Jobs – KI = Sozialkollaps

Künstliche Intelligenz (KI) wird in den nächsten zwei Dekaden die Mehrzahl unserer Arbeitsplätze ersetzen. Mehrzahl heißt “mehr als die Hälfte”. Keine bisherige technologische Revolution hatte eine derartige Wirkung auf die Gesellschaft. Nicht annähernd. Darum sind alle etwas verwirrt, und wissen nicht, was zu tun ist. “Weiter so”. Und wohin?

Wieso sind wir ausgerechnet heute an einem technologischen Scheidepunkt? So eine Hypothese wäre zu jedem anderen historischen Zeitpunkt lächerlich, wieso ist sie es heute nicht? Diese Artikel illustriert das auf perfekte Weise, dennoch empfehle ich ihn nur hartgesottenen wissenschaftlich Interessierten zum Lesen. Eine Wissenschaftlerin berichtet da über Entwicklungen in ihrem sehr fokussierten Spezialgebiet und erwähnt dabei jeden Punkt, der unsere Zeit zu einer einzigartigen machen. Die künstliche Intelligenz kommt da fast erst zum Schluss.

Eine Schleife, gebunden aus Software

Ihre Entwicklung – KI – ist die Königsdisziplin der Software-Entwickler. Die Entwicklung von Software profitiert von nichts auch nur im Entferntesten so massiv wie von entwickelter Software. Wenn Programmierer Programme programmieren, verwenden sie bei ihrer Arbeit einen byzantinischen Dschungel aus Software. Sie verwenden Software, die ihren Programmcode farblich markiert, damit sie schneller relevante Code-Stellen sehen, Software, die ihnen hilft, Fehler zu finden, Software, die ihnen automatisch ihren Code vervollständigt, während sie tippen usw.

Aber viel wichtiger: die Software, die sie schreiben, verwendet größtenteils Software, die andere vorher geschrieben haben. Fast alle Programmierer fügen immer nur im Verhältnis winzige Mengen eigenen Codes ein. Bei jedem modernen Programm liegt der Anteil des extra dafür geschriebenen Codes maximal im niedrigen Promille-Bereich. Und das, worauf Programmierer zurückgreifen können wächst mit bereits rasender und dennoch stark beschleunigender Geschwindigkeit. Jeder fügt immer nur noch ein bisschen hinzu und schafft damit für andere enorm Nützliches. Große Firmen wie Google unterstützen diesen Prozess massiv, in diesem Fall vermutlich um das Web vor dem Angriff der Apps zu verteidigen. Denn das Web ist Googles goldene Gans.

Alleine dieser Punkt der immer effizienteren Software-Entwicklung wird schon einen stattlichen Batzen Jobs killen, und würde alleine wahrscheinlich reichen, unsere Gesellschaft ordentlich durchzuschütteln. Doch es kommt noch erheblich dicker. Ich habe in meiner Promotion mit künstliche neuronalen Netzen gearbeitet. Das sind die wichtigsten Motoren der gegenwärtigen Durchbrüche in der künstlichen Intelligenz. Die Dinger sind ziemlich schwer zu beherrschen. Doch dabei hilft die zuvor erwähnte Beschleunigung der Software-Entwicklung.

Wolken am sind der Software Himmel

Und sie brauchen ziemlich viel Rechenleistung um Interessante Dinge zu tun. Weder Studenten noch für Firmen arbeitende Programmierer können mal eben beliebige Rechenleistungen abrufen, die sie aber nur in einem Promille ihrer Arbeitszeit benötigen. Können sie doch. Das Zauberwort heißt Cloud-Computing.

Amazon hat wie Google das Problem, einen riesigen Berg Rechenleistung zu managen und immer da verfügbar zu machen, wo er gerade gebraucht wird. Da kann nicht der Administrator der Suche mal ein paar Rechner mehr geben, weil gerade mehr gesucht als gemailt wird. Der Administrator wäre dazu viel zu langsam und unzuverlässig. Das geht automatisch. Und Amazon, eine der geschäftstüchtigsten Firmen dieses Planeten, hat erkannt, dass das ein wichtiges Problem ist und ein Riesen-Geschäft daraus gemacht.

Viele Daten und viel Intelligenz

Und jetzt kann die Autorin des oben verlinkten Artikels mal eben beliebige Rechenleistung abrufen um ein paar Gene mit dem auftreten von ein paar Molekülen zu korrelieren und kann dafür auf einen Riesen-Berg Daten (Zutat Nummer drei nach mehr Software und Cloud-Computing: Big Data) zurückgreifen. Denn einen Riesen-Berg Daten braucht man um ein künstliches neuronales Netz zu trainieren.

Das sind drei Zutaten für eine Software- und Gesellschafts-Revolution. Und die Autorin nennt auch noch die vierte Zutat für den kommenden Boom künstlicher Intelligenz und Bust für den Rest der Wirtschaft: künstliche Intelligenz. Denn was anderes sollte eine KI Forscherin für die Entwicklung der KI verwenden als KI? Wie ich bereits erwähnte ist die Beherrschung künstlicher neuronaler Netze ziemlich schwierig. Ein bisschen KI wäre da schon sehr hilfreich, das muss erst mal gar keine besonders clevere KI sein um mit dem Balancieren dieser Netze zu helfen. Und die KIs werden ja langsam cleverer – der geneigte Leser möge diese Entwicklung mit der der Software-Entwicklung vergleichen. Vielleicht haben wir auch noch dreißig, vierzig Jahre, bis die KIs so richtig clever werden, aber wahrscheinlich eher nicht.

Doch das ist auch egal. Selbst vierzig Jahre wären für so eine Umwälzung sehr wenig Zeit. Wir sollten sicherheitshalber eher mit 15 rechnen. Und dann?

Berufe, die hauptsächlich mit dem Umgang mit Menschen zu tun haben, werden vermutlich am wenigsten betroffen sein – Lehrer, Kinder-, Alten- und Kranken-Betreuung usw. Auch diese Berufe werden betroffen sein, da alle effizienter werden (Roboter, Expertensysteme, Online-Unis und -Lehrmaterial). Am schnellsten und härtesten dürfte es Logistik und Produktion treffen.

Automatisch vom Reißbrett bis zum Kunden

Logistik ist Amazons Spezialität (neben Cloud-Computing). Amazon hat vor drei Jahren eine Firma gekauft, die Lager-Roboter baut und beginnt jetzt, seine Lager zu automatisieren. Das erlaubt es mehr und dezentralere Lager zu haben, die deutlich schneller und billiger sind als solche, in denen Menschen arbeiten. Amazon hat auch vor einiger Zeit mit Tests von Liefer-Drohnen für Artikel bis 2,5Kg (90% von Amazons Lieferungen) begonnen und baut diese aus.

In Singapur, Helsinki und Berlin starten nun die ersten Tests mit autonomen Taxen und Bussen (Personen-Transport ohne Personal-Einsatz). Mercedes testet bereits seit längerem seine autonomen LKWs in den USA und bereitet Tests in Europa vor. Alle relevanten Firmen kündigen vollautonomes Fahren bis c.a. 2020 an. Das mag auch etwas länger dauern und die Regulierung wird das besonders hierzulande noch deutlich verzögern, aber 5 Jahre mehr oder weniger für den häufigsten Job unserer Gesellschaft – Fahrer – ist nichts, um darüber in Lethargie zu verfallen. Die Automatisierung der Logistik bringt es mit sich, dass für jeden Artikel jederzeit Position und Bestimmung bekannt sind, was weiteres großes Optimierungs-Potential erschließt – ein perfektes Betätigungsfeld für künstliche Intelligenz.

Adidas verlagert einen Teil seiner Schuh-Produktion wieder nach Deutschland – statt billiger Bengalen werden die Schuhe hier von noch billigeren Robotern gefertigt. Dies ist ein Pilot-Projekt einer weiteren Revolution: der Kommodifizierung der Produktion.

Moderne Produktions-Robotor werden immer flexibler und einfacher einzusetzen. Es wird immer einfacher und billiger, Produktions-Prozesse kurzfristig umzustellen. Die immer breitere Verfügbarkeit von industtriellen 3D-Druckern tut ihren Teil für die Flexibilisierung der Produktion. Früher war eine Produktions-Anlage eine teure Investition in eine hoch-spezialisierte Anlage zur Produktion spezifischer Artikel. Solche Anlagen banden große Mengen Kapital fest an einen Standort und eine Produkt-Sparte.

Teuer sind Produktions-Anlagen immer noch, doch die Flexibilisierung wird dazu führen, dass diese Anlagen nicht mehr an einen bestimmten Zweck oder eine bestimmte Firma gebunden sind. Produktion wird selbst zur gehandelten Ware, das ist die Bedeutung von “Kommodifizierung”. Firmen wie Adidas werden dann noch die Schuhe designen und die Vermarktung koordinieren, doch der gesamte Prozess von der Herstellung bis zum Kunden wird weitgehend automatisiert und kommodifiziert sein (Amazon Marketplace ist die Kommodifizierung der Logistik wie Cloud-Computing die Kommodifizierung von Rechenleistung ist).

Kommodifizierung ist deshalb so wichtig, weil sie stets große Effizienz-Gewinne bringt und die Automatisierung weiter voran treibt, da die Markt-Gesetze mit ihrem unerbittlichen Preis-Druck nur auf kommodifizierte, also “gehandelte” Produkte ihre volle Wirkung entfalten können.

Ein Teufelskreis, der aus immer mehr immer weniger Kunden macht

Und wie bei den Programmierern, die von Programmen profitieren und KI, die von KI profitiert, profitiert eine automatisierte und kommodifizierte Produktion und Logistik von eben dieser, da natürlich auch Produktions-Anlagen, Lager- und Transport-Robotor produziert werden können.

Es gibt also eine ganze Reihe gegenwärtiger Entwicklungen, die sich selbst und gegenseitig beschleunigen: Software Entwicklung, Cloud Computing, Big Data, KI, Automation von Produktion, Logistik und anderem, Kommodifizierung. Es gibt zwischen all diesen Entwicklungen zahlreiche positive Rückkopplungen, das heißt, wenn A schneller und billiger wird, wird B schneller und billiger, was wiederum A noch schneller und billiger macht. Es gibt da Rückkopplungen der Form A macht A schneller wie bei Software-Entwicklung und KI und es gibt zahlreiche A -> B -> A, A -> B -> C -> A und so weiter Rückkopplungen.

Deshalb sind all dies sogenannte exponentielle Entwicklungen und speziell die exponentielle Entwicklung von Produktion und Logistik könnte uns theoretisch ein ökonomisches Schlaraffenland bescheren. Denn exponentiell heißt “je mehr desto mehr und das immer schneller, je schneller desto schneller”. Doch die Produktion wird womöglich an den Marktgesetzen scheitern, da kaum jemand ihre Produkte mehr kaufen kann, wenn kaum jemand für ihre Produktion bezahlt wird. Auch das ist eine Rückkopplung – eine negative.

Liebe Mitbürger, wir sollten uns alle mal ein paar Gedanken machen und besprechen, wie wir damit umgehen würden, wenn plötzlich die Mehrheit der Jobs im Schlaraffenland flöten ginge. Nur mal so rein hypothetisch.

Der Wieder-Auftstieg des Faschismus

Wir erleben das Ende der Demokratie und ein Wieder-Erwachen faschistoider Gesellschaftsstrukturen. Diese Entwicklung wird hier von verschiedenen Seiten beleuchtet und mit einigen Beispielen belegt.

Wir leben in interessanten Zeiten.

Ich habe den Großteil meines Lebens auf einer historischen Insel der Glückseligkeit verbracht. Mit dem Erwachen meines Bewusstseins erwachte auch das Bewusstsein, dass der kalte Krieg bekloppt ist und wir diesen Planeten nicht gar so schnell verbrauchen sollten. Sexuelle Befreiung und eine Welle demokratischer Partizipation in zahlreichen Demos, Streiks, APOs und basisdemokratisch organisierten kleineren Projekten waren zusammen mit vorgenannten Erkenntnissen die Nachwehen der 68er Revolution vor meiner Geburt. Die Ideale von sozialer Marktwirtschaft, Achtung der Grundrechte, Freiheit der Presse und Demokratie waren völlig unantastbar.

Ich habe das Ufer dieser Insel der Glückseligkeit fühlbar verlassen und finde mich nun in einem stetig windiger werdenden Ozean.

Berichterstattung zur Überwachung

Es ist verblüffend, wie stark Medien die Wahrnehmung großer Phänomene und Ereignisse prägen. Nachdem 1989 die Deutsche Demokratische Republik (DDR) zusammenbrach, schwappte eine lange und hohe Welle der Empörung über die Ausforschung der Bevölkerung der DDR durch die Staats-Sicherheit (StaSi) durch Deutschland. Die viel gründlichere Überwachung durch die zeitgenössischen Geheimdienste wird dagegen fast komplett ignoriert.

Wer glaubt, “unsere” Geheimdienste seien im Gegensatz zur StaSi ja nicht böse, der hat sich offensichtlich nicht mit bekannten und allgemein akzeptierten Fakten zu Organisationen wie der CIA befasst.

Der plausibelste Grund für diesen frappierenden Mangel an Empörung über den aktuellen Geheimdienst-Skandal ist meiner Meinung nach das schleichende Ende der Pressefreiheit. Natürlich behält die Pressefreiheit ihre juristisch-akademische Bedeutung. Aber eine nicht ausgeübte Freiheit endet mit dem Ende ihrer Ausübung. Dieses Ende zeigt sich, wenn man sich tiefer mit der Berichterstattung zu einzelnen Themen befasst – wie zum Beispiel dem Ukraine Konflikt, Charlie Ebdo, islamistischem Terror allgemein, der Flüchtlings-Krise, der Subprime-/Finanz-/Staatsschulden-/Griechenland- … Banken(!)-Krise (ist alles eins).

Das schleichende Ende der Demokratie

Ein Drittel bis die Hälfte der Menschen hat das Wählen aufgegeben, weil eine Wahl heute keine bedeutsame Richtungs-Entscheidung mehr ist. Es gibt nur den Weg des Geldes, je nach Geschmack rot oder schwarz lackiert. Der Sozialstaat wurde gründlich entkernt und seine Aushöhlung schreitet zügig weiter voran. Meine nach unvorstellbaren Gräueltaten 60 Jahre lang weitgehend pazifistische Heimat heizt heute kräftig mit bei den prächtig laufenden Geschäften der internationalen Rüstungs-Industrie.

Selbst wenn man all das richtig findet, weil man glühender Anhänger des Neoliberalismus ist, selbst dann muss man besorgt sein über die zunehmende Ermächtigung totalitärer Willkür. Die unstrittig zentralste Funktion des Staates ist die Definition und Durchsetzung des Strafrechts. Auf das es uns Menschen überhaupt möglich wird, gewaltfrei zu interagieren. Dies sind nur mal zwei Beispiele staatlichen Versagens in dieser zentralsten Funktion: Beweismittel aus 1) Haarproben und 2) Drogentests sind Gegenstand völliger staatlicher Willkür.

Damit ist grob geschätzt die Hälfte aller Straf-Verfahren (und in den USA höchstwahrscheinlich noch mehr) deutlich jenseits dessen, was man sich gemeinhin unter “Rechtstaatlich” vorstellt. In der Schule fing bei 50% glaube ich die Note sechs an. Aber es muss natürlich auch in dieser Anklage gegen den Staat die Maxime “in dubio pro reo” gelten, “im Zweifel für den Angeklagten”. Das Urteil lautet daher, Staat: Fünf minus, setzen.

Die Machtergreifung des Kapitals

Es läuft seit Jahren ein fortwährender Angriff der Wirtschaft auf die Demokratie in Form dubioser Handels-Abkommen. Ein aktuelles Scharmützel in diesem Krieg ist TTP. Hier findet sich eine gute Analyse nur einiger Gründe wieso die 6000 Seiten Vertragswerk in Juristen-Sprache für die Öffentlichkeit nichts Gutes verheißen. Dieses Handelsabkommen mag wie das letzte von der Öffentlichkeit verhindert werden. Doch die Angriffe hören nicht auf. Irgendwann wird ein solcher Angriff erfolgreich sein. Und dann können nationale Parlamente nichts mehr beschließen, was internationalen Konzernen nicht passt.

Tatsächlich gibt es bereits erste Erfolge der Wirtschaft in diesem Krieg vorzuweisen. So verklagen einige Energie-Konzerne die Bundesrepublik Deutschland auf Grundlage des Energiecharta Vertrages wegen des Atomausstieges. Der vorläufige Erfolg liegt in der Möglichkeit der Klage, der Ausgang des Verfahrens ist ungewiss.

Jedes dieser Handelsabkommen versucht neue derartige Klage-Möglichkeiten zu schaffen. TTP beispielsweise versucht eine Enteignung des so genannten intellektuellen Eigentums der Öffentlichkeit (der “public domain”) durch die Hintertür zu erschleichen (siehe im bereits oben verlinkten Artikel.

Vorrangig geht es bei diesen Handelsabkommen offenbar nicht darum, Handels-Hemmnisse zu überwinden und die Marktwirtschaft zu stärken. Ich bin Teilhaber einer kleinen Firma, die unter anderem mit bestimmten Komponenten handelt, die auch ins Ausland versandt werden. Dies ist für eine kleine Firma ein bürokratischer Alptraum – schon z.B. bei einem Versand von Deutschland in die Schweiz.

Für kleine Firmen stellt dies ein ernstes wirtschaftliches Problem dar – das relativ leicht und wahrscheinlich völlig ohne öffentlichen Protest zu beheben wäre. Doch im Mittelpunkt der Verhandlungen geht es offensichtlich um anderes. Marktwirtschaft findet im Wettbewerb kleiner Firmen statt. Die großen internationalen Konzerne sind geprägt durch Monopole und Kartelle, Lobbyismus und Marketing-Propaganda. Mit Marktwirtschaft hat das alles wenig zu tun, wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe.

Es geht den internationalen Multis, die bei den Verhandlungen von Handelabkommen im Gegensatz zu kleinen Firmen mit am Tisch sitzen, nicht um Marktwirtschaft, im Gegenteil. Es geht um die Usurpation nationaler Legislativen durch die mächtigen Rechts-Abteilungen der Multis und um die Abschaffung eines Kernelements der Marktwirtschaft: des unternehmerischen Risikos. Der Marktwirtschaft – kleinen Firmen und damit auch unliebsamer Konkurrenz der Multis – bleibt dieser äußerst kostspielige Klage-Weg verschlossen. Damit ergaunert sich das große Geld einen weiteren unter vielen Wettbewerbsvorteilen. So wird Demokratie und Marktwirtschaft mit einem Handstreich geschwächt. Der Erfolg dieser Strategie scheint momentan langfristig unausweichlich.

Das klingt alles weit weg für den Otto-Normal-Bürger. Doch wenn z.B. die Klage der Energie-Konzerne gegen Deutschland Erfolg hat, wird Otto-Normal-Bürger für das Privileg des Atom-Ausstieges 4,7 Milliarden Euro bezahlen. Gesetzes-Änderungen sind ohne Zusatzkosten nur noch zu Gunsten der Wirtschaft möglich nie mehr in zu ihrem Nachteil.

Lohnentwicklung und Wohlstands-Schere

Noch drastischer ist die Auswirkung der Wirtschafts-Politik auf das Lohngefüge, und das spüren bereits sehr viele Menschen. Es ist der Wirtschaft gelungen, die Löhne in den alten sozialen Marktwirtschaften in direkte Konkurrenz zu den Löhnen in aufstrebenden Wirtschaften in Südostasien, Südamerika und Südafrika zu bringen.

Dies ist eigentlich eine positive Entwicklung. So bekommen diese sich entwickelnden Wirtschaftsräume auch endlich eine Chance auf wirtschaftliche Entwicklung. Und es schadet Deutschland oder anderen alten Nationen mit starker Wirtschaft als Ganzes betrachtet auch nicht. Doch im Zuge dieser Entwicklung ist es gelungen, den dadurch erlangten wirtschaftlichen Gewinn in den Händen weniger zu belassen und die immer breiter werdende wirtschaftliche Unterschicht auszubluten.

Teile und Herrsche

Getreu der alten Maxime “teile und herrsche” werden so – wenn auch vielleicht nicht zentral koordiniert oder auch nur bewusst – verschiedene Fraktionen dieser Unterschicht gegeneinander ausgespielt. Dies findet in regelrechten Medien-Kampagnen (die Nachdenkseiten berichten regelmäßig dazu) gegen so genannte Hartz 4 Schmarotzer, Migranten, Flüchtlinge und besonders gern die Unterschicht anderer Länder (insbesondere in Südeuropa) statt.

Derweil lebt die stetig schwindende Mittelschicht in Angst vor dem sozialen Abstieg unter dem Dauerfeuer medialer Propaganda, die immer wieder neue Kaninchen aus dem Hut zaubert, die angeblich die Schuld an der Misere tragen. Neben den vorgenannten Unterschichtlern auch “feindliche” Konzerne wie Google und Uber, Russen, Moslems … alle außer denen, die fortwährend den Reichtum anhäufen, den die anderen Schichten vermissen.

Die politischen Entscheider und Wirtschaftsführer finden sich unterdessen in eitler Interesseneinheit, dem Interesse an einem ordentlichen Happen von diesem Reichtum. Während Wirtschaftsführer direkt mit Millionen für ihre moralischen Verfehlungen entschädigt werden ist es mittlerweile Gang und Gäbe, dass hochrangige Politiker nach ihrer politischen Karriere mit hoch dotierten Pöstchen für ihre Gefälligkeiten bedacht werden. Dies und die enorme Macht des Lobbyismus sorgen dafür, dass die Politik der Wirtschaft immer weniger in die Quere kommt.

Die ultimative Propaganda-Maschine

Was für die Politik die Lobby ist für das Demos, das Staatsvolk, die Werbung. Deutsche sind heute jeden Tag durchschnittlich 10 Stunden dem Dauerbombardement mit wirtschaftlicher Propaganda in Form von Werbung ausgesetzt, davon allein 4 Stunden Fernsehen in der Freizeit und noch mal so lange Radio am Arbeitsplatz. Deutsche Gesetze schreiben z.B. bei Fernsehen (noch!) vor, dass vier Fünftel des Programms dem Zweck dienen müssen, die Aufmerksamkeit des Publikums für die Propaganda abzugreifen, während “nur” ein Fünftel der Zeit für die eigentliche Propaganda verwendet darf. Macht zwei volle Stunden reine Propaganda-Berieselung für jeden Bürger vom Kleinkind bis zum Greis, jeden Tag, 24/7.

Doch es ist allgemein bekannt, dass auch die anderen vier Fünftel des Programms zumindest teilweise den Anforderungen der Wirtschaft angepasst werden, gilt es doch ein attraktives Werbeumfeld zu schaffen, und eine attraktive Werbe-Zielgruppe anzuziehen.

Die allgegenwärtige und hoch wirksame Wirtschafts-Propaganda, vulgo “Werbung”, ist auf so vielen Ebenen schlecht, dass ich dem einen eigenen Artikel gewidmet habe. Im Zusammenhang mit dem Wieder-Aufstieg des Faschismus bleibt fest zu halten, dass wir täglich rund zwei Stunden mit der Aufnahme lupenreiner pro-Wirtschaftlicher Propaganda beschäftigt sind und den größeren Teil unseres wachen Lebens entweder mit der Vorbereitung auf diese Propaganda oder ihrer Aufnahme beschäftigt sind. Historische faschistische Regime haben von einer solch umfassenden und allgegenwärtigen, bereitwillig aufgenommen Propaganda wahrscheinlich nicht einmal zu träumen gewagt.

Der rote Faden

Es zieht sich ein roter Faden durch all diese Entwicklungen: Es ist die Machtergreifung des großen Geldes. Und es ist dies in dieser Ausprägung ein historisches Novum. Es gab z.B. auch im 19ten Jahrhundert mächtige Kapital-Konzentrationen wie zum Beispiel das Rothschild-Imperium, welches zu einem guten Teil auf der Finanzierung von Kriegen fußt, oder Standard Oil, Rockefellers Öl-Monopolist.

Doch anders als damals reicht diese Macht heute bis in den letzten Winkel der Gesellschaft. Und obwohl es sicher mächtige Graue Eminenzen gibt und sinistre Verschwörungen unterscheidet sich die Situation gerade hierin von der der vergangen Jahrhunderte: Die Macht wird heute gerade nicht von einem Rockefeller oder einem kleinen Zirkel von Verschwörern ausgeübt sondern von einem Netzwerk, einem System des Geldes.

Das Netz des Geldes

Geknüpft ist dieses Netzwerk aus Geld. Die Handelnden sind keine natürlichen sondern juristische Personen, Firmen, die über gegenseitige Beteiligungen verknüpft sind. Individuen – Politiker, Journalisten, Wirtschafts- und Meinungsführer und alle anderen – sind über ihren Wohlstand und ihr gesellschaftliches Ansehen an dieses Netzwerk gefesselt. Wer sich dagegen zu stellen versucht wird schnell als weltfremd und/oder Verschwörungstheoretiker abgestempelt und sozial abgewertet.

Dahinter steckt vermutlich kein großer Plan. Wir haben über Jahrtausende ein extrem komplexes Gesellschaftssystem geschaffen, das aus Millionen von Regeln besteht. In Regel-Systemen gibt es Wechselwirkungen und Rückkopplungen. Manche dieser Rückkopplungen bestehen in sich selbst verstärkenden Effekten. So etwas kennt der Volksmund als “Teufelskreis” oder speziell in Bezug zum Kapital als “Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen”. Doch das ist bei weitem nicht die einzige sich selbst verstärkende Rückkopplung in unserem Gesellschaftssystem.

Ein resilientes Gesellschaftssystem

Man muss sich mit dem Prinzip der Rückkopplung auseinander setzen, wenn man die Usurpation durch das Kapital überwinden will. Denn es ist nicht damit getan, ein paar Konzerne zu zerschlagen und ein paar Regierungen auszutauschen. Es ist sicher auch nicht damit getan, das gegenwärtige Oligopol in ein staatliches Monopol zu verwandeln, wie es die Sozialisten fordern.

Wir müssen Regelsysteme finden, die stabiler sind als unser gegenwärtiges. Wir dürfen die Macht nicht sozialistisch konzentrieren, wir müssen meiner Ansicht nach versuchen, was noch nie gelungen ist. Wir müssen die Macht stabil dispergieren. Dazu reicht es nicht, das Regierungssystem zu reformieren. Die Machtergreifung des Kapitals betrifft alle Aspekte der Gesellschaft und die Antwort der Gesellschaft muss ebenso alle Aspekte betreffen.

Da wir mittlerweile eine Informationsgesellschaft sind, kommt dem gesellschaftlichen Umgang mit Information eine besondere Bedeutung zu. Doch diese Problematik ist bei weitem zu komplex, um sie in einem Artikel abzuhandeln. Es ist das Grund-Thema dieses ganzen Blogs (bzw. seiner Artikel aus der Kategorie Utopilotik).

Schluss

Geld regiert die Welt immer absolutistischer. Unsere Gesellschaft schleicht langsam, Schritt für Schritt in eine zunehmend militaristisch, faschistische Zukunft. Wir sind glücklicher Weise noch weit weg von den Schrecken der 30er Jahre. Aber wir sind auch weit weg von den langweiligen 70er und 80er Jahren.

Anhang

Anbei noch einige Fragmente, die ich über einige Zeit zu dem Thema gesammelt habe. Es sind kleine Hinweise, dass vielleicht etwas an der oben von mir ausgebreiteten These dran ist. Man beachte, dass hier ausschließlich Nachrichten aus westlichen Demokratien verwendet werden, die man eigentlich für gefestigt halten sollte. Aus Ländern wie Polen, Ungarn, der Türkei und anderen gibt es noch ganz anderes zu berichten.

Der Begriff „Faschismus“

Zunächst eine Begriffsklärung. Ich verwende den historischen Begriff “Faschismus” hier eher unorthodox. Was wir heute erleben ist etwas historisch völlig Neues, der Begriff passt nicht wirklich. Doch in Ermangelung gängiger Vokabeln für die aktuellen Anti-Demokratischen Tendenzen und den absolutistischen Anspruch des großen Geldes habe ich mich entschlossen, bei dem Begriff zu bleiben. Beim Studium von Wikipedias Definition des Begriffs fallen mir schon eine ganze Reihe Parallelen auf.

Meldungen zum Thema

Cameron Zitat:
For too long, we have been a passively tolerant society, saying to our citizens: as long as you obey the law, we will leave you alone. This government will conclusively turn the page on this failed approach
“For too long, we have been a passively tolerant society, saying to our citizens: as long as you obey the law, we will leave you alone. It’s often meant we have stood neutral between different values. And that’s helped foster a narrative of extremism and grievance.
“This government will conclusively turn the page on this failed approach. As the party of one nation, we will govern as one nation and bring our country together. That means actively promoting certain values.
“Freedom of speech. Freedom of worship. Democracy. The rule of law. Equal rights regardless of race, gender or sexuality.
“We must say to our citizens: this is what defines us as a society.”
Der erste Absatz ist ein Zusammenschnitt aus einer Rede von Cameron. Ich habe darunter noch etwas Kontext hinzugefügt aus verfehlter journalistischer Ethik. Ich halte das für bloße Rhetorik. Der relevante Kern der Aussage steckt im Zusammenschnitt. Es genügt nicht mehr, sich ans Gesetz zu halten um nicht Opfer staatlicher Willkür zu werden. Das ist gar keine schlechte Definition für Faschismus. Vom Regierungs-Chef. Für alle künftigen Krisen-Gewinnler wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, den Briten zu ihrer hervorragenden Wahl zu gratulieren 🙂

Zitat Senator und US-Präsidentschaftskandidat Lindsey Graham:
„If I’m president of the United States and you’re thinking about joining al-Qaida or ISIL — anybody thinking about that?“ he asked to laughs. „I’m not gonna call a judge. I’m gonna call a drone and we’re gonna kill you.“
Wenn Du auch nur darüber nachdenkst, Dich einer “Terror-Organisation” anzuschließen, werde ich keinen Richter rufen sondern eine Drohne und Dich ermorden. Was in meiner Jugend ein Aussage von beängstigender Menschenverachtung gewesen wäre, beschreibt heute sachlich den Stand der Dinge unter Busch und Obama.

Kanada Terror-Gesetze (passierte Unterhaus, Oberhaus gilt als sicher). Interessant auch, dass der deutsche Qualitätsjournalismus zwar im Vorfeld immerhin leise über das Gesetz berichtet hat, den endgültigen Abschied vom Rechtsstaat im Mai dann aber weitestgehend ignoriert hat.

Australien, Journalisten droht 10 Jahre Knast, wenn sie über Geheimdienst-Aktivitäten berichten.

Eine sehr interessante Analyse darüber, wie moderne Propaganda funktioniert.

Demonstrationsverbot in Spanien, Organisatoren von Demos müssen mit Existenz-Zerstörenden Bußgeldern rechnen (passierte Unterhaus, Oberhaus gilt als sicher). Siehe auch.

Frankreich Total-Überwachung (vorher schon noch schlimmer als in Deutschland, jetzt noch einmal massive Verschärfung).

Guantanamo hat man von gehört. Andere CIA Folterknäste gibt es in anderen Ländern. Aber selbst mitten in den USA in der Jurisdiktion derselben gibt es einen Knast, der so übel ist, dass Irland einen “Terrorismus-Verdächtigen” lieber nicht an die USA ausliefern wollte.

Kleine obskure Winkelzüge mit gigantischen Effekten in Gesetzen: Ende der 90er Jahre wurde in den USA das Ermächtigungs-Gesetz der Finanz-Industrie gebaut.

Eine empirische Studie aus Princeton belegt in verstörender Klarheit, dass das politische System der USA keine Demokratie (mehr?) ist. Bei uns dürfte es ähnlich aussehen.

Die Verstrickungen der Briten in die Folter-Parties der Amis wurde auf Bitten der Briten aus dem entsprechenden Report entfernt. Begründet wird diese undemokratische Intransparenz, erwirkt auf undemokratischem Weg, mit den gleichen Argumenten wie die Folter Selbst: Innere Sicherheit.

In den USA werden Regelmäßig wichtige Gesetz verabschiedet, von denen die abstimmenden Abgeordneten nichts wissen. Z.B. wurde eine beängstigende Abhörklausel mal eben weitgehend unbemerkt mit dem Budget verabschiedet. Selbst die ohnehin teils alberne Demokratie-Simulation, die regelmäßig vor den Medien und der Öffentlichkeit aufgeführt, wird ist bei näherem Hinsehen löchrig wie ein Schweizer Käse.

“the real dimensions of the US military-intelligence-police-prison complex begin to come into view: a staggering $830 billion, more than 80 cents out of every dollar in the funding bill, is devoted to killing, spying on, imprisoning or otherwise oppressing the people of the world, including the American people.” (Quelle) An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, dass US-Gefängnisse mittlerweile vielfach kommerziell betrieben werden und ein finanzielles Interesse daran haben, möglichst viele Menschen einzusperren.

Wer den (fernauslesbaren) Chip auf seinem e-Perso zerstört, muss mit strafrechtlicher Verfolgung und Haft- oder Geldstrafe rechnen.

An east London schoolgirl who was „radicalised“ by Islamic State propaganda provided by her „deceitful parents“ must be removed from her home for her own safety, a judge has said. (Quelle) Das ist eine schwierige Problematik, die mindestens einer umfassenden gesellschaftlichen und politischen Diskussion bedürfte. Dem politischen Gegner wegen Gesinnungsverbrechen mal eben die Kinder weg zu nehmen, sollte nicht so einfach möglich sein.

Via Fefe: “Portugals Präsident weigert sich anscheinend gerade, der linken Anti-Austerity-Koalition die Regierungsbildung zu erlauben”

Kommentar Zitat: “This article furnishes additional evidence that democratic regimes tend to fight tyranny by adopting some of its methods.” Die erste Hälfte des Artikels listet diverse Entwicklungen in Europa, die in diese (falsche) Richtung gehen.

Schüss Chef

Der Chef ist ein zivilisatorischer Atavismus. Seine gesellschaftliche Rolle ist so reformbedürftig, dass die Reform eher eine Abschaffung und Neuerfindung ist.

Die Chefs sind an allem Schuld. Immer. Sei es Politik, Wirtschaft, öffentlicher Dienst – geht es schief ist der Chef Schuld. Also der Chef an sich. Denn das Konzept “Chef” ist heute falsch. Ein Chef ist jemand, der anderen sagen darf, was sie zu tun und zu lassen haben. Und ein Chef ist folgerichtig für alles Tun und Lassen seiner Untergebenen verantwortlich.

Ich habe das in der Einleitung dieses Artikels schon erörtert und werde das im Detail hier nicht wiederholen: Der “Chef” ist ein zivilisatorischer Atavismus. Ich habe das in jenem Artikel in Bezug auf Hierarchien erörtert und die gesamte Arbeitsorganisation behandelt. Hier geht es nun speziell um die Rolle des Chefs. Diese Rolle ist grundsätzlich sinnvoll, oft sogar notwendig, doch ihre Ausgestaltung, ja schon ihre grundsätzliche Definition ist heute kaum mehr tragbar.

Der Chef ist unqualifiziert

Die moderne Arbeitswelt ist zunehmend durch die Kooperation hochgradiger Spezialisten gekennzeichnet. Kein Mitglied des Teams deckt alle Qualifikationen des gesamten Teams ab, schon gar nicht der Chef. Denn jener sollte idealer Weise ein Spezialist in seinem eigenen Fachgebiet, dem Führen von Mitarbeitern, sein. Dennoch ist der Chef für alle Aktivitäten seines Teams verantwortlich.

Um dem gerecht zu werden, müsste der Chef seinen Team-Mitgliedern fachlich überlegen sein, er müsste die beste Taktik und die beste Strategie haben (was nicht das Gleiche ist!), er müsste über die besten Kommunikationsfähigkeiten verfügen, die größte Empathie besitzen … der Mensch, der den Anforderungen an einen “Chef” gerecht wird, existiert in der modernen Arbeitswelt nicht.

Führer, vielleicht folgen wir

Der “Chef” ist durch seine Weisungsbefugnis definiert. Hier liegt der Systemfehler. Wir brauchen Menschen, die Entscheidungen für andere treffen. Das ist nicht nur sinnvoll sondern unerlässlich. Doch wir haben das falsche Leitbild. Wir sollten nicht an Generäle denken sondern an Führer. Bitte alle Assoziationen an den Führer ausblenden!

Ein Führer ist jemand, der den Weg kennt. Er zeigt dem Team fortwährend in welche Richtung das Ziel liegt, welche Abkürzung man nehmen sollte, wo verborgene Hindernisse oder Fallen liegen. Andere Team-Mitglieder lösen alle möglichen Probleme auf dem Weg. Niemand ist gezwungen, einem Führer in diesem Sinn zu folgen. Er überzeugt durch Kompetenz in seinem Fachgebiet.

Doch ein Führer steht nicht über der Gruppe, die er führt. Ein Bergführer ist in der Regel Angestellter, Untergebener seiner Gruppe. Es gibt keinen prinzipiellen Grund, wieso das in der Arbeitswelt anders sein sollte. Meist ist es ja richtig, wenn den Anweisungen des Chefs folge geleistet wird. Aber die Definition des “Chefs” – Weisungsbefugnis – untegräbt gerade die Kernkompetenz desselben: Führen.

Führen auf dem Drahtseil

Das Führen hoch qualifizierter Mitarbeiter ist ein delikater Balanceakt. Die hohe Qualifikation des Personals in der Informationsökonomie sorgt dafür, dass kaum ein Chef mehr eine wirklich signifikante Überlegenheit über seine Kollegen besitzt. Die Arbeitsabläufe erfordern eine hohe Motivation des Personals und diese wird durch unsensible den Vorstellungen des Personals zuwiderlaufende Anordnungen gestört. Diese Störung kann größere Schäden anrichten, als kleinere Fehler – zumal es meist viele Wege zum Ziel gibt.

Es gilt also, stets eine Balance zu finden, möglichst nur die Anordnungen zu geben, die das Team auf einem Weg zum Ziel halten und so weit möglich, das Team machen zu lassen. Wenn Korrekturen nötig sind, sollte dies nicht in Form von Befehlen geschehen. Der Führer sagt, welchen Weg er warum für den richtigen hält und wo er Probleme beim eingeschlagenen Weg sieht. Das Team kann das diskutieren und evtl. andere Lösungen vorschlagen. Ein Chef, der sein Handwerk versteht, muss praktisch nie Befehle erteilen.

Den Weg zeigen

Muss er es doch einmal, sagt er dem Team, ausdrücklich, dass er glaubt einen gewissen Weg einschlagen zu müssen. Das Team wird einem bewährten Führer folgen, auch ohne dass er unbedingte Macht über seine Gefolgschaft besitzt – auch dann, wenn der Führer, wie jeder Kollege, mal Fehler macht.

Darüber hinaus trifft ein Chef natürlich zahlreiche Entscheidungen in seiner täglichen Arbeit. Auch seine Kollegen tun dies ja dauernd. Oft benötigen seine Kollegen Entscheidungen, die nicht allein ihren Bereich betreffen und fragen den Chef, der dies dann für sie tut. Dies bedeutet aber nicht, dass der Chef über seinen Kollegen steht. Dieses Entscheidungen treffen lässt sich auch als Service für seine Kollegen begreifen.

Bis hierhin habe ich “lediglich” eine Umdefinition der Rolle des Chefs vorgenommen. Dies ist nötig doch erst der halbe Weg. Ich habe die für einen Chef erforderlichen Qualifikationen in der Einleitung kurz anklingen lassen: Fachkompetenz, Strategie, Taktik, Kommunikation, Empathie und vieles mehr. Kein Mensch kann all das, was ein Chef braucht, wirklich gut. Daher sollte die Rolle des Chefs nicht nur umdefiniert sondern auch verteilt werden.

Crowd-Cheffing

In Ansätzen geschieht dies heute schon. Es gibt Personalchefs, Produktmanager, technische Leiter und so weiter. Hier werden verteilte Führungsrollen nach Fachkompetenzen geschaffen. Doch ist es immer noch so, dass diese Partialführer jeweils ihr Team haben, dem gegenüber sie weisungsbefugt sind. Dies ist falsch und das nicht nur wegen der Weisungsbefugnis.

Es gibt Menschen, die visionäre Ideen haben, die eine Firma oder ein Team weit bringen können. Es gibt Menschen, die die analytischen Fähigkeiten besitzen, die nötig sind, um visionäre Ideen in Produkte zu verwandeln. Es gibt Menschen, die den ökonomischen Verstand besitzen, dies bezahlbar umzusetzen. Es gibt Menschen, die die Moderationsfähigkeiten besitzen, all diesen Aspekten und mehr den nötigen Raum zu verschaffen.

All diese Menschen – und mehr! – sollten als “Führer” betrachtet werden. Sie führen gemeinsam mit allen anderen das Team oder die Teams zum Erfolg. Warum hat man das nicht schon immer so gemacht? Weil es zu Kompetenzgerangel und hohen Reibungsverlusten führt.

Eine disfunktionale Kultur

Dies ist ein kulturelles Problem. Solange es die Rolle des Chefs gibt, gibt es Menschen, die diese Rolle anstreben, die keine Rücksicht auf den Erfolg des Teams nehmen, sondern ihren eigenen Vorteil über alles stellen. Diese Menschen, zerstören diesen Ansatz. Doch wenn es die Rolle des Chefs nicht mehr gibt, funktioniert diese egoistische Strategie nicht mehr. Wer führt tut dies allein aus dem Grund, dass die anderem ihm folgen, weil die anderem ihm vertrauen. So funktioniert menschliche Gesellschaft natürlicher Weise und genau so sollte sie in der Wirtschaft funktionieren.

In vielen Situationen funktioniert das aber heute nicht ad hoc. Eine komplexe vertrauensbasierte Arbeitsverteilung erfordert ein eingespieltes Team. Es ist schwer zu beurteilen, wer am besten welche Aufgaben übernehmen kann. Doch dieses Problem wird gelöst werden. Wir erleben heute die sich entwickelnde Vernetzung von Information. Wir werden die Vernetzung von Vertrauen erleben und dies wird völlig andere Arbeitsorganisationsformen erlauben. Ich habe mich damit z.B. hier und hier beschäftigt (hier ist eine Übersicht relevanter Artikel von mir).

Wer Menschen institutionelle Macht gibt, überfordert die meisten, tut den Machtbefugten wie ihren Untergebenen Unrecht. Chefs sollten die Diener ihrer Kollegen sein. Sie stehen nicht über ihnen sondern erfüllen – wie alle anderen auch – spezielle Aufgaben für das Team. Hierarchien – auch flache – sind nicht nötig sondern kontraproduktiv. Auf der untersten Organisationsstufe moderner Software-Entwicklung setzt sich hierarchielose Arbeitsorganisation zunehmend durch. Man benötigt, damit das funktioniert, spezielle Arbeitsprozesse.

Doch Hierarchielosigkeit sollte das Leitbild für die gesamte Arbeitswelt sein. Natürlich werden die meisten Chefs ihre komfortable, weitgehend unangreifbare Positionen nicht einfach aufgeben. Die Macht der Chefs wurde über Jahrtausende zu Ungunsten ihrer Untergebenen durchgesetzt. Doch letztlich wird sich das überlegene System durchsetzen.

Dieser Artikel (Englisch) verfolgt sehr ähnliche Ideen aus einer etwas anderen Perspektive.

Vetternwirtschaft 2.0

Das Vertrauensnetz wird die Welt radikal verändern. Aufgrund seiner enormen wirtschaftlichen Bedeutung wird es nicht aufzuhalten sein.

Das soziale Netz ist alles. Egal, worum es geht, Marketing, höheres Management, Politik, Militär, auch die meisten Privat-Leben – immer ist es unerlässlich im Aufgabengebiet Leute zu kennen von denen man weiß woran man ist, und die mit einem zusammenarbeiten. Beziehungen, Vetternwirtschaft, Seilschaften, Vitamin B: alles Wörter für die gleiche Sache. Es gibt keinen Faktor, der eine ähnlich große Bedeutung für den Erfolg hat. Die größten Versager können mit Beziehungen Präsident der USA werden und die größten Genies können ohne Beziehung kaum großen Erfolg haben.

Man mag das beklagen, doch genau so kann man die Schwerkraft beklagen. Wäre es nicht schön, wenn wir alle fliegen könnten? Weiß nicht. Wäre es nicht schön, wenn wir keine Menschen wären? Weiß nicht. Wir sind Menschen und sollten das Beste daraus machen. Wir sind soziale Tiere. Das ist gut. Und wir sind auf Kooperation angewiesen. Auch gut. Vetternwirtschaft ist teils menschlicher Makel, teils aus der Not geborene Strategie um mit einem ganz speziellen Engpass umzugehen: dem allgemeinen Mangel an Vertrauen.

Der Mangel an Vertrauen

Vertrauen ist heute wahrscheinlich der begrenzende Faktor der Wirtschaft. Riesige Kapital-Mengen marodieren auf der Suche nach lohnenden Investitionsmöglichkeit um den Globus. Riesige Arbeitslosenheere verstopfen viele große Volkswirtschaften. Kapital und Arbeitskraft sind im Überfluss vorhanden. Doch wenn eine neue wirtschaftliche Unternehmung gegründet wird – vulgo: ein Startup – ist zunächst das Kapital das existentielle Problem und dann, die richtigen Leute für den Job zu finden.

Und beide Probleme haben die gleiche Wurzel: den Mangel an Vertrauen.

Vertrauen ist eine einzigartige Ressource. Es ist schwer zu verdienen, sehr leicht zu verspielen und nur sehr eingeschränkt übertragbar. Letzteres geschieht durch eine Empfehlung. Diese kann einen Vertrauensvorschuss – Vertrauen auf Kredit! – vermitteln, welcher es erlaubt, sich das Vertrauen auf neuer Position viel schneller zu erarbeiten.

Die Grenzen der Vertrauens-Übertragung

Dieser Vorgang der Empfehlung zeigt, dass Vertrauen durchaus übertragbar ist, wenn auch mit Einschränkungen. Die Einschränkung besteht darin, dass die Übertragung des Vertrauens durch den Mangel an Vertrauen dem Empfehlenden gegenüber beschränkt ist. Der Vorgang der Empfehlung ist so alt wie die Menschheit – für X lege ich meine Hände ins Feuer – und heute durch Arbeitszeugnisse und Empfehlungen formalisiert.

Doch diese Formalisierung stammt noch aus der Ära der Holzmedien. Sie ist enorm umständlich, bürokratisch, ineffizient (Arbeitszeugnisse verwenden z.B. einen speziellen Sprach-Code) und skaliert schlecht bis garnicht. Letzteres bedeutet, dass sie nur für Einzelfallprüfung taugt und sich nicht beschleunigen lässt.

Netzwerke

Wir leben heute in einer Utopie. Der überwiegende Teil der Menschheit ist heute zumindest eingeschränkt Teil des globalen Informationsnetzes und es wird nicht lange dauern, bis fast jeder Mensch uneingeschränkten Zugang zum Informationsnetz haben wird (siehe hier). Das war vor dreißig Jahren völlig unvorstellbar. Und es hat die Welt für die Teilnehmer des Informationsnetzes grundlegend verändert.

Nun stellen Sie sich bitte eine andere Utopie vor: Wir alle seien Teilnehmer eines globalen Vertrauensnetzes. Das Vertrauensnetz unterscheidet sich grundlegend vom Informationsnetz. Ich könnte mir Information theoretisch auch aus einer einzigen Quelle abrufen und es wird gerade versucht, die Netzstruktur des Informationsnetzes genau in diese Richtung um zubauen. Doch das Vertrauensnetz kann ausschließlich als Netzstruktur funktionieren – und es setzt das Informationsnetz voraus.

Ich kann die Vertrauenswürdigkeit einer Person nur beurteilen, wenn ich sehe, welches Vertrauen dieser Person von anderen entgegengebracht wird, welches Vertrauen diesen anderen entgegen gebracht wird und so weiter. Das Vertrauensnetz erfordert also eine netzförmige Informationsübertragung zwischen seinen Teilnehmern.

Vertrauensnetz

Es ist keine Utopie. Das Vertrauensnetz existiert. Doch wir leben in seiner Steinzeit. Wenn Sie alt genug sind, wissen Sie vielleicht noch, wie sich das WWW vor Google angefühlt hat. Information zu finden war furchtbar umständlich. Ein Internetsuche hat meist viel Zeit in Anspruch genommen und man hat bergeweise Information gefunden, die man überhaupt nicht gesucht hat.

Erinnern Sie sich vielleicht auch noch an die Zeit vor den großen Suchmaschinen wie Lycos, Altavista und Metager? Anfang der Neunziger gab es schon große Informationsmengen im Netz, aber sie waren nur sehr schwer zugänglich. Surfen mit Mosaic machte Spaß und war total spannend, hatte aber noch kaum praktische Bedeutung. Es war jenseits der Universitäten eine Spielerei.

Das Vertrauensnetz befindet sich heute irgendwo zwischen diesen ersten Anfängen mit Mosaic und dem Auftauchen von Googles Page-Rank Algorithmus. Doch das Problem des Vertrauensnetzes ist nicht nur das Fehlen einer Suchmaschiene sondern vor allem das Fehlen der tieferen Vernetzung.

Vertrauensnetz-Tools schießen wie Pilze aus dem Boden. Immer mehr Dienste bieten Bewertungs-Möglichkeiten für alles Mögliche. Kunden-Reviews von Amazon-Produkten, Bewertungen von Verkäufern auf Ebay, von Handwerkern auf Myhammer, Bewertungen von Geschäften auf Yelp, Bewertungen von Bars, Restaurants und Shops auf Foursquare, Bewertung von Arbeitgebern auf Kununu, Bewertung von Arbeitnehmern auf Dutzenden Freelancer-Plattformen und geschäftlichen sozialen Netzen wie LinkedIn, die Bewertung des persönlichen Wohnumfeldes auf airbnb – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Es gibt heute nur noch wenige Lebensbereiche, für die keine Bewertungsplattformen existieren.

Und dann gibt es noch die großen sozialen Netze, allen voran Facebook. Auch hier finden mit “Freundschaften” und “likes” dauernd Bewertungen statt, auch wenn die Bewertungsmöglichkeiten hier um des sozialen Friedens willen sehr eingeschränkt sind. Es existiert ein riesiges Netz von Bewertungen. Und diese Bewertungen drücken oft Vertrauen aus: ich vertraue diesem Produkt (oder auch nicht), diesem Handwerker und so weiter.

Kein Vertrauen ohne Netz

Doch insbesondere von Amazon ist das Kernproblem bekannt: ausgesprochenes Vertrauen nutzt genau gar nichts, wenn man dem nicht trauen kann, der das Vertrauen ausgesprochen hat. Interessanter Weise funktioniert es anders herum schon einigermaßen: wer brauchbare Produkte bei Amazon sucht, muss Produkte mit vielen Bewertungen suchen und kann sich dann ein brauchbares Urteil aus Zahl und Inhalt der negativen Bewertungen bilden. Die positiven sind irrelevant, da sie oft gefälscht sind.

Denn was fehlt ist die Vernetzung: wüsste ich, dass ich den Bewertern trauen kann, wären die Bewertungen viel hilfreicher.  Natürlich versucht Amazon dieses Problem mit dem Top-Rezensenten-Programm zu adressieren, stellt sich dabei aber gleich wieder selbst ein Bein.

Dasselbe gilt auf allen Bewertungsportalen: Sie sind nicht völlig nutzlos. Doch da meist nur eine einzelne Ebene des Vertrauens abgebildet und nicht tiefer vernetzt wird, ist der Nutzen extrem eingeschränkt. Das Vertrauensnetz steckt noch in seiner Steinzeit.

Aber wird es hier denn eine dem WWW und Informationsnetz vergleichbare Entwicklung überhaupt geben? Handelt es sich nicht um ein Randphänomen? Oh, ja, diese Entwicklung wird es geben. Oh nein, das ist kein Randphänomen. Das soziale Netz ist alles. Das Vertrauensnetz ist eine Killerapplikation. Eine Killerappliation ist eine Anwendung, die zum Selbstläufer wird und ganzen Technologie-Familien zum gesellschaftlichen Durchbruch verhelfen, weil sie so ungemein nützlich sind. Beispiele? Technologie – Killerapplikation:

  • Elektrizität – elektrisches Licht

  • Computervernetzung – Email

  • Internet – WWW

Ein funktionierendes Vertrauensnetz bedeutet, dass ich genau weiß, welchen Bewertungen, welchen Kommentaren, welchen Artikeln ich trauen kann. Dadurch wird der Wert der Information enorm gesteigert; und unsere Gesellschaft mit einer Radikalität transformiert, die die Anfänge der Vernetzung bis heute recht beschaulich aussehen lässt.

Denn der Mangel an Vertrauen hat unsere Gesellschaft geprägt wie kein anderer Faktor. Menschen organisieren sich auf allen Ebenen zu Gruppen, die meist eine gewisse Zeit bestehen. Von der Familie zur Abteilung, vom Fußballverein zu den Bilderbergern: egal, was man erreichen möchte, man benötigt eine Gruppe von Menschen und diese funktioniert nur mit Vertrauen.

Disruption Reloaded

Wenn nun Vertrauen überall reichlich vorhanden ist, ändert das vieles. Natürlich werden die traditionellen Gruppen fortbestehen, sie sind Teil unserer menschlichen Natur. Doch das Vertrauensnetz erlaubt es, unmittelbar Ad-Hoc-Gruppen zu bilden, die sofort effizient arbeiten können. Jedes Mitglied, weiß, was es von den anderen erwarten kann und was nicht, auch wenn sich alle Mitglieder noch nie vorher begegnet sind. Wenn ich irgendeine Aufgabe zu erledigen habe, kann ich mit Hilfe des Vertrauensnetzes sofort die ideale Person zur Lösung der Aufgabe finden.

Es ist möglich, dass sich feste Arbeitsverhältnisse langfristig weitgehend auflösen. Voraussetzung ist das Vertrauensnetz und die Freelancer-Platformen arbeiten genau daran. Doch es sind nicht nur feste Arbeitsverhältnisse betroffen. Die potentielle Änderung der Organisationsform betrifft alle Bereiche der Gesellschaft.

Man mag das beklagen, doch genau so kann man die Schwerkraft beklagen. Es hat (auch?) Vorteile. Es wird zum Beispiel kein Problem sein, einen guten Handwerker zu finden. Und viele meiner utopischen Ideen setzen das Vertrauensnetz voraus.

Jedenfalls wird es sich kaum aufhalten lassen. Denn der wirtschaftliche Vorteil ist enorm. Es lässt sich beobachten, wie die Wirtschaft zunehmend Projekt-orientiert wird. In Teilen der IT-Wirtschaft gibt es einen Trend, nur mit einer Kernbelegschaft zu arbeiten und die Hauptarbeit von Projekt-bezogenen Ab-Hoc-Teams aus Freelancern erledigen zu lassen. Somit haben solche Unternehmen immer die perfekte Mannschaft für die Projekte und müssen keinen Leerlauf bezahlen, wenn die Auftragslage mal mau ist.

Mit zunehmender Automation wird die Projekt-Bezogenheit zunehmen. Denn die eigentliche Produktion, Dienstleistung und so weiter nimmt immer weniger Arbeitskraft in Anspruch. Was mindestens noch eine Weile bleiben wird ist die Markt-Exploration und der Aufbau neuer Produkte, Dienstleistungen, Produktionsabläufe usw. Alls dies ist Projekt-Arbeit. Und es wird in all diesen Bereichen und mehr immer wichtiger für einen recht begrenzten Zeitraum ein Team auch hoch spezialisierten Experten zusammen zu stellen.

Es ist fraglich, ob die starren Strukturen der traditionellen Wirtschaft den immer schnelleren Innovationszyklen gewachsen sein werden. Der Freelancer-Markt wächst stetig und das trotz gering ausgebildetem Vertrauensnetz und obwohl bisher nur spezielle Persönlichkeiten zu Freelancern werden, da die sozialen Sicherungs-Systeme nicht mit diesem radikalen Wandel mithalten.

An anderer Stelle zeigen sich die Auswirkungen des frühen Vertrauensnetzes noch deutlicher: Airbnb und anderen Plattformen ist es gelungen, den Vertrauensmangel in einem speziellen Marktsegment soweit zu sättigen, dass die Branche der vorübergehenden Unterbringung gerade revolutioniert wird. Nebenwirkungen sind niedrigere Kosten und ein erheblich besserer Service für die Kunden. Dieser Artikel bietet eine interessante Diskussion zu dem Thema und geht explizit und ausführlich darauf ein, was das mit Vertrauen zu tun hat.

Echte Markwirtschaft braucht Vertrauen

Abstrakter lässt sich feststellen, dass mit zunehmender Ausbildung des Vertrauensnetzes die Transaktionskosten auf breiter Front einbrechen. Das Vorhandensein und die Höhe der Transaktionskosten bei der Benutzung des Marktes sind überhaupt dafür verantwortlich, dass es Firmen und andere wirtschaftliche Institutionen gibt. Wenn die Transaktionskosten sinken, sollte das dazu führen, das der Markt kleinteiliger wird. Das heißt es gibt viel mehr kleine Anbieter und viel weniger große.

Genau das lässt sich im Unterbringungsmarkt beobachten, womit wir wieder bei obigem Beispiel Airbnb sind. Auch Ebay, Amazon Marketplace und viele andere Angebote, die die Transaktionskosten senken, haben genau den gleichen Effekt.

Für mich ist das ein Grund zum jubeln. Ich glaube, dass der Markt funktionieren würde und die beste Organisationsform der Wirtschaft wäre, wenn man ihm denn eine Chance gäbe. Doch statt vom Markt ist unsere Wirtschaft von Monopolen und Kartellen geprägt. Mit zunehmender reife neigt jeder Markt zu starker Konzentration auf Anbieter-Seite. Das heißt, der Markt schafft sich stets selbst ab. Ein wichtiger Grund für diese Konzentration sind die hohen Transaktionskosten, die durch das Vertrauensnetz massiv gesenkt werden. Ein anderer ist übrigens die Werbung, wie ich hier erörtere.

Wir sehen also Zeiten entgegen, die meinen Idealen deutlich näher kommen. Dieser Artikel stellt das ganz ähnlich dar. Auch hier werden Grenzkosten, Transaktionskosten und der Vertrauensfaktor betrachtet.

Rückkopplung auf die Menschen

Das Vertrauensnetz wirkt natürlich auch auf die Menschen zurück. Wenn ich Mist baue, kann sich das auf das mir entgegen gebrachte Vertrauen auswirken. Und “Mist” kann sowohl fachliche als auch menschliche Dimensionen haben. In einer Welt schnell wechselnder Kooperationen kann es sich z.B. ein Chef nicht leisten, seine Mitarbeiter schlecht zu behandeln – mit ihm würde schlicht niemand arbeiten wollen. Gleiches gilt möglicherweise, für moralisch fragwürdige Unternehmungen: wenn ich z.B. an einem ausbeuterischen Projekt mitarbeite verbaue ich mir damit möglicher Weise meine berufliche Zukunft.

Doch das ist nicht auf den Beruf beschränkt. Wir werden eine Demokratisierung der Wirtschaft erleben. Jemand, der beispielsweise persönlich für die Lieferung von Waffen in Krisengebiete verantwortlich ist, bekommt möglicherweise kein Bier mehr in einer Kneipe. Grund dafür ist der Arschlochdetektor. Man mag den beklagen, aber verhindern wird man ihn kaum. Auch hier wird das z.B. anhand der kaum aufzuhaltenden automatischen Gesichtserkennung erläutert.

Das Vertrauensnetz wird die Welt radikal verändern. Etwas, das so wichtig für unsere Zukunft ist, sollten wir nicht allein zunehmen monopolisierten privatwirtschaftlichen Interessen überlassen. Doch genau das geschieht gerade. Wir brauchen Gesetze, die allgemeinen Zugang zu diesen essentiellen Informationen sichern und Initiativen, die diese Informationen auf öffentlichen Plattformen, ähnlich Wikipedia, zugänglich machen – siehe z.B. KiIsWhoWi.

Wir sind der Staat

Nach der Legislative stelle ich hier ein Konzept für die Exekutive vor.

Wir sind der Staat. Sollte man meinen. Das ist zumindest die treibende Idee der „Republik“, der „Res Publica“: der „Sache des Volkes“. Doch nach Jahrtausenden der Gegnerschaft von Herrschenden und Beherrschten, ist es letzteren bislang lediglich gelungen, sich eine etwas bessere Position in diesem vormals aussichtslosen Kampf zu verschaffen. Doch die Gegnerschaft ist geblieben.

Staat gegen Volk

Es gibt nicht viele Völker auf der Welt, die sich so mit ihrem Staat identifizieren, wie wir obrigkeitsgläubigen Deutschen. Doch selbst hier wird z.B. Steuerhinterziehung von den meisten Menschen eher als Sport gesehen denn als ernstes Vergehen. In den USA wird der Staat als potentieller Feind gesehen, gegen den man sich bewaffnen sollte und rund die Hälfte der Bürger sähe den Staat lieber auf wenige Tätigkeitsfelder begrenzt, wie Überwachung und Law und Order. Ein wichtiger Grund für die griechische Misere ist der Antagonismus zwischen dem griechischem Staat und seinem Volk.

Selbst in den fortschrittlichen westlichen Demokratien empfindet sich die Bevölkerung also meist nicht als Teil des Staates sondern mehr oder weniger als sein Gegner. Unter den zahlreichen monokratischen Präsidenten und korrupten Oligarchien dürfte das nicht besser aussehen.

Ich habe an anderer Stelle vorgeschlagen, dass man sich seinen Staat unabhängig vom Wohnort aussuchen können sollte. Dies allein würde auf Dauer sicherlich schon von allein zu bürgernäheren Staatsformen führen. Doch wie könnte so ein bürgernaher Staat aussehen? In “”Regierung mal anders” habe ich mich mit dem legislativen Aspekt dieses Problems auseinander gesetzt, hier geht es nun um die Exekutive.

Mitmachen, Mitentscheiden

Es gibt zwei Faktoren, die mehr alles andere die Identifikation von Menschen mit ihren Institutionen bestimmen. Der eine Faktor ist die Möglichkeit der Einflussnahme. Wenn Menschen nicht die geringste Einflussmöglichkeit auf etwas haben, werden sie sich kaum damit identifizieren. Wenn sie hingegen fast alles bestimmen, wird es schnell zu ihrem „Baby“. Der andere Faktor ist das Mitmachen, das Einbringen der eigenen Arbeit, der eigenen Ideen, der eigenen Person. Es ist kaum möglich, sich mit etwas zu identifizieren, das nichts mit einem zu tun hat und kaum möglich, sich nicht mit etwas zu identifizieren, das man allein geschaffen hat.

In einem Staat ist es offensichtlich nicht möglich, dass alle alles bestimmen und alles selbst machen. Das könnte „bestenfalls“ einer tun – der in sich alle Rollen vom obersten Diktator zum untersten Diener des Volkes vereinen müsste. Wenn dies denn möglich wäre, würde es die Identifikationsmöglichkeit einzelner mit ihrem Staat maximieren, und die aller anderen minimieren.

Staat ohne Bürger

Und so weit das denn möglich ist, gehen wir heute diesen Weg, der der großen Mehrheit eine Identifikation mit ihrem Staat verwehrt. Wir schaffen – seit Jahrhunderten schon – eine bestimmte Klasse von Menschen, die Staat machen. Dies sind die Beamten. Es gibt auch andere Menschen, die letztendlich für den Staat arbeiten. Doch jene führen lediglich einzelne Aufträge aus und arbeiten nicht direkt für den Staat sondern werden von privaten Unternehmen bezahlt, die Aufträge für den Staat übernehmen. Solche Macher werden sich eher mit ihrem Unternehmen identifizieren als mit dem Staat.

Die Beamten sind die Macher. Bestimmen tun sie mit wenigen Ausnahmen kaum etwas, da sie stets streng nach Vorschrift verfahren. Die Entscheidungsmacht wird so stark wie möglich konzentriert. Zwar gibt es mittlere Entscheidungsebenen doch wird die Weisungsbefugnis und letztliche Verantwortung pyramidal nach oben konzentriert wie schon seit Jahrhunderten. Die letzte Entscheidungsbefugnis und Verantwortung trägt auf kommunaler Ebene der Bürgermeister (siehe z.B. Love Parade Debakel in Duisburg), auf Landesebene die Ministerpräsidentin (siehe z.B. Rücktritt Albertz wegen der Ausschreitungen und Benno Ohnesorgs Tod beim Schah-Besuch) und auf Bundesebene die Minister (siehe z.B. Rücktritt Jungs wegen Kunduz-Affaire), bzw. die Kanzlerin.

Ich habe dies schon bezüglicher der Legislative festgestellt und hier für die Exekutive gilt es ebenso: Wenn man bewusst versuchen würde, ein System zu schaffen, mit dem sich die Menschen nicht identifizieren können, könnte man es kaum besser machen: Die Macher sind die unsichtbaren Beamten, die aber nichts entscheiden und sich – wenn sie doch mal kurz sichtbar werden – hinter ihren regalfüllenden Vorschrifts-Gebirgen verstecken. Die Verantwortlichen sind von ihren grauen unsichtbaren Verwaltern kaum zu unterscheiden und sind zusätzlich entrückt in fernen Regierungsgebäuden oder -Kammern, zu denen der Normalsterbliche nie Zugang erhält.

Mitmachen

Die zwei Faktoren, die Identifikation bedingen, sind Mitmachen und Mitentscheiden. Der erste Faktor lässt sich prinzipiell leicht verwirklichen. Jeder Bürger könnte statt steuerpflichtig zu sein, verpflichtet werden, durch seine Arbeit und Qualifikation zum Gemeinwesen bei zu tragen. Jeder Bürger muss einfach einen gewissen Anteil seiner Lebensarbeitszeit für den Staat ableisten. Mit der Wehrpflicht gab es so etwas schon einmal. Man könnte jede Woche ein paar Stunden für den Staat arbeiten oder einige Jahre pro Dekade – das sollte flexibel gehandhabt werden.

Um so etwas umzusetzen braucht es noch ein Anreizsystem. Beamte haben heute eine nahezu perfekt gesicherte Existenz und erhalten regelmäßig Beförderungen. Die größte Schwäche des existierenden Anreizsystems ist, dass es offenbar dazu führt, dass die Bürokratisierung sich ständig ausdehnt, wenn nicht gerade versucht wird ausufernde Bürokratisierung gezielt einzudämmen. Dies liegt daran, dass Ansehen und teilweise auch Sold eines Beamten unter anderem davon abhängen, wieviele Untergebene er zählt. Also ist es mit das wichtigste Interesse der Beamten, ihren Zuständigkeitsbereich – ihre Verantwortung – auszudehnen.

Wenn hingegen alle gleichermaßen Staatsdienst leisten müssen, gibt es nur einen Parameter, den man beeinflussen kann – die Dauer dieses Dienstes. Staatsdiener, die ihren Dienst nicht vernünftig erfüllen müssen also Zusatzdienst leisten, am besten in Bereichen, wo sie der Öffentlichkeit keinen Schaden zufügen können.

Staatsdiener, die es schaffen, die staatlich zu leistende Arbeit zu verringern – durch Effizienzsteigerung oder sinnvolle Eingrenzung der Zuständigkeit – sollten ihrerseits mit Verringerung ihrer Dienstpflicht belohnt werden. Dies würde zu einer Bürokratie führen, die im Gegensatz zu unserer nicht zur Expansion sondern zur Kontraktion neigt.

Natürlich bedarf es weiterer Justierungs-Mechanismen, damit sich die Bürokratie nicht binnen kurzem selbst zur Gänze Abschafft. Und ordentliche Arbeit muss direkt mit hohem Ansehen verbunden werden, wie z.B. hier erläutert.

Entscheidend

Wenn nun jeder beim Staat mitmacht, bestimmt auch jeder automatisch ein Stück weit mit. Arbeiten, die völlig ohne jegliche Entscheidungsbefugnis der Ausführenden auskommen sind rar und stehen in der Regel kurz vor der maschinellen Automatisierung. Doch die Entscheidungsbefugnis heutiger Beamter wird schon sehr weitgehend durch ein enges Vorschriftenkorsett eingegrenzt. Aus verschiedenen Gründen – Effizienz, Identifikation von Bürgern mit ihrem Staat, Anpassung an lokale Gegebenheiten, Motivation der Dienstleistenden, Zufriedenheit der Bürger mit den Dienst Leistenden und vieles andere mehr – sollte jede Entscheidung statt dessen so weit wie irgend möglich in Richtung der Ausführenden verschoben werden.

Ob ein Individuum ein bestimmte Frage entscheiden darf oder vielmehr kann, hängt vom Vertrauen der Kollegen und der in dieser Sache betroffenen Bürger ab. Dieses Vertrauen in professionelle Fähigkeiten wird digital dokumentiert und ist allen zugänglich. Dieser Punkt erfordert eine einigermaßen Umfangreiche Erörterung, die ich hier beispielhaft für ein Krankenhaus geführt habe. Das gleiche System lässt auch auf den Staatsdienst und viele andere Bereiche übertragen.

Wenn Entscheidungen die Koordination unterschiedlicher Bereiche oder mehrerer Kollegen im gleichen Bereich erfordern, dann können sich die Betroffenen Kollegen entsprechend abstimmen oder auch vermittelt durch Koordinatoren (vergleichbar mit heutigen Managern doch nicht unbedingt mit Weisungsbefugnis) einigen. Solche Koordinatoren können auch bei Uneinigkeit eine Entscheidung fällen, oder auch Entscheidungen von einzelnen überstimmen wenn sie höhere oder gleichwertige Interessen gefährdet sehen.

Crowd-Staating

So ist also jeder bei der Umsetzung wie auch bei der Gestaltung des Gemeinwesens beteiligt, so weit es seine Fähigkeiten irgend erlauben. Dies sind optimale Bedingungen für einen bürgernahen Staat. Doch es hat noch andere Vorteile. Es hat wie gezeigt den Bürokratieabbau gleich eingebaut. Und es ist eine Organisationsform, die daraus ausgerichtet ist, aus kleinen Keimzellen dezentral zu wachsen.

Ein solcher Staat muss nicht gleich die komplette Souveränität übernehmen. Er kann mit kleinen Teilaufgaben heutiger Staaten beginnen oder sich auch zunächst andere Aufgaben suchen. Es hat sich gezeigt, dass viele Menschen bereit sind, einen Teil ihrer Freizeit in gemeinschaftliche Projekte zu investieren. Der vorgeschlagene Staat will nicht gleich über Steuern in die Brieftaschen der Menschen greifen sondern nimmt sie einfach soweit auf, wie sie sich einzubringen bereit sind. Gleichzeitig skaliert das System – hoffentlich, doch ich sehe hier zu Zeit keine begrenzenden Faktoren – auf ein großes transnationales Gemeinschaftswesen.

Wie ich gewählt habe und warum

Der Glaube an den Neoliberalismus setzt den Glauben voraus, dass mit Wachstum alles gut wird. Doch dieses Wachstum – genug davon – gibt es in Deutschland seit 40 Jahren nicht mehr.

In Deutschland gibt es heute 10 Millionen Arbeitnehmer, die keine Arbeit haben, von der sie leben können – 3 Millionen Arbeitslose und 7 Millionen prekär Beschäftigte. Das sind ein Viertel bis ein Drittel aller Arbeitnehmer und damit ein ähnlich großer Teil der ganzen Gesellschaft. Die 7 Millionen prekär Beschäftigten sind Ergebnis der Deutschen Niedriglohnpolitik, die SPD und Grüne eingeführt und CDU/CSU und FDP ausgebaut haben.

Außerhalb Deutschlands hat diese Politik aufgrund relativ sinkender deutscher Lohnstückkosten zu massiven wirtschaftlichen Verwerfungen innerhalb Europas geführt und dazu, dass die Lage in Südeuropa noch weit schlimmer ist, als bei uns. Wir versuchen – mit durchaus signifikanten Teilerfolgen – unser Beschäftigungsproblem zu exportieren.

Da ich nicht an das heilbringende Wachstum glaube und aufgrund zahlreicher Einzelpositionen sind für mich in dieser Reihenfolgen CDU/ CSU, FDP und SPD nicht wählbar.

Ich habe bisher meist Grün gewählt. An der Wählerschaft der Grünen kann man sehen, dass man sich die hehren Ziele der Grünen leisten können muss. Wir Grünenwähler sind satt, wohlhabend, besser gestellt, wirtschaftlich wie moralisch überlegen, aber eher keine Unternehmer, die durch Grüne Politik wieder zu viel zu verlieren haben.

Deshalb muss man selbst, wenn man Grüne Ziele verfolgt, erst die Probleme der sich ausbreitenden Massenarmut bekämpfen. Denn der stets steif aufgereckte moralische Zeigefinger der Grünen kann nur Beachtung finden, wenn der Bauch gefüllt ist. Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

Bleiben die Linken. Im Kern stehen sie für den Glauben, dass es besser wird, wenn wir kapitalistische Bevormundung durch staatliche Bevormundung ersetzen. Bei historischer Betrachtung scheint mir diese These gewagt. Und hier im deutschen Westen sind die Chaoten der ehemaligen WASG unwählbar. Dennoch. Stärkere Linke heißt, dass die Problematik deutschen Lohndumpings mehr mediale Airtime bekommt, dass Nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik in öffentlichen Diskussionen nicht gänzlich ignoriert wird, dass es noch eine pazifistische Stimme im ehemals pazifistischen Deutschland gibt.

Ich habe meine Stimme dafür verwendet, bestimmten Standpunkten in den Medien etwas mehr Raum zu verschaffen. Wenn die Linke eine realistische Machtoption hätte, hätte sie meine Stimme nicht bekommen. Doch selbst als Junior-Partner der gemäßigt neoliberalen SPD – eine sehr unwahrscheinliche Option – könnte die Linke kaum all zu viel Schaden anrichten.

Hier Archie dort Teamwork

Die Organisation unserer Arbeitswelt folgt überwiegend archaischen Mustern. Das ließe sich – für alle Beteiligten – sehr viel besser und angenehmer regeln.

Wir stammen aus einer Welt in der kaum jemand Ahnung hatte und in der Fehlentscheidungen schnell mal tödlich waren. Zu früh gesät, zu spät? Ernteausfall, Exitus. Gedacht, die Strecke ist sicher? Ausgeraubt, aufgeschlitzt. Krankheit nicht gekannt? Angesteckt, hingestreckt. Wetter verschätzt, rausgesegelt? Blub, blub. Mit dem falschen angelegt? Ganz schlechte Idee.

Hierarchie rettete Leben

Wir stammen aus einer Welt mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von Mitte 40. Wer die Kombination aus Unerfahrenheit, Ahnungslosigkeit und letaler Umwelt lebt, ist sehr froh, wenn er jemanden hat, der brauchbare Entscheidungen für ihn trifft. Wir stammen aus einer Welt, in der Hierarchie einen großen Wert auch für die hatte, die unten in der Pyramide der Macht standen.

Folgerichtig war und ist Hierarchie das zentrale Organisationsprinzip unserer Gesellschaft. Hierarchie ist das System, in dem die vielen Unerfahrenen Ahnungslosen optimal vom Wissen der weisen Wissenden profitieren können. Nicht, dass letztere das nicht gnadenlos ausgenutzt hätten.

Hierarchie ist ein zivilisatorischer Atavismus

Doch in den letzten paar hundert Jahren hat es zwei Entwicklungen gegeben, die die Prämissen grundlegend geändert haben: Die meisten Menschen verfügen über spezialisierte Kompetenzen. Fehler sind kaum noch unmittelbar tödlich. Somit sind alle Gründe, die Hierarchie zum Organisationsprinzip der Wahl machen, obsolet. Hierarchie ist heute ein Atavismus unserer kulturellen Evolution. Sie nutzt nur noch denen, die oben stehen – und wird von diesen entsprechend verteidigt.

In jüngerer Zeit gibt es eine weitere Entwicklung, die die Unterlegenheit der Hierarchie verschärft und offensichtlicher werden lässt: das omnipräsente Datennetz mit seinen im Prinzip gleichberechtigten Knoten. Dieses Netz könnte eine elementare Rolle in einer egalitäreren Organisation unserer Gesellschaft spielen. Doch in diesem Artikel soll es um ein Beispiel gehen, in dem das Netz keine hervorgehobene Rolle spielt: wie könnte eine vernünftigere Organisation der Arbeitsabläufe im Krankenhaus aussehen?

Der Medicus

Es war einmal in einer Welt vor unserer Zeit, da verfügten Ärzte über ein gehütetes Spezialwissen. Ihre Kunst bestand in der Stellung der Diagnose. Die eigentliche Behandlung war aufgrund der sehr beschränkten Möglichkeiten i.d.R. relativ simpel und konnte von weitgehend unqualifiziertem Pflege-Personal durchgeführt werden. Eine echte Prüfung der Diagnose war oft nicht möglich, da es wenig aussagekräftige Analyse-Techniken gab. In diesem Umfeld waren Ärzte unangefochtene Halbgötter auf deren Schultern allein sich Verantwortung und Ruhm verteilten.

Doch dann kam die Aufklärung, dann kamen die Volks-Bildung, die Naturwissenschaft, die moderne Technologie und ein galoppierendes Expertentum, das jeden antiken Arzt neben einer modernen Krankenschwester aussehen lässt wie der schäbige Quacksalber, der er war. Schwestern und Ärzte sind heute Teams mit verteilten Spezialfähigkeiten. Ein Patient benötigt das spezielle Wissen von Schwestern und Ärzten. Es ist keineswegs so, dass Ärzte über alle Fähigkeiten und Erkenntnisse des Pflegepersonals verfügen und lediglich aus Effizienzgründen delegieren.

Arbeit ist eine Team-Sportart

Wie bei fast allen modernen Unternehmen liegt der Erfolg eines Krankenhauses nicht in den arkanen Künsten seiner Halbgötter, sondern im Prozess der alle Team-Mitglieder zusammen zum Erfolg führt. Jede ungewaschene Hand, zahllose Unaufmerksamkeiten oder Therapiefehler von Ärzten oder Pflegern können den Erfolg vereiteln. Nur wenn jeder seinen Job gut erledigt – und das gilt „selbst“ und hier besonders fürs Raumpflege-Personal – kann die gemeinsame Anstrengung von Erfolg gekrönt sein.

Dennoch gibt es ihn immer noch. Schlecht bezahlt und überarbeitet, doch Halbgott bleibt Halbgott. In den Händen der Ärzte liegt nach wie vor die ganze „Verantwortung“ für das Wohl und Wehe der Patienten. „Verantwortung“ bedeutet hier, sie müssen teure Versicherungen abschließen, die einspringen, wenn im „Verantwortungsbereich“ des Arztes z.B. eine Schwester auf Anordnung des Arztes ihre „Kompetenzen“ überschritten hat und dabei ein Fehler unterläuft. Diese Praxis der Konzentration der Verantwortung und Weisungsbefugnis auf die Halbgötter ist genauso deplaziert und anachronistisch wie ein Aderlass.

Orderlass

Doch im Gegensatz zum Aderlass erfreut sich die Hierarchie nach wie vor bester Gesundheit. Denn die wahrhaft großen Führer – jene die zum Erfolg der Geführten führen statt zum eigenen – sind eine seltene Spezies. Und jene, die vor allem den eigenen Erfolg im Blick haben, profitieren trefflich von ihren Führungspositionen.

Das Pflegepersonal hat sehr viel mehr Kontakt zu einzelnen Patienten als die Ärzte. Das Pflegepersonal kümmert sich auch – mit Ausnahme intravenöser Spritzen – um die Verabreichung der Medikation und hat daher bei einem gegebenen Patienten einen besseren Überblick als der Arzt darüber, was der Patient alles bekommt, und wie die Therapie anschlägt. Wenn dieser reiche Informationsschatz von den Ärzten genutzt wird – was durchaus vorkommt – geschieht das nicht wegen des Systems, sondern gegen das System.

Besonders augenfällig ist diese kontraproduktive Arbeitsteilung bei Hebammen und Reproduktionsmedizinern. Erstere umgeben sich mit allerlei Mumpitz und realen Therapie-formen, die das Gesetz ihnen lässt, letztere blicken mit mehr oder weniger Verachtung auf die Hebammen und ihr teils Jahrtausende altes Wissen. Die feine Beobachtungsgabe und der oft enge Kontakt der Hebammen zu den Müttern wird von Ärzten kaum genutzt.

Team-Diagnose

In einer idealen Welt – oder auch in jeder Welt, die den Realitäten der modernen Medizin auch nur halbwegs gerecht würde – wären Ärzte und Pflegepersonal Teil gleichberechtigter Teams. Natürlich können Schwestern Diagnosen stellen. Einen Patienten allein der Diagnose einer einzigen Schwester zu überlassen ist natürlich genau so idiotisch, wie ihn der Diagnose eines einzigen Arztes zu überlassen.

Es gibt nichts wichtigeres als Gesundheit. Sie ist das höchste Gut, das wir haben. Diesem Wert ist ein einzelnes Urteil niemals angemessen. Das Team muss gemeinsam überzeugt sein von der Diagnose – oder mehrere Pfade gleichzeitig verfolgen. Wertvolle Informationen wie die Beobachtungen, die Schwestern über Tage machen, einfach wegzuwerfen, ist eine bemerkenswerte Torheit.

Fehler und Verantwortung

Und wenn eine Schwester eine Fehldiagnose stellt? Dann haftet sie. Es ist jedoch falsch, ein Mitglied eines Teams alleine haften zu lassen. Es müssen alle zusammen überzeugt sein, also müssen sie auch zusammen haften. Ein Pfleger, der gerade von der Schule kommt und mit der Ausbildung beginnt, kann natürlich nicht die gleiche Verantwortung übernehmen, wie ein erfahrener Arzt. Ein auszubildender Pfleger haftet also mit einem deutlich geringeren Anteil als der Arzt.

Wer mit welchem Anteil haftet hängt von der individuellen Kompetenz ab. Diese wird durch gegenseitige Zuschreibung in einem System wie KiIsWhoWi ermittelt. Jeder teilt dort mit, für wie kompetent er andere in Fachgebieten hält. Jemand, der von anderen für kompetent gehalten wird, hat in seiner Fachdisziplin eine größere Wertungskraft als „Inkompetente“. In so einem System trüge eine erfahrene Hebamme eine größere Verantwortung als ein Arzt frisch von der Uni – und so sollte es auch sein.

Vertrauen und Verantwortung

Ich sollte auch nicht für Fehler von Kollegen haften, die ich für inkompetent halte. Wenn also eine Fehlentscheidung getroffen wird, haftet zunächst der oder die EntscheiderIn. Dann wird geschaut, wie die Kompetenz und das gegenseitige Vertrauen im Team  verteilt sind und die Haftung ausgehend vom Entscheider entsprechend verteilt. Jedes Teammitglied kann mit diesem Wissen selbst entscheiden, wie viel Verantwortung es übernehmen möchte, ob es Entscheidungen trifft oder Mangels „Deckung durchs Team“ lieber anderen überlässt.

Da Ärzte in der Regel über besondere Kompetenzen verfügen, würde sich oberflächlich betrachtet gar nicht viel ändern. Doch tatsächlich würde sich sehr viel und sehr grundlegend ändern. Es gäbe keinen Chef per Dekret mehr. Führung und Verantwortung wären abhängig vom gegenseitigen Ansehen. Erfahrene Schwestern trügen große Verantwortung. Senile Professoren verlören nach und nach ihren Status. Ärzte, die nicht teamfähig sind, könnten entsprechend auch keine Teams führen. Es wäre eine Arbeitswelt, wie sie sein sollte.

Dank

Dieser Artikel ist aus einer Diskussion mit Christiane Kretschmer entstanden.
Vielen Dank Christiane.
Christiane kennt die Abläufe im Krankenhaus aus erster Hand –
von Seiten des Pflegepersonals. Ihre Einsichten, decken sich mit
denen meiner Mutter, die die gleichen Missstände aus Sicht der
Ärzteschaft kritiert hat.

Anti Amok Utopie

Wie müsste eine Gesellschaft aussehen, in der jeder schnell und risikolos an eine Kriegswaffe gelangen kann?

Es ist jetzt bestimmt zehn Jahre her, eher mehr. Doch die Erinnerung ist lebhaft. Denn es war das Highlight der Exkursion. Im Fraunhofer-Institut stand das Ding. Es war nicht der Grund, aus dem wir da waren. Wir wollten irgendeinen Laufroboter besichtigen. Doch dieser Plexiglaskasten war sehr viel eindrucksvoller. Primitiv zwar, doch unverkennbar standen wir vor dem Urahn des Star Trek Replikators. Ein früher 3D-Drucker im Fraunhofer-Institut.

Bei unserem Staubsauger ist diese Halterung rausgebrochen, wo man das Saugrohr im Lagerzustand reinhängt. Ich habe das Teil mit Blender modelliert. Ein Kollege hat jetzt einen 3D-Drucker und hat mir das Teil gedruckt. Der erste Versuch scheiterte an meiner Klebetechnik – habs zu heiß gemacht. Der zweite war ganz gut, aber ich hätte vorm Kleben schmirgeln müssen, hat nicht lange gehalten. Beim dritten experimentierte mein Kollege mit dem Material – zu schwach. Aber wir kriegen das in den Griff, kein Zweifel. Die Technik steckt für den Heimbedarf noch nicht mal in den Kinderschuhen sondern in so einem Säuglings-Strampler mit Söckchen dran. Doch das Potential ist unverkennbar.

Gewehr Gedruckt

Cody ist ein Ami. Und selbst für einen Ami sind seine Vorstellungen von Freiheit „interessant“ – wenn auch leider keineswegs einzigartig. Er findet, jeder sollte das Recht haben, mit Kriegswaffen rumzulaufen. Obama findet das nicht. Oder Obama sieht nach dem Newtown Massaker eine Chance mit dem Thema Wählerstimmen abzugreifen. Was auch immer. Aber nicht mit Cody. Cody arbeitet daran, mit einem 3D-Drucker ein Teil herzustellen, mit dem man aus einer Halbautomatik-Waffe eine Maschinengewehr machen kann. Und er druckt größere Magazine. Denn natürlich sollte jeder das Recht haben, mit fünfzig-Schuss Magazinen in seiner Kriegswaffe rumzulaufen – egal was Obama meinen lässt. Cody ist erfolgreich. 600 Schuss ohne Ausfall.

Ich war lange in keinem Fraunhofer-Institut mehr. Aber die Drucker haben die Forschungsanstalten eh lange verlassen. Sie krempeln gerade die Industrieproduktion um. Lasersintern. Selektives Laserschmelzen. Damit lässt sich Metall und Keramik drucken. Ich versteh nichts von Metallurgie. Aber die Technik – Laser, Argon-Athmosphäre, diverse Stähle als Werkstoffe – klingt für mich, als könnte man damit grundsätzlich auch Waffenstahl drucken. Man kann Härten und Anlassen, den Kohlenstoffanteil und die Legierung wählen. Durch die ultradünnen Schichten hat man unvergleichliche Kontrolle über die Materialeigenschaften. Im Zweifelsfall müssen die Läufe deutlich dicker sein als bei High-Tech-Waffen. Das macht sie schwerer aber nicht weniger tödlich.

Amok auf Abruf

Wann kommt diese Technik in unseren Haushalten an? Meine Tochter erklärt meiner Frau ihr Handy. Erklärt meine Enkelin meiner Tochter dereinst ihren Lasersinter? Druckt mein Enkel eine Kalaschnikow, wenn er das Mobbing nicht mehr aushält?

Heute bereiten sich Amokläufer lange auf ihre Tat vor. Das schwierigste und langwirigste ist die Waffenbeschaffung. Das ist viel Zeit für Zweifel. Wie muss eine Gesellschaft aussehen, in der jeder, sofort, ohne Risiko, ohne großen Aufwand, ohne Probleme oder Kosten, eine Kriegswaffe drucken kann?

Um das gleich mal aus der Welt zu schaffen: Es gibt da nicht die eine Lösung, auch keine simplen Lösungen, es ist nicht ganz einfach und es wird ganz bestimmt nicht alles gut.

Verbrechen Deorganisieren

Der wichtigste Aspekt im Umgang einer Gesellschaft mit der Verfügbarkeit schwerer Waffen ist das organisierte Verbrechen. Darauf will ich jetzt aber gar nicht groß eingehen. Die USA demonstriert überzeugend, dass man dem mit Null-Toleranz und Sicherheitspolitischer Aufrüstung nicht Herr wird. Man kann dem organisierten Verbrechen aber beikommen, indem man ihm die Grundlage entzieht. Ich habe das für Drogen-Handel mal hier dargelegt und für Menschen-Handel hier. Für Drogen beweist Portugal übrigens seit einem Jahrzehnt, dass das keinesfalls ein Hirngespinst ist.

Der Waffenhandel erledigt sich ja vermutlich von selbst. Schrecklich, aber nun geht es ja gerade darum, wie man damit umgehen kann. Andere Betätigungsfelder des organisierten Verbrechens lassen sich durch allgemeine wirtschaftliche Transparenz bekämpfen, wie ich sie z.B. hier und hier analysiere.

Gemeinschaft gegen Amok

So. Zum Thema. Amok. Das Problem verschärft sich vor allem dadurch, dass Waffen leicht und schnell zugänglich sind. Es ist davon auszugehen, dass die heute „erfolgreichen“ Amokläufer nur ein winziger Bruchteil derer sind, die grundsätzlich in Frage kämen. Nur die, die ihr Vorhaben über Monate konsequent verfolgen, laufen heute Amok. Wenn ein gemobbter Schüler am nächsten Tag mit einer Uzi in der Tür des Klassenraumes stehen kann, dürfte das ein Problem werden. Gleiches gilt für die Gemobbten, Geschassten, Aufgegebenen, Ausgeschlossenen in Schulen, Fabriken, Büros, Arbeitsämtern, Altenheimen und so weiter.

Das Amok-Potential unserer Gesellschaft ist erschütternd, weil wir es uns leisten, so, so viele aus unserer ohnenhin atomisierten Gemeinschaft auszuschließen. „Gemeinschaft“ ist das Schlüsselwort. Wenn jeder beim nächsten Treffen mit einer automatischen Waffe auftauchen kann, gibt es zwei Möglichkeiten, dem zu begegnen: Wir rüsten alle auf. Oder wir vertrauen einander.

Vertrauen setzt aber Vertrautheit voraus, Gemeinschaft. Wenn wir nicht zu einer Gesellschaft von Waffennarren werden wollen, müssen wir wieder eine Gemeinschaft werden. Wir müssten zum Beispiel die Getthoisierung von all jenen aufgeben, die ihr Leben (noch) nicht auf dem Altar des Konsums opfern, wie ich hier erörtere. Wir müssten allen eine Chance geben, mit uns zusammen etwas zu unserer Gesellschaft beizutragen. Dazu müssen wir uns Regeln geben, die Arbeit verteilt und mehr nach persönlichem Einsatz entlohnt als nach persönlicher Chancenlosigkeit.

Wir müssten aufeinander achten und dazu müssten wir ein Stück von unserer eingebildeten Privatsphäre abgeben. Wir müssten mehr Zeit miteinander verbringen als damit, uns zu besseren Konsumenten erziehen zu lassen. Und wir müssten füreinander Verantwortung übernehmen. Diesen letzten Artikel habe ich noch nicht geschrieben. Wird nachgeliefert.

Wir sind das Netz

Ein Rückblick auf 10 Jahre Systemkrise und ein Ausblick auf die Versprechen, die das Netz uns macht, die wir uns machen.

Ich beobachte diese Krise seit 10 Jahren. Damals waren 10 Jahre vergangen, seitdem die Träume der Linken im Osten geplatzt waren. Doch auch die Versprechen der freiheitlichen Gesellschaft begannen zu brechen. Dieser Bruch hatte mehrere Dimensionen die ich zunächst erläutern werde. Doch ein neues Versprechen wurde inzwischen gegeben und es scheint tatsächlich auf seine Einlösung zu warten, wie ich im Anschluss darlege.

Marktwirtschaft

Da der Kern unseres Systems der freie Markt ist, fange ich damit an. Ich investiere schon seit über 20 Jahren kleine Summen im Kapitalmarkt. Vor 10 Jahren änderten sich ziemlich plötzlich die Regeln.

Davor waren festverzinsliche Papiere relativ sicher und haben ordentliche Renditen gebracht. Seither sind die Zinsen immer weiter gesunken und die festen Laufzeiten dieser Papiere wurden ein immer größeres Risiko. Ich weiß noch wie ich mich geärgert habe, als ein Berater meiner Mutter General Motors Anleihen verkauft hat. So etwas war über Jahrzehnte eine sichere Sache. Nun war es ein sichtbares Risiko.

Immobilien waren seit dem Krieg durchgehend eine sichere Burg und versprachen ordentliche Renditen. Ich hatte ein paar Immobilienanleihen mit langen Laufzeiten (einige Laufen immer noch). Auch hier wurden die Laufzeiten immer bedenklicher, da der Markt immer volatiler wurde. Volatil heißt, flüchtig, das bedeutet große Schwankungen und Unsicherheit. Die vorhersehbare demografische Entwicklung machte Immobilien generell unsicher, man musste jetzt sehr genau hinschauen.

Aktien waren quasi immer langfristig die besten Anlagen. Doch die Dotcomblase hatte gerade (2000) den Glauben an Aktien grundsätzlich erschüttert. Seitdem ist der Aktienmarkt gezeichnet von schwersten Einbrüchen durch 9/11, diverse Kriege und seit drei Jahren die Finanzkrise.

Vor 10 Jahren begannen Spekulative Anlageinstrumente zunächst zaghaft Einzug in den Endkundenmarkt zu halten. Vorher waren alle Formen von Derivaten Profis vorbehalten. Schon 1995 hatte ein gewisser Nick Leeson mit Optionen die fast 300 Jahre alte Baringsbank in den Bankrott spekuliert. Dennoch fassten Derivate nun langsam Fuß im Endkundenbereich und haben seitdem bekanntlich unfassbares Unheil angerichtet. Damals galten Derivate als ziemlich sicher, da sich niemand vorstellen konnte, dass große Banken pleite gehen, ohne dass die Wirtschaft komplett kollabiert. Das hab ich tatsächlich oft in „Beratungs-“ (also Verkaufs-)Gesprächen mit Bankern gehört. Und jetzt scheint genau das wahr geworden zu sein – selffulfilling prophecy?

Alle Bereiche des Anlagemarktes sind heute im Vergleich zu früher von höchster Unsicherheit geprägt. Sicherheit versprechen heute eher die BRICS Staaten, die damals als „emerging markets“ als hoch spekulativ galten. Das ist auch eine Folge der Krise, aber es ist auch „einfach“ der aktuelle Punkt einer längeren aber insgesamt recht konsistenten Entwicklung, die für mich persönlich etwa gegen Anfang des Jahrtausends begann.

Demokratie

Die Grünen, die Hoffnung vieler sonst von der Demokratie Enttäuschten hatten uns 1998 in den Kosovo-Krieg geführt. Die SPD hatte gerade mit der Agenda 2010 (unter anderem den Hartz-Gesetzen) die Ideale der Sozialdemokratie verraten („Verräterpartei“). Die Rot/Grüne Regierung hat mit diesen beiden Projekten riesigen Schaden für die Demokratie als ganzes in Deutschland angerichtet. Wie bei vielen anderen schwand auch bei mir der Glaube an die Demokratie.

Die Wahlbeteiligung sinkt und sinkt, die Hoffnungen in etablierte Parteien schwinden zusehends. Die Piraten, eine Partei (zu dem Zeitpunkt) weitgehend ohne Programm, ohne Standpunkte oder Kompetenz in nahezu allen Schlüsselthemen, ohne auch nur die Andeutung charismatischer Führer oder politischer Visionen kommt fast aus dem Stand auf Umfragewerte im Bereich von Grünen und SPD, mit einem einzigen Versprechen: Demokratie, Mitbestimmung.

Freiheit

Vor zehn Jahren waren die Anschläge auf das World Trade Center. Und die waren ein überwältigender Erfolg. Unsere freiheitliche Grundordnung ist in Folge bis heute Bedrohungen ausgesetzt, wie schon seit dem Krieg nicht mehr. Das Land der Freien begann relativ offen zu foltern oder Verdächtige zur Folterung in Vasallenstaaten mit noch weniger Schutz der Menschenrechte zu bringen. In Guantanamo werden seitdem Menschen ohne Gerichtsverhandlung festgehalten – vorher unvorstellbar. Es wurden und werden staatlich angeordnete Morde („gezielte Tötungen“) in aller Herren Länder durchgeführt. Völkerrechtswidrige Kriege wurden angefangen. Um diese Kriege zu rechtfertigen haben uns unsere Führer wissentlich belogen und betrogen.

Die Bürger der ehemals mehr oder weniger freien Welt wurden zunehmend von ihren Regierungen ausgehorcht und unter strenge Beobachtung gestellt. In England ist der öffentliche Raum mittlerweile weitgehend Kameraüberwacht, andere Länder ziehen nach. Wir verkaufen Unterdrückungs- und StaSi-Software an Terrorregime, wir setzen ähnliches illegal gegen unsere eigenen Bürger ein, wir werden an Flughäfen nacktgescannt, unsere Telekommunikation wird zu großen Teilen überwacht und automatisch auf Stichwörter gefiltert, unsere Daten sollen auf Vorrat gespeichert werden. Die Polizei prügelt und sprüht Occupier und Castor-Gegner und darüber berichtende Journalisten nieder.

Unsere wehrhafte Demokratie hat beschlossen, dass Wehrhaftigkeit wichtiger ist als Demokratie.

Manifest

Unter dem Eindruck des Niedergangs unserer Gesellschaft begann ich vor 10 Jahren mein Manifest zu entwickeln. Und seitdem beobachte ich die Krise. Mein Ziel war und ist es, eine Alternative Organisationsform unserer Gesellschaft zu verbreiten und auch umzusetzen. Daher habe ich nach Anzeichen dafür gesucht, dass die Unzufriedenheit mit unserem System auch andere erfasst.

Seitdem mehren sich die Anzeichen kontinuierlich, dass genau das geschieht. Diese Krise ist viel älter, als gemeinhin angenommen wird. Fast jährlich habe ich geglaubt, es sei so weit, ich müsse unbedingt anfangen, meine Ideen zu verbreiten. Doch jedes Jahr wurde alles noch schlimmer.

Doch heute – wahrscheinlich kurz vor dem Klimax der Krise – glaube ich plötzlich nicht mehr, dass die Unzufriedenheit das Wichtigste für die Verwirklichung einer Alternative wäre. Im Gegenteil. Aus Unzufriedenheit wächst nichts gutes. Ich bin heute fast da, wo ich vor 10 Jahren angefangen habe. Was mich dazu gebracht hat, meine Gedanken zu entwickeln und nieder zuschreiben war die Unerträglichkeit der Hoffnungslosigkeit. Ich wollte eine Vision an die ich glauben konnte, denn die gab es nicht. Also habe ich eine für mich entwickelt.

Versprechen

Heute haben immer noch viele Leute keine Vision und keine Hoffnung. Doch es hat sich in den letzten 10 Jahren auch etwas Grundlegendes geändert. Es gibt die Vision einer besseren Gesellschaft bereits. Ich muss keine Ideen mehr verbreiten. Ich muss nur noch auf Euch zeigen. Wenn man genau hinsieht, sieht man alles was wir brauchen werden.

Postprivacy, die vor 9 einhalb Jahren ein zentraler und radikaler Punkt in meinem ersten Entwurf war, ist nun Alltag für hunderte Millionen Facebook-Nutzer, die Spackeria hat die Diskussion darum dieses Jahr in die Öffentlichkeit getragen. Die Piraten, Wikileaks und viele andere schaffen nach und nach gemeinsam Transparenz bei Regierungen und Unternehmen. Viele Menschen haben bemerkt, dass wir eine Alternative brauchen und sich ernsthaft auf die Suche gemacht. Im Internet, in Blogs und sozialen Netzwerken, ist eine Gegenöffentlichkeit entstanden, die die traditionellen Medien heute in der tiefsten Krise unserer Gesellschaft absolut alt aussehen lässt. Es hat sich eine eigenständige, starke, globale, kreative Kultur im und ums Netz entwickelt, die den musealen Formalin-Gestank unserer mumifizierten Mainstream-Kultur schonungslos offen legt und die den ganzen Millimeter der marktschreierischen Flachheit der Kommerzkultur laut lachend durchmisst. Wir haben heute Techniken im Netz, mit denen wir innerhalb von Tagen globale Organisationen gründen, bevölkern und koordinieren können.

Wir haben alles was wir brauchen. Wir können uns organisieren. Wir können zunächst die Funktion unserer alten Offlinestaaten mit unseren globalen Organisationen ergänzen. Wir können eine Organisation gründen, die Amis und Griechen eine Gesundheitsversicherung bringt (wer schon eine von seinem offline-Staat hat, bekommt ein bisschen was dazu, wer keine hat, soviel, dass er im Endeffekt soviel hat, wie der andere) und den Deutschen wieder eine menschliche Arbeitslosenversicherung. Wir können globale sozialistische Organisationen bilden und neoliberale. Es gibt vieles, was wir innerhalb und unterhalb unserer Offlinestaaten tun können. Und wenn wir alles getan haben, was wir so tun können, und wenn wir genug sind: wer will uns hindern, weiter zu gehen? Wir sind genug, wir haben die Möglichkeiten und wir haben die Träume. Wir sind das Netz.

Wachstum mussnich kannaber

Wie lässt sich die Abhängigkeit unserer Gesellschaft von kräftigem Wirtschaftswachstum brechen? Wie können wir die eigentlichen Ursachen der Finanz- und Schuldenkrisen beheben?

Unsere marode Finanzlage ist nur ein Symptom eines systemischen Fehlers. Wir brauchen mehr Wirtschaftswachstum, als spontan entsteht. Wenn die Politik dies wirklich will, werden wir die aktuelle Krise (Eurokrise Herbst 2011) einigermaßen ungeschoren überstehen. Dazu brauchen wir vor allem paneuropäische Solidarität, denn nur gemeinsam können wir den Marktkräften noch einmal die Stirn bieten. Da es sich aber um einen systemischen Fehler handelt, wird auch dann die nächste Krise nicht lange auf sich warten lassen. Und ob wir die dann auch noch überstehen können ist mindestens fraglich. Wir brauchen eine Lösung für das Problem des zu geringen Wirtschaftswachstums. Ich werde im Folgenden eine Idee einer solchen Lösung erläutern.

Wachstumszwang

Die gegenwärtige Krise ist letztendlich eine Wachstumskrise. Der aktuelle Auslöser, der das Überschuldungsfass zum Überlaufen gebracht hat, war die Subprime Finanzkrise 2008. Diese zwang die Staaten, sehr große Summen auf Kredit in das Finanzsystem zu pumpen. Dies führte zur Überschuldung von Staaten, die – wie Irland – vorher eine Mustergültige Finanzpolitik hatten. Doch andere Länder – die großen Volkswirtschaften Europas und auch die USA und Japan – haben schon seit 40 Jahren kein hinreichendes Wirtschaftswachstum mehr gehabt, ohne dieses auf Staatsrechnung herbei zu subventionieren und somit immer größere Schuldenberge anzuhäufen.

Ich vermute, dass ein Grund für das schwindende Wachstum das Easterlin-Paradox ist: Steigendes Einkommen lässt die Zufriedenheit der Bürger wachsen, doch ab etwa 20.000$ pro Kopf Bruttoinlandsprodukt lässt dieser Effekt stark nach. Offenbar treten ab diesem Punkt andere Dinge in den Vordergrund. Die Menschen wünschen sich mehr Freizeit, bessere Arbeitsbedingungen, Sicherheit usw.. Das Wachstum lässt nach.

Wirtschaftswachstum ist für uns vor allem aus zwei Gründen wichtig: 1. Arbeitsplätze und 2. Investitionen.

  1. Der technische Fortschritt und die fortwährende Optimierung von Unternehmensprozessen erhöhen dauernd die Produktivität. Daher braucht es immer weniger Arbeitskraft um das gleiche herzustellen. Das bedeutet, dass ohne Wirtschaftswachstum die Arbeitslosigkeit steigt.
  2. In einer Marktwirtschaft wird nur in etwas investiert, wenn damit die Erwartung verknüpft ist, dass die Investition gewinnbringend ist. Wenn die Wirtschaft aber nicht wächst sinkt die Gewinnerwartung von Unternehmen. Gesamtwirtschaftlich können Investitionen in einer Gesellschaft mit geringem oder ohne Wirtschaftswachstum nur noch auf die Rendite spekulieren. Im schlimmsten Fall kommt es zu Deflation und Kontraktion der Wirtschaft.

Dynamischer Tarif

Ich habe bereits in einigen Artikeln ein spezielles Tarifgesetz erörtert. Ich halte es für möglich, dass ein solches Verfahren beide Probleme lösen könnte. Einerseits würde es für eine Verteilung der verbleibenden Arbeit sorgen, andererseits ließe sich durch adäquate Anpassung des Tarifs ein Ausgleich zwischen Angestellten und Investoren erreichen, der beide Parteien an der Wertschöpfung partizipieren ließe.

Nach dieser Regel wäre der Stundenlohn abhängig von der Wochenarbeitszeit. Je mehr jemand arbeitet, desto mehr verdient er pro Stunde. Natürlich müsste die Arbeitszeit langfristig und über alle Stellen (wenn jemand mehrere Jobs gleichzeitig hat) gemittelt werden. Auch müsste es einen Ausgleich für die Länge der Ausbildung geben. Etwas genauer ist das hier erläutert.

Verteilung der Arbeit

Dies würde dazu führen, dass die Unternehmen dafür sorgen, dass die zu erledigende Arbeit optimal verteilt würde. Denn die Unternehmen hätten ja ein Interesse, möglichst viele Menschen möglichst wenig zu beschäftigen. Heute ist umgekehrt. Unternehmen versuchen, das optimale Personal zu finden und dies möglichst viel arbeiten zu lassen.

Dieser flexible Tarif ist aber etwas völlig anderes als die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Denn der tatsächliche Lohn und die Arbeitszeit wird ja individuell ausgehandelt. Besonders produktive Mitarbeiter würden demnach etwas mehr arbeiten und auch mehr verdienen. Es ist auch anzunehmen, dass Führungspersonal mehr arbeitete und mehr verdiente, denn Führungskräfte arbeiten auch heute im Schnitt mehr als Mitarbeiter ohne Personalverantwortung. Das müsste natürlich nicht so sein, und vielleicht würden Unternehmen das entsprechende Einsparungspotential auch ausschöpfen – was zweifellos im Sinne einer weniger hierarchischen Gesellschaft wäre.

Insgesamt ist allerdings anzunehmen, dass Arbeitnehmer im Schnitt etwas weniger verdienen. Denn es würden ja im Gegensatz zu heute alle Arbeitswilligen in die Arbeitswelt einbezogen. Der heute nur an einen Teil der Arbeitnehmerschaft ausgezahlte Gesamtbetrag würde auf mehr Menschen verteilt werden.

Dadurch, dass Unternehmen zur Kostensenkung jederzeit interessiert wären, neue zusätzliche Mitarbeiter einzustellen, würden sich andererseits zahlreiche positive Effekte für Arbeitnehmer ergeben. Dies ist ein Schwerpunkt dieses Artikels.

Das tatsächliche Lohngefüge hinge von der genauen Gestaltung der Abhängigkeit von Lohn und Arbeitszeit ab. Wenn bei steigernder Arbeitszeit der Stundenlohn zu stark stiege, würden alle Mitarbeiter eines Unternehmens gleich lange arbeiten und gleich viel verdienen, eine Individualisierung gäbe es nicht. Ist der Anstieg zu schwach, tritt der Arbeitsverteilungseffekt nicht ein. Hier muss der richtige Mittelweg gefunden werden. Dies ist die Steigung der Lohnkurve.

Verteilung der Wertschöpfung

Nun kann man auch die Durchschnittshöhe der Lohnkurve ändern. Wenn bei gleicher Arbeitszeit ein höherer Stundenlohn gezahlt wird sinkt die Rendite der Investoren und das Einkommen der Arbeitnehmer steigt. Wenn bei gleicher Arbeitszeit weniger verdient wird verhält es umgekehrt, die Investoren profitieren mehr.

Über diesen Hebel – die Durchschnittshöhe der Lohnkurve – könnte die Investitionsrate ziemlich direkt beeinflusst werden. Die Steigung der Lohnkurve könnte von einer Instanz vergleichbar den Zentralbanken oder von der Regierung festgelegt werden.

Ihre Höhe könnte von der Regierung oder in freier Verhandlung von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern festgelegt werden. Es ist durchaus auch denkbar, wie heute nach Branchen unterschiedliche Tarife festzulegen. Allerdings müssten anders als heute alle Arbeitsverhältnisse einem derartigen Tarif unterliegen. Auch sollte die Höhe der Lohnkurve einen automatischen Inflationsausgleich enthalten, das heißt sie sollte immer relativ zum Wert eines Warenkorbes ausgedrückt werden. Letzteres würde allerdings erfordern, dass sie auch mal sinken kann, was bei heutigen Tarifen nicht der Fall zu sein scheint.

Krisenresistenz

Wenn nun das Wirtschaftswachstum schwächelt müssten die Höhe der Lohnkurve sinken, entweder durch politische Festlegung oder in wie entsprechenden Verhandlungen bestimmt. Es würde zu keinem Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen, allerdings würden die Arbeitnehmer weniger einnehmen und vermutlich müssten auch die Investoren etwas zurückstecken. So ließen sich auch ohne oder mit geringem Wirtschaftswachstum Dividenden hinreichende Renditen erzielen ohne dass dabei die Arbeitslosigkeit zunähme.