Arschlochfreie Zone

Eine Diskussion, die die Ziele und Hintergründe von KiIsWhoWi verdeutlicht.

Ich marodierte so durchs Netz, da animierte mich ein Bild zum Klugscheißen. Was folgte war eine wundervolle Diskussion, die relativ knapp einige zentrale Aspekte der KiIsWhoWi Idee verdeutlicht. Diese Diskussion ist unten ungekürzt wiedergegeben. Dank an den anonymen Spender, der mir seine Gedanken für mein Blog geschenkt hat!

Neulich im Netz

Ich: Hach, schön, muss ja jeden ansprechen, der sich für einen Intellektuellen hält. Leider Quatsch. The whole problem with the world is that wir einen Arschlochselektor aus ihr gemacht haben. Und die weisen Arschlöcher sind die schlimmsten.

Er: Der Gefahr, dass man mit solch einem Post als sich im eigenen Lichte sonnender Intellektueller rüberkommt, war ich mir bewusst 🙂

Aber kannst du den „Arschlochselektor“ etwas genauer definieren?

Ich: Das Problem ist nicht, dass Du Dich im eigenen Licht sonnst, sondern dass Du mir in der Sonne stehst 😉

Meine These ist, dass nicht Gier nach Geld, Macht oder was auch immer die meisten Menschen antreibt, sondern „Gier“ nach sozialer Anerkennung. Unsere Gesellschaft bevorzugt in allen öffentlichen Belangen anti-soziales Verhalten. Das wichtigste Maß für soziale Anerkennung ist bei uns Geld und das zu erlangen – vor allem in größeren Mengen – geht i.d.R. leichter antisozial. Das gilt besonders für größere wirtschaftliche Macht. Die Studie über Investment-Banker und Soziopathen kennst Du wahrscheinlich. Politische Macht basiert meist auf Abgrenzung statt Integration (Position deutlich machen), darauf politische Gegner schlecht zu machen (völlig unabhängig davon ob sie gerade etwas Vernünftiges sagen oder tun) und politisch Gleichgesinnte zu benutzen oder auszuschalten. Das durchzieht unsere ganze Gesellschaft.

Und gleich noch Klarstellung, weil das sonst falsch verstanden werden muss: Ich finde Wettbewerb prima. Nur sind unsere Erfolgsmaßstäbe beschissen.

Er: Hm, ich glaube nicht, das „wir“ die Welt erst dazu gemacht haben. Gier oder – dezenter ausgedrückt – der Wunsch nach sozialer Anerkennung in welcher Ausprägung auch immer war meiner Meinung nach immer schon Antrieb der Menschheit. In den afrikanischen Steppen war das nur in kleinem Maßstab möglich, heute geht das global und mit ungleich größeren Auswirkungen auf Andere. Der Wunsch nach sozialer Anerkennung spiegelt sich im Kleinen nicht zuletzt auch in den +1-Buttons in sozialen Netzwerken wider.

Dazu passt ein anderes Zitat: wir müssen die Menschen nehmen, wie sie sind. Es gibt keine anderen.

Ich: Ja, da stimme ich voll zu. Aber wir können die Maßstäbe des Erfolgs ändern. Nicht, dass das leicht wäre …

Er: Das kann jeder nur für sich selbst machen und hoffen, dass er nicht allein bleibt damit. Eine Eskalation, wie wir sie derzeit erleben, kann sogar hilfreich sein, viele dazu zu veranlassen, ihre Maßstäbe zu überdenken.

Ich: Nein, das kann nicht jeder nur für sich allein tun. Wie Du richtig festgestellt hast, spielt heute der +1 Button eine nicht unwesentliche Rolle. Das war früher nicht so, das ist eine Änderung der Maßstäbe und die habe ich nicht für mich selbst gemacht.

Er: Die hast du nicht gemacht, aber du kannst sie nutzen oder eben nicht. Du kannst für dich selbst entscheiden, was dir als Maßstab für den „Wert“ anderer Menschen wichtig ist und sie danach beurteilen.

Ich: Na, da überschätzt Du das Individuum glaube ich etwas. Ich vermute die aktuelle Ausgestaltung der gesellschaftlichen Erfolgsmaßstäbe geht wesentlich auf den Calvinismus zurück. Das Internet gibt uns die Chance, neue Maßstäbe zu etablieren, tatsächlich geschieht das bereits. Natürlich geschieht es wieder einmal nicht bewusst. Mal schaun, was diesmal daraus wird.

Er: Ich habe keine hohe Meinung vom Individuum. Aber wer sagt denn, dass meine Maßstäbe die global seeligmachenden sind? Wer dürfte denn für alle entscheiden, nach welchen Maßstäben wir leben sollten? Das würde ich eventuell noch Nelson Mandela in die Hand geben, dann wird’s aber schon dünne. Ich kann nur für mich nach den Maßstäben leben, die ich als richtig empfinde. Und die Mitglieder der „Gesellschaft“, in der ich mich bewege, nach Möglichkeit danach aussuchen. Welche anderen Möglichkeiten gäb’s denn noch, darauf Einfluss zu nehmen? Die Macht des Kollektivs im Internet? Die setzt sich auch aus lauter Individuen zusammen.

Ich: Ich find anti-soziales Verhalten doof und scheinbar geht das den meisten Menschen so. Also brauchen wir „nur“ dafür zu sorgen, dass das sehr schwer zu verstecken ist, schön dokumentiert wird und für alle immer fein abrufbar ist.

Er: Und das soll dann diejenigen von unsozialem Verhalten abhalten, denen das jetzt schon am A… vorbei geht? Ich bin ja noch desillusionierter als Du 😉

Ich: Ja soll es. Ich will eine SmartPhone App, die einen hörbaren Alarm auslöst, wenn mir ein Arschloch gegenüber steht (natürlich nach Maßgabe meiner Filtersouveränität). Das dauert noch ein paar Jahre, dann ist das technisch machbar. Und es könnte die Welt verändern.

Er: Die App für die arschlochfreie Zone? Dafür wär‘ ich sogar bereit einen Jailbreak zu machen, falls die im Apple-Zulassungsprozess hängen bleiben sollte!

Freie Videoschau

Wäre unsere Kultur ohne Urheberrecht verloren? An konkreten Beispielen zeige ich, dass unsere Kultur schon heute keineswegs auf das Urheberrecht angewiesen ist.

Ohne umfangreichen rechtlichen Schutz ihrer Urheber wäre unsere Kultur mehr oder weniger am Ende. Dieser Ansicht ist die breite Mehrheit unserer Bevölkerung. Hier wird an ganz konkreten Beispielen gezeigt, was wir verlören und was wir gewännen wenn wir wie zur Zeit der großen Dichter und Denker (und Komponisten) aufs Urheberrecht verzichteten.

Zunächst ein mal: Unsere Kultur ist gar nicht sooo unglaublich toll. Es gibt auf diesem Planeten tausende anderer Kulturen, die kulturell Großes leisten. Diese anderen Kulturen nutzen das Urheberrecht weniger als wir zur aggressiven Vermarktung und werden folgerichtig nach und nach von uns ausgelöscht. Nur die Größten und Stärksten setzen sich durch, und manchen hilft ein Zufall.

Audio

Das einzige in dem unsere Kultur wohl unübertrefflich ist, ist unsere Arroganz. Noch heute gilt hier beispielsweise das Belcanto als Zenit gesanglicher Virtuosität. Diese Gesangstechnik war unter anderem von der Notwendigkeit geprägt, Opernsäle unverstärkt mit der Stimme zu beschallen und sich dabei gegen ein ganzes Orchester durchzusetzen. Bis heute ist das rhythmische Repertoire klassischer Sänger vergleichsweise primitiv. Sie nutzen von den Ausdrucksmöglichkeiten der Stimme lediglich jenen Bruchteil, der sich in glasklaren lauten Tönen darstellen lässt – eben jenen Teil, der im natürlichen Ausdruck von Menschen die geringste Rolle spielt.

Wer heute nach gesanglicher Virtuosität sucht, der muss weit über unseren Kulturkreis hinausgehen. Einer der größten Gesangsvirtuosen unserer Zeit war der 1997 verstorbene (Sufi) Qawwali-Sänger Nusrat Fateh Ali Khan. Wir haben ihn sogar ordentlich mit Preisen überhäuft. Aber kennen tut ihn natürlich keine Sau. Hier gibt’s ein Video (eigentlich Audio). Ich habe das nach der Zugänglichkeit für westliche Ohren ausgewählt, nicht nach der dokumentierten Virtuosität.

Video

Eigentliches Thema dieses Artikels ist jedoch nicht allgemeines Kultur-Bashing. Ich nehme mir eine Folge der Telepolis Video-Schau, und analysiere einige der verlinkten Videos auf ihren Hintergrund und kulturellen Gehalt. Meine Auswahl ist natürlich davon gelenkt, dass ich demonstrieren möchte, dass freie Kultur eben nicht unterlegen ist. Doch ist die Kritik an kommerziellen Medienerzeugnissen eins zu eins auf die große Mehrzahl kommerzieller Medienerzeugnisse verallgemeinerbar. Und durch die Beschränkung auf genau eine Folge der Telepolis Videoschau verdeutliche ich, dass kulturelle Signifikanz in freien Medienerzeugnissen keine Riesen-Ausnahme sein kann.

Wir starten mit einem kommerziellen Erzeugnis. Stephen Colbert ist ein sehr erfolgreicher US-Komiker. Dies ist ein Ausschnitt aus einer seiner Shows. Er wärmt einen Gag mit Siri, Apples neuem sprachgesteuerten Assistenten im iPhone, auf, der schon vorher erfolgreich von anderem im Netz lanciert wurde. So streicht Colbert ohne großen finanziellen Aufwand (Gag-Autoren) ein paar sichere Lacher ein. Das ganze wird natürlich in einer Professionalität präsentiert, die von Amateuren kaum zu leisten ist.

The Won Ton Soup“ von Boo Ya Pictures ist ein Mischprodukt. Die Firma lebt offenbar vom Dreh kleinerer Projekte – z.B. Musikvideos – das hier besprochene Video wurde aber wohl nicht aus unmittelbaren finanziellen Interessen gedreht. Über die Motive der Macher kann ich nur spekulieren, sie mögen von Leidenschaft getrieben sein, stellen es aber sicher zur Aufmerksamkeitsgenerierung für ihr Geschäft ins Netz. Musikvideos wiederum, von denen Boo Ya Pictures lebt, dienen ebenfalls nur der Aufmerksamkeitsgenerierung. Das Geld kommt für die Musiker hauptsächlich aus Konzerten (wäre also nicht vom Auslaufen des Urheberrechts bedroht) und für die Labels aus Plattenverkäufen. Letzteres hängt am Urheberrecht. The Won Ton Soup zeigt immerhin eine originelle Idee, die recht professionell umgesetzt wird.

Gänzlich frei ist hingegen „I’m the bomb“. Feraz Ozel, der Macher, ist ebenfalls US-Comedian. Doch dieser lebt von seinen Auftritten und nutzt das Video ebenfalls zur Aufmerksamkeitsgenerierung. Das Video ist originell, witzig, gut präsentiert und problematisiert den gallopierenden Antiislamismus – bisher eindeutig das stärkste Video in diesem Review.

Wiederum kommerziell ist „Lord Monckton“ von „The Hamsterwheel“ einer australischen Comedy-Truppe. Das Video unterstellt, dass der bekannte Klima-Skeptiker Lord Monckton in Wahrheit eine von Sascha Baron Cohen geschaffene Kunstfigur ist. Den Machern ist es sogar gelungen, Lord Monckton für ein Interview zu bekommen, in dem der Interviewer so tut, als hätte er es mit dem verkleideten Sascha Baron Cohen zu tun. Ich sage es ungern in diesem Artikel, aber dieses Video ist ein kleiner Geniestreich.

The Gamers von Dead Gentlemen productions scheint ein Hobby-Projekt zu sein, sicher bin ich aber nicht. Das Video ist einigermaßen originell und bietet Einblick in die weithin unbekannte Subkultur der Pen-and-Paper-Rollenspieler. Unterstellt, dass es sich um ein Hobby-Projekt handelt, hat das Video eine sehr ordentliche Qualität. Ich habe es mir übrigens nicht in voller Länge angetan.

Gänzlich kommerziell ist „Angry Birds Seasons Ham’O’Ween“. Es handelt sich um eine Mini-Zeichentrick-Geschichte die als Werbung für das Spiel „Angry Birds“ dient. Die Story ist sturzblöd und die Optik ist von Tim Burton geklaut. Das ganze natürlich auf höchstem technischen Niveau.

Ein völlig anderes Kaliber ist „I live in the Woods“  von Max Winston. Er hat das Video als Student gedreht und es mit einem Stipendium (hinterm Link auf Award winners/alphabetically/W/runterscrollen/Max Winston, ist leider nicht direkt verlinkbar) finanziert. Es kann somit als völlig unabhängig vom Urheberrecht gelten. Das Video besticht durch eigene Optik und Stilistik, rasante Entwicklung und verstörenden Inhalt. Ein Kurzfilm auf höchstem Niveau.

Google steuert auch etwas bei. Aus Street View wird Rail View, nett anzusehen, gut gemacht, Werbung für Google. Ich habe es hier reingenommen, weil es eine (kommerzielle) Doku ist.

So kann ich Googles Beitrag diesem Meisterwerk der Piratenpartei gegenüberstellen. Ich weiß nicht so recht, was sich die Macher dabei gedacht haben. Es soll wohl auch Werbung für die Piraten sein (aber da ist natürlich nichts kommerzielles und mit Urheberrecht hat das absolut nichts zu tun). Ursprünglich war es als Interview mit Fabio Reinhardt gedacht, der soeben für die Piraten ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen ist. Doch dann kam unverhofft Regine Feldewert dazu und es entspann sich ein Dialog zwischen ihr und Reinhardt. Zur Bewertung dieses Videos sollte man sich klarmachen, dass Olli Dittrich für „Dittsche“ (zurecht) unter zahlreichen Preisen auch den Adolf Grimme Preis erhielt. Regine Feldewert hat etwas, was Dittsche fehlt: Sie ist echt. Das allein macht dieses Video schon absolut sehenswert. Hinzu kommt noch, dass es ausgerechnet von den Piraten lanciert wird, die vor allem für Bürgerbeteiligung und Basisdemokratie stehen. Wie es sich für ein Kulturgut von Rang gehört, eröffnet dieses Video zahlreiche Lesarten:

  • Werbung für die Piraten
  • Anti-Werbung gegen die Piraten
  • Diskreditierung der CDU
  • Bloßstellung und Verachtung der Wähler
  • Schonungslose Transparenz
  • Schlichte Dokumentation
  • Information über die Piraten

Ich nehme es als in jeder Hinsicht absurdes Gesamtkunstwerk.

http://www.youtube.com/watch?v=IPOAXYvs1cw

Kultur in Ketten

Wir kriminalisieren unser Kultur und mit ihr u.a. unsere Kinder. Die Gründe die dafür angeführt werden waren früher schon falsch, heute sind sie absurd.

Wir haben uns die Ketten selbst angelegt. Genau genommen waren es unsere Vorfahren. Doch auch heute zweifeln eher wenige daran, dass wir diese Ketten brauchen. Haben Sie vielleicht Kinder? Teenager? Oder bist Du vielleicht ein Teenager oder unter etwa 25? Dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Ihre Kinder oder eben Du selbst kriminell sind/bist.

Da wäre natürlich  unsere absurde Drogenpolitik, mit der die USA die Population ihrer Gefängnisinsassen größer hält als die ihrer Universitäten. Die Politik mit der wir Mexiko in einen Drogenkrieg getrieben haben, den es nicht gewinnen kann. Doch darum wird es in einem anderem Artikel gehen. Hier geht es um unsere Kultur, um Musik, Kunst, Literatur, Film usw.

In Ihrem Haus oder in Ihrer Wohnung befinden sich mit großer Wahrscheinlichkeit sogenannte Raubkopien. Abgesehen davon, dass sie sich so natürlich erheblichen zivilrechtlichen Forderungen aussetzen können – in den Medien hat z.B. der Fall von Jammie Thomas eine gewisse Aufmerksamkeit erhalten – machen Sie sich strafbar. Die sympathischen Hinweise auf bezahlten DVDs („Raubkopierern“ bleibt dieses zweifelhafte Vergnügen oft erspart) sind tatsächlich ernst gemeint. Ein großer Teil der Bevölkerung der westlichen Welt besteht aus Kriminellen. Ein Viertel des Datenverkehrs im Internet ist offenbar kriminell, weil dieses Viertel der Verbreitung unserer Kultur dient. Die meisten tragen ihre Ketten gerade nicht, aber sie könnten jederzeit angelegt werden. Denn die Ketten sind Teil unserer Kultur.

Und damit sind wir bei unseren Vorfahren. In Deutschland haben wir die wichtigsten Schritte 1837 in Preußen und dann 1871 im Deutschen Reich getan. Heute glauben die meisten Menschen, dass die Kriminalisierung der Kultur-Verbreitung eine notwendige Voraussetzung für die wirtschaftliche Schaffung von Kultur ist. Das wird uns ja auch ständig von Lobbyisten und ihren Politikern eingebläut. Doch dies ist eine bewusste oder unbewusste Lüge.

Dieser erhellende Vergleich der Situationen in Deutschland vor Einführung des Urheberrechtes und der Situation in England wo es damals schon Copyright gab, ist sehr aufschlussreich. Es gab sehr viel mehr Bücher in Deutschland, der Büchermarkt war sehr viel vielfältiger sowohl in der Breite wie in der Tiefe und die Autoren verdienten im Schnitt sehr viel besser. In England gab es weniger Verlage, die weniger Bücher verlegten. Diese wenigen Verlage hatten aber höhere Gewinnmargen. Nur Top-Autoren verdienten besser als vergleichbare Autoren in Deutschland.

Das Copyright schützt also offenbar nicht die Schöpfer der Kultur. Ganz im Gegenteil, vielmehr schützt es die überhöhten Gewinnmargen derjenigen, die unsere Kultur finanziell abschöpfen. In der Musik sieht es ganz ähnlich aus. Die überwältigende Mehrheit der Musiker lebt nicht von CD Verkäufen. Die allermeisten sind vor allem Musiklehrer. Dann gibt es auch nicht wenige, die mit Auftritten einiges verdienen. Selbst viele Mega-Acts verdienen an Auftritten mehr (als genug), mehr als durch CD-Verkäufe.

Allerdings ist gerade die musikalische Kultur massiv durch die Kriminalisierung ihrer Verbreitung beeinträchtigt.  Wenn Musiker die Ideen anderer Musiker übernehmen und weiter entwickeln und -verbreiten werden ihre Auftrittsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt. Denn für viele kleinere Etablissements ist der unverhältnismäßige Aufwand der Erfüllung der GEMA-Auflagen bürokratisch wie finanziell nicht tragbar. Auch die Verbreitung ihrer Musik ist natürlich eingeschränkt. Selbst wenn die Musiker, die sich von anderen inspirieren ließen, ihre Musik verschenken wollen ist das nicht mehr möglich.

Es genügt nicht einmal ein Stück quasi neu zu erfinden. Selbst wenn Musiker Rhythmus, Tempo, Tonart und Sound eines Stückes komplett ändern sowie Text und Melodie deutlich variieren haben sie das Stück nicht von den Ketten des ursprünglichen Autors befreit. Das gilt natürlich auch, wenn die ursprüngliche Version völlig unbekannt ist und als wenig originell gelten darf während das „Plagiat“ eine große Schöpferische Leistung darstellt.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wäre unsere Kultur heute sehr viel ärmer, wenn schon immer so ein irrsinniges Urheberrecht gegolten hätte wie heute. Denn Kultur lebt gerade davon, dass Ideen von anderen Künstlern weiter entwickelt werden. Kulturelle Leistungen kommen niemals aus dem nichts. Dabei ist es völlige Willkür, was geschützt ist – in der Musik z.B. im Wesentlichen Text und Melodie. Sound-Tüftler beispielsweise gehen da eher mal leer aus. Es kann gut sein, dass sich gerade aus diesem Grund unsere Musik in den vergangenen Jahrzehnten vor allem im Bereich Sound weiterentwickelt hat.

Dabei würde sich für kaum einen Musiker etwas wesentliches ändern, wenn wir aufhören würden unsere Kinder – die offenbar kulturbegeisterter sind als wir – wegen der Verbreitung unserer Kultur zu kriminalisieren. Denn kaum ein Musiker lebt hauptsächlich vom Verkauf seines sogenannten geistigen Eigentums. Anders ist dies zum Beispiel bei Autoren und Filmschaffenden.

Wer sich eingängiger mit Youtube beschäftigt muss zu dem Schluss kommen, dass das Ende der kriminalisierten Kultur-Verbreitung nicht das Ende des Films wäre. Die meisten Clips sind dort kurz doch es gibt durchaus auch längere Filme. Die hochwertigsten sind oft Arbeiten von Film-Studenten und erreichen teils ein erstaunliches Niveau. Es gibt Dokumentationen, Propaganda, Unterhaltung jeder Art, Musik, Sport (insbesondere im Bereich E-Sports auf teils beachtlichem Niveau) Kunst usw.

Natürlich kann all dies technisch nicht mit den Top-Produktionen auf Hollywood mithalten. Cineastisch habe ich auch nichts gesehen, was mit den besten Filmemachern mithalten kann. Doch hier sind zwei Dinge zu beachten. Technisch können die besten freien Produktionen durchaus mit professionellen Produktionen von vor 10 bis 20 Jahren mithalten. Der technische Fortschritt erlaubt es heute mit einem Hobby-Budget Dinge zu produzieren, die vor einigen Jahren Millionen verschlungen haben. Es ist nicht an zu nehmen, dass dieser Prozess ein plötzliches Ende finden sollten. Das heißt aber, dass eine Entkriminalisierung unserer Kultur den Film technisch höchstens um ein paar Jahre zurückwerfen würde.

Wichtiger noch ist aber dieser Punkt: die wahren Filmverrückten arbeiten heute vielfach beim Film. Würden wir aufhören, unsere Kultur zu kriminalisieren, würden all diese Verrückten aufhören, Filme zu machen? Wohl kaum. Vielmehr ist an zu nehmen, dass freie Filme teils professioneller würden. Die Lücke zwischen heutigen professionellen und künftigen freien Werken würde sich also technisch verkleinern und vom cineastischen Anspruch wohl möglich egalisieren. Das gleiche gilt für Musik-Produktionen.

Oben wurde bereits auf diesen verblüffenden Artikel verwiesen, wo dargelegt wird, dass die historische Kriminalisieren der Kulturverbreitung den aller meisten Autoren schwer geschadet hat. Heute ist leider nicht an zu nehmen, dass eine Befreiung der Kultur den Autoren entsprechend nützte. Vor der Kriminalisierung unserer Kultur konnten die Verlage ihren zeitlichen Vorsprung und geschickte Marktplatzierung nutzen um sich vor Plagiaten zu schützen. Heute lässt sich die Duplikation voll automatisieren und praktisch ohne Investitionen und Zeitverluste durchführen.

Aggregatoren könnten beliebige Inhalte bei sich versammeln um aus dem resultierenden Traffic Werbeeinnahmen zu generieren. Dies ist ein weiterer Grund, Werbung zu verbieten. Ich bin bereits verschiedentlich auf andere Gründe eingegangen. Wichtig ist es, das Verbot so zu formulieren, dass freie Rede in keiner Weise beeinträchtigt wird. Wenn dieses Hindernis beseitigt ist, gibt es keinen Grund mehr, Kultur zu stehlen. Doch die wirtschaftliche Verwertbarkeit von Geschriebenem ist auch dahin – wenn man mal von modernen Ansätzen wie Crowd-Sourcing absieht. Doch hier muss sich erst noch erweisen, ob das langfristig besteht.

Aber es gibt noch einen Unterschied zwischen der Zeit vor der Kriminalisierung unserer Kultur und der Zeit danach: Damals war der Arbeitsaufwand für die Beschaffung des Lebensunterhalts eines Menschen sehr viel höher und die Fähigkeit zu schreiben, sowie auch die fachliche Qualifikation zum Verfassen von Fachtexten sehr viel seltener. Heute haben sehr viele hoch qualifizierte Menschen so viel Freizeit, dass sie einen nie dagewesenen Tsunami von Geschriebenem über uns hereinbrechen lassen.

Das selbe gilt für alle andere Formen von kriminalisierter Kultur: sie ist keine begrenzte Ressource mehr. Marktwirtschaft ist gut in der effizienten Verarbeitung begrenzter Ressourcen. Doch in unseren kulturellen Gütern ist die Marktwirtschaft heute völlig fehl geleitet. Denn diese Güter sind heute reichlich vorhanden, es ist völlig unmöglich, die Grenzen des ständig neu geschaffenen zu erkunden, denn diese Grenzen entfernen sich schneller als irgendjemand lesen, hören oder sehen könnte. Wir können jetzt aufhören, unsere Kinder, ein viertel des Datenvolumens und unsere Kultur an sich zu kriminalisieren. Denn selbst die fadenscheinigen Begründungen, die einmal dafür herhalten mussten, sind heute offensichtlich absurd.