich glaube aber auch, dass diese Maßnahmen wahrscheinlich nicht exakt so umsetzbar sind, wie ich es vorschlage, und dass sie zum Erreichen dieser Gesellschaft nicht hinreichen würden, selbst wenn sie es wären. Doch ich glaube, das ist die Richtung, in die wir gehen sollten. Es gibt keine simplen Rezepte zum Erreichen einer besseren Gesellschaft. Wir haben unser Zusammenleben zu gründlich und umfassend vermurkst. Wir benötigen viele Anpassungen und radikale Änderung, der Weg ist komplex und Scheitern vorprogrammiert. Doch in vielen Schritten und Fehlentscheidungen werden wir uns doch einer besseren Welt weiter nähern, wie wir es die vergangenen Jahrtausende getan haben.

Die Änderungen, die ich vorschlage, sind dabei nicht radikaler, als beim „Alten“ zu bleiben. Denn das Alte ist der globale Pauperozid und die Zerstörung unserer Lebensgrundlage. Radikaler geht kaum.

Und meine Hoffnung auf die bessere wirtschaftliche Ordnung, die ich hier umreiße, erhält immer mehr Nahrung. Freies Wissen – hier freie Software – weitgehende Autonomie, Freiheit und Eigenverantwortung der Marktteilnehmer: das ist nicht eine spinnerte Utopie für die ich nur ein mickriges Beispiel aus Brasilien gefunden habe. Es sind die zentralen Organisationsprinzipien des modernsten Wirtschaftssegmentes dieses Planeten, wie dieser leider ziemlich technische und noch mehr englische Artikel eindrucksvoll erläutert.

Dezentrales Micropayment

Ich stelle in diesem Artikel ein dezentrales Zahlungssystem vor, das sich durch minimale Transaktionskosten auszeichnet. Ein solches System könnte aus diversen Gründen von großer Bedeutung sein. Und wer weiß, vielleicht macht es Dich reich 😉

Ich stelle in diesem Artikel ein dezentrales Zahlungssystem vor, das sich durch minimale Transaktionskosten auszeichnet. Ein solches System könnte aus diversen Gründen von großer Bedeutung sein. Und wer weiß, vielleicht macht es Dich reich ;-). Die Idee ist in einer Off-Topic Diskussion zu diesem Artikel entstanden wo mir Thomas Honesz sehr bei der Entwicklung dieser Gedanken geholfen hat. Danke Thomas.

Warum?

Geld regiert die Welt. Und wer die Zahlungsströme kontrollieren kann, hat fast unbegrenzte Macht über alle Projekte, deren Maßstab Hobby-Status überschreitet. Den Beweis dazu ist die Regierung der USA im Zusammenhang mit WikiLeaks angetreten. Nach Cablegate war es für WikiLeaks fast unmöglich Spenden anzunehmen und das Projekt verschwand erst mal von der Bildfläche. Wer sich im Netz für Informationsfreiheit organisieren will, könnte auf ein dezentrales Zahlungssystem angewiesen sein.

Aber auch sonst ist dieses spezielle Problem von großer Bedeutung für viele meiner Vorschläge. In meinem letzten Artikel bin ich zum Beispiel gegen Werbung zu Feld gezogen. Doch Werbung finanziert praktisch die gesamte weiche Infrastruktur unseres Netzes – genau das habe ich als Argument gegen Werbung verwendet. Doch wenn es keine Werbung gäbe, wie soll das dann finanziert werden? Da ich keine plausible Lösung hatte, bin ich dem Problem bisher immer ausgewichen.

Das einzige, was mir dazu einfällt, ist ein effizientes Micropayment System. Das Problem ist nur, dass es so etwas nicht gibt. Die etablierten Micropaymentsysteme operieren im unteren Euro-Bereich. Um Werbung zu ersetzen braucht man aber den unteren Cent und Subcent-Bereich. Doch dafür sind bisher die realen Transaktionskosten viel zu hoch. Das hier erörterte System könnte dafür eine Lösung darstellen.

Kundensicht

Der technische Kern der hier vorgeschlagenen Lösung ist Bitcoin. Die Betonung liegt hier auf „technisch“. Die Nutzer kommen gar nicht mit Bitcoin in Berührung. Bitcoin selbst eignet sich leider (noch?) nicht als allgemeines Zahlungsmittel, da sein Wert bisher starken Schwankungen unterworfen ist und es als Zahlungsmittel kein allgemeines Vertrauen genießt. Und Vertrauen ist das einzige, was eine Währung auszeichnet. Geld ist nichts als das Vertrauen in seinen Wert.

Aus Nutzersicht wären Preise in seiner Währung ausgezeichnet. Zur Bezahlung müsste er lediglich einen Knopf klicken. Er könnte seinen Browser auch so einstellen, dass Kleinstbeträge (z.B. 1¢ und weniger) immer automatisch bezahlt werden, so dass sein Surf-Fluss gar nicht durch Zahlungsvorgänge unterbrochen wird. Er würde lediglich mittels einer immer sichtbaren Anzeige über seine Ausgaben informiert. Dies ließe sich gegebenenfalls auch von Seite zu Seite anpassen. Anbieter könnten Nutzer auch erstmal lesen lassen und erst Geld fordern, wenn ein Angebot länger genutzt, z.B. ein Artikel weiter gelesen wird. Größere Ausgaben würden in mehreren Schritten wie z.B. bei Paypal üblich abgewickelt.

Eine derartig komfortable Zahlungsabwicklung würde eine kleine Browser-Erweiterung erfordern. Ohne diese Erweiterung müsste man pro Zahlung eine Web-Adresse eingeben und dann noch die Zahlung bestätigen oder ein Bookmarklet verwenden – was evtl. auch Einklick-Bezahlungen ermöglichen würde, aber keine vollautomatischen.

Um überhaupt mit diesem System zahlen zu können ist für den Zahler allerdings eine vorherige Anmeldung bei einem Zahlungsdienst seiner Wahl nötig. Diese freie Wahl ist die erste Besonderheit des hier vorgeschlagenen Systems. Dazu unten mehr. Man muss sich mit seinem Zahlungsdienst auf eine Zahlungsmodalität einigen. Man kann z.B. vorab 50€ einzahlen (z.B. über Paypal, Kreditkarte oder Überweisung) und dann dieses Budget „absurfen“, man kann eine Einzugsermächtigung erteilen oder monatliche Rechnungen erhalten. Alle Zahlungen an den Zahlungsdienst finden immer in der eigenen Währung statt. Der Wechsel des Zahlungsdienstes stellt kein prinzipielles Problem dar. Potentielle Zahlungsempfänger können ebenfalls einen Zahlungsdienst für den Zahlungsempfang beauftragen (in der Regel wird dies ein anderer Dienst sein als der des Zahlers), oder er kann die Zahlung selbst in Empfang nehmen.

Hinter den Kulissen

Die Zahlungsdienste – Bitcoin-Broker – wickeln die eigentlichen Zahlungen an die Empfänger oder ihre Dienste über Bitcoin ab. Die Zahlungen bestehen in der Übertragung von ein paar Bytes und Kosten praktisch nichts. Die Arbeit der Broker besteht darin, dafür zu sorgen, immer genug Bitcoins für die Zahlungsabwicklung zu haben. Bitcoin-Broker können das Wechselkursrisiko zu Bitcoin ausschließen indem sie den Bitcoin-Bestand im Verhältnis zum Umsatz niedrig halten oder sich mit den üblichen Finanzinstrumenten gegen das Risiko versichern. Sie können von einer geringen Provision leben. Umtauschkosten zwischen den Währungen von Zahler und Zahlungsempfänger entfallen komplett.

Der wesentliche Punkt ist, dass die eigentlichen Transaktionen praktisch kostenfrei sind. Der Trick besteht darin, das offene billige Netz für Zahlungen zu verwenden, ohne ein Vertrauensverhältnis zwischen den Transaktionspartnern herstellen zu müssen. Signifikante Kosten fallen nur bei den Transaktionen zwischen dem Zahlungsdienst und seinen Kunden statt. Diese Transaktionen bündeln aber sehr viele Transaktionen im Web. Zusätzlich fallen natürlich laufende Kosten beim Zahlungsdienst an. Dieser muss Server betreiben, Bitcoins kaufen und verkaufen, seine Software warten und seine Kunden betreuen. Mit steigendem Umsatz sinken die Kosten pro Transaktion gegen Null sofern die Kundenbetreuung geringen Aufwand mit sich bringt.

Idealer Weise gäbe es eine freie Software für den Betrieb einer Bitcoin-Brokerage. Des weiteren wird ein Standard-Protokoll für die Zahlungsabwicklung zwischen Empfänger und Broker benötigt und eine Standard-Prozedur zur Freischaltung der bezahlten Inhalte. Da die Server-Architekturen sehr vielfältig sind, könnte letzteres sogar den größten Aufwand erfordern. Und dann werden Browser-Erweiterungen für die üblichen Browser benötigt um komfortable Bedienung zu ermöglichen. Wenn all diese Bestandteile des Systems vorhanden wären, könnte vermutlich schon eine Einzelperson einen darauf basierenden Zahlungsdienst betreiben.

Für Kunden wäre dieses System billiger als das Werbefinanzierte, denn bei letzterem muss der Kunde über Produktpreise ganze Marketing-Abteilungen und -Unternehmen finanzieren, die erhebliche Kosten verursachen. Das Ergebnis wäre ein Zahlungssystem, das dezentral und also schwer angreifbar ist und welches beliebig kleine Zahlungen zu sehr geringen Kosten ermöglicht.