Regierung mal anders

Hier stelle ich eine Alternative zur Demokratie vor. Ein System, das die Ideale der Demokratie um zu setzen versucht – ohne Wahl, ohne Lobbyismus, ohne Regierung im klassischen Sinn, doch mit effizienten klar umrissenen Entscheidungs-Prozessen.

In meinem letzten Artikel habe ich erörtert, woran unsere Demokratie gescheitert ist. Was kann man nun daraus lernen? In diesem Artikel stelle ich die Grundsätze eines Regierungssystems vor, das die Lehren aus dem Scheitern der Demokratie zieht.

Woran ist unsere Demokratie gescheitert?

Doch zunächst werden ich diese Lehren hier noch einmal kurz rekapitulieren, Details finden sich im besagten Artikel. Der Prozess des Interessenausgleichs basiert in der Demokratie auf dem Kuhhandel zur Förderung der Karrieren von Berufspolitikern. Dies trägt wesentlich zur Entfremdung der Konstituenten der Demokratie von ihrem politischen System bei. Aufgrund der begrenzten Legislaturperioden ist der Zeithorizont demokratischer Entscheidungen zu kurz um die großen Probleme unserer Zeit zu lösen.

Diese beiden Faktoren – Entfremdung und Unfähigkeit zur Lösung zentraler Probleme – haben unsere Demokratie strukturell stark geschwächt. Während die vierte Gewalt – unser Mediensystem – mit seinem eigenen Ausverkauf beschäftigt war, nutzten mächtige Partial-Interessen diese und andere Schwächen unseres kränkelnden System, um ihm den Garaus zu machen. Heute können wir nur noch die mehr oder weniger unterhaltsame Aufführung einer marktkonformen Demokratiesimulation bewundern.

Und was kann man daraus lernen?

Eine Lehre, die man daraus ziehen kann ist, dass wir ein Mediensystem brauchen, das sich nicht so leicht korrumpieren lässt. Damit habe ich mich z.B. hier und hier beschäftigt. Nun geht es um das eigentliche politische System. Dieses muss drei zentrale Forderungen erfüllen, ohne den Vorteil der repräsentativen Demokratie, den Interessenausgleich, aufzugeben.

  1. Es muss eine starke Identifikation zwischen Staat und Bürgern fördern.

  2. Es muss einen langen Zeithorizont für Entscheidungen erlauben.

  3. Es muss extrem Widerstandsfähig gegen Unterwanderung durch Partial-Interessen sein.

Einer für Alle

Es gibt zahlreiche Faktoren, die uns heute eine Identifikation mit unseren Volksvertretern sehr schwer machen. Das fängt schon damit an, dass es immer sehr viele Beteiligte bei allen Entscheidungen gibt. Theoretisch werden die Entscheidungen vom Parlament mit einigen hundert Abgeordneten getroffen. In der Praxis sind es Dutzende von gesichtslosen Karrieristen, die unsichtbar hinter den Kulissen ebenso unsichtbare Fäden ziehen. Unterdessen sondern im Vordergrund ein paar aalglatte Rhetorik-Profis genau geplante Worthülsen in feinstem Neusprech ab. Wenn man gezielt versuchte, Identifikation unmöglich zu machen, könnte man es kaum besser machen.

Die tieferen Ursachen für die Unmöglichkeit der Identifikation sind

  • die Zahl der Beteiligten,

  • die Intransparenz der eigentlichen Entscheidungsfindung,

  • die Tatsache, dass die Entscheider keine normalen Menschen sind, sondern mediale Inszenierungen von Profis im Wieder-Gewählt-Werden.

Kompetenz & Motivation

Ich schlage ein System vor, in dem jede Entscheidung jeweils von wenigen Menschen getroffen wird; In dem die Entscheider keine Profis darin sind, sich vor den Menschen, die sie vertreten, möglichst gut zu verkaufen; In dem völlig transparent ist, wer die Entscheidung trifft. Das sind optimale Bedingungen für die Identifikation der Bürger mit ihrem politischen System.

Zunächst muss man Menschen finden, die die Entscheidungen treffen sollen. Dazu muss das Grundproblem jedes politischen Systems gelöst werden, das irgendwie im Sinn seiner Bevölkerung handeln soll. Das Problem besteht darin Menschen zu finden, die

  1. kompetent sind, die anstehenden Entscheidungen zu treffen und die

  2. motiviert sind, im Interesse der Bevölkerung zu entscheiden.

Ich bestreite, dass unser System der Wahl auch nur eine dieser beiden Anforderungen im Fokus hat. Unser System sucht Selbstdarsteller aus, die psychisch relativ stabil sind, sich wenige all zu große Skandale leisten und die ihre unmittelbare Bedürfnisbefriedigung auf die Zeit nach ihrer politischen Karriere verschieben können – unser System ist völlig korrupt, aber die Auszahlung findet meist erst nach Niederlegung der Ämter statt. Tony Blair, Gerhard Schröder, ehemalige Mitglieder amerikanischer Regierungen – alles absolute Top-Verdiener.

Weder Kompetenz noch das Interesse der Bevölkerung spielen da eine große Rolle. Lediglich all zu krasse Auswüchse werden gehemmt.

Kompetenz

Ich habe mit KiIsWhoWi ein System vorgestellt, mit dem sich die Kompetenz von Menschen in bestimmten Fachgebieten ermitteln lässt. Es handelt sich um eine Art Who is Who Wiki, wo jeder seine Meinung kund tun kann und wo aus Einzel-Meinungen in einer Abwandlung des wissenschaftlichen Peer-Review-Prozesses eine Urteil ermittelt wird. Dieser Artikel ist schon ein paar Jahre alt, und mittlerweile gibt es derartiges bereits vielfach. Wer einen Finanzberater sucht, kann das beispielsweise bei Google Maps tun. Dort finden sich auch zahlreiche (teils gefälschte) Urteile. Etwas weiter treibt es beispielsweise dieser Service zum Auffinden eines kompetenten Arztes für bestimmte Malessen.

Das Problem, kompetente Menschen zu beliebigen Themen zu ermitteln, ist gelöst. Mindestens der wissenschaftliche Betrieb hat eine Lösung etabliert und diese lässt sich verallgemeinern und mit technischen Mitteln auf die gesamte Bevölkerung übertragen. KiIsWhoWi legt dar, wie dieser Prozess bereits heute als Teil des normalen Zusammenlebens etabliert wird und welche enormen Vorteile es hätte, diesen Prozess aus der Kommerzialisierung zu befreien – Vorteile weit jenseits der Regierungsbildung.

Motivation

Wie kann man also die so gefundenen kompetenten Menschen motivieren, langfristig und im Sinn der Bevölkerung zu entscheiden? Die Antwort liegt wieder zu einem großen Teil in der Auswahl. Man kann nicht nur Kompetenz beurteilen, sondern auch den Charakter von Entscheidern. Um Entscheidungen für alle zu treffen, sollten nur charakterlich einwandfreie Personen ausgewählt werden.

Doch mindestens ebenso wichtig ist der Auswahl-Prozess selbst. Wir sind ständig den Urteilen unserer Mitmenschen und Nachbarn ausgesetzt. Doch meist erfahren wir davon wenig. KiIsWhoWi macht diese Urteile transparent.

Geld regiert die Welt

Das mag man ablehnen, doch was ist die Alternative? Heute ist der wichtigste gesellschaftliche Faktor für die Beurteilung eines Menschen sein Reichtum. Zur Schau gestellter Reichtum ist der Weg, sich vor seinen Mitmenschen aus zu zeichnen. Viele Menschen versuchen daher Reichtum zu erlangen. Unser Differenzierungs- und Auswahl-System fördert so direkt unmoralisches, asoziales Verhalten, Bereicherung auf Kosten anderer. Anderen zum eigenen Vorteil zu schaden ist nach unserem am weitesten verbreiteten und anerkannten Standard etwas Gutes.

Wenn man den Menschen die Möglichkeit, sich vor ihren Mitmenschen auszuzeichnen, nicht gänzlich nehmen möchte, dann sollte man dieses Streben vieler Menschen nach ein wenig Ruhm wenigstens zum Guten wenden. Indem das fortgesetzte gegenseitige Urteil eine große Bedeutung in unserem Zusammenleben bekommt, wird es für die Entscheider viel wichtiger, sich ihren Mitmenschen gegenüber korrekt zu verhalten.

Arschlochalarm

Eine politische Entscheidung ist eine einzigartige Chance für den Entscheider. Er kann sich bereichern, oder er kann seine Reputation verbessern. Wenn er das richtige tut, bekommt er in der Kneipe sicher ein Bier ausgegeben. Wenn er das Falsche tut, kann er sich vielleicht nicht einmal mehr ein Bier kaufen – weil ihm schlicht keins verkauft wird, egal, was er zahlt.

Man bedenke, dass Smartphones erst der Anfang sind. Mit Google Glass steht gerade die nächste Stufe des Life-Logging-Device vor der Tür. Wir kommen aus einer Welt, in der Information schwer zugänglich war. Mit der beginnenden Vernetzung wurde sie leichter zugänglich. Mit Google Now beobachten wir gerade einen der ersten Dienste, der Information Kontext-Abhängig automatisch einblendet. Die Information kommt zu uns. Wir werden bald in einer Welt leben, wo Informationen zu der Person, die die Kneipe betritt, automatisch eingeblendet werden, wenn das für uns relevant ist. Mit dieser Technik auf Google Glass wäre das bereits heute möglich. Und das ist sicher erst der Anfang. Wenn diese Informationseinblendung der Arschlochalarm ist, ist das gar nicht gut für den, der seine Entscheidungsbefugnis missbraucht hat.

Resistenz gegen Lobbykratie

Wir haben also eine Möglichkeit, einen starken positiven Motivations-Faktor für unsere Entscheider zu schaffen. Doch auch das dürfte nicht reichen, eine Regierung vor der Unterwanderung durch Partial-Interessen zu schützen. Um einen optimalen Schutz zu erreichen, muss man den Entscheidungsprozess zu einem beweglichen Ziel machen. Heute sind unsere Entscheider Jahre, teils Jahrzehnte lang den Einflüsterungen der Lobby ausgesetzt. Dieses ewige Dauerfeuer sowie die korrumpierende Wirkung der Macht selbst sind mehr, als die meisten Menschen auf Dauer verkraften.

Ein politischer Entscheider sollte daher nur sehr kurz agieren, sollte idealer Weise nur genau eine politische Entscheidung treffen. So wird der Einfluss seiner Entscheidung auf seine Reputation maximiert und der Einfluss der Lobby minimiert.

Langfristigkeit

So kommt auch der Faktor der Langfristigkeit in den Entscheidungsprozess. Die Pflicht, eine Entscheidung für alle Mitmenschen zu treffen, ist so eine einzigartige Chance für das ganze eigene Leben. Plötzlich steht man im Rampenlicht. Die Entscheidung, die man trifft, wird großen Einfluss auf die eigene Reputation für den Rest des eigenen Lebens haben. Denn einmalig wird man von vielen Menschen beurteilt, von denen man sonst nie wieder etwas hören wird. Es ist also eine Entscheidung auf Lebenszeit und in wenigen Fällen sogar darüber hinaus. Ein längerer Zeithorizont wird sich für Entscheidungen kaum erreichen lassen.

Zusätzlich zu diesen intrinsischen Schutzmechanismen gegen Lobbykratie, sollten bestimmte Formen politischer Einflussnahme grundsätzlich Untersagt werden. Dies fiele zum Beispiel unter das hier vorgeschlagene generelle Werbeverbot. Statt dessen sollten die Entscheider sich die nötigen Information jederzeit holen können. Dies würde schon durch die umfassende Transparenz ermöglicht, die ich für alle öffentlichen (auch wirtschaftlichen) Lebensbereiche fordere.

Technokratie?

Der Umstand, dass hier nach Kompetenz ausgewählt wird, könnte einen auf die Idee bringen, dass es sich bei meinem Vorschlag um eine Form der Technokratie handelt. Dem ist keineswegs so. Das wesentliche Merkmal einer Technokratie sind Technokraten – eine Klasse von professionellen Entscheidern, die allein nach sachlichen Kriterien entscheidet. Kompetenz macht keinen Technokraten, sondern seine Entscheidungskriterien.

In der Technokratie sind das reine Sachkriterien. In meinem Vorschlag hingegen ist der Maßstab das Urteil der Mitmenschen. Es ist genau das, was es in einer Demokratie sein sollte aber nicht ist. Im Ideal der Demokratie steht im Mittelpunkt der demokratische Diskurs, die Debatte, der Meinungsaustausch. Tatsächlich ist dies bei uns zu einem reinen Schauspiel verkommen. Wenn legislative Entscheidung zur Basis der Reputation werden, bekommt der Diskurs wieder eine viel größere Bedeutung.

Ebenso wichtig ist es, die fatale Nähe von Mächtigen zu ihren Hofberichterstattern aufzubrechen. Dies geschieht in den von mir vorgeschlagenen System automatisch dadurch, dass die „Mächtigen“ ständig wechseln. So kommt es gar nicht er zu der persönlichen Nähe zwischen Politik und denen, die darüber Berichten. So kann der Diskurs sich wieder frei entfalten.

Zudem kann von Technokraten schon gar keine Rede sein. Denn es gibt ja weder Techno- noch sonst welche -kraten. Wer nur eine oder wenige Entscheidungen in seinem Leben trifft, kann kein professioneller Politiker werden.

Frau des Volkes

So jemand bleibt ein Mann oder eine Frau des Volkes. Es sind die berühmten 15 Minuten Ruhm – oder eher fifteen minutes of blame. Auf diese Weise sowie dadurch, dass es jeweils nur wenige Entscheider gibt, wird auch die Identifikation der Bevölkerung mit den Entscheidern und ihrem politischen System gefördert.

One Man One Vote

Was wurde aus dem Prinzip „Ein Mensch, eine Stimme“? Es war ein wichtiger und richtiger Schritt in unserer kulturellen Entwicklung. Ohne dieses Prinzip wäre unsere Welt heute wahrscheinlich ein noch deutlich schlimmerer Ort. Doch wenn sie uns auch paar Schritte in die richtige Richtung gebracht hat, so konnte die Demokratie ihre großen Versprechen letztlich doch nicht erfüllen.

Das romantische Ideal von „Ein Mensch, eine Stimme“ ist gerade, dass jede Stimme zählt, das niemand überhört wird. Doch die Realität der Demokratie verkehrt dieses Ideal in sein genaues Gegenteil: Eine einzeln Stimme wird grundsätzlich überhört, wenn sie nicht in den Chor der Masse einstimmt. Selbst große Minderheiten, wie Homosexuelle, werden Jahrzehnte lang tyrannisiert, wenn nicht zufällig „political correctness“ zur Mode wird.

Die Anwohner des Wendlandes (Gorleben, oder wo immer das Endlager letztlich landet) werden nach ihrem subjektiven Empfinden gar von der Mehrheit ihrer Heimat beraubt. Da braucht niemand mit „rationalen Argumenten“ zu kommen. Atommüll in meinem Hinterhof ist ein drastischer Eingriff in meine Persönlichkeitsrechte. Demokratie ist die Diktatur der Mehrheit.

Das hier vorgeschlagene Prinzip gibt einzelnen dagegen tatsächlich eine Stimme. Wenn meine politische Entscheidung einem einzelnen massiv schadet, kann dieser das bei KiIsWhoWi über mich schreiben. Andere können das dann lesen, und beurteilen, ob meine Entscheidung dennoch gerechtfertigt war.

Das Ideal von „Ein Mensch, eine Stimme“ ist richtig. Doch um das Ideal zu erreichen, muss man sich gerade von diesem Prinzip verabschieden.

Die Demokratie ist Prinzip-bedingt unfähig unsere zentralen Probleme zu lösen und sie bietet nur unzureichenden Schutz gegen Inkompetenz und Usurpation. In der letzten großen Weltwirtschaftskrise hat sie sich konsequent abgeschafft und in dieser ist sie gerade wieder dabei. Demokratie hatte ihre Berechtigung, doch sie ist nicht das Ende der Geschichte.

Ein neuer Weg

Dies sind die Prinzipien eines politischen Systems von den Menschen für die Menschen: Eines Systems, das kompetente Entscheider wählt und sie motiviert, langfristig und im Sinn des Volkes zu entscheiden; Das resilient ist und resistent gegen Lobbykratie und Usurpation; Das es den Bürgern ermöglicht, sich mit ihrem legislative System zu identifizieren; Das die großen zentralen Probleme unserer Gesellschaft mit ihrem sehr langen Zeithorizont angehen kann.

Ich habe einen legislativen Prozess, der diese Prinzipien beherzigt, hier exemplarisch dargelegt. Dies ist nur ein Beispiel, wichtig sind die Prinzipien: Gegenseitiges Ansehen muss wichtiger sein als Geld, Kompetenz und Integrität sind Voraussetzungen für legislative Entscheidungen, Entscheider treffen nur eine oder wenige Entscheidungen, die große Bedeutung für ihr ganzes Leben haben, der Prozess ist transparent und frei von gezielter Einflussnahme.

Woran ist unsere Demokratie gescheitert?

Was leistet Demokratie und wieso zerstört sie sich zum wiederholten Male selbst?

Und was kann man daraus lernen?

Doch fangen wir damit an, was die Demokratie Gutes leistet. Sie setzt die potentiellen Regenten einem sehr harten Auswahlprozess aus. Volldeppen scheitern an den rhetorischen Anforderungen und debile Monarchensöhne bleiben uns nunmehr erspart. Wer seine Bosheit überhaupt nicht verstecken kann, hat genauso wenig eine Chance, wie der, der das Volk zu offensichtlich bluten lässt.

Doch all dies sind sehr relative Anforderungen. Mit George W. Bush wurde ein Regent wiedergewählt, der über mäßige rhetorische Begabung verfügt, der sein Volk belogen hat und damit aufgeflogen ist, es in einen sinnlosen, teuren Krieg geführt hat, in diesem Krieg weitgehend gescheitert ist, den Löwenanteil der Bevölkerung hat ausbluten lassen und sein Land ruiniert hat. Das ist schlimm doch minderbemittelte und bösartige Despoten haben weit schlimmeres angerichtet. Demokratie bietet offenbar einen begrenzten Schutz davor.

Interessenausgleich?

Der Kern der Demokratie ist der Interessenausgleich. Interessenausgleich gibt es seit vielen Jahrhunderten. Könige können schon sehr lange nicht mehr nach belieben schalten und walten. Doch früher waren die Parteien des Interessenausgleichs oft recht begrenzt. Sie rekrutierten sich im Wesentlichen aus Adel und Klerus. Und es war die Regel, dass einzelne Parteien durch Intrigen und andere Mechanismen aus dem Prozess des Interessenausgleichs herausfielen.

Es ist ein Verdienst der Demokratie, dass jeder, der viel Geld und/oder viel (Meinungs-) Einfluss hat, am Prozess des Interessenausgleichs teil hat. Dadurch bekommen die Interessen des Volkes tatsächlich ein etwas höheres Gewicht und finden mehr Berücksichtigung in dem Prozess. Doch Demokratie bietet nicht annähernd genügenden Schutz gegen die Einflüsterung von Partialinteressen, wie z.B. das Beispiel des FDP-Steuergeschenks an die Hoteliers zeigt (vorletzter Satz des Absatzes).

Tatsächlich sahen die letzten Jahrzehnte eine Zunehmende Professionalisierung der Interessenvertretung. Gleichzeitig nahm die Fähigkeit der „Spin-Doktoren“, die öffentliche Meinung zu beeinflussen solche Ausmaße an, dass Lobbyismus den Einfluss der Volksinteressen sehr weit zurückgedrängt hat.

Lobbykratie!

Ein Grundproblem der Demokratie ist, dass Entscheidungsträger auf externe Experten angewiesen sind, die sich mit der betreffenden Materie auskennen. Und die besten Experten arbeiten meist für die, die die größten Interessen (Investitionen) in den betreffenden Bereichen haben. So bekommen die, die ein finanzielles Interesse in einer gegebenen Frage haben, oft stark überproportionalen Einfluss in ihrem Bereich.

Dabei sind die Einflüsterungen der Lobbyisten noch vergleichsweise subtil. In vielen Fragen werden unsere Entscheidungsträger von Interessenvertretern erpresst. Ein besonders offensichtliches Beispiel ist in diesem Artikel beschrieben: Mitarbeiter des griechischen Parlamentes verhinderten eine Abstimmung bis ein ihnen nicht genehmer Passus aus dem Gesetzesentwurf entfernt wurde.

Doch auch in Deutschland kann sich kein Parlamentarier beispielsweise gegen Springer stellen, da die BILD als Gegner i.d.R. ein politisches Todesurteil ist. Dieser Umstand dürfte uns unter anderem das (mit Ausnahme von den Profiteuren) einhellig verdammte Leistungsschutzrecht beschert haben. Und immer wieder kommt es vor, dass Interessenvertreter mit dem Abbau von Arbeitsplätzen drohen, was meist ein „Killerargument“ (sprich Erpressung) ist und jede Debatte beendet.

Wenn der Prozess des Interessenausgleichs Opfer von Erpressung geworden ist,

  • werden Sachlagen oft völlig ignoriert (z.B. das Gutachten des Max Planck Instituts für Immaterialgüterrecht zum Leistungsschutzrecht),

  • versteckt (z.B. die geheimen Verträge über die Berliner Wasserversorgung, die sehr lange gegen den Volkswillen geheim gehalten wurden)

  • und verfälscht (Armutsbericht , Gorleben-Gutachten siehe „Einflussnahme der Regierung Helmut Kohls“).

Kuhhandel

Wenn man sich den eigentlichen Prozess des Interessenausgleichs ansieht, wundert es nicht, dass dieser völlig korrumpiert ist. Es ist nicht etwas so, dass da die Interessen des Volkes abgewogen werden um einen möglichst ausgewogenen Kompromiss widerstreitender Interessen zu finden. Viel mehr handelt es sich um einen gnadenlosen Konkurrenzkampf desillusionierter Karriere-Politiker, die fürs eigene Fortkommen die Interessen ihrer Wähler verschachern. Wir haben unser Wohl und Wehe an eine Bande – wenn auch ehemals idealistischer – Gebrauchtwagen-Händler delegiert.

Wer die Wahl hat bekommt die Qual

Das definierende Element der Demokratie ist bekanntlich die Wahl. Bemerkenswert ist nun, dass – wie jeder Bürger einer Demokratie bestätigen kann – ausgerechnet die Wahl Regierung in weiten Teilen unmöglich macht. Für ein ganzes Jahr – das gefürchtete „Wahljahr“ – liegen die Regierungsgeschäfte großenteils danieder und die gewählten „Volksvertreter“ beschränken sich weitgehend aufs Verwalten. Reformen sind ausgeschlossen.

Doch die schädliche Wirkung der Wahl geht weit über das Wahljahr – immerhin rund ein Viertel der Zeit – hinaus. Unsere Entscheider werden immer nur für einen begrenzten Zeitraum gewählt, meist vier oder fünf Jahre. Weil das so ist, weil nach spätestens fünf Jahren über das Weitere Schicksal unserer Entscheider entschieden wird, können sie kaum Entscheidungen treffen, die kurzfristige Einschnitte bedeuten und erst jenseits dieses Zeithorizontes positive Folgen haben.

Gesetze sollten eigentlich für eine lange Zeit gemacht sein. Doch tatsächlich erleben wir fortwährende Schnellschüsse und Flickschusterei. Kaum ein politisches Projekt ist auf zehn Jahre angelegt, geschweige denn länger.  Bei der nächsten Wahl darf es nicht gar zu fatal aussehen, danach ist die Frage ohnehin nur noch, wer geschickter lügt.

Damit ist Demokratie ein völlig ungeeignetes System um den großen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Denn diese Herausforderungen haben alle einen sehr langen Zeithorizont:

  • Seit vierzig Jahren (in den alten westlichen Industrienationen) kommt das Wirtschaftswachstum nicht mehr mit dem Produktivitätswachstum mit. Die digitale Revolution verschärft das Problem gerade wieder. Selbst Deutschland, das mit Lohndumping versucht, dieses Problem zu exportieren, kann nur noch Arbeit umverteilen. Seit 20 Jahren wird in Deutschland pro Jahr ungefähr die gleiche Zahl an Arbeitsstunden geleistet (nämlich 57-58 Milliarden; Statistisches Jahrbuch 2012 des Bundesamtes für Statistik Seite 350, oberste Tabellenzeile). Und ganz Europa erstickt an der Deutschen Strategie. Die soziale Marktwirtschaft funktioniert unter diesen Bedingungen nicht mehr und die Politik ist völlig handlungsunfähig –  wenn sie nicht gerade wie die SPD mit der (meiner Meinung nach übrigens verfehlten) Agenda 2010 nachhaltigen politischen Selbstmord begeht, was ja eigentlich nicht im Sinne des Systems ist.

  • Ebenso lange ist bekannt, dass unser Gesellschaftsmodell nicht skaliert, weil der Planet nicht genügend Ressourcen hergibt. Deutschland ist es als einem von ganz wenigen Ländern gelungen, überhaupt halbherzige Schritte zur Lösung des Problems zu unternehmen. Wir laufen sehenden Auge ins Verderben, doch Lobbykratie und die Kurzfristigkeit demokratischer Entscheidungshorizonte lassen uns unseren Ritt ins Verderben beschleunigen statt einen anderen Weg zu suchen.

  • Der Demografische Wandel kommt auch nicht überraschender als die beiden obigen Probleme. Doch statt nach Lösungen zu suchen, werden unsere künftigen Senioren an die private Finanzwirtschaft verschachert.

Diese Probleme bedürfen größter Weitsicht. Sowohl die Entwicklung der Probleme wie ihre Lösung nimmt ganze Generationen, ja ganze Lebenspannen in Anspruch. Und je länger wir warten, desto teurer wird es. Und wir warten immer noch.

Demokratie war laut Churchill die schlechteste Regierungsform – außer all den anderen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert wurden. Doch auch das liegt hinter uns. Mittlerweile spricht selbst unsere Kanzlerin von marktkonformer Demokratie. Was nun? Zurück zur schlechtesten Regierungsform, zur Demokratie, die unsere Zivilisation und den Planeten, den sie bewohnt, mit Vollgas auf einen  Abgrund zusteuert und kurz vor der Klippe aus dem Wagen springt, sich selbst abschafft?

Ich glaube – nicht im Sinn von „ich vermute“ sondern es ist meine Überzeugung – dass wir etwas neues ausprobieren müssen. Die soziale Revolution der Vernetzung und das Vakuum, das die Demokratie hinterlassen hat, bringen uns heute in eine einzigartige Situation. Wir können und müssen unser Zusammenleben neu erfinden. Was können wir nun aus dem Scheitern der Demokratie lernen? Darum wird es in meinem nächsten Artikel gehen.

Ich sollte wissen, was Twitter weiß

Wir haben Angst vor Twitter, Google, Facebook. Wieso kann es nicht umgekehrt sein?

Dies ist eine Entgegnung auf Martin Weigerts Artikel “Ich weiß, was du diesen Sommer twittern wirst”. Dort geht es darum, dass Daten – insbesondere Big Data – Menschen vorhersehbar machen und wie das missbraucht werden könnte – ein lesenswerter Artikel. Leider fügt er sich nahtlos in die große Menge derartiger Artikel ein, wenn er auch qualitativ eher positiv hervorsticht und das Thema immerhin differenziert betrachtet.

Das größte Missbrauchs-Potential sieht Martin Weigert in gezielter Meinungsmache zu konkreten politischen Projekten. Ja, in der Tat, Spin-Doktoren, Profi-Lobbyisten, Kampagnen-Journalisten – sie alle sind fleißig dabei die Reste unserer erodierten Demokratie zu zerstören und mit mächtigeren Werkzeugen wird das schneller gehen. Doch so weit muss man meiner Meinung nach gar nicht denken.

Wissen ist Geld ist Macht

Google, Facebook und andere können das Verhalten von Menschen beeinflussen. Diese Fähigkeit ist die Grundlage ihrer Geschäftsmodelle. Die Möglichkeit, das Verhalten von Menschen zu beeinflussen nennt man auch schnöde “Macht”. Informations-Konzerne haben sich zu gigantischen in keiner Weise legitimierten Machtzentren gewandelt.

Nutzen sie diese Macht zur Förderung des Gemeinwohls? Eher nicht. Wie alle großen Konzerne diversifizieren sie ihre Macht. Sie versuchen mehr Einfluss in der Informationswirtschaft zu erlangen, sie verdienen sehr viel Geld (= Macht) und beginnen auch politisch Einfluss zu nehmen indem sie ihre Lobby-Ausgaben erhöhen und eigene Kampagnen fahren.

Werbung für den Untergang

Dabei ist ihr Kerngeschäft die Werbung, die Förderung eines konsumeristischen Weltbildes und Lebensstils, der auf der Ausbeutung der Arbeit und Ressourcen wirtschaftlich unterlegener Kulturen basiert und unseren Planeten in atemberaubenden Tempo zerstört. Ich kann da nicht Gutes aber sehr viel Schlechtes dran erkennen.

Dennoch scheint die Einsicht recht abwegig zu sein, dass gigantische, unkrontrollierte Machtkonzentrationen an sich etwas Schlechtes sind. Warum? Warum akzeptieren wir das einfach? Weil es unvermeidlich scheint?

Machtdiffusion

Ich glaube, die offensichtliche Neigung unseres Wirtschaftssystems zu solchen Machtkonzentrationen ist ein Systemfehler – einer der sich durch eine Reihe von Eingriffen überwinden ließe, ohne dafür dieses System komplett aufgeben zu müssen. Ein wichtiger Faktor für die Neigung unseres Systems zur Machtkonzentration ist unsere Informationsgesetzgebung.

Geschichtsstunde

Es ist mittlerweile offensichtlich, dass die von uns gewährte Möglichkeit, anderen die Nutzung bestimmter Informationen zu verbieten, unmittelbar zu Machtkonzentration führt. Die Indizienkette dazu reicht von der Effizienzsteigerung der Dampfmaschine Anfang des 19. Jahrhunderts über den englischen Buchmarkt um die Mitte des 19. Jahrhunderts, die Bell-Company, IBM, Microsoft, Google bis zu Facebook.

Und in all diesen Fällen gibt es deutliche Hinweise, dass es ohne Patente, Copyright und andere Informationsschranken nicht deutlich schlechter gegangen wäre.

Nachdem das unsäglich Patent von Watt auslief, beschleunigte sich die Effizienzsteigerung der Dampfmaschine stärker als durch Watt – ohne dass die entsprechenden Entwicklungen patentiert worden wären. Der urheberrechtslose Buchmarkt in Deutschland war diversifizierter, schneller und größer als der konzentrierte englische und bot dem durchschnittlichen Autor bessere Verdienstmöglichkeiten.

Microsoft hatet Ende der 90er das Internet verschlafen und hat es dann geschafft, die Entwicklung der Web-Technologie mindestens um fünf Jahre zu verlangsamen indem sie ihren marktbeherrschenden Browser „Internet Explorer“, der für jeden Web-Entwickler eine unerträgliche Zumutung war, über Jahre nicht weiter entwickelten, manche Standards kaputt-verhandelt und andere mit ihren “Alternativ”-Entwicklungen und extra “Features” untergraben haben.

Freiheit für Information und Mensch

Was ist die Schlussfolgerung aus all dem? Information darf in der Wirtschaft keine Schranken haben. Sie, lieber Leser, Martin Weigert und ich, wir alle müssen in der Lage sein, bei Google in die Firma zu spazieren, unsere (gegebenefalls “sterilisierten”) USB-Sticks in beliebige Computer zu stecken, und zu kopieren, was uns interessiert. Wir müssen die Überwachung unserer Wirtschaft Crowd-sourcen. Und wir müssen verhindern, dass solche gefährlichen Leviathane wie Google und Facebook in Zukunft entstehen. Wir können nicht verhindern, dass andere Einfluss auf uns haben. Aber wir können verhindern, dass dieser Einfluss auf wenige Akteure konzentriert wird.

Book Review: World War Z

The Dead are not merely walking. They are running – running our society that is. The first and foremost reason for me to recommend reading „World War Z – An Oral History of the Zombie War“ is how brilliantly it makes the case that we are craving apocalypse. Some of ours leaders are thoroughly devoid of humanity. We are enjoying our ride to hell and we are going to profit from it.

The Dead are not merely walking. They are running – running our society that is. The first and foremost reason for me to recommend reading „World War Z – An Oral History of the Zombie War“ is how brilliantly it makes the case that we are craving apocalypse. Some of ours leaders are thoroughly devoid of humanity. We are enjoying our ride to hell and we are going to profit from it.

Flirting with Disaster

Our actual apocalypse, the sixth extinction, has been going on for millennia. We have industrialized it and keep up exponential acceleration of our dive into doom. Still our real apocalypse is considerably slower than the zombie apocalypse that paints the background of this worthwhile novel. And then there’s the invisible megadeath. Millions of children dying each and every year for no reason, just for not mattering. Zombie children, untouchables barely good enough to to slave away for the coltan in our mobiles, the cotton in our shirts and the fruit on our tables. If „Zombie“ gives you literary creeps and you would not sink as low as to touch some sad excuse for a „novel“ on it, still you should read the section „Blame“ if you happen to get your hands on it.

The small smuggler, middle class assholes, big money, politics, the media: everybody sees perfectly well, how everything is going to hell, even if nobody really understands what’s really going on. Yet, everybody understands there’s a profit to be made and flourishes on our demise. This section, „Blame“,  is probably the best of the book.

But there is much more. The failure of the military to contain the thread because they put up a media show instead of a battle, the US becoming temporarily socialist, Cuba capitalist, Israel locking down, the way Russia becomes a Mullah regime, an Apartheid master mind devising the cruel plan for survival, the subtle psychological difference between a „Robinson Crusoe“ and a „Last Man on Earth“ – the book is full of gems, insightful observations on humans and our societies.

I’m a sucker for words. World war Z is no poetry or outstanding literature. But it is a lot better in this department than your average page turner. It consists of dozens of „interviews“ with eye witnesses. The author successfully emulates several different styles without  overdoing that. It convincingly transports this peculiar way of story telling without bothering the reader with overdone quirks. There is some relation to the epistolary novel but the format is quite unique and perfectly fit to the scope and concept of „World War Z“.

So What?

So great book, read it if you care, but what does all this have to do with this blog? Well, I reached the same conclusions about our society as the author Max Brooks (son of infamous Mel): we are hellbound for apocalypse. Poor Max is an American, though, he really can’t help it. Patriotism with the mother milk, same old song. To speak with Max‘ Mrs. Miller from „World War Z“: „You can blame the politicians, the businessmen, the generals, the ‚machine,‘ but really, if you’re looking to blame someone, blame me. I’m the American system, I’m the machine. That’s the price of living in a democracy; we all gotta take the rap.“

Fuck, no. Maybe that’s the price for living in this convoluted excuse for a democracy, this abomination Americans call a nation. I refuse to believe that the price for freedom is apocalypse. There’s a hell of a lot that we can improve upon. We can be free and still care. We do not need to put all the assholes into power. We do not have to arrange things for people to profit from burning down our world. Hopefully this insight spreads somewhat before doomsday.

Kultur Kann Man Nicht Delegieren

Kultur ist das was wir alle tun und wie wir es tun. Kultur lässt sich daher nicht delegieren, Arbeitsteilung funktioniert hier nur sehr eingeschränkt. Das Urheberrecht einzuführen war einer der größten Fehler unserer jüngeren Geschichte.

Neulich lief mal wieder „I am Legend“ in der Glotze. Kannte ich schon, hatte ich mehr als einmal gesehen, wollte ich nicht nochmal sehen. Aber als ich den Fernseher einschaltete, landete ich zufällig in dem Film und zwar wenige Sekunden nach dem Anfang. Der Protagonist bewegt sich durch ein menschenleeres Manhattan, er Jagd ein Reh. Manns-hohes Gras wächst aus Rissen im Asphalt. Gerade als er seine Beute stellt, kommt ihm ein Löwen-Rudel zuvor. Ich bleibe in dem Film hängen und sehe ihn mit anderen Augen.

Medien Meister

Der Film hat zahlreiche sehr starke Szenen, die eines verbindet: sie machen sich sehr gut auf der Leinwand. Es ist ein enormes kreatives Potential in diesen Streifen geflossen. Daran gemessen ist der künstlerische Gehalt erschütternd gering. Doch es gibt noch viel krassere Beispiele für dieses Phänomen: Transformers, gigantische Roboter kämpfen um die Weltherrschaft. Die Protagonisten wurden mit enormen Aufwand in teils künstlichen, teils realen Settings zum leben erweckt. Allein der Aufwand, einen computergenerierten Robotor in einer Realfilm-Szene natürlich aussehen zu lassen, erfordert immense Meisterschaft und Kreativität. Während ein minimaler künstlerischer Gehalt es trotz kommerzieller Zwänge in „I am Legend“ geschafft hat, kann man das den Transformers nicht vorwerfen.

Ich habe mich Jahrzehnte gefragt, wo die Meisterwerke der bildenden Kunst unserer Zeit sind. Sind Gerhard Richter und Gesellen tatsächlich das Höchste was unsere Kultur hervorbringt? Nein, unsere visuellen Meisterwerke sind in der Matrix, im Herrn der Ringe und in Computerspielen, mit denen ich mich aber nicht mehr auskenne. Kunstwerke wie die Matrix hat keine Epoche vor uns hervorbringen können: Schauspiel, Choreografie, Musik, Lichtkunst, Skulpturen, „Malerei“ verbinden sich zu einem einzigartigen Gesamtkunstwerk. Abertausende unserer begabtesten Künstler arbeiten in CGI-Firmen, bei Spieleherstellern und natürlich in der Werbung.

Kommerz Kunst

Doch unsere Meisterwerke sind vor allem Produkte. In der Antike wurde nicht zwischen Kunst und Handwerk unterschieden. Zwar lässt unser „Handwerk“ in der Regel die künstlerische Liebe zum Werk vermissen, aber unsere Kunst ist meist ein Handwerk – und lässt leider zu oft und genau wie unsere Produkte die Qualität und handwerkliche/künstlerische Liebe zum Werk vermissen. Schließt sich bei uns der Kreis? Ist Kunst und Kultur um ihrer selbst willen ein exzentrisches Pläsier verbohrter Bildungsbürger?

Wir sind als Persönlichkeiten nicht von unserer Kultur unabhängig, ganz im Gegenteil. Wir sind zu einem erheblichen Maße was wir tun und wie wir es tun. Und eben das ist auch Kultur: Kultur sind Tischsitten, Redewendungen, Benimm und Höflichkeit, unser alltäglicher Umgang, die Art, wie wir unsere Arbeit verrichten. Kunst spiegelt immer die Alltagskultur. Kunst steht nie allein, Meisterwerke entstehen auf den Schultern von Riesen – den Meistern der Vergangenheit – und auf unser aller Schultern, denn wir schaffen die Kultur aus der die Meisterwerke hervorgehen.

Ich glaube an das Ideal, dass Kunst frei sein sollte. Doch die überwältigende Mehrheit der Kunst mit der ich im Alltag konfrontiert bin, ist nicht frei sondern verfolgt unerbittlich eins von lediglich zwei universellen Zielen: 1. Sieh her! 2. Kauf mich! Entweder soll Aufmerksamkeit für Werbung oder Umsatz des Werkes selbst erregt werden oder es handelt sich um Werbung. Oder einfacher gesagt: Es ist Eigenwerbung, Werbung für Werbung oder Werbung.

Arbeitsteilung = Delegation

Die enormen Fähigkeiten unserer Kultur sind auf Arbeitsteilung zurückzuführen. Arbeitsteilung ist eine phantastische Errungenschaft. Doch lässt sie sich nicht auf alles anwenden. Ich bin zu einem guten Teil was ich tue und Kultur ist, was wir alle tun. Wir können Kultur nicht delegieren, wir können nicht anders als sie selbst zu erschaffen. Natürlich gibt es Menschen unter uns, die besondere Fähigkeiten besitzen und einen herausragenden Beitrag zu unserer Kultur leisten. Und wir wollen tatsächlich, dass dieses herausragende Schaffen fast ausschließlich unter den Maximen „Sie her!“ und „Kauf mich!“ entsteht? Dass die Sperrspitze unserer Kultur mit derselben Lieblosigkeit produziert wird wie unsere Alltagsprodukte? Und wir wundern uns über die Lieblosigkeit der Letzteren während wir denen Kulturverachtung vorwerfen, die Freiheit für kulturelles Schaffen fordern?

Ideale

Unsere kulturellen Vorreiter sind Vorbilder und Ideale. Justin Biber und Konsorten haben ab einem gewissen Alter unserer Kinder größeren Einfluss auf dieselben als die Eltern. Wir sind was wir tun, Kultur ist was wir alle tun, Vorbilder prägen unsere Kultur, ihre Motive prägen die Vorbilder. Die Existenz und gegebenenfalls Gestaltung des Urheberrechts hat darum großen Einfluss darauf, wer wir sein werden. Sind Geld und Ruhm alles, was im Leben zählt?  „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ [unbekannt] Doch unsere Kultur wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach radikal wandeln. Zumindest hat sie das in den letzten Jahrhunderten getan.

Ein Blick in die Vergangenheit

Wo kommt unsere Kultur her, wer waren wir? Kultur ist das, was ihre Mitglieder tun und wie sie es tun. Was hätten wir, Sie und ich, früher um diese Zeit getan? Die folgende Beschreibung gilt für Bewohner der nördlichen gemäßigten Breiten mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dreihundert bis vor dreitausend Jahren.

Sie und ich, wir, Sie bei sich, ich bei mir. Ein kalter Herbst-Abend vor dreihundert Jahren. Nur dreihundert Jahre. Wir haben beide wahrscheinlich mit jemandem geredet, der mit jemandem geredet hat, der mit jemandem geredet hat, der das selbst alles erlebt hat. Um uns herum ist es mehr oder weniger düster. Vielleicht hat einer von uns beiden das Glück, sich ein paar Kerzen leisten zu können, oder stinkende Öllampen. Aber es um diese Zeit wirklich hell zu haben – das kann sicher keiner von uns zweien finanzieren.

Die Arbeit des Tages ist getan, denn im Dunkeln kann man nicht arbeiten. Wir können nicht lesen, ich als Mann mache keine Handarbeiten. Doch genau jetzt prägen wir unsere Kultur. Die Zeit der Reflektion des Tagewerks prägt das Tagewerk. Jetzt arbeitet die Tradition, die Kunst „das Feuer weiter zu tragen, nicht die Asche zu bewahren“ [Gustav Mahler]. Wir singen, wir erzählen unseren Kindern Märchen und uns Geschichten aus unserem Leben. Wir schaffen den Fundus, aus dem die Begabtesten von uns die Meisterwerke unserer Zeit schaffen.

Die Kultur formt Sein und Bewusstsein

Es ist kalt und feucht und zugig. Wie praktisch alle Menschen um diese Zeit in diesen Breiten, sitzen wir wahrscheinlich am Feuer. Wir kennen Feuer ganz genau. Wir haben endlose Stunden hinein geschaut in unserem Leben. Wir wissen genau, wie sich Holz in Asche verwandelt, vom lodernden Scheit zum glühenden Kohlen, zum Zerbrechen in kleinere Scheite, zum Glimmen und Erlöschen.

Was würden wir um diese Zeit tun, Sie und ich, in einer Kultur wie vor 300 oder 3000 Jahren? Ich würde ins Feuer starren, wie alle anderen. Dabei würde ich mir vielleicht Bilder vorstellen wie Hieronymus Bosch, Bilder, die ich natürlich niemals malen könnte. Denn mir würde das Geld für die teuren Utensilien fehlen und ich könnte gar nicht malen – wie sollte ich neben der harten Arbeit in meinem abgelegen Städtchen einen Meister finden und bezahlen? Oder ich würde mir Märchen von der Art ausdenken, die andere Eltern nicht so gern weiter erzählen. Abwegige Märchen, wie ich es auch jetzt tue. Ich könnte kaum Spuren hinterlassen.

Und Sie? Was würden Sie tun? Natürlich, Sie würden ins Feuer starren. Sie wüssten auf die Minute genau, wann der nächste Scheit bricht. Doch Sie hätten keine auch nur entfernt genaue Vorstellung, wie lange eine Minute dauert. Und was würden Sie sonst jetzt gerade tun, am Abend eines kalten Herbsttages?

Kultur kann man nicht delegieren

Stattdessen sitze ich auf dem Sofa. Der Kamin brennt, doch ich starre nicht in sein Feuer. Ich starre ins kalte Feuer eines Tablett-PC Bildschirms und tippe einen abwegig utopischen Text in sein angedocktes Keyboard. Sie blicken ebenfalls auf einen Bildschirm und lesen das Zeug. Wir machen immer noch Kultur. Ich indem ich ein mikroskopisches Tröpfchen zum kulturellen Schaffen beitrage, Sie indem Sie das weitertragen (durchs Erzählen, Liken, Verlinken) oder nicht.

Wow. Wir sind weit gekommen. Und wie soll es weiter gehen mit unserer Kultur? Mal angenommen wir verpassen eine erdrückende Zahl an Möglichkeiten, unsere Zivilisation zu vernichten, wo wollen wir in 30 und 300 Jahren an einem kalten Herbstabend sein und was wollen wir tun? Sie können diese Entscheidung nicht treffen, genauso wenig, wie ich. Aber Sie und ich können mit allen anderen entscheiden, ob und wem wir diese Entscheidung überlassen wollen. Ob wir sie wirklich allein kommerziellen Interessen überlassen wollen.

Und egal wie wir uns entscheiden: Wir können die Entscheidung anderen überlassen, doch abnehmen kann sie uns keiner. Denn Kultur ist das, was wir tun. Kultur kann man nicht delegieren.

Kreutzer kommt, sieht, siegt

Rezension der Sendung „Kreuzer kommt … ins Krankenhaus“, kulturelle und ökonomische Einordnung.

Ein Neugeborenes, ein krebskranker Junge, ein Mann mittleren Alters mit der modisch gerade diktierten Antwort auf Haarausfall. Drei Glatzen in einem einzigen großartigen Bild. Ein Kabinett absurder Situationen, das an Monty Python erinnert. Schwärzester Zynismus. In einer Menagerie grotesker seelischer Krüppel ist die einzig scheinbar halbwegs intakte Persönlichkeit die Mörderin.

Deutschland ist Krimiland. Das Flaggschiff deutscher Fernsehunterhaltung ist ein Krimi und die Konkurrenz ist riesig. Lücken im Krimiprogramm füllen hervorragende skandinavische und britische Produktionen. Wie soll gegen diese öffentlich rechtliche Großmacht ein kommerzielles Angebot ein Geschäft machen? Indem es alles anders macht.

Riesig wie die Konkurrenz ist der Markt. Deutschland ist Krimiland. Und das Marktangebot ist recht gediegen. In einen gediegenen, gesättigten Markt kann man nur mit Innovation einbrechen. Und Innovation ist das beste an Kultur. Kreativität, das Schaffen von Neuem, das finden einer neuen Sprache um die uralten Kernfragen der menschlichen Existenz zu besingen.

„Kreutzer kommt“ ist ein lichter Teil der Gegenwartskultur. Es schafft nichts Neues. Das geschieht sehr selten. Aber es nimmt zahlreiche Elemente moderner audiovisueller Ausdrucksformen, überspitzt alles bis zur Schmerzgrenze, nimmt einen etablierten Star, der perfekt in das überzeichnete Setting passt, und formt aus all dem eine moderne, attraktive, originelle Interpretation des Krimi-Genres. Dabei bedient man sich des besten kreativen Personals, das man für das Budget kaufen kann. Mit perfektem Sound, stimmiger Ausleuchtung, solider Kamera und Regiearbeit, brauchbaren Darstellern und State-of-the-Art Ausstattung entstand eine sehr respektable kulturelle Leistung.

„Kreutzer kommt“ zeigt, was kommerzielle Kultur in ihren besten Momenten leisten kann, nur übertroffen, wenn ein wirklich großer Künstler mal ein kommerzielles Budget verbraten darf. „Kreutzer kommt“ zeigt den Zenit unserer Alltagskultur – wenn wir an der Kommerzialisierung der Kultur festhalten.

Wider die Werbung

Werbung ist einer der bedeutendsten einzelnen Faktoren unseres gesellschaftlichen Systems. Werbung ist wichtiger als Wahlen, wichtiger als der öffentlich rechtliche Rundfunk, wichtiger als der Föderalismus. Gleichzeitig ist Werbung wahrscheinlich das destruktivste einzelne Element unserer gesellschaftlichen Organisation.

Werbung ist einer der bedeutendsten einzelnen Faktoren unseres gesellschaftlichen Systems. Werbung ist wichtiger als Wahlen, wichtiger als der öffentlich rechtliche Rundfunk, wichtiger als der Föderalismus. Gleichzeitig ist Werbung wahrscheinlich das destruktivste einzelne Element unserer gesellschaftlichen Organisation.

Werbung ist eine allgegenwärtige Propagandamaschine. Das wäre nicht unbedingt schlimm, wenn sie nicht konsistent eine einzige Botschaft verbreiten würde. Doch genau das tut sie. Natürlich gibt es so viele Werbebotschaften wie Produkte. Doch jede Werbung sagt ausnahmslos „Kauf mich!“. Das hat selbstverständlich gravierende und tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft.

Teufelskreis

Gleichzeitig ist Werbung selbstverstärkend. Ein immer größerer Teil unserer Gesellschaft widmet sich der Erzeugung von Aufmerksamkeit, von Aufmerksamkeit für die Botschaft der Werbung und von Aufmerksamkeit für die Werbung selbst. Werbung für schriftliche Publikationen, für Hörfunk und Fernsehangebote und auch für Internetangebote ist letztendlich Werbung für Werbung. Und so wird unsere Gesellschaft immer und immer tiefer von diesem Virus durchdrungen.

Dies alleine ist schon mehr als bedenklich. Doch die unisono verbreitete Botschaft der Werbung stiftet kaum Nutzen und erheblichen Schaden. Dieser Schaden erstreckt sich über praktisch alle Aspekte unseres Zusammenlebens, vom Privatleben über Wirtschaft und Politik bis zur Kultur.

Ich werde im Folgenden eine ganze Reihe der destruktiven Folgen der Werbung erörtern. Ich tue dies jeweils so kurz, wie sinnvoll möglich. Es ist zu beachten, dass die meisten angesprochenen Probleme nicht monokausal sind. Vieles hat mehrere Ursachen, Werbung ist immer ein Faktor von vielen – wenn auch ein oft wichtiger.

Ich bin was ich kaufe

Werbung ist das zentrale Vehikel, das in unserer Gesellschaft sozialen Status primär mit Geld und zur Schau gestelltem Konsum verknüpft. Diese Umdeutung sozialer Anerkennung ist einerseits verantwortlich für zahlreiche soziale Schieflagen unserer Gesellschaft, da so sozial destruktives Verhalten durchaus sozial positiv sanktioniert wird, andererseits ist sie in hohem Maße mitverantwortlich für die Zerstörung unseres Planeten, der dem überbordenden Konsumerismus nicht gewachsen ist.
Der letztgenannte Aspekt hängt mit einem weiteren zentralen Übel der Werbung zusammen. Werbung suggeriert als Ganzes genommen, dass der Sinn des Lebens – was immer das ist – nur über Konsum erfüllt werden kann. Damit ist Werbung zentraler Teil der allgegenwärtigen Propagandamaschine, die letztlich den scheinbar verblüffenden Siegeszug des Neoliberalismus befördert hat. Werbung ist als ganzes Propaganda für eine anti-soziale konsumeristische Politik und stellt durch ihre große Wirksamkeit eine immense Gefahr für die Demokratie dar.

Werbung ist der alleinige Motor der medialen Aufmerksamkeitsökonomie. Werbung ist der Grund, dass in kommerziellen Medien ausschließlich zählt, was (die) Aufmerksamkeit (der Zielgruppe) erregt. Sie ist somit verantwortlich für die zunehmende Skandalisierung und Verflachung des öffentlichen Diskurses, sie ist verantwortlich für die groteske Überbewertung des Terrorismus und somit der Aushöhlung der freiheitlichen Grundordnung und sie ist Verantwortlich für die Trivialisierung der Mainstream-Kultur und Marginalisierung echter Kreativität, sofern sie nicht auf Skandal und Schockeffekte setzt.

Werbung wider Marktwirtschaft

Werbung ist ein wichtiger Faktor dafür, dass in einer Marktwirtschaft größere Unternehmen zusätzliche Vorteile haben. Diese positive Rückkopplung ist einer Gründe für die fatale Tendenz zur Marktkonzentration. Werbung höhlt somit die Grundidee der Marktwirtschaft aus. Werbung wirkt. Je größer ein Unternehmen (bei gleicher Produktpalette) desto größer das Marketing-Budget pro Produkt, desto größer der Vorteil des großen Unternehmens. Dies stellt eine massive Wettbewerbsverzerrung dar.

Marktwirtschaft bedeutet (auch) Wettbewerb, Qualität, Effizienz und Innovation. Wo passt da Werbung rein? Ich laufe zwar langsamer als die anderen, gewinne aber den 100-Meter Lauf, weil ich die Punkte-Richter von mir überzeugen lasse? Genau das ist Werbung in der Marktwirtschaft. Zum Ausgleich hat Werbung keinen volkswirtschaftlichen Nutzen, außer dass sie das Wirtschaftswachstum ankurbelt. Letzteres aber nicht genug, das Problem müssen wir ohnehin anders lösen.

Werbung ist der Grund, dass Unternehmen um jeden Preis versuchen, alles, aber auch alles über jeden herauszufinden, zu speichern und weiter zu verarbeiten. So ist Werbung verantwortlich für gefährliche Informations-Ungleichgewichte (Wissen ist Macht). Werbung ist die zentrale Ursache dafür, dass Datenschutz so ein wichtiges Thema ist, dass wir bereit sind, dafür einen erheblichen Teil der digitalen Dividende zu opfern.

Sex sells

Ich vermute, dass Werbung auch für einen strukturellen Sexismus in unserer Gesellschaft verantwortlich ist. Wer schon mal mit einer schönen Frau unterwegs war weiß: Sie erregt Aufmerksamkeit. Ich behaupte, das steckt tief in unserer Biologie, damit müssen wir leben. Wie ich oben dargelegt habe, ist Aufmerksamkeit das vordergründige Ziel der Werbetreibenden. Daher dominiert in der öffentlichen Darstellung ein Frauenbild, dass auf seine aufmerksamkeitserregenden Aspekte optimiert ist. Auch die Politik scheint massiv davon betroffen zu sein. Zumindest vermute ich, dass dieser Wirkzusammenhang ursächlich für Marina Weisbands Klage ist:

In der Politik sind wenig Frauen, „weil die Zeitungen über sie nur berichten, was sie an haben, oder Heldenstories mit ihnen machen, wie sie sich als Frau durchschlagen. Weil sie erst auf politischer Linie total versagen müssen, ehe man anfängt, über das Inhaltliche zu sprechen. Weil sie unweiblich sein müssen, weil man sonst über ihre Frisuren spricht.

Ausverkauf der Demokratie

Noch gravierender sind natürlich die direkten Auswirkungen der Werbung auf die Politik. Lobbyismus ist nichts anderes als eine besondere Form von Werbung. Besonders ist dabei nicht die Wirkungsweise – Versicherungen zum Beispiel werden oft auf nahezu identische Art und Weise vermarktet – sondern das Produkt. Und die Effizienz. Das Produkt ist die Berücksichtigung der Interessen der Auftraggeber in der Gesetzgebung. Lobbyismus hat mittlerweile Ausmaße angenommen, die unsere Demokratie selbst ad Absurdum führen. Der Einfluss der Lobbyisten ist sehr viel größer als der der Wähler. Der Einfluss der Wähler sollte hierbei nicht mit dem Einfluss der Mainstream-Medien verwechselt werden, die sicherlich einen ähnlichen Einfluss haben wie die Lobbys.

Werbeverbot

All diese gravierenden Nachteile legen es nahe, Werbung zu verbieten. Dies umzusetzen wäre simpel. Schon heute gelten Werbeverbote für Alkohol und Tabak in zahlreichen Medien (im Fernsehen, bei Formel 1 Rennen usw.). Wenn Bedenken bestehen, dies könnte mit der Meinungsfreiheit in Konflikt geraten, ließe sich auch eine Form wie diese wählen: Es ist verboten, jemanden dafür zu bezahlen, einen dritten von etwas zu überzeugen. Zur hundert prozentigen Durchsetzung des Werbeverbots bedürfte es evtl. auch einer umfassenden Transparenz der Wirtschaft, für die wiederum eigene Argumente sprechen. Wie auch immer, einem Verbot stehen keine prinzipiellen Probleme entgegen.

Ohne Werbung

Es sind eher die zu erwartenden Konsequenzen, die Bedenken auslösen werden. Einerseits hängt ein ganz erheblicher Teil unseres Kulturschaffens am Tropf der Werbung. Dieser Teil unserer Kultur wäre durch ein Werbeverbot bedroht. Wie ich oben dargelegt habe, hat diese Finanzierungsform für Kultur aber sehr einseitige, nachteilige Folgen. Wie eine freie, bessere Kultur funktionieren könnte, habe ich unter anderem hier erörtert.

Wenn man von öffentlich rechtlichen Medien absieht, hängt quasi unser gesamter Journalismus von der Werbung ab. Auch dies hat, wie oben dargelegt, massive negative Konsequenzen. Doch ohne Werbung, gäbe es da gar keinen Journalismus mehr? Ich habe unter anderem hier erläutert, wie ein freierer, besserer Journalismus und öffentlicher Diskurs aussehen könnte.

Interessanter Weise müssen wir diesen alternativen Diskurs vervollkommnen, bevor wir überhaupt über die Umsetzung eines Werbeverbotes nachdenken können. Denn wie bereits dargelegt, hängt die große Mehrzahl der Medienwirtschaft und die komplette nicht-öffentlich-rechtliche Journaille am Tropf der Werbung. Etwas gegen diese Mutter aller Lobbys auszurichten, dürfte unmöglich sein.

Noch tiefgreifender wären die Folgen eines Werbeverbots für den Arbeitsmarkt. Kurzfristig würde ein solches Verbot zahlreiche Arbeitskräfte freisetzen. Zudem ist zu erwarten, dass die Wirtschaft in Ermangelung der omnipräsenten Konsumpropaganda zunächst schrumpft, was mittelfristig noch mehr Arbeitskräfte freisetzte. Doch wenn wir nicht glauben, dass wir das gesamte Wohl und Wehe unserer Gesellschaft dem unendlichen und exponentiellen Wachstum unser kaum kontrollierbaren, chaotischen Wirtschaft ausliefern sollten, dann müssen wir dieses Problem ohnehin lösen. Wie man das angehen könnte, habe ich hier erläutert.

Das Notwendige mit dem Nützlichen verbinden

Werbung hat also zahlreiche, tiefgreifende negative Auswirkungen auf unsere Gesellschaft. Werbung lässt sich zwar abschaffen, doch ist sie so tief mit unserem gesellschaftlichen System verflochten, dass diese Abschaffung allein einen bedeutenden Umbau unserer Gesellschaft implizieren würde. Doch diesen Umbau müssen wir ohnehin in Angriff nehmen, wenn wir unseren immer weiter beschleunigten Lauf mit dem Kopf gegen die Mauern dieses Planeten verlangsamen wollen. Und wenn wir dies endlich angehen, winkt uns eine bessere, humanere Organisation unseres Zusammenlebens.

Buchbesprechung: Toggle

Besprechung des Romans „Toggle“ von Florian Felix Weyh.

Bin ich käuflich? Natürlich. Lediglich der Preis hat mich überrascht: ein wenig heiße Luft mit der ich mein ohnehin beachtliches Ego noch etwas aufblasen darf. Ein Buch in meiner Post. Habe ich nicht bestellt, bestimmt für meine Frau. Nein, ist es nicht. Dabei ein Hinweis, dass es nicht vor dem 5.1.2012 zu besprechen sei. Ich bin ein ganz, ganz kleiner Stern am Blogger-Himmel. Wenns nicht irreführend wäre, schriebe ich „ein brauner Zwerg“. Ein Buch, genaugenommen eine „ACHTUNG! Gebundene Fahne“. Ohne Kommentar. Für den hochberühmten Blogger Thorsten „Schrotie“ Roggendorf (steht da nicht). „Bitte nicht vor dem 5. Januar 2012 besprechen“. Ich lese schon lange kaum Bücher. Keine Zeit. Natürlich habe ich das gelesen.

Kurzurteil, Maßstab

Nach dieser überflüssigen autoerotischen Einleitung mach ichs kurz: „Toggle“, ein Roman von Florian Felix Weyh (bei Amazon). Lesen? Ja! Wenn Sie mein Blog auch sonst mal lesen und zudem Roman-Rezensionen goutieren lautet die Antwort wahrscheinlich „ja“. Mein Maßstab für eine Empfehlung von Belletristik ist ihr Bezug zur Conditio Humana. Ein (fiktionales) Buch muss mir irgendetwas über den Menschen sagen. Es kann auch sprachlich herausragen, aber das trifft hier nicht im geringsten zu. Und es muss immerhin so minimal unterhaltend sein, dass ich durchhalte.

Kritik

Das Erstellen von moderner Unterhaltungsliteratur des Mainstreams ist keine Kunst. Es ist ein Handwerk, eins, das Weyh versteht. Kurze Kapitel, die gerne mit Cliffhangern enden. Mehrere Erzählstränge und Spannungsbögen von denen immer jeweils mindestens einer die Spannung hält. Reichtum, Jetset, Macht, Intrige, sinistre Weltverschwörung, pittoreske Ausflüge ins 18. Jahrhundert, ein, zwei Sprenkeln Sex. Das Übliche. Die Protagonisten sind flach, für Charakterentwicklung ist kaum Zeit zwischen den Spannungsbögen. Einzig eine Figur ist immerhin recht unterhaltsam. In ihr gelingt es Weyh, einige Aspekte der Hackerkultur zu destillieren. Dazu mischt er ein gerüttelt Maß an Spackeria was ihm vielleicht die Empfehlung des CCC kosten mag, seine Figur aber deutlich interessanter macht.

All dies macht das Buch hoffentlich einem größeren Publikum zugänglich. Denn die Hauptrolle spielen nicht Menschen. Sondern eine Formel. Jeder Autor weiß, dass er mit jeder Formel die Hälfte seiner an dem Punkt verbliebenen Leserschaft verliert. Und Weyh gelingt es, ein ganzes Buch über eine hypothetische Formel zu schreiben, dabei kontinuierlich zu unterhalten und mutmaßlich niemanden zu verschrecken. Auf die konkrete Formel – den Algorithmus – kommt es dabei nicht an.

„Toggle“ muss man wissen ist Google. Das „Toggle“-Logo auf dem Umschlag lässt daran nicht den geringsten Zweifel. Ähnlich subtil sind zahlreiche andere Bezüge auf reale Personen und Unternehmen in Weyhs Buch.

Toggle und Myface (Facebook) messen uns Menschen. Sie messen uns einen Wert zu. Und das ist beileibe nicht nur unser Wert fürs gezielte Marketing, wie Weyh anschaulich verdeutlicht: „In Myface […] bekommt man Aufmerksamkeit zugeteilt und […] auch seinen politischen und […] menschlichen Wert.“ Das ist nichts, was der Autor um seinen Plot herum konstruiert, sondern die Realität hier im Netz (Stichwort „Aufmerksamkeitsökonomie„). Und natürlich gibt es nicht nur unseren persönlichen politischen Wert sondern ebenso den der Unternehmen, denn „Toggle bestimmt die Realitätswahrnehmung der Wähler“ (man „toggle“ mal „Filterblase“ zu dem Thema). In diesem Spannungsfeld entwickelt Weyh verschiedene Dystopien/Utopien, die von bekannten Strömungen im Netz abgeleitet sind. Und im Gefecht seiner Protagonisten versteckt sich eine recht differenzierte Erörterung dieser Ideen.

Doch letztendlich sind heute Herrscher wie Beherrschte der eigentümlichen Dynamik des Netzes ausgeliefert. So legt Weyh einem seiner Protagonisten in den Mund, „[…] dass Machtfragen Resonanzfragen sind“. Und deshalb macht es langfristig auch keinen Sinn, uns ein Gesellschaftssystem aufzuzwingen. Auch nicht, wenn man das noch so clever anstellt: „Und welchen Stellenwert nimmt die Intelligenz dabei ein? […] Denselben wie im Leben […] Den einer unwillkommenen Störvariablen.“ Danke auch für diese Wahrheit, die unsere Gesellschaft so gar nicht hören will.

All dies nimmt nur einen ziemlich kleinen Teil des Romans ein. Die Hauptrolle spielt die Unterhaltung. Die ist immerhin ganz unterhaltend und vermeidet weitgehend zu groben Stuss der technikaffinen Lesern die Fußnägel aufrollen würde. Ganz ohne geht es natürlich nicht. Prominentes Beispiel ist die Auflösung des Technik-Dilemmas des Buchs. Dafür ist eben dieser Punkt eine elegante dramaturgische Wendung. Gegen so etwas zieht technische Plausibilität wohl immer den Kürzeren.

Fazit

Das Buch kann sich in vielem mit dem messen, was so die Bestsellerlisten bevölkert. Es enthält zudem sehr interessante und hochrelevante Gedanken übers Netz und seine Bewohner, die differenziert dargelegt werden. Für mich ist „Toggle“ ein Gewinn und ich wünsche ihm ein großes Publikum.

Postjournalismus, Postprivacy

Das Video eines prügelnden Richters – von seiner Tochter, dem Opfer aufgezeichnet – illustriert das Ende der Privatheit und die Anfänge des postkommerziellen Journalismus.

Achtung, dieses Video ist starker Tobak. Es zeigt die Misshandlung eines 16 jährigen Mädchens durch ihren Vater und ihre Mutter. Es zeigt auch einen Richter – den Vater – mit offensichtlich bestürzendem Urteilsvermögen. Das Video ist nicht zuletzt ein Dokument des schleichenden Endes der Privatheit und ein frühes Dokument (es ist von 2004) des postkommerziellen Journalismus.

Postprivacy

In meinem Haushalt gibt es zwei Smartphones mit Audio/Video, es gibt eine klassische Videokamera, einen Fotoapparat mit rudimentärer Videofunktion und bald bekomme ich eine Webcam. Das sind vier vollwärtige Audio/Video Aufzeichnungssysteme und wenn meine Kinder älter werden, werden es wahrscheinlich noch zwei mehr. Das unten verlinkte Video illustriert einen (positiven) Aspekt der so einziehenden Postprivacy: Es wird schwerer Barbarei hinter bürgerlicher Fassade zu verstecken. Wer sich für mehr meiner Gedanken über Postprivacy interessiert, sei auf diesen Artikel verwiesen.
Im zweiten Teil erweitere ich zeitgenössische Postprivacy-Entwürfe um ein juristisch garantiertes Recht auf Pseudonymität.

Postjournalismus

Wenn jeder jederzeit eine Videokamera in der Tasche hat, ändert sich das „Geschäftsfeld“ des Journalismus grundlegend. Ich hoffe es verschwindet komplett. Das Video wurde von der Tochter des Richters aufgezeichnet und (wohl lange nach der Misshandlung) veröffentlicht. Da es das unzulängliche Urteilsvermögen eines Richters dokumentiert, ist es von eminentem öffentlichen Interesse. Es wurde über zahlreiche Blogs und soziale Netzwerke verbreitet. Es gibt jetzt eine offizielle Untersuchung des Falls und der Richter verliert möglicherweise sein Amt. Es handelt sich um eine Straftat, die aber verjährt ist. Mehr Details z.B. hier.

Dies ist ein ziemlich klarer geradliniger Fall. Es gibt ein Dokument, das die komplette Problematik deutlich illustriert, das wurde über die üblichen Kanäle verbreitet, nun ist es öffentlich und Konsequenzen bahnen sich an. Oft besteht Journalismus aber darin, dass viele Fakten zusammengetragen werden. Auch hierfür gibt es Beispiele. Hier habe ich z.B. auf eine Analyse von Cablegate Depeschen durch einen Blogger hingewiesen. Diese Analyse fördert meiner Ansicht nach Erschütterndes zutage.

Die Allgegenwart von Aufzeichnungsmitteln, Twitterern und Suchwerkzeugen wird uns in Zukunft auch deutlich komplexere – und kooperative! – Recherchen und Analysen durch Amateure bringen, zahlreiche Ansätze sind bereits erkennbar. Ich halte das für eine durchweg positive Entwicklung. Hier zeichne ich das Bild eines künftigen freien Journalismus etwas ausführlicher.

Freie Videoschau

Wäre unsere Kultur ohne Urheberrecht verloren? An konkreten Beispielen zeige ich, dass unsere Kultur schon heute keineswegs auf das Urheberrecht angewiesen ist.

Ohne umfangreichen rechtlichen Schutz ihrer Urheber wäre unsere Kultur mehr oder weniger am Ende. Dieser Ansicht ist die breite Mehrheit unserer Bevölkerung. Hier wird an ganz konkreten Beispielen gezeigt, was wir verlören und was wir gewännen wenn wir wie zur Zeit der großen Dichter und Denker (und Komponisten) aufs Urheberrecht verzichteten.

Zunächst ein mal: Unsere Kultur ist gar nicht sooo unglaublich toll. Es gibt auf diesem Planeten tausende anderer Kulturen, die kulturell Großes leisten. Diese anderen Kulturen nutzen das Urheberrecht weniger als wir zur aggressiven Vermarktung und werden folgerichtig nach und nach von uns ausgelöscht. Nur die Größten und Stärksten setzen sich durch, und manchen hilft ein Zufall.

Audio

Das einzige in dem unsere Kultur wohl unübertrefflich ist, ist unsere Arroganz. Noch heute gilt hier beispielsweise das Belcanto als Zenit gesanglicher Virtuosität. Diese Gesangstechnik war unter anderem von der Notwendigkeit geprägt, Opernsäle unverstärkt mit der Stimme zu beschallen und sich dabei gegen ein ganzes Orchester durchzusetzen. Bis heute ist das rhythmische Repertoire klassischer Sänger vergleichsweise primitiv. Sie nutzen von den Ausdrucksmöglichkeiten der Stimme lediglich jenen Bruchteil, der sich in glasklaren lauten Tönen darstellen lässt – eben jenen Teil, der im natürlichen Ausdruck von Menschen die geringste Rolle spielt.

Wer heute nach gesanglicher Virtuosität sucht, der muss weit über unseren Kulturkreis hinausgehen. Einer der größten Gesangsvirtuosen unserer Zeit war der 1997 verstorbene (Sufi) Qawwali-Sänger Nusrat Fateh Ali Khan. Wir haben ihn sogar ordentlich mit Preisen überhäuft. Aber kennen tut ihn natürlich keine Sau. Hier gibt’s ein Video (eigentlich Audio). Ich habe das nach der Zugänglichkeit für westliche Ohren ausgewählt, nicht nach der dokumentierten Virtuosität.

Video

Eigentliches Thema dieses Artikels ist jedoch nicht allgemeines Kultur-Bashing. Ich nehme mir eine Folge der Telepolis Video-Schau, und analysiere einige der verlinkten Videos auf ihren Hintergrund und kulturellen Gehalt. Meine Auswahl ist natürlich davon gelenkt, dass ich demonstrieren möchte, dass freie Kultur eben nicht unterlegen ist. Doch ist die Kritik an kommerziellen Medienerzeugnissen eins zu eins auf die große Mehrzahl kommerzieller Medienerzeugnisse verallgemeinerbar. Und durch die Beschränkung auf genau eine Folge der Telepolis Videoschau verdeutliche ich, dass kulturelle Signifikanz in freien Medienerzeugnissen keine Riesen-Ausnahme sein kann.

Wir starten mit einem kommerziellen Erzeugnis. Stephen Colbert ist ein sehr erfolgreicher US-Komiker. Dies ist ein Ausschnitt aus einer seiner Shows. Er wärmt einen Gag mit Siri, Apples neuem sprachgesteuerten Assistenten im iPhone, auf, der schon vorher erfolgreich von anderem im Netz lanciert wurde. So streicht Colbert ohne großen finanziellen Aufwand (Gag-Autoren) ein paar sichere Lacher ein. Das ganze wird natürlich in einer Professionalität präsentiert, die von Amateuren kaum zu leisten ist.

The Won Ton Soup“ von Boo Ya Pictures ist ein Mischprodukt. Die Firma lebt offenbar vom Dreh kleinerer Projekte – z.B. Musikvideos – das hier besprochene Video wurde aber wohl nicht aus unmittelbaren finanziellen Interessen gedreht. Über die Motive der Macher kann ich nur spekulieren, sie mögen von Leidenschaft getrieben sein, stellen es aber sicher zur Aufmerksamkeitsgenerierung für ihr Geschäft ins Netz. Musikvideos wiederum, von denen Boo Ya Pictures lebt, dienen ebenfalls nur der Aufmerksamkeitsgenerierung. Das Geld kommt für die Musiker hauptsächlich aus Konzerten (wäre also nicht vom Auslaufen des Urheberrechts bedroht) und für die Labels aus Plattenverkäufen. Letzteres hängt am Urheberrecht. The Won Ton Soup zeigt immerhin eine originelle Idee, die recht professionell umgesetzt wird.

Gänzlich frei ist hingegen „I’m the bomb“. Feraz Ozel, der Macher, ist ebenfalls US-Comedian. Doch dieser lebt von seinen Auftritten und nutzt das Video ebenfalls zur Aufmerksamkeitsgenerierung. Das Video ist originell, witzig, gut präsentiert und problematisiert den gallopierenden Antiislamismus – bisher eindeutig das stärkste Video in diesem Review.

Wiederum kommerziell ist „Lord Monckton“ von „The Hamsterwheel“ einer australischen Comedy-Truppe. Das Video unterstellt, dass der bekannte Klima-Skeptiker Lord Monckton in Wahrheit eine von Sascha Baron Cohen geschaffene Kunstfigur ist. Den Machern ist es sogar gelungen, Lord Monckton für ein Interview zu bekommen, in dem der Interviewer so tut, als hätte er es mit dem verkleideten Sascha Baron Cohen zu tun. Ich sage es ungern in diesem Artikel, aber dieses Video ist ein kleiner Geniestreich.

The Gamers von Dead Gentlemen productions scheint ein Hobby-Projekt zu sein, sicher bin ich aber nicht. Das Video ist einigermaßen originell und bietet Einblick in die weithin unbekannte Subkultur der Pen-and-Paper-Rollenspieler. Unterstellt, dass es sich um ein Hobby-Projekt handelt, hat das Video eine sehr ordentliche Qualität. Ich habe es mir übrigens nicht in voller Länge angetan.

Gänzlich kommerziell ist „Angry Birds Seasons Ham’O’Ween“. Es handelt sich um eine Mini-Zeichentrick-Geschichte die als Werbung für das Spiel „Angry Birds“ dient. Die Story ist sturzblöd und die Optik ist von Tim Burton geklaut. Das ganze natürlich auf höchstem technischen Niveau.

Ein völlig anderes Kaliber ist „I live in the Woods“  von Max Winston. Er hat das Video als Student gedreht und es mit einem Stipendium (hinterm Link auf Award winners/alphabetically/W/runterscrollen/Max Winston, ist leider nicht direkt verlinkbar) finanziert. Es kann somit als völlig unabhängig vom Urheberrecht gelten. Das Video besticht durch eigene Optik und Stilistik, rasante Entwicklung und verstörenden Inhalt. Ein Kurzfilm auf höchstem Niveau.

Google steuert auch etwas bei. Aus Street View wird Rail View, nett anzusehen, gut gemacht, Werbung für Google. Ich habe es hier reingenommen, weil es eine (kommerzielle) Doku ist.

So kann ich Googles Beitrag diesem Meisterwerk der Piratenpartei gegenüberstellen. Ich weiß nicht so recht, was sich die Macher dabei gedacht haben. Es soll wohl auch Werbung für die Piraten sein (aber da ist natürlich nichts kommerzielles und mit Urheberrecht hat das absolut nichts zu tun). Ursprünglich war es als Interview mit Fabio Reinhardt gedacht, der soeben für die Piraten ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen ist. Doch dann kam unverhofft Regine Feldewert dazu und es entspann sich ein Dialog zwischen ihr und Reinhardt. Zur Bewertung dieses Videos sollte man sich klarmachen, dass Olli Dittrich für „Dittsche“ (zurecht) unter zahlreichen Preisen auch den Adolf Grimme Preis erhielt. Regine Feldewert hat etwas, was Dittsche fehlt: Sie ist echt. Das allein macht dieses Video schon absolut sehenswert. Hinzu kommt noch, dass es ausgerechnet von den Piraten lanciert wird, die vor allem für Bürgerbeteiligung und Basisdemokratie stehen. Wie es sich für ein Kulturgut von Rang gehört, eröffnet dieses Video zahlreiche Lesarten:

  • Werbung für die Piraten
  • Anti-Werbung gegen die Piraten
  • Diskreditierung der CDU
  • Bloßstellung und Verachtung der Wähler
  • Schonungslose Transparenz
  • Schlichte Dokumentation
  • Information über die Piraten

Ich nehme es als in jeder Hinsicht absurdes Gesamtkunstwerk.

http://www.youtube.com/watch?v=IPOAXYvs1cw