Ein Gefühl der angenehmen Überraschung, nicht ganz unähnlich der Überraschung, die eine gelungene Pointe auslöst. Aber es war kein Witz, der es auslöste. Es war das plötzliche, spürbare Wanken eines Teils meines Weltbildes, dessen Existenz mir gar nicht bewusst war. Mir war schon bewusst, dass unsere Kultur und ihre Technologie sich gegenseitig prägen und bedingen. Aber dass die Technologie zumindest manchmal völlig willkürlich und zufällig massiven Einfluss auf zentrale Teile unserer Kultur nimmt, das hat mich dann schon überrascht. Und amüsiert, auch wenn es bestenfalls ein schmutziger und geschmackloser Witz der Geschichte ist.
Wenn man sich die Bandbreite menschlicher Sexualität ansieht, dann hat die männliche Masturbations-Sexualität einen vergleichsweise funktionalen Charakter. Pornografische Filme geben ihren Inhalt meist aus der Perspektive eines unbeteiligten Beobachters wieder – eben des Kameramanns. Und selbst wenn sie mal aus der Perspektive eines Beteiligten – meist des Mannes – gefilmt sind, sind sie doch kaum je immersiv. Das liegt auch daran, dass Posen, Handlungen und Beleuchtung meist darauf hin optimiert sind, die primären Reize männlicher Masturbations-Sexualität zu liefern. Und sonst nichts. Funktional eben.
Ich persönlich finde das überhaupt nicht schlimm oder auch nur eines Naserümpfens wert. Dass aber die in dieser Hinsicht dann doch wieder höchst unselige Verbindung aus männlicher Masturbations-Sexualität und zeitgenössischer Filmtechnik – Pornografie – vermittelt durch das Internet die Sexualität unserer Kinder erheblich prägt, das ist dann doch ein Naserümpfen wert. Und mehr.
Mir ist durchaus bewusst, dass die Rolle der Frau in zeitgenössischer heterosexueller Pornografie in der Regel nicht unbedingt ein Traumjob ist – mal abgesehen vom Verdienst. Doch wie krass das ist und wie sehr dieses kranke Bild von Sexualität (krank nur, wenn man mal jenseits von männlicher Ihr wisst schon schaut) durch die eben gerade verfügbare Technologie geprägt wird, das ist mir erst durch diesen Film bewusst geworden.
Der Schlüsselsatz aus dem Video ist für mich: “This is gonna change the game” – “Das wird das Spiel verändern”. Das ist in der Tat nicht auszuschließen. Durch die starke Immersion, die virtuelle Realität vermittelt, gelingt es vielleicht auch den meisten Männern nicht mehr, die abartige bis eklige Rolle auszublenden, die Frauen oft in der Pornografie spielen. Vielleicht aber auch doch.
Es wird mit Sicherheit viel VR Porn geben, der ausschließlich aus männlicher Perspektive gedreht ist. Gut möglich, dass sich das mit Ästhetik und Klischees zeitgenössischer Pornographie verträgt. Vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall wird es für meine Kinder zu spät kommen.
Für sie wird Pornografie ein wichtiges Rollen-Modell für ihre Sexualität sein. Ich halte es daher für wichtig, dass Pornographie umfassend und wiederholt in der Schule behandelt wird. Es sollte besprochen werden, wieso die Filme so aufgebaut sind, wie sie aufgebaut sind, warum die Rollenverteilung so ist und welchen Sinn die Ästhetik hat. Und es sollten alternative Rollenmodelle angeboten werden. Für Ideen, wie das mit dem Jugendschutz in Einklang zu bringen ist, wäre ich sehr dankbar.
Kinder lernen in der Schule, Gedichte zu interpretieren. Das ist gut und wichtig. Trotz meiner Abscheu gegen die Art, wie Poesie in der Schule vermittelt wird, bin ich ein Lyrik-Liebhaber geworden. Aber viel wichtiger und relevanter ist für unsere Kinder die Fähigkeit, Porno-Filme interpretieren zu können.
Dabei kommt es natürlich nicht auf subtile Signale an, wie in der Lyrik. Es geht einfach darum, zu durchschauen, wieso ein Porno-Film so aussieht, wie er aussieht, wieso bestimmte eigentlich absurde Stellungen gewählt werden, wieso die Rollenverteilung ist, wie sie ist und so weiter.
Dem sollte im Unterricht ein ähnlicher Raum eingeräumt werden, wie der Interpretation von Texten. Denn das wäre für die sexuelle Entwicklung unserer Kinder enorm wichtig.