Postpostprivacy – Teil 1

Eine kritische Auseinandersetzung mit den heutigen Datenschutzbestrebungen

Als ich 2002 den ersten Entwurf von Extreme Governing schrieb (damals noch unter dem Namen „German Public License“) war dies – unter anderem – ein radikaler, vollkommen kompromissloser Postprivacy Entwurf. Der Begriff war mir damals natürlich nicht bekannt. Mein nächster Entwurf – diesmal als „Extreme Governing“ – war in dieser Hinsicht schon etwas milder. Heute, bald eine Dekade später, haben andere den Begriff „Postprivacy“ etabliert. Er ist als Begriff, wenn auch sicher nicht als Überzeugung, im Mainstream der einschlägigen Kreise angekommen. Ich versuche nun, die entsprechenden Aspekte von Extreme Governing weiter zu entwickeln und Lösungsansätze für die Probleme des Datenschutzes und der Postprivacy anzureißen.  Dieser erste Teil ist eine kritische Auseinandersetzung mit den heutigen Datenschutzbestrebungen, im zweiten Teil zeige ich Alternativen auf.

Die Akteure

Wenn man die wenigen Postprivacy-Advokaten mitzählt, gibt es fünf wichtige Gruppen in der Diskussion um unsere Privatheit, den Umgang mit den uns betreffenden Informationen:

  • Wirtschaftliche Unternehmen suchen möglichst umfangreichen Zugang zu unseren Daten. Sie möchten diese Daten umfassend erheben, verarbeiten, auswerten und handeln. Letztendlich sollen die Daten meist dazu genutzt werden, wirtschaftliche Produkte möglichst effizient zu vermarkten. Bei uns kommen diese Bemühungen meist als Werbung an. Unternehmen versuchen meist umgekehrt, ihre eigenen Informationen möglichst geheim zu halten und nur streng dosiert und gezielt über ihr Marketing zu veröffentlichen. Die Motivation von Unternehmen ist letztlich immer, Geld zu verdienen.
  • Die Exekutive des Staates möchte für den Fall des Falles Zugriff auf alle uns betreffenden Information. Diese sollen möglichst schon in Datenbanken aufbereitet und für den schnellen Zugriff und die Suche von Verdächtigen nach beliebigen Kriterien abfragbar sein. Ziel der Exekutive ist die Gewährleistung der inneren Sicherheit.
  • Datenschützer sind moderne Bürgerrechtler. Sie versuchen sich den einschlägigen Interessen der Unternehmen und staatlicher exekutiv-Organe entgegen zu stellen. Ihr Ziel ist, dass wir selber entscheiden können, was mit unseren Daten geschieht. Dieses Ziel wird auch „informationelle Selbstbestimmung“ genannt. Datenschützer handeln meist aus ideellen und teils altruistischen Motiven.
  • Politiker versuchen einen Interessenausgleich zwischen obigen Parteien herzustellen. Die wichtigste Informationsquelle, die Politiker zur Entscheidung jedweder Sachverhalte nutzen, sind immer wirtschaftliche Unternehmen durch ihre Lobbyisten. Viele Wähler interessieren sich auch nicht sonderlich für Datenschutz, daher ist die Position der Datenschützer relativ schwach. Die innere Sicherheit interessiert die Bürger hingegen sehr, da die Medien einschlägige Propaganda in einer Dauerschleife darbieten. Politiker wollen vor allem wieder gewählt werden.
  • Die Postprivacy-Advokaten glauben an eine bessere Zukunft in der Datenschutz nicht mehr notwendig ist und eine Gegenwart in der er auch nicht mehr möglich ist. In dieser Welt, die nach dem geschichtlich kurzen Intermezzo der Privatheit kommt, kann jeder alles über jeden erfahren. Postprivacy-Advokaten sind ebenfalls Idealisten – allerdings i.d.R. deutlich jüngere als die Datenschützer – die jedoch zu der Überzeugung gelangt sind, dass Datenschutz nicht umsetzbar ist.

Bruderzwist

Nun könnte man ja annehmen, dass die Idealisten sich irgendwie zusammenraufen und sich jeder auf seine Art dem Imperium entgegenstellen. Doch weit gefehlt. Constanze Kurz beispielsweise, CCC Sprecherin und bekannte Datenschützerin, titulierte die unliebsamen Jungidealisten als Spackos und prügelt beispielsweise hier gänzlich unentspannt auf ihnen rum. Eins zu null für das Imperium. Naja, genau genommen steht es ganz erheblich mehr als eins zu leider kaum mehr als null.

Was geschieht dort? Die Datenschutzbewegung ist schon etwas älter, sie hat mit zunehmender Vernetzung an Bedeutung gewonnen. Als Startpunkt kann man die Popularisierung des Internets durch die Erfindung des WWW 1992 annehmen – natürlich gab es das alles vorher schon, doch es war kein Phänomen, das jeden ständig in der heutigen Weise betraf. Datenschützer, insbesondere diejenigen, die über größeren Einfluss in der öffentlichen Debatte verfügen, sind meist nicht mehr ganz so jung. Sie durften auch schon mal ein bisschen an den Pfründen der Macht schnüffeln, wofür sie Jahre, teils Jahrzehnte gekämpft haben. Über den Großteil ihrer Laufbahn waren Datenschützer unerschütterlich überzeugt, dass Datenschutz richtig (the right thing TM) ist und alles andere böse. Und das gesamte Umfeld der Datenschützer – zumindest der Teil, der fachlich einigermaßen mithalten kann – stimmte dem zu.

Da haben sie sich also nun endlich etwas etabliert, dürfen sogar mal bei den richtigen Politikern in einer Kommission sitzen, und dann kommen diese jungen Spackos, behaupten glatt das Gegenteil von allem woran die Datenschützer glauben … und? UND? Werden gehört, geben Interviews im Spiegel, bekommen haufenweise Airtime. Zum kotzen. Spackos. Leider ist nicht zu erwarten, dass der Zorn der Datenschützer irgendwann verfliegt und sie dann gemeinsame Sache mit den Spackos machen. Denn Überzeugungen einer gewissen Tiefe verfliegen nicht so schnell. Aber der Spackos sind ja nicht so viele, marginalisieren wir sie also.

Von Spackos, Technophilen und Normalos

Da ist nur ein Problem. Die Spackos haben recht (die Argumente sind z.B. hier sehr gut zusammengefasst). So sehr sich manche von ihnen auch informationelle Selbstbestimmung wünschen, der Zug ist abgefahren. 500 Mio. Facebook-Nutzer sind nur die Spitze des Eisberges. Alle paar Wochen gibt es irgendwo Datenlecks gigantischen Ausmaßes. Aber selbst das ist nur das Rascheln im Blätterwald. Normale Menschen (im Gegensatz zu technophilen Knallköpfen wie mir, den Spackos oder den Datenschützern) sind mit Payback, Adsense und was weiß ich nicht noch alles bereits so transparent, dass man sich schon etwas wundern könnte, in was für einer Fantasiewelt Datenschützer so leben. Ein erschütterndes Beispiel für den Stand der Technik, findet sich in der hier besprochenen Preisliste für persönliche Daten.

Es ist eben die Fantasiewelt der Technophilie. Der unerschütterliche Glaube an die Beherrschbarkeit der Technik. Die überwältigende Mehrheit der Datenschützer ist stark Technik-affin. Sie wissen was ein Cookie ist und sie beherrschen ihre Cookies. Was für Normalos ziemlich schräg klingt ist für Technophile Alltag – und Voraussetzung für die informationelle Selbstbestimmung. Wenn Sie, lieber Leser, Cookies für Kekse halten, gibt es für Sie keine informationelle Selbstbestimmung. Und Cookies sind natürlich erst der Anfang, das A eines ziemlich langen Alphabets. Datenschützer sind Bürgerrechtler, die leider die Bürger aus den Augen verloren haben.

Freiheit

Datenschutz muss immer die Errichtung von Informationsschranken bedeuten. Diese Schranken sind ein Hemmnis für den Fluss des Rohstoffes der Informationsgesellschaft. Datenschutz ist immer eine Einschränkung. Als solcher eröffnet er niemals Chancen sondern verbaut diese nur. Es ist schon fraglich ob der angenommene Nutzen der informationellen Selbstbestimmung die so vergebenen Potentiale aufwiegt. Wichtiger noch ist aber, dass der Datenschutz die Natur der von ihm errichteten Schranken verkennt: es sind Schranken, die nur die Unbedarften beschränken. Garstge Hacker umgehen sie technisch, mächtige Unternehmen umgehen sie juristisch oder geografisch, finstere Regime umgehen sie wie es ihnen gerade passt. Technophile Datenschützer, die uns ausgefeilten Datenschutz empfehlen, sind ein bisschen wie Steuerberater, die uns ein kompliziertes Steuerrecht empfehlen – letzere helfen Unbegüterten so wenig wie erstere den Technophoben. Solche Regeln nutzen am Ende immer den Falschen.

Die Leute, die sich für Datenschutz einsetzen, sind tendenziell die selben, die sich für Informationsfreiheit mindestens in Form der Privatkopie und in der staatlichen Administration einsetzen, die den Einsatz freier Software propagieren, die für Netzneutralität und gegen jegliche Form einer Netz-Zensur-Infrastruktur (z.B. Kinderpornosperren) sind, die sich gegen Software-Patente und Gängelung durch missratene Urheberrechte und die Content-Mafia (= Rechteverwerter) wehren. Die meisten Datenschützer setzen sich in praktisch allen Belangen für Informationsfreiheit und -Gleichheit ein. Nur bei persönlichen Daten plädieren sie für eine das gesamte Informationsnetz bis in die Spitzen durchdringenden Zensur-Infrastruktur, Copyright-Regelungen, Schranken, Sperren, Verbote, Überwachung, Sanktionen. Felix „Fefe“ von Leitner schreibt in seinem Blog regelmäßig über kognitive Dissonanzen bei den von ihm Geschmähten, empfindet aber selbst den oben dargestellten Widerspruch in seinen Rants nicht im Geringsten.

Datenschutz wäre – wenn er denn überhaupt mehr als das löchrige Alibi wäre, das er heute abgibt – bestenfalls ein Schutz für die kleine aber wirkmächtige Minderheit der Technophilen. Diese Minderheit kämpft für den Datenschutz in weitgehender Ignoranz der Lebenswirklichkeit ihrer weniger nerdigen Mitbürger und kompromittiert dafür das einzige Ziel, für das wir Machtlosen je erfolgreich gekämpft haben: die Freiheit.

Der Wunsch nach Datenschutz entspringt jedoch einem gerechtfertigten Bedürfnis. Im zweiten Teil stelle ich dar, wie diese Bedürfnisse befriedigt werden können, ohne die breite Bevölkerung links liegen zu lassen und dabei jedoch im Einklang mit dem Wunsch nach Freiheit zu bleiben.

Kultur in Ketten

Wir kriminalisieren unser Kultur und mit ihr u.a. unsere Kinder. Die Gründe die dafür angeführt werden waren früher schon falsch, heute sind sie absurd.

Wir haben uns die Ketten selbst angelegt. Genau genommen waren es unsere Vorfahren. Doch auch heute zweifeln eher wenige daran, dass wir diese Ketten brauchen. Haben Sie vielleicht Kinder? Teenager? Oder bist Du vielleicht ein Teenager oder unter etwa 25? Dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Ihre Kinder oder eben Du selbst kriminell sind/bist.

Da wäre natürlich  unsere absurde Drogenpolitik, mit der die USA die Population ihrer Gefängnisinsassen größer hält als die ihrer Universitäten. Die Politik mit der wir Mexiko in einen Drogenkrieg getrieben haben, den es nicht gewinnen kann. Doch darum wird es in einem anderem Artikel gehen. Hier geht es um unsere Kultur, um Musik, Kunst, Literatur, Film usw.

In Ihrem Haus oder in Ihrer Wohnung befinden sich mit großer Wahrscheinlichkeit sogenannte Raubkopien. Abgesehen davon, dass sie sich so natürlich erheblichen zivilrechtlichen Forderungen aussetzen können – in den Medien hat z.B. der Fall von Jammie Thomas eine gewisse Aufmerksamkeit erhalten – machen Sie sich strafbar. Die sympathischen Hinweise auf bezahlten DVDs („Raubkopierern“ bleibt dieses zweifelhafte Vergnügen oft erspart) sind tatsächlich ernst gemeint. Ein großer Teil der Bevölkerung der westlichen Welt besteht aus Kriminellen. Ein Viertel des Datenverkehrs im Internet ist offenbar kriminell, weil dieses Viertel der Verbreitung unserer Kultur dient. Die meisten tragen ihre Ketten gerade nicht, aber sie könnten jederzeit angelegt werden. Denn die Ketten sind Teil unserer Kultur.

Und damit sind wir bei unseren Vorfahren. In Deutschland haben wir die wichtigsten Schritte 1837 in Preußen und dann 1871 im Deutschen Reich getan. Heute glauben die meisten Menschen, dass die Kriminalisierung der Kultur-Verbreitung eine notwendige Voraussetzung für die wirtschaftliche Schaffung von Kultur ist. Das wird uns ja auch ständig von Lobbyisten und ihren Politikern eingebläut. Doch dies ist eine bewusste oder unbewusste Lüge.

Dieser erhellende Vergleich der Situationen in Deutschland vor Einführung des Urheberrechtes und der Situation in England wo es damals schon Copyright gab, ist sehr aufschlussreich. Es gab sehr viel mehr Bücher in Deutschland, der Büchermarkt war sehr viel vielfältiger sowohl in der Breite wie in der Tiefe und die Autoren verdienten im Schnitt sehr viel besser. In England gab es weniger Verlage, die weniger Bücher verlegten. Diese wenigen Verlage hatten aber höhere Gewinnmargen. Nur Top-Autoren verdienten besser als vergleichbare Autoren in Deutschland.

Das Copyright schützt also offenbar nicht die Schöpfer der Kultur. Ganz im Gegenteil, vielmehr schützt es die überhöhten Gewinnmargen derjenigen, die unsere Kultur finanziell abschöpfen. In der Musik sieht es ganz ähnlich aus. Die überwältigende Mehrheit der Musiker lebt nicht von CD Verkäufen. Die allermeisten sind vor allem Musiklehrer. Dann gibt es auch nicht wenige, die mit Auftritten einiges verdienen. Selbst viele Mega-Acts verdienen an Auftritten mehr (als genug), mehr als durch CD-Verkäufe.

Allerdings ist gerade die musikalische Kultur massiv durch die Kriminalisierung ihrer Verbreitung beeinträchtigt.  Wenn Musiker die Ideen anderer Musiker übernehmen und weiter entwickeln und -verbreiten werden ihre Auftrittsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt. Denn für viele kleinere Etablissements ist der unverhältnismäßige Aufwand der Erfüllung der GEMA-Auflagen bürokratisch wie finanziell nicht tragbar. Auch die Verbreitung ihrer Musik ist natürlich eingeschränkt. Selbst wenn die Musiker, die sich von anderen inspirieren ließen, ihre Musik verschenken wollen ist das nicht mehr möglich.

Es genügt nicht einmal ein Stück quasi neu zu erfinden. Selbst wenn Musiker Rhythmus, Tempo, Tonart und Sound eines Stückes komplett ändern sowie Text und Melodie deutlich variieren haben sie das Stück nicht von den Ketten des ursprünglichen Autors befreit. Das gilt natürlich auch, wenn die ursprüngliche Version völlig unbekannt ist und als wenig originell gelten darf während das „Plagiat“ eine große Schöpferische Leistung darstellt.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wäre unsere Kultur heute sehr viel ärmer, wenn schon immer so ein irrsinniges Urheberrecht gegolten hätte wie heute. Denn Kultur lebt gerade davon, dass Ideen von anderen Künstlern weiter entwickelt werden. Kulturelle Leistungen kommen niemals aus dem nichts. Dabei ist es völlige Willkür, was geschützt ist – in der Musik z.B. im Wesentlichen Text und Melodie. Sound-Tüftler beispielsweise gehen da eher mal leer aus. Es kann gut sein, dass sich gerade aus diesem Grund unsere Musik in den vergangenen Jahrzehnten vor allem im Bereich Sound weiterentwickelt hat.

Dabei würde sich für kaum einen Musiker etwas wesentliches ändern, wenn wir aufhören würden unsere Kinder – die offenbar kulturbegeisterter sind als wir – wegen der Verbreitung unserer Kultur zu kriminalisieren. Denn kaum ein Musiker lebt hauptsächlich vom Verkauf seines sogenannten geistigen Eigentums. Anders ist dies zum Beispiel bei Autoren und Filmschaffenden.

Wer sich eingängiger mit Youtube beschäftigt muss zu dem Schluss kommen, dass das Ende der kriminalisierten Kultur-Verbreitung nicht das Ende des Films wäre. Die meisten Clips sind dort kurz doch es gibt durchaus auch längere Filme. Die hochwertigsten sind oft Arbeiten von Film-Studenten und erreichen teils ein erstaunliches Niveau. Es gibt Dokumentationen, Propaganda, Unterhaltung jeder Art, Musik, Sport (insbesondere im Bereich E-Sports auf teils beachtlichem Niveau) Kunst usw.

Natürlich kann all dies technisch nicht mit den Top-Produktionen auf Hollywood mithalten. Cineastisch habe ich auch nichts gesehen, was mit den besten Filmemachern mithalten kann. Doch hier sind zwei Dinge zu beachten. Technisch können die besten freien Produktionen durchaus mit professionellen Produktionen von vor 10 bis 20 Jahren mithalten. Der technische Fortschritt erlaubt es heute mit einem Hobby-Budget Dinge zu produzieren, die vor einigen Jahren Millionen verschlungen haben. Es ist nicht an zu nehmen, dass dieser Prozess ein plötzliches Ende finden sollten. Das heißt aber, dass eine Entkriminalisierung unserer Kultur den Film technisch höchstens um ein paar Jahre zurückwerfen würde.

Wichtiger noch ist aber dieser Punkt: die wahren Filmverrückten arbeiten heute vielfach beim Film. Würden wir aufhören, unsere Kultur zu kriminalisieren, würden all diese Verrückten aufhören, Filme zu machen? Wohl kaum. Vielmehr ist an zu nehmen, dass freie Filme teils professioneller würden. Die Lücke zwischen heutigen professionellen und künftigen freien Werken würde sich also technisch verkleinern und vom cineastischen Anspruch wohl möglich egalisieren. Das gleiche gilt für Musik-Produktionen.

Oben wurde bereits auf diesen verblüffenden Artikel verwiesen, wo dargelegt wird, dass die historische Kriminalisieren der Kulturverbreitung den aller meisten Autoren schwer geschadet hat. Heute ist leider nicht an zu nehmen, dass eine Befreiung der Kultur den Autoren entsprechend nützte. Vor der Kriminalisierung unserer Kultur konnten die Verlage ihren zeitlichen Vorsprung und geschickte Marktplatzierung nutzen um sich vor Plagiaten zu schützen. Heute lässt sich die Duplikation voll automatisieren und praktisch ohne Investitionen und Zeitverluste durchführen.

Aggregatoren könnten beliebige Inhalte bei sich versammeln um aus dem resultierenden Traffic Werbeeinnahmen zu generieren. Dies ist ein weiterer Grund, Werbung zu verbieten. Ich bin bereits verschiedentlich auf andere Gründe eingegangen. Wichtig ist es, das Verbot so zu formulieren, dass freie Rede in keiner Weise beeinträchtigt wird. Wenn dieses Hindernis beseitigt ist, gibt es keinen Grund mehr, Kultur zu stehlen. Doch die wirtschaftliche Verwertbarkeit von Geschriebenem ist auch dahin – wenn man mal von modernen Ansätzen wie Crowd-Sourcing absieht. Doch hier muss sich erst noch erweisen, ob das langfristig besteht.

Aber es gibt noch einen Unterschied zwischen der Zeit vor der Kriminalisierung unserer Kultur und der Zeit danach: Damals war der Arbeitsaufwand für die Beschaffung des Lebensunterhalts eines Menschen sehr viel höher und die Fähigkeit zu schreiben, sowie auch die fachliche Qualifikation zum Verfassen von Fachtexten sehr viel seltener. Heute haben sehr viele hoch qualifizierte Menschen so viel Freizeit, dass sie einen nie dagewesenen Tsunami von Geschriebenem über uns hereinbrechen lassen.

Das selbe gilt für alle andere Formen von kriminalisierter Kultur: sie ist keine begrenzte Ressource mehr. Marktwirtschaft ist gut in der effizienten Verarbeitung begrenzter Ressourcen. Doch in unseren kulturellen Gütern ist die Marktwirtschaft heute völlig fehl geleitet. Denn diese Güter sind heute reichlich vorhanden, es ist völlig unmöglich, die Grenzen des ständig neu geschaffenen zu erkunden, denn diese Grenzen entfernen sich schneller als irgendjemand lesen, hören oder sehen könnte. Wir können jetzt aufhören, unsere Kinder, ein viertel des Datenvolumens und unsere Kultur an sich zu kriminalisieren. Denn selbst die fadenscheinigen Begründungen, die einmal dafür herhalten mussten, sind heute offensichtlich absurd.

Qualeaktäts Journblogismus

WikiLeaks oder ähnliche Projekte können Bausteine einer völlig anderen Medienlandschaft sein, als wir sie heute kennen. Der selbst proklamierte Qualitäts-Journalismus zeigt sich gerade jetzt zur Veröffentlichung der Cablegate Depeschen wieder überwältigt von der eigenen Bedeutsamkeit. Eine freiheitliche Welt ohne diese nachgerade übermenschlichen Welterklärer ist für selbige nicht vorstellbar. Für mich schon. In der Tat kann ich mir eine freie Welt besser ohne sie als mit ihnen vorstellen.

WikiLeaks oder ähnliche Projekte können Bausteine einer völlig anderen Medienlandschaft sein, als wir sie heute kennen. Der selbst proklamierte Qualitäts-Journalismus zeigt sich gerade jetzt zur Veröffentlichung der Cablegate Depeschen wieder überwältigt von der eigenen Bedeutsamkeit. Eine freiheitliche Welt ohne diese nachgerade übermenschlichen Welterklärer ist für selbige nicht vorstellbar. Für mich schon. In der Tat kann ich mir eine freie Welt besser ohne sie als mit ihnen vorstellen.

Journalismus wird heute überwiegend durch Werbung finanziert. Der andere wesentliche wenn auch kleinere Anteil der Einnahmen entsteht durch den Verkauf bedruckten Papiers. Journalismus lebt also praktisch ausschließlich davon, dass möglichst viele Menschen ihm möglichst viel Aufmerksamkeit schenken. Der größte Teil der Einnahmen – die Werbung – besteht sogar im direkten Verkauf dieser Aufmerksamkeit. Daher muss Journalismus im Wesentlichen die Erwartungen seiner Kunden erfüllen. Werden diese Erwartungen regelmäßig enttäuscht, wenden sich die Kunden anderen Medien zu. Überfordert, verstört oder langweilt der Journalismus seine Kunden, vertreibt er sie und muss seine Tätigkeit einstellen.

Da viele Menschen weder besonders geduldig noch besonders interessiert an den Ergüssen der Welterklärer sind, sind Zeitschriftenregale und Fernsehprogramme vor allem bunt, laut/fett gedruckt und voller unterhaltsamer Trivialitäten. Der selbsternannte Qualitätsjournalismus fristet ein Nieschendasein in der Aufmerksamkeitsökonomie.

Und er läuft ständig Gefahr seine Rolle als wichtigste Kontroll-Instanz der repräsentativen Demokratie an die unerbittlichen Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie und Massenpsychologie zu verraten. Letzteres scheint in Buschs Amerika geschehen zu sein. Ja, er macht unsere Gesellschaftsform sogar extrem verletzlich gegenüber Terrorismus, wie ich hier erläutert habe, und gegen wirtschaftliche Übernahme, wie Berlusconi in Italien bewiesen hat. Am schlimmsten wirkt jedoch wahrscheinlich die Werbung. Werbung ist heute die übermächtige Propaganda-Maschine des Neo-Liberalismus. Jede Werbung versucht uns zu überzeugen, dass wir kaufen müssen, um wer zu sein, um glücklich zu sein, um etwas zu gelten. Kaufen ist der einzige Sinn des Lebens. Und Werbung wirkt bekanntlich. Aus diesen Gründen stellt wirtschaftlich finanzierter Journalismus eine Gefahr für freie Gesellschaften dar. Ja, vielleicht macht er sie gar unmöglich.

Doch Journalismus, das Auffinden, Aufbereiten, Erörtern und Diskutieren von gesellschaftlich relevanten Informationen ist essentiell für freie Gesellschaften. Diese Aufgaben kann nicht jeder selbst meistern. Aber ein gesellschaftlicher Dialog über wichtige Themen ist unerlässlich für das Erreichen eines breiten Konsens bezüglich zentraler Fragen. Das Aufdecken von Missständen ist Voraussetzung für Ihre Behebung.

Professioneller Journalismus hat diese Rolle gefüllt und das war richtig und wichtig. Doch zwei Dinge haben sich heute geändert, und daher können und sollten wir dieses fragile und aufgrund der Werbung auch kontraproduktive System durch ein überlegenes ersetzen. Diese zwei Dinge sind

  1. Es gibt heute sehr viel mehr hinreichend gebildete Menschen mit ausreichend Zeit, diese Aufgabe zu übernehmen. Sollte darüber hinaus der volkswirtschaftliche Wahnsinn des Marketings aufgegeben werden und unsere sich selbst kontinuierlich absurd aufblähende Administration durch ein effizienteres System ersetzt werden, hätten viele Menschen noch viel mehr Zeit diese Aufgabe zu übernehmen.
  2. Es gibt das Internet. Die Kosten für Veröffentlichungen sind heute so gering, dass sie keine Hürde mehr für die meisten Mitglieder von Informationsgesellschaften dar stellen.

Journalistische Arbeit lässt sich z.B. in folgende Bereiche gliedern: Recherche, Aufbereitung und Diskussion. In allen drei Bereichen deutet sich schon heute die Überlegenheit des post-kommerziellen Journalismus an.

Aufbereitung und Diskussion geschieht heutzutage in Blogs. Die Aufbereitung verzichtet meist auf editorische oder redaktionelle Nachbereitung. Das nimmt Blog-Veröffentlichungen zwar oft den Nimbus der Professionalität. Dafür überzeugen Blogs durch Personalität. Bekanntlich ist es auch mit der profesionellen Neutralität komerzieller Medien nicht allzu weit her, und die Berichterstattung variiert erheblich mit den jeweiligen Publikationen. Bei Blogs ist die Person des Autors immer sichtbar und der Leser wird nicht erst verleitet an zu nehmen, er lese neutrale Informationen. Insbesondere in Verbindung mit einem Instrument wie KiIsWhoWi ist das viel nützlicher als traditionelle Medien. Und es hindert Autoren natürlich auch nicht daran sich zurecht den Ruf leidlich neutraler Berichterstatter zu erarbeiten.

Die Diskussion findet teils in den Foren der Blogs statt. Dieses Instrument haben kommerzielle Online-Publikationen vielfach übernommen. Doch es ist wie gesagt nur ein Teil des Dialogs, und vermutlich nicht der relevanteste. Der vielleicht wichtigere Teil der Diskussion findet zwischen den Autoren verschiedener Blogs statt. Durch die allgegenwärtige Praxis der Verlinkung zwischen Blogs entsteht ein auch für den gelegentlichen Leser leicht nachvollziehbarer schriftlicher Dialog. Dieses essentielle Mittel des Modernen Dialogs können kommerzielle Medien nicht nutzen, da sie die Aufmerksamkeit ihrer Leser niemals von sich auf die „Konkurrenz“ lenken dürfen. Diese professionelle Praxis des nicht Verlinkens ist natürlich auch ein erheblicher Nachteil für die Aufbereitung, da sie die Quellen von Informationen für Leser vielfach unauffindbar macht. Die Personalität von Blogs führt wiederum tendenziell zu pointierteren Positionen in Blog-Diskussionen, was diese für die Leserschaft attraktiver machen kann.

Die Recherche wird meist von Insidern übernommen. Hier kommt WikiLeaks in Spiel, als kleiner Baustein des freien Medien-Mosaiks. Denn WikiLeaks bietet Insidern lediglich die Möglichkeit ihre Information anonym zu veröffentlichen. Darüber hinaus versucht WikiLeaks das veröffentlichte Material nach gewissen Kriterien zu filtern. Zweifellos muss WikiLeaks mehr tun um selbst transparent zu machen, wie diese Filter funktionieren. Doch solange wir diesen essentiellen Baustein einer freien Medien-Landschaft als eine Gruppe von Outlaws behandeln, haben die sicher andere Sorgen. Wenn eine freie Medien-Landschaft erst erreicht ist, wird dieses eher nebensächliche Problem in den Hintergrund treten. Wenn WikiLeaks das Problem nicht behebt werden sich eben andere Plattformen durchsetzen. Eine Pluralität derartiger Plattformen ist ohnehin unerlässlich.

Heute sind die Rechercheure wie gesagt meist Insider. In einer freien Gesellschaft wird es nicht hinreichen zum Aufdecken von Missständen auf Insider angewiesen zu sein. Daher muss eine freie Gesellschaft transparent sein. Unternehmen dürfen Recherchen externer Personen nicht verhindern können. Politiker sind mit den von Propaganda lebenden Medien natürlich der nächste wunde Punkt unserer Gesellschaft und gehören folgerichtig abgeschafft. Doch nehmen wir mal an, wir würden uns zunächst von der Propaganda befreien und damit den kommerziellen Medien die Geschäftsgrundlage entziehen. Würden unsere Politiker es dann als unwürdig ablehnen, Bloggern Interviews zu geben? Wohl kaum. Eher ist zu erwarten, dass bestimmte Blogger mit großer Leserschaft vor dem penetranten Mitteilungsbedürfnis unserer so genannten politischen Elite geschützt werden müssen.

Bleibt die Frage, ob Privat-Leute tatsächlich den immensen Aufwand vernünftiger Recherche in ihrer Freizeit auf sich nehmen würden. Die Antwort ist natürlich ja (zumal wenn wie oben angedeutet noch mehr Freizeit verfügbar wäre). Man vergegenwärtige sich nur welche Unmengen Zeit (und Geld) manche Menschen in die abwegigsten Hobbys investieren. Die Blogosphäre macht heute schon deutlich, dass das journalistische Potential von Freizeit-Bloggern überwältigend ist. Wenn die kommerziellen Medien verschwänden und Privat-Rechercheure so zwangsläufig ernst genommen würden, würden sich ohne Frage reichlich Menschen finden, die genau das tun würden.

Die Überlegenheit privater Rechercheure liegt darin, dass wirklich jeder einer werden kann. Alle Augen sehen doch ein wenig mehr als zwei. Und wenn jemandem etwas auffällt kann er dem nach gehen. Oft wäre das heute nicht mal nötig. Es würde genügen, wenn einige der Menschen, denen etwas auffällt, dies mitteilen würden. Andere könnten dann die Zusammenhänge bilden und herausarbeiten.

Dies führt uns zur größten Stärke dieses überlegenen Medien-Systems. Es basiert nicht auf der spezifischen Leistung bezahlter Individuen. Es basiert auf der Vernetzung teils eher unspezifischer Leistungen sehr vieler Menschen. Eine Nachricht kann sich aus Mitteilungen vieler Individuen ergeben, die alle nichts von der „großen“ Nachricht geahnt haben, bis irgendwer die großen Puzzleteile zusammenfügt, die selbst aus vielen kleinen Mosaik-Steinchen bestehen. Und die vernetzte „Crowd“ hat wieder und wieder bewiesen, dass sie jedes Individuum weit abgeschlagen stehen lässt.

Sie zweifeln? Sie zweifeln zurecht. Diese unbegreifliche Macht vieler vernetzter Individuen ist die mit Abstand bedeutendste Entdeckung der letzten Jahrzehnte. Und dem Mainstream ist diese Entdeckung weitgehend verborgen geblieben. Einer Crowd von Millionen von Individuen aus wirklich allen Winkeln der Welt ist es gelungen, Betriebssysteme und darauf aufbauende Software zu schaffen, die Lösungen für eine überwältigende Vielfalt von Problemen bietet und dabei kommerziellen Alternativen in vielerlei Hinsicht überlegen ist. Die Komplexität dieses filigranen Informationsgewebes übersteigt jede Vorstellungskraft. Wenn die Crowd so ein Gebilde schaffen kann, schaffen wir eine freie Medienlandschaft mit ähnlichen Mitteln mit links. Und den Rest unseres gesellschaftlichen Betriebssystems dazu.