Werbung ist einer der bedeutendsten einzelnen Faktoren unseres gesellschaftlichen Systems. Werbung ist wichtiger als Wahlen, wichtiger als der öffentlich rechtliche Rundfunk, wichtiger als der Föderalismus. Gleichzeitig ist Werbung wahrscheinlich das destruktivste einzelne Element unserer gesellschaftlichen Organisation.
Werbung ist eine allgegenwärtige Propagandamaschine. Das wäre nicht unbedingt schlimm, wenn sie nicht konsistent eine einzige Botschaft verbreiten würde. Doch genau das tut sie. Natürlich gibt es so viele Werbebotschaften wie Produkte. Doch jede Werbung sagt ausnahmslos „Kauf mich!“. Das hat selbstverständlich gravierende und tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft.
Teufelskreis
Gleichzeitig ist Werbung selbstverstärkend. Ein immer größerer Teil unserer Gesellschaft widmet sich der Erzeugung von Aufmerksamkeit, von Aufmerksamkeit für die Botschaft der Werbung und von Aufmerksamkeit für die Werbung selbst. Werbung für schriftliche Publikationen, für Hörfunk und Fernsehangebote und auch für Internetangebote ist letztendlich Werbung für Werbung. Und so wird unsere Gesellschaft immer und immer tiefer von diesem Virus durchdrungen.
Dies alleine ist schon mehr als bedenklich. Doch die unisono verbreitete Botschaft der Werbung stiftet kaum Nutzen und erheblichen Schaden. Dieser Schaden erstreckt sich über praktisch alle Aspekte unseres Zusammenlebens, vom Privatleben über Wirtschaft und Politik bis zur Kultur.
Ich werde im Folgenden eine ganze Reihe der destruktiven Folgen der Werbung erörtern. Ich tue dies jeweils so kurz, wie sinnvoll möglich. Es ist zu beachten, dass die meisten angesprochenen Probleme nicht monokausal sind. Vieles hat mehrere Ursachen, Werbung ist immer ein Faktor von vielen – wenn auch ein oft wichtiger.
Ich bin was ich kaufe
Werbung ist das zentrale Vehikel, das in unserer Gesellschaft sozialen Status primär mit Geld und zur Schau gestelltem Konsum verknüpft. Diese Umdeutung sozialer Anerkennung ist einerseits verantwortlich für zahlreiche soziale Schieflagen unserer Gesellschaft, da so sozial destruktives Verhalten durchaus sozial positiv sanktioniert wird, andererseits ist sie in hohem Maße mitverantwortlich für die Zerstörung unseres Planeten, der dem überbordenden Konsumerismus nicht gewachsen ist.
Der letztgenannte Aspekt hängt mit einem weiteren zentralen Übel der Werbung zusammen. Werbung suggeriert als Ganzes genommen, dass der Sinn des Lebens – was immer das ist – nur über Konsum erfüllt werden kann. Damit ist Werbung zentraler Teil der allgegenwärtigen Propagandamaschine, die letztlich den scheinbar verblüffenden Siegeszug des Neoliberalismus befördert hat. Werbung ist als ganzes Propaganda für eine anti-soziale konsumeristische Politik und stellt durch ihre große Wirksamkeit eine immense Gefahr für die Demokratie dar.
Werbung ist der alleinige Motor der medialen Aufmerksamkeitsökonomie. Werbung ist der Grund, dass in kommerziellen Medien ausschließlich zählt, was (die) Aufmerksamkeit (der Zielgruppe) erregt. Sie ist somit verantwortlich für die zunehmende Skandalisierung und Verflachung des öffentlichen Diskurses, sie ist verantwortlich für die groteske Überbewertung des Terrorismus und somit der Aushöhlung der freiheitlichen Grundordnung und sie ist Verantwortlich für die Trivialisierung der Mainstream-Kultur und Marginalisierung echter Kreativität, sofern sie nicht auf Skandal und Schockeffekte setzt.
Werbung wider Marktwirtschaft
Werbung ist ein wichtiger Faktor dafür, dass in einer Marktwirtschaft größere Unternehmen zusätzliche Vorteile haben. Diese positive Rückkopplung ist einer Gründe für die fatale Tendenz zur Marktkonzentration. Werbung höhlt somit die Grundidee der Marktwirtschaft aus. Werbung wirkt. Je größer ein Unternehmen (bei gleicher Produktpalette) desto größer das Marketing-Budget pro Produkt, desto größer der Vorteil des großen Unternehmens. Dies stellt eine massive Wettbewerbsverzerrung dar.
Marktwirtschaft bedeutet (auch) Wettbewerb, Qualität, Effizienz und Innovation. Wo passt da Werbung rein? Ich laufe zwar langsamer als die anderen, gewinne aber den 100-Meter Lauf, weil ich die Punkte-Richter von mir überzeugen lasse? Genau das ist Werbung in der Marktwirtschaft. Zum Ausgleich hat Werbung keinen volkswirtschaftlichen Nutzen, außer dass sie das Wirtschaftswachstum ankurbelt. Letzteres aber nicht genug, das Problem müssen wir ohnehin anders lösen.
Werbung ist der Grund, dass Unternehmen um jeden Preis versuchen, alles, aber auch alles über jeden herauszufinden, zu speichern und weiter zu verarbeiten. So ist Werbung verantwortlich für gefährliche Informations-Ungleichgewichte (Wissen ist Macht). Werbung ist die zentrale Ursache dafür, dass Datenschutz so ein wichtiges Thema ist, dass wir bereit sind, dafür einen erheblichen Teil der digitalen Dividende zu opfern.
Sex sells
Ich vermute, dass Werbung auch für einen strukturellen Sexismus in unserer Gesellschaft verantwortlich ist. Wer schon mal mit einer schönen Frau unterwegs war weiß: Sie erregt Aufmerksamkeit. Ich behaupte, das steckt tief in unserer Biologie, damit müssen wir leben. Wie ich oben dargelegt habe, ist Aufmerksamkeit das vordergründige Ziel der Werbetreibenden. Daher dominiert in der öffentlichen Darstellung ein Frauenbild, dass auf seine aufmerksamkeitserregenden Aspekte optimiert ist. Auch die Politik scheint massiv davon betroffen zu sein. Zumindest vermute ich, dass dieser Wirkzusammenhang ursächlich für Marina Weisbands Klage ist:
In der Politik sind wenig Frauen, „weil die Zeitungen über sie nur berichten, was sie an haben, oder Heldenstories mit ihnen machen, wie sie sich als Frau durchschlagen. Weil sie erst auf politischer Linie total versagen müssen, ehe man anfängt, über das Inhaltliche zu sprechen. Weil sie unweiblich sein müssen, weil man sonst über ihre Frisuren spricht.“
Ausverkauf der Demokratie
Noch gravierender sind natürlich die direkten Auswirkungen der Werbung auf die Politik. Lobbyismus ist nichts anderes als eine besondere Form von Werbung. Besonders ist dabei nicht die Wirkungsweise – Versicherungen zum Beispiel werden oft auf nahezu identische Art und Weise vermarktet – sondern das Produkt. Und die Effizienz. Das Produkt ist die Berücksichtigung der Interessen der Auftraggeber in der Gesetzgebung. Lobbyismus hat mittlerweile Ausmaße angenommen, die unsere Demokratie selbst ad Absurdum führen. Der Einfluss der Lobbyisten ist sehr viel größer als der der Wähler. Der Einfluss der Wähler sollte hierbei nicht mit dem Einfluss der Mainstream-Medien verwechselt werden, die sicherlich einen ähnlichen Einfluss haben wie die Lobbys.
Werbeverbot
All diese gravierenden Nachteile legen es nahe, Werbung zu verbieten. Dies umzusetzen wäre simpel. Schon heute gelten Werbeverbote für Alkohol und Tabak in zahlreichen Medien (im Fernsehen, bei Formel 1 Rennen usw.). Wenn Bedenken bestehen, dies könnte mit der Meinungsfreiheit in Konflikt geraten, ließe sich auch eine Form wie diese wählen: Es ist verboten, jemanden dafür zu bezahlen, einen dritten von etwas zu überzeugen. Zur hundert prozentigen Durchsetzung des Werbeverbots bedürfte es evtl. auch einer umfassenden Transparenz der Wirtschaft, für die wiederum eigene Argumente sprechen. Wie auch immer, einem Verbot stehen keine prinzipiellen Probleme entgegen.
Ohne Werbung
Es sind eher die zu erwartenden Konsequenzen, die Bedenken auslösen werden. Einerseits hängt ein ganz erheblicher Teil unseres Kulturschaffens am Tropf der Werbung. Dieser Teil unserer Kultur wäre durch ein Werbeverbot bedroht. Wie ich oben dargelegt habe, hat diese Finanzierungsform für Kultur aber sehr einseitige, nachteilige Folgen. Wie eine freie, bessere Kultur funktionieren könnte, habe ich unter anderem hier erörtert.
Wenn man von öffentlich rechtlichen Medien absieht, hängt quasi unser gesamter Journalismus von der Werbung ab. Auch dies hat, wie oben dargelegt, massive negative Konsequenzen. Doch ohne Werbung, gäbe es da gar keinen Journalismus mehr? Ich habe unter anderem hier erläutert, wie ein freierer, besserer Journalismus und öffentlicher Diskurs aussehen könnte.
Interessanter Weise müssen wir diesen alternativen Diskurs vervollkommnen, bevor wir überhaupt über die Umsetzung eines Werbeverbotes nachdenken können. Denn wie bereits dargelegt, hängt die große Mehrzahl der Medienwirtschaft und die komplette nicht-öffentlich-rechtliche Journaille am Tropf der Werbung. Etwas gegen diese Mutter aller Lobbys auszurichten, dürfte unmöglich sein.
Noch tiefgreifender wären die Folgen eines Werbeverbots für den Arbeitsmarkt. Kurzfristig würde ein solches Verbot zahlreiche Arbeitskräfte freisetzen. Zudem ist zu erwarten, dass die Wirtschaft in Ermangelung der omnipräsenten Konsumpropaganda zunächst schrumpft, was mittelfristig noch mehr Arbeitskräfte freisetzte. Doch wenn wir nicht glauben, dass wir das gesamte Wohl und Wehe unserer Gesellschaft dem unendlichen und exponentiellen Wachstum unser kaum kontrollierbaren, chaotischen Wirtschaft ausliefern sollten, dann müssen wir dieses Problem ohnehin lösen. Wie man das angehen könnte, habe ich hier erläutert.
Das Notwendige mit dem Nützlichen verbinden
Werbung hat also zahlreiche, tiefgreifende negative Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Werbung lässt sich zwar abschaffen, doch ist sie so tief mit unserem gesellschaftlichen System verflochten, dass diese Abschaffung allein einen bedeutenden Umbau unserer Gesellschaft implizieren würde. Doch diesen Umbau müssen wir ohnehin in Angriff nehmen, wenn wir unseren immer weiter beschleunigten Lauf mit dem Kopf gegen die Mauern dieses Planeten verlangsamen wollen. Und wenn wir dies endlich angehen, winkt uns eine bessere, humanere Organisation unseres Zusammenlebens.