Wie kann Erziehung in die Medien-Nutzung von Kindern eingreifen und wie kann dabei eine Balance zwischen intrusiver Überwachung und Kontrolle und elterliche Fürsorge gefunden werden?
Update: Die Nutzungsbedingungen der App haben sich geändert. Eine sinnvolle Nutzung kostet nun bei realistischer Nutzungsdauer 240€. Damit kann ich die App nicht mehr empfehlen.
Liebe Eltern,
Ich verwende seit einiger Zeit eine App namens Screen Time. Doch ich möchte keine Werbung für ein konkretes Produkt machen. Sollte ich Sie also überzeugen, suchen Sie ruhig nach „Screen Time“, aber dann schauen Sie dort nach „ähnliche Apps“ oder suchen Sie gleich nach „parental control“ und suchen sich genau die App, die Ihren Bedürfnissen gerecht wird.
Das muss nicht Screen Time sein. Es gibt zum Beispiel viele Apps, mit denen Sie den aktuellen Standort ihrer Kinder verfolgen können. Ich möchte das nicht und Screen Time kann das nicht. Wenn Sie aber meinen, ihrer Aufsichtspflicht so besser gerecht zu werden und die gefühlte Sicherheit schätzen, die dieses Standort-Feature vermittelt, dann wählen Sie eine andere, ähnliche App. Aber bitte wählen Sie eine solche App!
Erziehung in Zeiten des Netzes
Denn das Leben ihrer Kinder spielt sich ab einem bestimmten Alter zu einem wichtigen Teil im Netz ab und das Smartphone Ihres Kindes ist der Schlüssel zu dieser Welt. Und wir Eltern müssen unsere Kinder auch noch erziehen und beaufsichtigen, wenn sie 12 Jahre und älter sind.
Es ist dabei schwierig, die richtige Balance zwischen intrusiver Überwachung und elterlicher Fürsorge zu finden.
Aber das Netz ist nun mal ein rauer Ort, an dem wir unsere Kinder nicht ganz allein lassen dürfen. Und so unbestreitbar sinnvoll es ist, dass unsere Kinder lernen, in dieser Welt des Netzes zu leben, so wichtig ist es, dass sie sich darin nicht verlieren.
Erzieherischer Eingriff in die Medien-Nutzung: Screen Time
Screen Time bietet dabei für mich das richtige Maß. Die App wird auf dem SmartPhone des Kindes installiert. Sie limitiert die Gesamtzeit über die täglich ausgewählte Apps verwendet werden dürfen. Welche Apps das sind, bestimmen Sie. Zu Uhrzeiten, die Sie festlegen („Schulzeit“, „Bett-Zeit“), können von Ihnen ausgewählte App gar nicht mehr benutzt werden, und zu einer ebenfalls von Ihnen festgelegten Zeit („Licht aus“), geht dann auf dem Telefon gar nichts mehr.
Außerdem werden Sie per Mail benachrichtigt, welche neuen Apps auf dem Handy Ihres Kindes installiert werden und Sie erhalten täglich eine Mail in der aufgelistet wird, wie viel Zeit Ihr Kind am Vortag mit welcher App verbracht hat. Sie sehen also, wenn z.B. die WhatsApp Nutzung überhand nimmt und können das thematisieren.
All das kostet nichts. Es entbindet Sie auch nicht davon, mit Ihrem Kind darüber zu sprechen, was es mit WhatsApp, Instagram usw. tut. Aber es hilft Ihnen, zu wissen, was Sie ansprechen sollten, ohne dass es eine meiner Meinung nach übermäßige Überwachung von jungen Teenagern bedeutet.
Gegen ein für eine App ziemlich saftiges Entgelt von 3,40€ pro Monat gibt es noch einige Features, die ich nicht getestet habe, die aber grundsätzlich sinnvoll klingen. Man installiert dazu die Eltern-App auf dem Eltern SmartPhone oder den Eltern SmartPhones (für 3,40 gibts bis zu sechs Kinder-Apps und zwei Eltern-Apps) und kann dann bei Bedarf das oder die Kinder-SmartPhones abschließen. Zum Beispiel wenn man zum Essen ruft.
Oder man kann Erweiterungen des Zeit-Budgets anbieten, wenn die Kinder dafür bestimmte Aufgaben erfüllen. Ich habe es wie gesagt nicht getestet, aber ich kann mir das ganz entspannt vorstellen. Man stellt das Zeitbudget relativ knapp ein und richtet Verlängerungen für die üblichen Aufgaben ein – Hausaufgaben, Spülmaschine ausräumen, Instrument üben, Zimmer aufräumen usw. Es wird viele Kinder geben, mit denen das Zusammenleben unter einem solchen Regime angenehmer wäre. Und die Alternative – z.B. Schimpfen – ist der Entwicklung von Kindern vielleicht noch weniger zuträglich als ein solches auch nicht über alle Zweifel erhabenes Verfahren.
Für und Wider
Viele Eltern lehnen diese Form der Überwachung, Kontrolle und Verhaltens-Lenkung ab. Ich kann das nachvollziehen, bin aber zu dem Schluss gekommen, dass in der Abwägung dieser Technologie die Argumente für ihren Einsatz deutlich überwiegen.
Da ist zunächst der raue Ort, der das Netz ist. Sie würden Ihre Kinder nicht den ganzen Tag allein am Bahnhof spielen lassen. Aber sie allein den Trollen vorzuwerfen, sie allein dem subversiven 4chan Humor auszusetzen, sie allein in die größte Porno Videothek der Welt zu schicken, kann es auch nicht sein. Die Einblicke, die Apps wie Screentime in das Nutzungsverhalten unserer Kinder geben, können helfen, die notwendigen Gespräche zum Thema in die richtige Richtung zu lenken.
Für noch wichtiger halte ich folgendes Argument. Die Währung moderner Medien ist Aufmerksamkeit. Es gibt das Geschäftsmodell, Aufmerksamkeit zu erregen um dann gezielt Aufmerksamkeitsfresser zu verkaufen – wie im Zirkus oder Kino. Für unsere Kinder relevanter ist aber das Geschäftsmodell, das sie selbst zur Ware macht. Aufmerksamkeit wird erregt um sie dann auf Werbung zu lenken. Unsere Kinder werden ausspioniert, um möglichst “passende” Werbung präsentieren zu können. Unsere Kinder sind bei diesem Geschäftsmodell das vermarktete Produkt.
Erziehung zu effizienter und selbstkritischer Medien-Nutzung
Die Technik der Aufmerksamkeits-Erregung und -Fesselung wurde über Jahrhunderte immer verbessert und hat es heute zu gruseliger Perfektion gebracht. Viele Erwachsene sind dieser Technik nicht gewachsen, geschweige denn Kinder. Eine App, die die Nutzungszeit begrenzt, kann zu einem bewussteren Umgang mit Medien erziehen. Meine Kinder sollen lernen, sich gezielt das aus dem Netz zu holen, was für sie am wichtigsten ist, nicht sich fortwährend in einer Maschine vermarkten lassen, die größer und stärker ist, als wir alle.