Wir sind der Staat

Nach der Legislative stelle ich hier ein Konzept für die Exekutive vor.

Wir sind der Staat. Sollte man meinen. Das ist zumindest die treibende Idee der „Republik“, der „Res Publica“: der „Sache des Volkes“. Doch nach Jahrtausenden der Gegnerschaft von Herrschenden und Beherrschten, ist es letzteren bislang lediglich gelungen, sich eine etwas bessere Position in diesem vormals aussichtslosen Kampf zu verschaffen. Doch die Gegnerschaft ist geblieben.

Staat gegen Volk

Es gibt nicht viele Völker auf der Welt, die sich so mit ihrem Staat identifizieren, wie wir obrigkeitsgläubigen Deutschen. Doch selbst hier wird z.B. Steuerhinterziehung von den meisten Menschen eher als Sport gesehen denn als ernstes Vergehen. In den USA wird der Staat als potentieller Feind gesehen, gegen den man sich bewaffnen sollte und rund die Hälfte der Bürger sähe den Staat lieber auf wenige Tätigkeitsfelder begrenzt, wie Überwachung und Law und Order. Ein wichtiger Grund für die griechische Misere ist der Antagonismus zwischen dem griechischem Staat und seinem Volk.

Selbst in den fortschrittlichen westlichen Demokratien empfindet sich die Bevölkerung also meist nicht als Teil des Staates sondern mehr oder weniger als sein Gegner. Unter den zahlreichen monokratischen Präsidenten und korrupten Oligarchien dürfte das nicht besser aussehen.

Ich habe an anderer Stelle vorgeschlagen, dass man sich seinen Staat unabhängig vom Wohnort aussuchen können sollte. Dies allein würde auf Dauer sicherlich schon von allein zu bürgernäheren Staatsformen führen. Doch wie könnte so ein bürgernaher Staat aussehen? In “”Regierung mal anders” habe ich mich mit dem legislativen Aspekt dieses Problems auseinander gesetzt, hier geht es nun um die Exekutive.

Mitmachen, Mitentscheiden

Es gibt zwei Faktoren, die mehr alles andere die Identifikation von Menschen mit ihren Institutionen bestimmen. Der eine Faktor ist die Möglichkeit der Einflussnahme. Wenn Menschen nicht die geringste Einflussmöglichkeit auf etwas haben, werden sie sich kaum damit identifizieren. Wenn sie hingegen fast alles bestimmen, wird es schnell zu ihrem „Baby“. Der andere Faktor ist das Mitmachen, das Einbringen der eigenen Arbeit, der eigenen Ideen, der eigenen Person. Es ist kaum möglich, sich mit etwas zu identifizieren, das nichts mit einem zu tun hat und kaum möglich, sich nicht mit etwas zu identifizieren, das man allein geschaffen hat.

In einem Staat ist es offensichtlich nicht möglich, dass alle alles bestimmen und alles selbst machen. Das könnte „bestenfalls“ einer tun – der in sich alle Rollen vom obersten Diktator zum untersten Diener des Volkes vereinen müsste. Wenn dies denn möglich wäre, würde es die Identifikationsmöglichkeit einzelner mit ihrem Staat maximieren, und die aller anderen minimieren.

Staat ohne Bürger

Und so weit das denn möglich ist, gehen wir heute diesen Weg, der der großen Mehrheit eine Identifikation mit ihrem Staat verwehrt. Wir schaffen – seit Jahrhunderten schon – eine bestimmte Klasse von Menschen, die Staat machen. Dies sind die Beamten. Es gibt auch andere Menschen, die letztendlich für den Staat arbeiten. Doch jene führen lediglich einzelne Aufträge aus und arbeiten nicht direkt für den Staat sondern werden von privaten Unternehmen bezahlt, die Aufträge für den Staat übernehmen. Solche Macher werden sich eher mit ihrem Unternehmen identifizieren als mit dem Staat.

Die Beamten sind die Macher. Bestimmen tun sie mit wenigen Ausnahmen kaum etwas, da sie stets streng nach Vorschrift verfahren. Die Entscheidungsmacht wird so stark wie möglich konzentriert. Zwar gibt es mittlere Entscheidungsebenen doch wird die Weisungsbefugnis und letztliche Verantwortung pyramidal nach oben konzentriert wie schon seit Jahrhunderten. Die letzte Entscheidungsbefugnis und Verantwortung trägt auf kommunaler Ebene der Bürgermeister (siehe z.B. Love Parade Debakel in Duisburg), auf Landesebene die Ministerpräsidentin (siehe z.B. Rücktritt Albertz wegen der Ausschreitungen und Benno Ohnesorgs Tod beim Schah-Besuch) und auf Bundesebene die Minister (siehe z.B. Rücktritt Jungs wegen Kunduz-Affaire), bzw. die Kanzlerin.

Ich habe dies schon bezüglicher der Legislative festgestellt und hier für die Exekutive gilt es ebenso: Wenn man bewusst versuchen würde, ein System zu schaffen, mit dem sich die Menschen nicht identifizieren können, könnte man es kaum besser machen: Die Macher sind die unsichtbaren Beamten, die aber nichts entscheiden und sich – wenn sie doch mal kurz sichtbar werden – hinter ihren regalfüllenden Vorschrifts-Gebirgen verstecken. Die Verantwortlichen sind von ihren grauen unsichtbaren Verwaltern kaum zu unterscheiden und sind zusätzlich entrückt in fernen Regierungsgebäuden oder -Kammern, zu denen der Normalsterbliche nie Zugang erhält.

Mitmachen

Die zwei Faktoren, die Identifikation bedingen, sind Mitmachen und Mitentscheiden. Der erste Faktor lässt sich prinzipiell leicht verwirklichen. Jeder Bürger könnte statt steuerpflichtig zu sein, verpflichtet werden, durch seine Arbeit und Qualifikation zum Gemeinwesen bei zu tragen. Jeder Bürger muss einfach einen gewissen Anteil seiner Lebensarbeitszeit für den Staat ableisten. Mit der Wehrpflicht gab es so etwas schon einmal. Man könnte jede Woche ein paar Stunden für den Staat arbeiten oder einige Jahre pro Dekade – das sollte flexibel gehandhabt werden.

Um so etwas umzusetzen braucht es noch ein Anreizsystem. Beamte haben heute eine nahezu perfekt gesicherte Existenz und erhalten regelmäßig Beförderungen. Die größte Schwäche des existierenden Anreizsystems ist, dass es offenbar dazu führt, dass die Bürokratisierung sich ständig ausdehnt, wenn nicht gerade versucht wird ausufernde Bürokratisierung gezielt einzudämmen. Dies liegt daran, dass Ansehen und teilweise auch Sold eines Beamten unter anderem davon abhängen, wieviele Untergebene er zählt. Also ist es mit das wichtigste Interesse der Beamten, ihren Zuständigkeitsbereich – ihre Verantwortung – auszudehnen.

Wenn hingegen alle gleichermaßen Staatsdienst leisten müssen, gibt es nur einen Parameter, den man beeinflussen kann – die Dauer dieses Dienstes. Staatsdiener, die ihren Dienst nicht vernünftig erfüllen müssen also Zusatzdienst leisten, am besten in Bereichen, wo sie der Öffentlichkeit keinen Schaden zufügen können.

Staatsdiener, die es schaffen, die staatlich zu leistende Arbeit zu verringern – durch Effizienzsteigerung oder sinnvolle Eingrenzung der Zuständigkeit – sollten ihrerseits mit Verringerung ihrer Dienstpflicht belohnt werden. Dies würde zu einer Bürokratie führen, die im Gegensatz zu unserer nicht zur Expansion sondern zur Kontraktion neigt.

Natürlich bedarf es weiterer Justierungs-Mechanismen, damit sich die Bürokratie nicht binnen kurzem selbst zur Gänze Abschafft. Und ordentliche Arbeit muss direkt mit hohem Ansehen verbunden werden, wie z.B. hier erläutert.

Entscheidend

Wenn nun jeder beim Staat mitmacht, bestimmt auch jeder automatisch ein Stück weit mit. Arbeiten, die völlig ohne jegliche Entscheidungsbefugnis der Ausführenden auskommen sind rar und stehen in der Regel kurz vor der maschinellen Automatisierung. Doch die Entscheidungsbefugnis heutiger Beamter wird schon sehr weitgehend durch ein enges Vorschriftenkorsett eingegrenzt. Aus verschiedenen Gründen – Effizienz, Identifikation von Bürgern mit ihrem Staat, Anpassung an lokale Gegebenheiten, Motivation der Dienstleistenden, Zufriedenheit der Bürger mit den Dienst Leistenden und vieles andere mehr – sollte jede Entscheidung statt dessen so weit wie irgend möglich in Richtung der Ausführenden verschoben werden.

Ob ein Individuum ein bestimmte Frage entscheiden darf oder vielmehr kann, hängt vom Vertrauen der Kollegen und der in dieser Sache betroffenen Bürger ab. Dieses Vertrauen in professionelle Fähigkeiten wird digital dokumentiert und ist allen zugänglich. Dieser Punkt erfordert eine einigermaßen Umfangreiche Erörterung, die ich hier beispielhaft für ein Krankenhaus geführt habe. Das gleiche System lässt auch auf den Staatsdienst und viele andere Bereiche übertragen.

Wenn Entscheidungen die Koordination unterschiedlicher Bereiche oder mehrerer Kollegen im gleichen Bereich erfordern, dann können sich die Betroffenen Kollegen entsprechend abstimmen oder auch vermittelt durch Koordinatoren (vergleichbar mit heutigen Managern doch nicht unbedingt mit Weisungsbefugnis) einigen. Solche Koordinatoren können auch bei Uneinigkeit eine Entscheidung fällen, oder auch Entscheidungen von einzelnen überstimmen wenn sie höhere oder gleichwertige Interessen gefährdet sehen.

Crowd-Staating

So ist also jeder bei der Umsetzung wie auch bei der Gestaltung des Gemeinwesens beteiligt, so weit es seine Fähigkeiten irgend erlauben. Dies sind optimale Bedingungen für einen bürgernahen Staat. Doch es hat noch andere Vorteile. Es hat wie gezeigt den Bürokratieabbau gleich eingebaut. Und es ist eine Organisationsform, die daraus ausgerichtet ist, aus kleinen Keimzellen dezentral zu wachsen.

Ein solcher Staat muss nicht gleich die komplette Souveränität übernehmen. Er kann mit kleinen Teilaufgaben heutiger Staaten beginnen oder sich auch zunächst andere Aufgaben suchen. Es hat sich gezeigt, dass viele Menschen bereit sind, einen Teil ihrer Freizeit in gemeinschaftliche Projekte zu investieren. Der vorgeschlagene Staat will nicht gleich über Steuern in die Brieftaschen der Menschen greifen sondern nimmt sie einfach soweit auf, wie sie sich einzubringen bereit sind. Gleichzeitig skaliert das System – hoffentlich, doch ich sehe hier zu Zeit keine begrenzenden Faktoren – auf ein großes transnationales Gemeinschaftswesen.

0,5 Billion

Sehr viel Geld und sehr viel Macht in sehr wenigen sehr unlegitimierten Händen.

0,5 Billion. Ich habe sie extra klein gemacht, 0,5 Billion. Das sieht als Ziffernfolge imposanter aus: 500.000.000.000. Aber sie entzieht sich als Zahlwort wie als Ziffernfolge dem menschlichen Verständnis. Kein halbwegs normaler Mensch kann sich auch “nur” eine Milliarde vorstellen. 0,5 Billion sind 500 Milliarden.

Ich hatte neulich ein interessantes Gespräch mit einem Kapitalismusverschwörungstheoretiker. Krasses Zeug! Ein Haupterzählstrang dieses Genres scheint es zu sein, dass den Rothschilds im wesentlichen die Welt gehört. Oder mindestens so die Hälfte.

Rothschild?

Ich finde Verschwörungstheorien meist ziemlich unterhaltsam. Blöd ist nur, wenn man versucht, hinter die Verschwörungstheorie zu schauen. Oft sieht es dahinter ziemlich löchrig aus. Andernfalls wär die Verschwörungstheorie wohl auch schon mal als gar zu dämlich aufgefallen. Also google ich mal ein bisschen Rothschild.

Ja, die gibt es noch, nach bald 200 Jahren. Und nicht zu knapp. Die untersten Schätzungen ihres Vermögens … halt. Um das schnell klar zu stellen, das sind jetzt keine Verschwörungstheoretiker “Fakten”. Das sind Schätzungen, die in diversen  allgemein  für seriös befundenen Medien standen (Focus, Yahoo Finance und Zeit). Und dann schreibt der Spiegel noch, dass die jetzt mit den Rockefellers unter einer Decke stecken. Lolwut?! Echt jetzt, lassen wir den Verschwörungsscheiß. Also, selbst die konservativsten Schätzungen kratzen an einer halben Billion. Sind eher so 0,4 Billion, aber jetzt seid mal nicht kleinlich. Damit sind sie Galaxien davon entfernt, die ganze Welt zu besitzen oder auch “nur” die Halbe. Pah! Verschwörungstheoretiker!

Staatsmacht

Allerdings. So was! Die Rothschilds gibts noch und die bestimmen so über eine halbe Billion. Vermögen. Nur um das mal einzuordnen: Das ist knapp das Doppelte des deutschen Staatshaushalts. Das eine ist zwar Kapital und das andere Umsatz, aber der Unterschied ist gar nicht so groß. Je nach Branche schätzt man einen Unternehmenswert in der Größenordnung des Unternehmensumsatzes. Eher macht man mit Vermögen mehr Umsatz als den Vermögenswert.

Man kann also wohl total konservativ sagen, die Rothschilds haben so rund doppelt so viel Macht wie die Bundesregierung. Die Rothschilds können natürlich keine Gesetze machen. Aber die könnten 3 Millionen Arbeitslose durch- und noch 6 Millionen Hungerlöhnern zufüttern. Und das ist erst die Hälfte der Macht. Die könnten noch Kriege führen, alle Lehrer, Richter und Polizisten in Deutschland befehligen, die Rente stützen, den öffentlichen Rundfunk betreiben und so weiter. Und das ganze dann mal zwei: 6 Millionen Arbeitslose, 12 Millionen Hungerlöhner, mehr Kriege, die Lehrer, Richter, Polizisten und Medien halb Westeuropas …

Dann wären sie natürlich nach einem Jahr pleite. Aber rückblickend muss man annehmen, dass sie ihr Geld etwas cleverer anlegen. Es geht ja nur darum, die Macht einzuordnen, wie vielen Menschen und Maschinen die letztlich irgendwie weisungsbefugt sind. Also zweimal die Bundesregierung. Eine Familie.

Wozu braucht man Verschwörungstheorien? Da gibt es eine Familie, denen gehört nicht die Welt, auch nicht die halbe sondern die Bundesregierung. Zwei mal. Macht das irgendwie Sinn, dass wir einzelnen unter uns erlauben, eine solch immense Macht auszuüben?

Von der Unmöglichkeit, Gutes zu tun

Der Grünen Abgeordnete Hans-Christian Ströbele hat den NSA-Whitsleblower Edward Snowden in Russland getroffen. Ich finde, das ist eine sehr gute Sache. Ströbele kann als Mitglied des Bundestages Dinge tun, die den meisten Menschen unmöglich sind. Er kann nach Russland reisen und genießt dort eine gewisse diplomatische Immunität. Er kann den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages nutzen, um Rechtsgutachten zur Snowden-Frage erstellen zu lassen. So kann er klären, ob Snowden nach Deutschland kommen könnte, um als Zeuge auszusagen. Er kann die Einberufung einer parlamentarischen Untersuchungskommission zum NSA-Skandal betreiben (wobei das aufgrund der sehr kleinen Opposition im Falle einer großen Koalition vielleicht scheitert).

Ströbele setzt all diese besonderen Befugnisse für eine gute Sache ein. Er verschafft dem NSA-Skandal Aufmerksamkeit. Er entkriminalisiert Snowden indem er ihn als Zeugen statt als Angeklagten aufsucht. Vielleicht schafft er es sogar, die Regierung zu etwas genaueren Einlassungen zum NSA Skandal zu nötigen. Bisher waren diese Einlassungen von geradezu alberner Einfältigkeit und dokumentieren lediglich das völlige Versagen unserer Medien in dieser Sache. Zudem ist Ströbele von allen Bundestagsmidtgliedern jenes, dem ich am meisten moralische Integrität zutraue.

Tu Gutes; nicht um darüber zu reden

Und genau darum gruselte es mich ein bisschen, als ich die Bilder von Ströbeles Besuch bei Snowden sah. Edward Snowden braucht Aufmerksamkeit um seinen großen Mitteilungsdrang zu stillen (was ich nicht abwertend meine). Doch Snowdens Anwalt meint, Snowden könne auf keinen Fall nach Deutschland. Ströbele ist als Direktkandidat der Grünen beruflich völlig von der Medienaufmerksamkeit abhängig. Und darum kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser ganze Besuch in erster Linie eine Show für die Medien war, eine Show, die den Beteiligten die nötige Aufmerksamkeit liefert. Und die nebenbei den Wein der guten Sache gründlich verwässert.

Dabei glaube ich in diesem Fall, dass es Ströbele und Snowden um eine gute Sache geht und sie das Aufmerksamkeitsspiel um der Sache willen spielen. In anderen Fällen – wenn es z.B. Westerwelle statt Ströbele wäre – würde ich darauf eher nicht kommen. Unser ganzes politisches System ist so von Geld, Lobbyismus und der Aufmerksamkeitsökonomie korrumpiert, dass es den Akteuren immer schwerer wird, überhaupt noch etwas Gutes zu tun, das um seiner selbst willen als solches wahrgenommen wird.

Die allgemein verbreitete Meinung dazu ist, dass das egal ist – wenn denn letztlich das Richtige dabei herauskommt. „Tu Gutes und rede darüber“. Doch ich glaube, dass das falsch ist. Zwar ist es richtig, Gutes zu tun und darüber zu reden. Doch es ist falsch, Gutes zu tun, nur um darüber reden zu können.

Menschlich Mächtig

Wir sind darauf angewiesen, Entscheidungen zu delegieren. Die einzige Alternative zu Macht-Delegation ist Basisdemokratie in der einen oder anderen Form und bisher konnte kein basisdemokratisches System demonstriert werden, das skaliert. Das bedeutet, Basisdemokratie funktioniert bisher ausschließlich in kleinem Rahmen und bricht schon bei mittleren Organisationen zusammen.

Wenn Macht delegiert wird, entsteht automatisch eine Führungsperson, die für andere Entscheidungen trifft. Und hier kommt unsere Menschlichkeit ins Spiel. Ein menschlicher Führer kann Menschen nur auf eine ganz bestimmte Art führen. Er muss Entscheidungen treffen, die die anderen respektieren. Und er muss relativ durchgängig so handeln, dass die anderen das respektieren können. Tut er dies nicht, kann er zwar prinzipiell dennoch führen, doch wird er dann nie von den anderen akzeptiert. Er wird stattdessen als – überlegener – Gegner aufgefasst.

Mein Respekt für das mediale Kasperle-Theater hält sich in Grenzen. Wenn es bei uns mal jemand schafft, als politische Führungsperson menschlich respektiert zu werden, schafft er dass nicht wegen unseres Systems sondern trotzdem. Entsprechend selten geschieht dies. Wir haben ein unmenschliches Politik-System geschaffen, das seine Delegierten und Konstituenten fast zwangsläufig zu Gegnern macht.

Für nicht-anonyme Bürgerentscheide

Es sollte mehr Bürgerentscheide geben, doch bei diesen sollten die Bürger nicht anonym sondern namentlich abstimmen.

Dies ist ein Gastbeitrag, dessen Autor nicht genannt werden möchte.

In Bielefeld waren am 22.09. nicht nur Wahlen, sondern zum ersten Mal stand auch ein Bürgerentscheid an.

Die zu entscheidende Frage lautete: Soll das Freibad Gadderbaum  teilsaniert werden oder nicht?

Grundsätzlich finde ich die Maßnahme eines Bürgerentscheids gut. Man hat das Gefühl direkt mit entscheiden zu können. Deswegen war ich auch höchst gespannt auf das Ergebnis.

Als pflichtbewusster Wähler habe ich mir das den Wahlunterlagen beigefügte Pamphlet von Anfang bis Ende durchgelesen. Zuerst das Statement vom Förderverein.

Die meinen, die Stadt soll einen Kredit aufnehmen, der hätte 20ig Jahre Laufzeit und würde demnach den Haushalt der Stadt nicht übermäßig belasten.

Dann die Standpunkte der einzelnen Ratsfraktionen, jede im Rat vertretene Partei hat ihre Meinung zur Sanierung mitgeteilt. Alle, bis auf die Linken, waren dagegen weil das benötigte Geld für Feuerwehr, Schulen, Kindergärten und Straßen fehlen würde.

Es wurde darauf hingewiesen das Bielefeld was Bäder angeht durchaus gut aufgestellt ist.

Das Freibad sollte damals als der Förderverein den Betrieb übernommen hat, schon geschlossen werden, weil es marode war. Damals war die Stadt schon nicht bereit, oder in der Lage das Freibad zu sanieren. Der Förderverein hat die Schließung also schon damals verhindert. Und so immerhin ein paar Jahre den Betrieb für die Bürger aufrechterhalten.

Eine Leistung die ich durchaus anerkenne.

Im Winter habe ich eine Schlagzeile in der Zeitung gelesen, das täglich tonnenweise Wasser aus dem leckenden Freibad in den Hang läuft, so viel, das die Gefahr des abrutschens bestand.

Für mich war die Sache klar. Feuerwehr, Schulen und Straßen sind wichtiger als eine Freibadsanierung. Zumal ja auch im folgenden die Betriebskosten von jährlich 380 000 € aufgebracht werden müssen. Von denen war in dem Pamphlet so weit ich mich erinnere gar nicht die Rede.

Seit das Ergebnis des Bürgerentscheids klar ist, die Bürger haben  mit knapper Mehrheit  für eine Sanierung entschieden, bin ich nicht mehr so sicher ob ich Bürgerentscheide gut finde.

Ich hätte den Bielefelder Bürgern doch mehr Vernunft zugetraut.

Oder lesen die das Pamphlet nicht durch? Oder lesen und glauben den Worten der von ihnen gewählten Vertreter nicht? Sondern denken nur, das ein Freibad doch eine gute Sache ist?

Bedenken die nicht, das nun der Stadtrat für jede unpopuläre Entscheidung oder für jedes Defizit die perfekte Entschuldigung hat? Wenn die Bürger nicht für das Freibad gestimmt hätten…

Ich wünschte diese Abstimmung wäre öffentlich gewesen. Dann könnte ich nachlesen welche Mitbürger dafür gestimmt haben. Wenn die sich dann beschweren das die Straßen so schlecht sind, kann man ihnen sagen, selber Schuld.

So eine Abstimmung öffentlich zu machen dürfte auch kein Problem sein, da ja die Unterschriftensammlung für den Bürgerentscheid auch öffentlich gewesen ist.

Wer dafür ist muss da ja schon drauf stehen, dann dürfte es demjenigen auch nichts ausmachen öffentlich abzustimmen.

Wie ich gewählt habe und warum

Der Glaube an den Neoliberalismus setzt den Glauben voraus, dass mit Wachstum alles gut wird. Doch dieses Wachstum – genug davon – gibt es in Deutschland seit 40 Jahren nicht mehr.

In Deutschland gibt es heute 10 Millionen Arbeitnehmer, die keine Arbeit haben, von der sie leben können – 3 Millionen Arbeitslose und 7 Millionen prekär Beschäftigte. Das sind ein Viertel bis ein Drittel aller Arbeitnehmer und damit ein ähnlich großer Teil der ganzen Gesellschaft. Die 7 Millionen prekär Beschäftigten sind Ergebnis der Deutschen Niedriglohnpolitik, die SPD und Grüne eingeführt und CDU/CSU und FDP ausgebaut haben.

Außerhalb Deutschlands hat diese Politik aufgrund relativ sinkender deutscher Lohnstückkosten zu massiven wirtschaftlichen Verwerfungen innerhalb Europas geführt und dazu, dass die Lage in Südeuropa noch weit schlimmer ist, als bei uns. Wir versuchen – mit durchaus signifikanten Teilerfolgen – unser Beschäftigungsproblem zu exportieren.

Da ich nicht an das heilbringende Wachstum glaube und aufgrund zahlreicher Einzelpositionen sind für mich in dieser Reihenfolgen CDU/ CSU, FDP und SPD nicht wählbar.

Ich habe bisher meist Grün gewählt. An der Wählerschaft der Grünen kann man sehen, dass man sich die hehren Ziele der Grünen leisten können muss. Wir Grünenwähler sind satt, wohlhabend, besser gestellt, wirtschaftlich wie moralisch überlegen, aber eher keine Unternehmer, die durch Grüne Politik wieder zu viel zu verlieren haben.

Deshalb muss man selbst, wenn man Grüne Ziele verfolgt, erst die Probleme der sich ausbreitenden Massenarmut bekämpfen. Denn der stets steif aufgereckte moralische Zeigefinger der Grünen kann nur Beachtung finden, wenn der Bauch gefüllt ist. Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

Bleiben die Linken. Im Kern stehen sie für den Glauben, dass es besser wird, wenn wir kapitalistische Bevormundung durch staatliche Bevormundung ersetzen. Bei historischer Betrachtung scheint mir diese These gewagt. Und hier im deutschen Westen sind die Chaoten der ehemaligen WASG unwählbar. Dennoch. Stärkere Linke heißt, dass die Problematik deutschen Lohndumpings mehr mediale Airtime bekommt, dass Nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik in öffentlichen Diskussionen nicht gänzlich ignoriert wird, dass es noch eine pazifistische Stimme im ehemals pazifistischen Deutschland gibt.

Ich habe meine Stimme dafür verwendet, bestimmten Standpunkten in den Medien etwas mehr Raum zu verschaffen. Wenn die Linke eine realistische Machtoption hätte, hätte sie meine Stimme nicht bekommen. Doch selbst als Junior-Partner der gemäßigt neoliberalen SPD – eine sehr unwahrscheinliche Option – könnte die Linke kaum all zu viel Schaden anrichten.

Hier Archie dort Teamwork

Die Organisation unserer Arbeitswelt folgt überwiegend archaischen Mustern. Das ließe sich – für alle Beteiligten – sehr viel besser und angenehmer regeln.

Wir stammen aus einer Welt in der kaum jemand Ahnung hatte und in der Fehlentscheidungen schnell mal tödlich waren. Zu früh gesät, zu spät? Ernteausfall, Exitus. Gedacht, die Strecke ist sicher? Ausgeraubt, aufgeschlitzt. Krankheit nicht gekannt? Angesteckt, hingestreckt. Wetter verschätzt, rausgesegelt? Blub, blub. Mit dem falschen angelegt? Ganz schlechte Idee.

Hierarchie rettete Leben

Wir stammen aus einer Welt mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von Mitte 40. Wer die Kombination aus Unerfahrenheit, Ahnungslosigkeit und letaler Umwelt lebt, ist sehr froh, wenn er jemanden hat, der brauchbare Entscheidungen für ihn trifft. Wir stammen aus einer Welt, in der Hierarchie einen großen Wert auch für die hatte, die unten in der Pyramide der Macht standen.

Folgerichtig war und ist Hierarchie das zentrale Organisationsprinzip unserer Gesellschaft. Hierarchie ist das System, in dem die vielen Unerfahrenen Ahnungslosen optimal vom Wissen der weisen Wissenden profitieren können. Nicht, dass letztere das nicht gnadenlos ausgenutzt hätten.

Hierarchie ist ein zivilisatorischer Atavismus

Doch in den letzten paar hundert Jahren hat es zwei Entwicklungen gegeben, die die Prämissen grundlegend geändert haben: Die meisten Menschen verfügen über spezialisierte Kompetenzen. Fehler sind kaum noch unmittelbar tödlich. Somit sind alle Gründe, die Hierarchie zum Organisationsprinzip der Wahl machen, obsolet. Hierarchie ist heute ein Atavismus unserer kulturellen Evolution. Sie nutzt nur noch denen, die oben stehen – und wird von diesen entsprechend verteidigt.

In jüngerer Zeit gibt es eine weitere Entwicklung, die die Unterlegenheit der Hierarchie verschärft und offensichtlicher werden lässt: das omnipräsente Datennetz mit seinen im Prinzip gleichberechtigten Knoten. Dieses Netz könnte eine elementare Rolle in einer egalitäreren Organisation unserer Gesellschaft spielen. Doch in diesem Artikel soll es um ein Beispiel gehen, in dem das Netz keine hervorgehobene Rolle spielt: wie könnte eine vernünftigere Organisation der Arbeitsabläufe im Krankenhaus aussehen?

Der Medicus

Es war einmal in einer Welt vor unserer Zeit, da verfügten Ärzte über ein gehütetes Spezialwissen. Ihre Kunst bestand in der Stellung der Diagnose. Die eigentliche Behandlung war aufgrund der sehr beschränkten Möglichkeiten i.d.R. relativ simpel und konnte von weitgehend unqualifiziertem Pflege-Personal durchgeführt werden. Eine echte Prüfung der Diagnose war oft nicht möglich, da es wenig aussagekräftige Analyse-Techniken gab. In diesem Umfeld waren Ärzte unangefochtene Halbgötter auf deren Schultern allein sich Verantwortung und Ruhm verteilten.

Doch dann kam die Aufklärung, dann kamen die Volks-Bildung, die Naturwissenschaft, die moderne Technologie und ein galoppierendes Expertentum, das jeden antiken Arzt neben einer modernen Krankenschwester aussehen lässt wie der schäbige Quacksalber, der er war. Schwestern und Ärzte sind heute Teams mit verteilten Spezialfähigkeiten. Ein Patient benötigt das spezielle Wissen von Schwestern und Ärzten. Es ist keineswegs so, dass Ärzte über alle Fähigkeiten und Erkenntnisse des Pflegepersonals verfügen und lediglich aus Effizienzgründen delegieren.

Arbeit ist eine Team-Sportart

Wie bei fast allen modernen Unternehmen liegt der Erfolg eines Krankenhauses nicht in den arkanen Künsten seiner Halbgötter, sondern im Prozess der alle Team-Mitglieder zusammen zum Erfolg führt. Jede ungewaschene Hand, zahllose Unaufmerksamkeiten oder Therapiefehler von Ärzten oder Pflegern können den Erfolg vereiteln. Nur wenn jeder seinen Job gut erledigt – und das gilt „selbst“ und hier besonders fürs Raumpflege-Personal – kann die gemeinsame Anstrengung von Erfolg gekrönt sein.

Dennoch gibt es ihn immer noch. Schlecht bezahlt und überarbeitet, doch Halbgott bleibt Halbgott. In den Händen der Ärzte liegt nach wie vor die ganze „Verantwortung“ für das Wohl und Wehe der Patienten. „Verantwortung“ bedeutet hier, sie müssen teure Versicherungen abschließen, die einspringen, wenn im „Verantwortungsbereich“ des Arztes z.B. eine Schwester auf Anordnung des Arztes ihre „Kompetenzen“ überschritten hat und dabei ein Fehler unterläuft. Diese Praxis der Konzentration der Verantwortung und Weisungsbefugnis auf die Halbgötter ist genauso deplaziert und anachronistisch wie ein Aderlass.

Orderlass

Doch im Gegensatz zum Aderlass erfreut sich die Hierarchie nach wie vor bester Gesundheit. Denn die wahrhaft großen Führer – jene die zum Erfolg der Geführten führen statt zum eigenen – sind eine seltene Spezies. Und jene, die vor allem den eigenen Erfolg im Blick haben, profitieren trefflich von ihren Führungspositionen.

Das Pflegepersonal hat sehr viel mehr Kontakt zu einzelnen Patienten als die Ärzte. Das Pflegepersonal kümmert sich auch – mit Ausnahme intravenöser Spritzen – um die Verabreichung der Medikation und hat daher bei einem gegebenen Patienten einen besseren Überblick als der Arzt darüber, was der Patient alles bekommt, und wie die Therapie anschlägt. Wenn dieser reiche Informationsschatz von den Ärzten genutzt wird – was durchaus vorkommt – geschieht das nicht wegen des Systems, sondern gegen das System.

Besonders augenfällig ist diese kontraproduktive Arbeitsteilung bei Hebammen und Reproduktionsmedizinern. Erstere umgeben sich mit allerlei Mumpitz und realen Therapie-formen, die das Gesetz ihnen lässt, letztere blicken mit mehr oder weniger Verachtung auf die Hebammen und ihr teils Jahrtausende altes Wissen. Die feine Beobachtungsgabe und der oft enge Kontakt der Hebammen zu den Müttern wird von Ärzten kaum genutzt.

Team-Diagnose

In einer idealen Welt – oder auch in jeder Welt, die den Realitäten der modernen Medizin auch nur halbwegs gerecht würde – wären Ärzte und Pflegepersonal Teil gleichberechtigter Teams. Natürlich können Schwestern Diagnosen stellen. Einen Patienten allein der Diagnose einer einzigen Schwester zu überlassen ist natürlich genau so idiotisch, wie ihn der Diagnose eines einzigen Arztes zu überlassen.

Es gibt nichts wichtigeres als Gesundheit. Sie ist das höchste Gut, das wir haben. Diesem Wert ist ein einzelnes Urteil niemals angemessen. Das Team muss gemeinsam überzeugt sein von der Diagnose – oder mehrere Pfade gleichzeitig verfolgen. Wertvolle Informationen wie die Beobachtungen, die Schwestern über Tage machen, einfach wegzuwerfen, ist eine bemerkenswerte Torheit.

Fehler und Verantwortung

Und wenn eine Schwester eine Fehldiagnose stellt? Dann haftet sie. Es ist jedoch falsch, ein Mitglied eines Teams alleine haften zu lassen. Es müssen alle zusammen überzeugt sein, also müssen sie auch zusammen haften. Ein Pfleger, der gerade von der Schule kommt und mit der Ausbildung beginnt, kann natürlich nicht die gleiche Verantwortung übernehmen, wie ein erfahrener Arzt. Ein auszubildender Pfleger haftet also mit einem deutlich geringeren Anteil als der Arzt.

Wer mit welchem Anteil haftet hängt von der individuellen Kompetenz ab. Diese wird durch gegenseitige Zuschreibung in einem System wie KiIsWhoWi ermittelt. Jeder teilt dort mit, für wie kompetent er andere in Fachgebieten hält. Jemand, der von anderen für kompetent gehalten wird, hat in seiner Fachdisziplin eine größere Wertungskraft als „Inkompetente“. In so einem System trüge eine erfahrene Hebamme eine größere Verantwortung als ein Arzt frisch von der Uni – und so sollte es auch sein.

Vertrauen und Verantwortung

Ich sollte auch nicht für Fehler von Kollegen haften, die ich für inkompetent halte. Wenn also eine Fehlentscheidung getroffen wird, haftet zunächst der oder die EntscheiderIn. Dann wird geschaut, wie die Kompetenz und das gegenseitige Vertrauen im Team  verteilt sind und die Haftung ausgehend vom Entscheider entsprechend verteilt. Jedes Teammitglied kann mit diesem Wissen selbst entscheiden, wie viel Verantwortung es übernehmen möchte, ob es Entscheidungen trifft oder Mangels „Deckung durchs Team“ lieber anderen überlässt.

Da Ärzte in der Regel über besondere Kompetenzen verfügen, würde sich oberflächlich betrachtet gar nicht viel ändern. Doch tatsächlich würde sich sehr viel und sehr grundlegend ändern. Es gäbe keinen Chef per Dekret mehr. Führung und Verantwortung wären abhängig vom gegenseitigen Ansehen. Erfahrene Schwestern trügen große Verantwortung. Senile Professoren verlören nach und nach ihren Status. Ärzte, die nicht teamfähig sind, könnten entsprechend auch keine Teams führen. Es wäre eine Arbeitswelt, wie sie sein sollte.

Dank

Dieser Artikel ist aus einer Diskussion mit Christiane Kretschmer entstanden.
Vielen Dank Christiane.
Christiane kennt die Abläufe im Krankenhaus aus erster Hand –
von Seiten des Pflegepersonals. Ihre Einsichten, decken sich mit
denen meiner Mutter, die die gleichen Missstände aus Sicht der
Ärzteschaft kritiert hat.

Regierung mal anders

Hier stelle ich eine Alternative zur Demokratie vor. Ein System, das die Ideale der Demokratie um zu setzen versucht – ohne Wahl, ohne Lobbyismus, ohne Regierung im klassischen Sinn, doch mit effizienten klar umrissenen Entscheidungs-Prozessen.

In meinem letzten Artikel habe ich erörtert, woran unsere Demokratie gescheitert ist. Was kann man nun daraus lernen? In diesem Artikel stelle ich die Grundsätze eines Regierungssystems vor, das die Lehren aus dem Scheitern der Demokratie zieht.

Woran ist unsere Demokratie gescheitert?

Doch zunächst werden ich diese Lehren hier noch einmal kurz rekapitulieren, Details finden sich im besagten Artikel. Der Prozess des Interessenausgleichs basiert in der Demokratie auf dem Kuhhandel zur Förderung der Karrieren von Berufspolitikern. Dies trägt wesentlich zur Entfremdung der Konstituenten der Demokratie von ihrem politischen System bei. Aufgrund der begrenzten Legislaturperioden ist der Zeithorizont demokratischer Entscheidungen zu kurz um die großen Probleme unserer Zeit zu lösen.

Diese beiden Faktoren – Entfremdung und Unfähigkeit zur Lösung zentraler Probleme – haben unsere Demokratie strukturell stark geschwächt. Während die vierte Gewalt – unser Mediensystem – mit seinem eigenen Ausverkauf beschäftigt war, nutzten mächtige Partial-Interessen diese und andere Schwächen unseres kränkelnden System, um ihm den Garaus zu machen. Heute können wir nur noch die mehr oder weniger unterhaltsame Aufführung einer marktkonformen Demokratiesimulation bewundern.

Und was kann man daraus lernen?

Eine Lehre, die man daraus ziehen kann ist, dass wir ein Mediensystem brauchen, das sich nicht so leicht korrumpieren lässt. Damit habe ich mich z.B. hier und hier beschäftigt. Nun geht es um das eigentliche politische System. Dieses muss drei zentrale Forderungen erfüllen, ohne den Vorteil der repräsentativen Demokratie, den Interessenausgleich, aufzugeben.

  1. Es muss eine starke Identifikation zwischen Staat und Bürgern fördern.

  2. Es muss einen langen Zeithorizont für Entscheidungen erlauben.

  3. Es muss extrem Widerstandsfähig gegen Unterwanderung durch Partial-Interessen sein.

Einer für Alle

Es gibt zahlreiche Faktoren, die uns heute eine Identifikation mit unseren Volksvertretern sehr schwer machen. Das fängt schon damit an, dass es immer sehr viele Beteiligte bei allen Entscheidungen gibt. Theoretisch werden die Entscheidungen vom Parlament mit einigen hundert Abgeordneten getroffen. In der Praxis sind es Dutzende von gesichtslosen Karrieristen, die unsichtbar hinter den Kulissen ebenso unsichtbare Fäden ziehen. Unterdessen sondern im Vordergrund ein paar aalglatte Rhetorik-Profis genau geplante Worthülsen in feinstem Neusprech ab. Wenn man gezielt versuchte, Identifikation unmöglich zu machen, könnte man es kaum besser machen.

Die tieferen Ursachen für die Unmöglichkeit der Identifikation sind

  • die Zahl der Beteiligten,

  • die Intransparenz der eigentlichen Entscheidungsfindung,

  • die Tatsache, dass die Entscheider keine normalen Menschen sind, sondern mediale Inszenierungen von Profis im Wieder-Gewählt-Werden.

Kompetenz & Motivation

Ich schlage ein System vor, in dem jede Entscheidung jeweils von wenigen Menschen getroffen wird; In dem die Entscheider keine Profis darin sind, sich vor den Menschen, die sie vertreten, möglichst gut zu verkaufen; In dem völlig transparent ist, wer die Entscheidung trifft. Das sind optimale Bedingungen für die Identifikation der Bürger mit ihrem politischen System.

Zunächst muss man Menschen finden, die die Entscheidungen treffen sollen. Dazu muss das Grundproblem jedes politischen Systems gelöst werden, das irgendwie im Sinn seiner Bevölkerung handeln soll. Das Problem besteht darin Menschen zu finden, die

  1. kompetent sind, die anstehenden Entscheidungen zu treffen und die

  2. motiviert sind, im Interesse der Bevölkerung zu entscheiden.

Ich bestreite, dass unser System der Wahl auch nur eine dieser beiden Anforderungen im Fokus hat. Unser System sucht Selbstdarsteller aus, die psychisch relativ stabil sind, sich wenige all zu große Skandale leisten und die ihre unmittelbare Bedürfnisbefriedigung auf die Zeit nach ihrer politischen Karriere verschieben können – unser System ist völlig korrupt, aber die Auszahlung findet meist erst nach Niederlegung der Ämter statt. Tony Blair, Gerhard Schröder, ehemalige Mitglieder amerikanischer Regierungen – alles absolute Top-Verdiener.

Weder Kompetenz noch das Interesse der Bevölkerung spielen da eine große Rolle. Lediglich all zu krasse Auswüchse werden gehemmt.

Kompetenz

Ich habe mit KiIsWhoWi ein System vorgestellt, mit dem sich die Kompetenz von Menschen in bestimmten Fachgebieten ermitteln lässt. Es handelt sich um eine Art Who is Who Wiki, wo jeder seine Meinung kund tun kann und wo aus Einzel-Meinungen in einer Abwandlung des wissenschaftlichen Peer-Review-Prozesses eine Urteil ermittelt wird. Dieser Artikel ist schon ein paar Jahre alt, und mittlerweile gibt es derartiges bereits vielfach. Wer einen Finanzberater sucht, kann das beispielsweise bei Google Maps tun. Dort finden sich auch zahlreiche (teils gefälschte) Urteile. Etwas weiter treibt es beispielsweise dieser Service zum Auffinden eines kompetenten Arztes für bestimmte Malessen.

Das Problem, kompetente Menschen zu beliebigen Themen zu ermitteln, ist gelöst. Mindestens der wissenschaftliche Betrieb hat eine Lösung etabliert und diese lässt sich verallgemeinern und mit technischen Mitteln auf die gesamte Bevölkerung übertragen. KiIsWhoWi legt dar, wie dieser Prozess bereits heute als Teil des normalen Zusammenlebens etabliert wird und welche enormen Vorteile es hätte, diesen Prozess aus der Kommerzialisierung zu befreien – Vorteile weit jenseits der Regierungsbildung.

Motivation

Wie kann man also die so gefundenen kompetenten Menschen motivieren, langfristig und im Sinn der Bevölkerung zu entscheiden? Die Antwort liegt wieder zu einem großen Teil in der Auswahl. Man kann nicht nur Kompetenz beurteilen, sondern auch den Charakter von Entscheidern. Um Entscheidungen für alle zu treffen, sollten nur charakterlich einwandfreie Personen ausgewählt werden.

Doch mindestens ebenso wichtig ist der Auswahl-Prozess selbst. Wir sind ständig den Urteilen unserer Mitmenschen und Nachbarn ausgesetzt. Doch meist erfahren wir davon wenig. KiIsWhoWi macht diese Urteile transparent.

Geld regiert die Welt

Das mag man ablehnen, doch was ist die Alternative? Heute ist der wichtigste gesellschaftliche Faktor für die Beurteilung eines Menschen sein Reichtum. Zur Schau gestellter Reichtum ist der Weg, sich vor seinen Mitmenschen aus zu zeichnen. Viele Menschen versuchen daher Reichtum zu erlangen. Unser Differenzierungs- und Auswahl-System fördert so direkt unmoralisches, asoziales Verhalten, Bereicherung auf Kosten anderer. Anderen zum eigenen Vorteil zu schaden ist nach unserem am weitesten verbreiteten und anerkannten Standard etwas Gutes.

Wenn man den Menschen die Möglichkeit, sich vor ihren Mitmenschen auszuzeichnen, nicht gänzlich nehmen möchte, dann sollte man dieses Streben vieler Menschen nach ein wenig Ruhm wenigstens zum Guten wenden. Indem das fortgesetzte gegenseitige Urteil eine große Bedeutung in unserem Zusammenleben bekommt, wird es für die Entscheider viel wichtiger, sich ihren Mitmenschen gegenüber korrekt zu verhalten.

Arschlochalarm

Eine politische Entscheidung ist eine einzigartige Chance für den Entscheider. Er kann sich bereichern, oder er kann seine Reputation verbessern. Wenn er das richtige tut, bekommt er in der Kneipe sicher ein Bier ausgegeben. Wenn er das Falsche tut, kann er sich vielleicht nicht einmal mehr ein Bier kaufen – weil ihm schlicht keins verkauft wird, egal, was er zahlt.

Man bedenke, dass Smartphones erst der Anfang sind. Mit Google Glass steht gerade die nächste Stufe des Life-Logging-Device vor der Tür. Wir kommen aus einer Welt, in der Information schwer zugänglich war. Mit der beginnenden Vernetzung wurde sie leichter zugänglich. Mit Google Now beobachten wir gerade einen der ersten Dienste, der Information Kontext-Abhängig automatisch einblendet. Die Information kommt zu uns. Wir werden bald in einer Welt leben, wo Informationen zu der Person, die die Kneipe betritt, automatisch eingeblendet werden, wenn das für uns relevant ist. Mit dieser Technik auf Google Glass wäre das bereits heute möglich. Und das ist sicher erst der Anfang. Wenn diese Informationseinblendung der Arschlochalarm ist, ist das gar nicht gut für den, der seine Entscheidungsbefugnis missbraucht hat.

Resistenz gegen Lobbykratie

Wir haben also eine Möglichkeit, einen starken positiven Motivations-Faktor für unsere Entscheider zu schaffen. Doch auch das dürfte nicht reichen, eine Regierung vor der Unterwanderung durch Partial-Interessen zu schützen. Um einen optimalen Schutz zu erreichen, muss man den Entscheidungsprozess zu einem beweglichen Ziel machen. Heute sind unsere Entscheider Jahre, teils Jahrzehnte lang den Einflüsterungen der Lobby ausgesetzt. Dieses ewige Dauerfeuer sowie die korrumpierende Wirkung der Macht selbst sind mehr, als die meisten Menschen auf Dauer verkraften.

Ein politischer Entscheider sollte daher nur sehr kurz agieren, sollte idealer Weise nur genau eine politische Entscheidung treffen. So wird der Einfluss seiner Entscheidung auf seine Reputation maximiert und der Einfluss der Lobby minimiert.

Langfristigkeit

So kommt auch der Faktor der Langfristigkeit in den Entscheidungsprozess. Die Pflicht, eine Entscheidung für alle Mitmenschen zu treffen, ist so eine einzigartige Chance für das ganze eigene Leben. Plötzlich steht man im Rampenlicht. Die Entscheidung, die man trifft, wird großen Einfluss auf die eigene Reputation für den Rest des eigenen Lebens haben. Denn einmalig wird man von vielen Menschen beurteilt, von denen man sonst nie wieder etwas hören wird. Es ist also eine Entscheidung auf Lebenszeit und in wenigen Fällen sogar darüber hinaus. Ein längerer Zeithorizont wird sich für Entscheidungen kaum erreichen lassen.

Zusätzlich zu diesen intrinsischen Schutzmechanismen gegen Lobbykratie, sollten bestimmte Formen politischer Einflussnahme grundsätzlich Untersagt werden. Dies fiele zum Beispiel unter das hier vorgeschlagene generelle Werbeverbot. Statt dessen sollten die Entscheider sich die nötigen Information jederzeit holen können. Dies würde schon durch die umfassende Transparenz ermöglicht, die ich für alle öffentlichen (auch wirtschaftlichen) Lebensbereiche fordere.

Technokratie?

Der Umstand, dass hier nach Kompetenz ausgewählt wird, könnte einen auf die Idee bringen, dass es sich bei meinem Vorschlag um eine Form der Technokratie handelt. Dem ist keineswegs so. Das wesentliche Merkmal einer Technokratie sind Technokraten – eine Klasse von professionellen Entscheidern, die allein nach sachlichen Kriterien entscheidet. Kompetenz macht keinen Technokraten, sondern seine Entscheidungskriterien.

In der Technokratie sind das reine Sachkriterien. In meinem Vorschlag hingegen ist der Maßstab das Urteil der Mitmenschen. Es ist genau das, was es in einer Demokratie sein sollte aber nicht ist. Im Ideal der Demokratie steht im Mittelpunkt der demokratische Diskurs, die Debatte, der Meinungsaustausch. Tatsächlich ist dies bei uns zu einem reinen Schauspiel verkommen. Wenn legislative Entscheidung zur Basis der Reputation werden, bekommt der Diskurs wieder eine viel größere Bedeutung.

Ebenso wichtig ist es, die fatale Nähe von Mächtigen zu ihren Hofberichterstattern aufzubrechen. Dies geschieht in den von mir vorgeschlagenen System automatisch dadurch, dass die „Mächtigen“ ständig wechseln. So kommt es gar nicht er zu der persönlichen Nähe zwischen Politik und denen, die darüber Berichten. So kann der Diskurs sich wieder frei entfalten.

Zudem kann von Technokraten schon gar keine Rede sein. Denn es gibt ja weder Techno- noch sonst welche -kraten. Wer nur eine oder wenige Entscheidungen in seinem Leben trifft, kann kein professioneller Politiker werden.

Frau des Volkes

So jemand bleibt ein Mann oder eine Frau des Volkes. Es sind die berühmten 15 Minuten Ruhm – oder eher fifteen minutes of blame. Auf diese Weise sowie dadurch, dass es jeweils nur wenige Entscheider gibt, wird auch die Identifikation der Bevölkerung mit den Entscheidern und ihrem politischen System gefördert.

One Man One Vote

Was wurde aus dem Prinzip „Ein Mensch, eine Stimme“? Es war ein wichtiger und richtiger Schritt in unserer kulturellen Entwicklung. Ohne dieses Prinzip wäre unsere Welt heute wahrscheinlich ein noch deutlich schlimmerer Ort. Doch wenn sie uns auch paar Schritte in die richtige Richtung gebracht hat, so konnte die Demokratie ihre großen Versprechen letztlich doch nicht erfüllen.

Das romantische Ideal von „Ein Mensch, eine Stimme“ ist gerade, dass jede Stimme zählt, das niemand überhört wird. Doch die Realität der Demokratie verkehrt dieses Ideal in sein genaues Gegenteil: Eine einzeln Stimme wird grundsätzlich überhört, wenn sie nicht in den Chor der Masse einstimmt. Selbst große Minderheiten, wie Homosexuelle, werden Jahrzehnte lang tyrannisiert, wenn nicht zufällig „political correctness“ zur Mode wird.

Die Anwohner des Wendlandes (Gorleben, oder wo immer das Endlager letztlich landet) werden nach ihrem subjektiven Empfinden gar von der Mehrheit ihrer Heimat beraubt. Da braucht niemand mit „rationalen Argumenten“ zu kommen. Atommüll in meinem Hinterhof ist ein drastischer Eingriff in meine Persönlichkeitsrechte. Demokratie ist die Diktatur der Mehrheit.

Das hier vorgeschlagene Prinzip gibt einzelnen dagegen tatsächlich eine Stimme. Wenn meine politische Entscheidung einem einzelnen massiv schadet, kann dieser das bei KiIsWhoWi über mich schreiben. Andere können das dann lesen, und beurteilen, ob meine Entscheidung dennoch gerechtfertigt war.

Das Ideal von „Ein Mensch, eine Stimme“ ist richtig. Doch um das Ideal zu erreichen, muss man sich gerade von diesem Prinzip verabschieden.

Die Demokratie ist Prinzip-bedingt unfähig unsere zentralen Probleme zu lösen und sie bietet nur unzureichenden Schutz gegen Inkompetenz und Usurpation. In der letzten großen Weltwirtschaftskrise hat sie sich konsequent abgeschafft und in dieser ist sie gerade wieder dabei. Demokratie hatte ihre Berechtigung, doch sie ist nicht das Ende der Geschichte.

Ein neuer Weg

Dies sind die Prinzipien eines politischen Systems von den Menschen für die Menschen: Eines Systems, das kompetente Entscheider wählt und sie motiviert, langfristig und im Sinn des Volkes zu entscheiden; Das resilient ist und resistent gegen Lobbykratie und Usurpation; Das es den Bürgern ermöglicht, sich mit ihrem legislative System zu identifizieren; Das die großen zentralen Probleme unserer Gesellschaft mit ihrem sehr langen Zeithorizont angehen kann.

Ich habe einen legislativen Prozess, der diese Prinzipien beherzigt, hier exemplarisch dargelegt. Dies ist nur ein Beispiel, wichtig sind die Prinzipien: Gegenseitiges Ansehen muss wichtiger sein als Geld, Kompetenz und Integrität sind Voraussetzungen für legislative Entscheidungen, Entscheider treffen nur eine oder wenige Entscheidungen, die große Bedeutung für ihr ganzes Leben haben, der Prozess ist transparent und frei von gezielter Einflussnahme.

Woran ist unsere Demokratie gescheitert?

Was leistet Demokratie und wieso zerstört sie sich zum wiederholten Male selbst?

Und was kann man daraus lernen?

Doch fangen wir damit an, was die Demokratie Gutes leistet. Sie setzt die potentiellen Regenten einem sehr harten Auswahlprozess aus. Volldeppen scheitern an den rhetorischen Anforderungen und debile Monarchensöhne bleiben uns nunmehr erspart. Wer seine Bosheit überhaupt nicht verstecken kann, hat genauso wenig eine Chance, wie der, der das Volk zu offensichtlich bluten lässt.

Doch all dies sind sehr relative Anforderungen. Mit George W. Bush wurde ein Regent wiedergewählt, der über mäßige rhetorische Begabung verfügt, der sein Volk belogen hat und damit aufgeflogen ist, es in einen sinnlosen, teuren Krieg geführt hat, in diesem Krieg weitgehend gescheitert ist, den Löwenanteil der Bevölkerung hat ausbluten lassen und sein Land ruiniert hat. Das ist schlimm doch minderbemittelte und bösartige Despoten haben weit schlimmeres angerichtet. Demokratie bietet offenbar einen begrenzten Schutz davor.

Interessenausgleich?

Der Kern der Demokratie ist der Interessenausgleich. Interessenausgleich gibt es seit vielen Jahrhunderten. Könige können schon sehr lange nicht mehr nach belieben schalten und walten. Doch früher waren die Parteien des Interessenausgleichs oft recht begrenzt. Sie rekrutierten sich im Wesentlichen aus Adel und Klerus. Und es war die Regel, dass einzelne Parteien durch Intrigen und andere Mechanismen aus dem Prozess des Interessenausgleichs herausfielen.

Es ist ein Verdienst der Demokratie, dass jeder, der viel Geld und/oder viel (Meinungs-) Einfluss hat, am Prozess des Interessenausgleichs teil hat. Dadurch bekommen die Interessen des Volkes tatsächlich ein etwas höheres Gewicht und finden mehr Berücksichtigung in dem Prozess. Doch Demokratie bietet nicht annähernd genügenden Schutz gegen die Einflüsterung von Partialinteressen, wie z.B. das Beispiel des FDP-Steuergeschenks an die Hoteliers zeigt (vorletzter Satz des Absatzes).

Tatsächlich sahen die letzten Jahrzehnte eine Zunehmende Professionalisierung der Interessenvertretung. Gleichzeitig nahm die Fähigkeit der „Spin-Doktoren“, die öffentliche Meinung zu beeinflussen solche Ausmaße an, dass Lobbyismus den Einfluss der Volksinteressen sehr weit zurückgedrängt hat.

Lobbykratie!

Ein Grundproblem der Demokratie ist, dass Entscheidungsträger auf externe Experten angewiesen sind, die sich mit der betreffenden Materie auskennen. Und die besten Experten arbeiten meist für die, die die größten Interessen (Investitionen) in den betreffenden Bereichen haben. So bekommen die, die ein finanzielles Interesse in einer gegebenen Frage haben, oft stark überproportionalen Einfluss in ihrem Bereich.

Dabei sind die Einflüsterungen der Lobbyisten noch vergleichsweise subtil. In vielen Fragen werden unsere Entscheidungsträger von Interessenvertretern erpresst. Ein besonders offensichtliches Beispiel ist in diesem Artikel beschrieben: Mitarbeiter des griechischen Parlamentes verhinderten eine Abstimmung bis ein ihnen nicht genehmer Passus aus dem Gesetzesentwurf entfernt wurde.

Doch auch in Deutschland kann sich kein Parlamentarier beispielsweise gegen Springer stellen, da die BILD als Gegner i.d.R. ein politisches Todesurteil ist. Dieser Umstand dürfte uns unter anderem das (mit Ausnahme von den Profiteuren) einhellig verdammte Leistungsschutzrecht beschert haben. Und immer wieder kommt es vor, dass Interessenvertreter mit dem Abbau von Arbeitsplätzen drohen, was meist ein „Killerargument“ (sprich Erpressung) ist und jede Debatte beendet.

Wenn der Prozess des Interessenausgleichs Opfer von Erpressung geworden ist,

  • werden Sachlagen oft völlig ignoriert (z.B. das Gutachten des Max Planck Instituts für Immaterialgüterrecht zum Leistungsschutzrecht),

  • versteckt (z.B. die geheimen Verträge über die Berliner Wasserversorgung, die sehr lange gegen den Volkswillen geheim gehalten wurden)

  • und verfälscht (Armutsbericht , Gorleben-Gutachten siehe „Einflussnahme der Regierung Helmut Kohls“).

Kuhhandel

Wenn man sich den eigentlichen Prozess des Interessenausgleichs ansieht, wundert es nicht, dass dieser völlig korrumpiert ist. Es ist nicht etwas so, dass da die Interessen des Volkes abgewogen werden um einen möglichst ausgewogenen Kompromiss widerstreitender Interessen zu finden. Viel mehr handelt es sich um einen gnadenlosen Konkurrenzkampf desillusionierter Karriere-Politiker, die fürs eigene Fortkommen die Interessen ihrer Wähler verschachern. Wir haben unser Wohl und Wehe an eine Bande – wenn auch ehemals idealistischer – Gebrauchtwagen-Händler delegiert.

Wer die Wahl hat bekommt die Qual

Das definierende Element der Demokratie ist bekanntlich die Wahl. Bemerkenswert ist nun, dass – wie jeder Bürger einer Demokratie bestätigen kann – ausgerechnet die Wahl Regierung in weiten Teilen unmöglich macht. Für ein ganzes Jahr – das gefürchtete „Wahljahr“ – liegen die Regierungsgeschäfte großenteils danieder und die gewählten „Volksvertreter“ beschränken sich weitgehend aufs Verwalten. Reformen sind ausgeschlossen.

Doch die schädliche Wirkung der Wahl geht weit über das Wahljahr – immerhin rund ein Viertel der Zeit – hinaus. Unsere Entscheider werden immer nur für einen begrenzten Zeitraum gewählt, meist vier oder fünf Jahre. Weil das so ist, weil nach spätestens fünf Jahren über das Weitere Schicksal unserer Entscheider entschieden wird, können sie kaum Entscheidungen treffen, die kurzfristige Einschnitte bedeuten und erst jenseits dieses Zeithorizontes positive Folgen haben.

Gesetze sollten eigentlich für eine lange Zeit gemacht sein. Doch tatsächlich erleben wir fortwährende Schnellschüsse und Flickschusterei. Kaum ein politisches Projekt ist auf zehn Jahre angelegt, geschweige denn länger.  Bei der nächsten Wahl darf es nicht gar zu fatal aussehen, danach ist die Frage ohnehin nur noch, wer geschickter lügt.

Damit ist Demokratie ein völlig ungeeignetes System um den großen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Denn diese Herausforderungen haben alle einen sehr langen Zeithorizont:

  • Seit vierzig Jahren (in den alten westlichen Industrienationen) kommt das Wirtschaftswachstum nicht mehr mit dem Produktivitätswachstum mit. Die digitale Revolution verschärft das Problem gerade wieder. Selbst Deutschland, das mit Lohndumping versucht, dieses Problem zu exportieren, kann nur noch Arbeit umverteilen. Seit 20 Jahren wird in Deutschland pro Jahr ungefähr die gleiche Zahl an Arbeitsstunden geleistet (nämlich 57-58 Milliarden; Statistisches Jahrbuch 2012 des Bundesamtes für Statistik Seite 350, oberste Tabellenzeile). Und ganz Europa erstickt an der Deutschen Strategie. Die soziale Marktwirtschaft funktioniert unter diesen Bedingungen nicht mehr und die Politik ist völlig handlungsunfähig –  wenn sie nicht gerade wie die SPD mit der (meiner Meinung nach übrigens verfehlten) Agenda 2010 nachhaltigen politischen Selbstmord begeht, was ja eigentlich nicht im Sinne des Systems ist.

  • Ebenso lange ist bekannt, dass unser Gesellschaftsmodell nicht skaliert, weil der Planet nicht genügend Ressourcen hergibt. Deutschland ist es als einem von ganz wenigen Ländern gelungen, überhaupt halbherzige Schritte zur Lösung des Problems zu unternehmen. Wir laufen sehenden Auge ins Verderben, doch Lobbykratie und die Kurzfristigkeit demokratischer Entscheidungshorizonte lassen uns unseren Ritt ins Verderben beschleunigen statt einen anderen Weg zu suchen.

  • Der Demografische Wandel kommt auch nicht überraschender als die beiden obigen Probleme. Doch statt nach Lösungen zu suchen, werden unsere künftigen Senioren an die private Finanzwirtschaft verschachert.

Diese Probleme bedürfen größter Weitsicht. Sowohl die Entwicklung der Probleme wie ihre Lösung nimmt ganze Generationen, ja ganze Lebenspannen in Anspruch. Und je länger wir warten, desto teurer wird es. Und wir warten immer noch.

Demokratie war laut Churchill die schlechteste Regierungsform – außer all den anderen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert wurden. Doch auch das liegt hinter uns. Mittlerweile spricht selbst unsere Kanzlerin von marktkonformer Demokratie. Was nun? Zurück zur schlechtesten Regierungsform, zur Demokratie, die unsere Zivilisation und den Planeten, den sie bewohnt, mit Vollgas auf einen  Abgrund zusteuert und kurz vor der Klippe aus dem Wagen springt, sich selbst abschafft?

Ich glaube – nicht im Sinn von „ich vermute“ sondern es ist meine Überzeugung – dass wir etwas neues ausprobieren müssen. Die soziale Revolution der Vernetzung und das Vakuum, das die Demokratie hinterlassen hat, bringen uns heute in eine einzigartige Situation. Wir können und müssen unser Zusammenleben neu erfinden. Was können wir nun aus dem Scheitern der Demokratie lernen? Darum wird es in meinem nächsten Artikel gehen.

Ich sollte wissen, was Twitter weiß

Wir haben Angst vor Twitter, Google, Facebook. Wieso kann es nicht umgekehrt sein?

Dies ist eine Entgegnung auf Martin Weigerts Artikel “Ich weiß, was du diesen Sommer twittern wirst”. Dort geht es darum, dass Daten – insbesondere Big Data – Menschen vorhersehbar machen und wie das missbraucht werden könnte – ein lesenswerter Artikel. Leider fügt er sich nahtlos in die große Menge derartiger Artikel ein, wenn er auch qualitativ eher positiv hervorsticht und das Thema immerhin differenziert betrachtet.

Das größte Missbrauchs-Potential sieht Martin Weigert in gezielter Meinungsmache zu konkreten politischen Projekten. Ja, in der Tat, Spin-Doktoren, Profi-Lobbyisten, Kampagnen-Journalisten – sie alle sind fleißig dabei die Reste unserer erodierten Demokratie zu zerstören und mit mächtigeren Werkzeugen wird das schneller gehen. Doch so weit muss man meiner Meinung nach gar nicht denken.

Wissen ist Geld ist Macht

Google, Facebook und andere können das Verhalten von Menschen beeinflussen. Diese Fähigkeit ist die Grundlage ihrer Geschäftsmodelle. Die Möglichkeit, das Verhalten von Menschen zu beeinflussen nennt man auch schnöde “Macht”. Informations-Konzerne haben sich zu gigantischen in keiner Weise legitimierten Machtzentren gewandelt.

Nutzen sie diese Macht zur Förderung des Gemeinwohls? Eher nicht. Wie alle großen Konzerne diversifizieren sie ihre Macht. Sie versuchen mehr Einfluss in der Informationswirtschaft zu erlangen, sie verdienen sehr viel Geld (= Macht) und beginnen auch politisch Einfluss zu nehmen indem sie ihre Lobby-Ausgaben erhöhen und eigene Kampagnen fahren.

Werbung für den Untergang

Dabei ist ihr Kerngeschäft die Werbung, die Förderung eines konsumeristischen Weltbildes und Lebensstils, der auf der Ausbeutung der Arbeit und Ressourcen wirtschaftlich unterlegener Kulturen basiert und unseren Planeten in atemberaubenden Tempo zerstört. Ich kann da nicht Gutes aber sehr viel Schlechtes dran erkennen.

Dennoch scheint die Einsicht recht abwegig zu sein, dass gigantische, unkrontrollierte Machtkonzentrationen an sich etwas Schlechtes sind. Warum? Warum akzeptieren wir das einfach? Weil es unvermeidlich scheint?

Machtdiffusion

Ich glaube, die offensichtliche Neigung unseres Wirtschaftssystems zu solchen Machtkonzentrationen ist ein Systemfehler – einer der sich durch eine Reihe von Eingriffen überwinden ließe, ohne dafür dieses System komplett aufgeben zu müssen. Ein wichtiger Faktor für die Neigung unseres Systems zur Machtkonzentration ist unsere Informationsgesetzgebung.

Geschichtsstunde

Es ist mittlerweile offensichtlich, dass die von uns gewährte Möglichkeit, anderen die Nutzung bestimmter Informationen zu verbieten, unmittelbar zu Machtkonzentration führt. Die Indizienkette dazu reicht von der Effizienzsteigerung der Dampfmaschine Anfang des 19. Jahrhunderts über den englischen Buchmarkt um die Mitte des 19. Jahrhunderts, die Bell-Company, IBM, Microsoft, Google bis zu Facebook.

Und in all diesen Fällen gibt es deutliche Hinweise, dass es ohne Patente, Copyright und andere Informationsschranken nicht deutlich schlechter gegangen wäre.

Nachdem das unsäglich Patent von Watt auslief, beschleunigte sich die Effizienzsteigerung der Dampfmaschine stärker als durch Watt – ohne dass die entsprechenden Entwicklungen patentiert worden wären. Der urheberrechtslose Buchmarkt in Deutschland war diversifizierter, schneller und größer als der konzentrierte englische und bot dem durchschnittlichen Autor bessere Verdienstmöglichkeiten.

Microsoft hatet Ende der 90er das Internet verschlafen und hat es dann geschafft, die Entwicklung der Web-Technologie mindestens um fünf Jahre zu verlangsamen indem sie ihren marktbeherrschenden Browser „Internet Explorer“, der für jeden Web-Entwickler eine unerträgliche Zumutung war, über Jahre nicht weiter entwickelten, manche Standards kaputt-verhandelt und andere mit ihren “Alternativ”-Entwicklungen und extra “Features” untergraben haben.

Freiheit für Information und Mensch

Was ist die Schlussfolgerung aus all dem? Information darf in der Wirtschaft keine Schranken haben. Sie, lieber Leser, Martin Weigert und ich, wir alle müssen in der Lage sein, bei Google in die Firma zu spazieren, unsere (gegebenefalls “sterilisierten”) USB-Sticks in beliebige Computer zu stecken, und zu kopieren, was uns interessiert. Wir müssen die Überwachung unserer Wirtschaft Crowd-sourcen. Und wir müssen verhindern, dass solche gefährlichen Leviathane wie Google und Facebook in Zukunft entstehen. Wir können nicht verhindern, dass andere Einfluss auf uns haben. Aber wir können verhindern, dass dieser Einfluss auf wenige Akteure konzentriert wird.

Book Review: World War Z

The Dead are not merely walking. They are running – running our society that is. The first and foremost reason for me to recommend reading „World War Z – An Oral History of the Zombie War“ is how brilliantly it makes the case that we are craving apocalypse. Some of ours leaders are thoroughly devoid of humanity. We are enjoying our ride to hell and we are going to profit from it.

The Dead are not merely walking. They are running – running our society that is. The first and foremost reason for me to recommend reading „World War Z – An Oral History of the Zombie War“ is how brilliantly it makes the case that we are craving apocalypse. Some of ours leaders are thoroughly devoid of humanity. We are enjoying our ride to hell and we are going to profit from it.

Flirting with Disaster

Our actual apocalypse, the sixth extinction, has been going on for millennia. We have industrialized it and keep up exponential acceleration of our dive into doom. Still our real apocalypse is considerably slower than the zombie apocalypse that paints the background of this worthwhile novel. And then there’s the invisible megadeath. Millions of children dying each and every year for no reason, just for not mattering. Zombie children, untouchables barely good enough to to slave away for the coltan in our mobiles, the cotton in our shirts and the fruit on our tables. If „Zombie“ gives you literary creeps and you would not sink as low as to touch some sad excuse for a „novel“ on it, still you should read the section „Blame“ if you happen to get your hands on it.

The small smuggler, middle class assholes, big money, politics, the media: everybody sees perfectly well, how everything is going to hell, even if nobody really understands what’s really going on. Yet, everybody understands there’s a profit to be made and flourishes on our demise. This section, „Blame“,  is probably the best of the book.

But there is much more. The failure of the military to contain the thread because they put up a media show instead of a battle, the US becoming temporarily socialist, Cuba capitalist, Israel locking down, the way Russia becomes a Mullah regime, an Apartheid master mind devising the cruel plan for survival, the subtle psychological difference between a „Robinson Crusoe“ and a „Last Man on Earth“ – the book is full of gems, insightful observations on humans and our societies.

I’m a sucker for words. World war Z is no poetry or outstanding literature. But it is a lot better in this department than your average page turner. It consists of dozens of „interviews“ with eye witnesses. The author successfully emulates several different styles without  overdoing that. It convincingly transports this peculiar way of story telling without bothering the reader with overdone quirks. There is some relation to the epistolary novel but the format is quite unique and perfectly fit to the scope and concept of „World War Z“.

So What?

So great book, read it if you care, but what does all this have to do with this blog? Well, I reached the same conclusions about our society as the author Max Brooks (son of infamous Mel): we are hellbound for apocalypse. Poor Max is an American, though, he really can’t help it. Patriotism with the mother milk, same old song. To speak with Max‘ Mrs. Miller from „World War Z“: „You can blame the politicians, the businessmen, the generals, the ‚machine,‘ but really, if you’re looking to blame someone, blame me. I’m the American system, I’m the machine. That’s the price of living in a democracy; we all gotta take the rap.“

Fuck, no. Maybe that’s the price for living in this convoluted excuse for a democracy, this abomination Americans call a nation. I refuse to believe that the price for freedom is apocalypse. There’s a hell of a lot that we can improve upon. We can be free and still care. We do not need to put all the assholes into power. We do not have to arrange things for people to profit from burning down our world. Hopefully this insight spreads somewhat before doomsday.