Dezentrales Micropayment

Ich stelle in diesem Artikel ein dezentrales Zahlungssystem vor, das sich durch minimale Transaktionskosten auszeichnet. Ein solches System könnte aus diversen Gründen von großer Bedeutung sein. Und wer weiß, vielleicht macht es Dich reich 😉

Ich stelle in diesem Artikel ein dezentrales Zahlungssystem vor, das sich durch minimale Transaktionskosten auszeichnet. Ein solches System könnte aus diversen Gründen von großer Bedeutung sein. Und wer weiß, vielleicht macht es Dich reich ;-). Die Idee ist in einer Off-Topic Diskussion zu diesem Artikel entstanden wo mir Thomas Honesz sehr bei der Entwicklung dieser Gedanken geholfen hat. Danke Thomas.

Warum?

Geld regiert die Welt. Und wer die Zahlungsströme kontrollieren kann, hat fast unbegrenzte Macht über alle Projekte, deren Maßstab Hobby-Status überschreitet. Den Beweis dazu ist die Regierung der USA im Zusammenhang mit WikiLeaks angetreten. Nach Cablegate war es für WikiLeaks fast unmöglich Spenden anzunehmen und das Projekt verschwand erst mal von der Bildfläche. Wer sich im Netz für Informationsfreiheit organisieren will, könnte auf ein dezentrales Zahlungssystem angewiesen sein.

Aber auch sonst ist dieses spezielle Problem von großer Bedeutung für viele meiner Vorschläge. In meinem letzten Artikel bin ich zum Beispiel gegen Werbung zu Feld gezogen. Doch Werbung finanziert praktisch die gesamte weiche Infrastruktur unseres Netzes – genau das habe ich als Argument gegen Werbung verwendet. Doch wenn es keine Werbung gäbe, wie soll das dann finanziert werden? Da ich keine plausible Lösung hatte, bin ich dem Problem bisher immer ausgewichen.

Das einzige, was mir dazu einfällt, ist ein effizientes Micropayment System. Das Problem ist nur, dass es so etwas nicht gibt. Die etablierten Micropaymentsysteme operieren im unteren Euro-Bereich. Um Werbung zu ersetzen braucht man aber den unteren Cent und Subcent-Bereich. Doch dafür sind bisher die realen Transaktionskosten viel zu hoch. Das hier erörterte System könnte dafür eine Lösung darstellen.

Kundensicht

Der technische Kern der hier vorgeschlagenen Lösung ist Bitcoin. Die Betonung liegt hier auf „technisch“. Die Nutzer kommen gar nicht mit Bitcoin in Berührung. Bitcoin selbst eignet sich leider (noch?) nicht als allgemeines Zahlungsmittel, da sein Wert bisher starken Schwankungen unterworfen ist und es als Zahlungsmittel kein allgemeines Vertrauen genießt. Und Vertrauen ist das einzige, was eine Währung auszeichnet. Geld ist nichts als das Vertrauen in seinen Wert.

Aus Nutzersicht wären Preise in seiner Währung ausgezeichnet. Zur Bezahlung müsste er lediglich einen Knopf klicken. Er könnte seinen Browser auch so einstellen, dass Kleinstbeträge (z.B. 1¢ und weniger) immer automatisch bezahlt werden, so dass sein Surf-Fluss gar nicht durch Zahlungsvorgänge unterbrochen wird. Er würde lediglich mittels einer immer sichtbaren Anzeige über seine Ausgaben informiert. Dies ließe sich gegebenenfalls auch von Seite zu Seite anpassen. Anbieter könnten Nutzer auch erstmal lesen lassen und erst Geld fordern, wenn ein Angebot länger genutzt, z.B. ein Artikel weiter gelesen wird. Größere Ausgaben würden in mehreren Schritten wie z.B. bei Paypal üblich abgewickelt.

Eine derartig komfortable Zahlungsabwicklung würde eine kleine Browser-Erweiterung erfordern. Ohne diese Erweiterung müsste man pro Zahlung eine Web-Adresse eingeben und dann noch die Zahlung bestätigen oder ein Bookmarklet verwenden – was evtl. auch Einklick-Bezahlungen ermöglichen würde, aber keine vollautomatischen.

Um überhaupt mit diesem System zahlen zu können ist für den Zahler allerdings eine vorherige Anmeldung bei einem Zahlungsdienst seiner Wahl nötig. Diese freie Wahl ist die erste Besonderheit des hier vorgeschlagenen Systems. Dazu unten mehr. Man muss sich mit seinem Zahlungsdienst auf eine Zahlungsmodalität einigen. Man kann z.B. vorab 50€ einzahlen (z.B. über Paypal, Kreditkarte oder Überweisung) und dann dieses Budget „absurfen“, man kann eine Einzugsermächtigung erteilen oder monatliche Rechnungen erhalten. Alle Zahlungen an den Zahlungsdienst finden immer in der eigenen Währung statt. Der Wechsel des Zahlungsdienstes stellt kein prinzipielles Problem dar. Potentielle Zahlungsempfänger können ebenfalls einen Zahlungsdienst für den Zahlungsempfang beauftragen (in der Regel wird dies ein anderer Dienst sein als der des Zahlers), oder er kann die Zahlung selbst in Empfang nehmen.

Hinter den Kulissen

Die Zahlungsdienste – Bitcoin-Broker – wickeln die eigentlichen Zahlungen an die Empfänger oder ihre Dienste über Bitcoin ab. Die Zahlungen bestehen in der Übertragung von ein paar Bytes und Kosten praktisch nichts. Die Arbeit der Broker besteht darin, dafür zu sorgen, immer genug Bitcoins für die Zahlungsabwicklung zu haben. Bitcoin-Broker können das Wechselkursrisiko zu Bitcoin ausschließen indem sie den Bitcoin-Bestand im Verhältnis zum Umsatz niedrig halten oder sich mit den üblichen Finanzinstrumenten gegen das Risiko versichern. Sie können von einer geringen Provision leben. Umtauschkosten zwischen den Währungen von Zahler und Zahlungsempfänger entfallen komplett.

Der wesentliche Punkt ist, dass die eigentlichen Transaktionen praktisch kostenfrei sind. Der Trick besteht darin, das offene billige Netz für Zahlungen zu verwenden, ohne ein Vertrauensverhältnis zwischen den Transaktionspartnern herstellen zu müssen. Signifikante Kosten fallen nur bei den Transaktionen zwischen dem Zahlungsdienst und seinen Kunden statt. Diese Transaktionen bündeln aber sehr viele Transaktionen im Web. Zusätzlich fallen natürlich laufende Kosten beim Zahlungsdienst an. Dieser muss Server betreiben, Bitcoins kaufen und verkaufen, seine Software warten und seine Kunden betreuen. Mit steigendem Umsatz sinken die Kosten pro Transaktion gegen Null sofern die Kundenbetreuung geringen Aufwand mit sich bringt.

Idealer Weise gäbe es eine freie Software für den Betrieb einer Bitcoin-Brokerage. Des weiteren wird ein Standard-Protokoll für die Zahlungsabwicklung zwischen Empfänger und Broker benötigt und eine Standard-Prozedur zur Freischaltung der bezahlten Inhalte. Da die Server-Architekturen sehr vielfältig sind, könnte letzteres sogar den größten Aufwand erfordern. Und dann werden Browser-Erweiterungen für die üblichen Browser benötigt um komfortable Bedienung zu ermöglichen. Wenn all diese Bestandteile des Systems vorhanden wären, könnte vermutlich schon eine Einzelperson einen darauf basierenden Zahlungsdienst betreiben.

Für Kunden wäre dieses System billiger als das Werbefinanzierte, denn bei letzterem muss der Kunde über Produktpreise ganze Marketing-Abteilungen und -Unternehmen finanzieren, die erhebliche Kosten verursachen. Das Ergebnis wäre ein Zahlungssystem, das dezentral und also schwer angreifbar ist und welches beliebig kleine Zahlungen zu sehr geringen Kosten ermöglicht.

Postjournalismus, Postprivacy

Das Video eines prügelnden Richters – von seiner Tochter, dem Opfer aufgezeichnet – illustriert das Ende der Privatheit und die Anfänge des postkommerziellen Journalismus.

Achtung, dieses Video ist starker Tobak. Es zeigt die Misshandlung eines 16 jährigen Mädchens durch ihren Vater und ihre Mutter. Es zeigt auch einen Richter – den Vater – mit offensichtlich bestürzendem Urteilsvermögen. Das Video ist nicht zuletzt ein Dokument des schleichenden Endes der Privatheit und ein frühes Dokument (es ist von 2004) des postkommerziellen Journalismus.

Postprivacy

In meinem Haushalt gibt es zwei Smartphones mit Audio/Video, es gibt eine klassische Videokamera, einen Fotoapparat mit rudimentärer Videofunktion und bald bekomme ich eine Webcam. Das sind vier vollwärtige Audio/Video Aufzeichnungssysteme und wenn meine Kinder älter werden, werden es wahrscheinlich noch zwei mehr. Das unten verlinkte Video illustriert einen (positiven) Aspekt der so einziehenden Postprivacy: Es wird schwerer Barbarei hinter bürgerlicher Fassade zu verstecken. Wer sich für mehr meiner Gedanken über Postprivacy interessiert, sei auf diesen Artikel verwiesen.
Im zweiten Teil erweitere ich zeitgenössische Postprivacy-Entwürfe um ein juristisch garantiertes Recht auf Pseudonymität.

Postjournalismus

Wenn jeder jederzeit eine Videokamera in der Tasche hat, ändert sich das „Geschäftsfeld“ des Journalismus grundlegend. Ich hoffe es verschwindet komplett. Das Video wurde von der Tochter des Richters aufgezeichnet und (wohl lange nach der Misshandlung) veröffentlicht. Da es das unzulängliche Urteilsvermögen eines Richters dokumentiert, ist es von eminentem öffentlichen Interesse. Es wurde über zahlreiche Blogs und soziale Netzwerke verbreitet. Es gibt jetzt eine offizielle Untersuchung des Falls und der Richter verliert möglicherweise sein Amt. Es handelt sich um eine Straftat, die aber verjährt ist. Mehr Details z.B. hier.

Dies ist ein ziemlich klarer geradliniger Fall. Es gibt ein Dokument, das die komplette Problematik deutlich illustriert, das wurde über die üblichen Kanäle verbreitet, nun ist es öffentlich und Konsequenzen bahnen sich an. Oft besteht Journalismus aber darin, dass viele Fakten zusammengetragen werden. Auch hierfür gibt es Beispiele. Hier habe ich z.B. auf eine Analyse von Cablegate Depeschen durch einen Blogger hingewiesen. Diese Analyse fördert meiner Ansicht nach Erschütterndes zutage.

Die Allgegenwart von Aufzeichnungsmitteln, Twitterern und Suchwerkzeugen wird uns in Zukunft auch deutlich komplexere – und kooperative! – Recherchen und Analysen durch Amateure bringen, zahlreiche Ansätze sind bereits erkennbar. Ich halte das für eine durchweg positive Entwicklung. Hier zeichne ich das Bild eines künftigen freien Journalismus etwas ausführlicher.

Verleumdung!

Die Mainstream-Medien haben seit Wochen dahingehend auf uns eingetrommelt, dass ein gewisser Herr Assange wegen Vergewaltigung in Schweden gesucht wird. Manche ließen sich gar zu der Aussage hinreißen, dass er wegen Vergewaltigung angeklagt ist. Derartige Aussagen waren sachlich falsch. Vergewaltigung ist ein Tatbestand des deutschen Strafgesetzbuches (§177). Folgende Punkte wurden falsch dargestellt:

  1. Assange ist nicht angeklagt. Die schwedische Staatsanwaltschaft ist sich nicht sicher genug, ob überhaupt eine Straftat vorliegt. Daher wird Assange streng genommen auch nicht als Täter verdächtigt. Er wird als Zeuge gesucht, um fest stellen zu können, ob eine Straftat vorliegt.
  2. Der fragliche Tatbestand ist keine Vergewaltigung nach deutschem Recht. Ob im Schwedischen der gleiche Ausdruck verwendet wird, tut nichts zur Sache. Dem deutschen Publikum wird ein völlig falscher Eindruck vermittelt.
  3. Die Umstände unter denen die mutmaßlichen Opfer ihre Vorwürfe vorbrachten sind evtl. so abenteuerlich, dass sie einer Erwähnung bedurft hätten.

Ich schlage vor, dass wir eine strafrechtliche Anzeige wegen Verleumdung gegen diverse Medien einreichen (mindestens gegen die, die Behaupten, er sei angeklagt). Außerdem können wir versuchen, mit Assanges Hilfe eine zivilrechtliche Klage zu führen um Widerrufe und Schadensersatz zu erheben.

Eine Anzeige ein zu reichen ist relativ einfach. Eine zivilrechtliche Klage muss allerdings finanziert werden. Spenden sind dazu relativ schlecht geeignet. Spenden wären nicht absetzbar, da ein derartiges Verfahren kaum als gemeinnützig anerkannt würde. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass die Gegenseite die Kosten erstatten muss, dann müssten Spenden eigentlich irgendwie rückgeführt werden. Ich schlage daher vor, eine derartige Klage durch Einlagen zu finanzieren. Diese Einlage werden im Falle einer erfolgreichen Klage mit Gewinn zurück erstattet. Der Gewinn ergibt sich aus dem Schadensersatz.

Solche Klage-Finanzierungen sind z.B. in den USA durchaus üblich. Herr Assange müsste dem natürlich zustimmen, die Aufteilung eines möglichen Schadensersatzes wäre aus zu handeln. Sinn der Übung ist es, ein Verfahren zu etablieren, mit dem wir – die locker verbundene Netz-Gemeinde – es auf der juristische Front global mit den traditionellen Medien aufnehmen können.

Einige abschließende Anmerkungen: Mir geht es nicht um Assange – genau so wenig wie es vermutlich den Medien um ihn geht. Diese ganze Schlammschlacht sieht wie eine Schmutzkampagne aus, deren einziges Ziel es ist, WikiLeaks zu diskreditieren. Wenn wir weiter für Transparenz und Freiheit streiten, wird dies sicher nicht die letzte Schlammschlacht mit dem Mainstream sein. Aber wir können ihre eigenen Waffen gegen sie wenden. Ich bin übrigens kein Jurist, es wäre prima, wenn jemand mit mehr Ahnung das aufnehmen würde.

Qualeaktäts Journblogismus

WikiLeaks oder ähnliche Projekte können Bausteine einer völlig anderen Medienlandschaft sein, als wir sie heute kennen. Der selbst proklamierte Qualitäts-Journalismus zeigt sich gerade jetzt zur Veröffentlichung der Cablegate Depeschen wieder überwältigt von der eigenen Bedeutsamkeit. Eine freiheitliche Welt ohne diese nachgerade übermenschlichen Welterklärer ist für selbige nicht vorstellbar. Für mich schon. In der Tat kann ich mir eine freie Welt besser ohne sie als mit ihnen vorstellen.

WikiLeaks oder ähnliche Projekte können Bausteine einer völlig anderen Medienlandschaft sein, als wir sie heute kennen. Der selbst proklamierte Qualitäts-Journalismus zeigt sich gerade jetzt zur Veröffentlichung der Cablegate Depeschen wieder überwältigt von der eigenen Bedeutsamkeit. Eine freiheitliche Welt ohne diese nachgerade übermenschlichen Welterklärer ist für selbige nicht vorstellbar. Für mich schon. In der Tat kann ich mir eine freie Welt besser ohne sie als mit ihnen vorstellen.

Journalismus wird heute überwiegend durch Werbung finanziert. Der andere wesentliche wenn auch kleinere Anteil der Einnahmen entsteht durch den Verkauf bedruckten Papiers. Journalismus lebt also praktisch ausschließlich davon, dass möglichst viele Menschen ihm möglichst viel Aufmerksamkeit schenken. Der größte Teil der Einnahmen – die Werbung – besteht sogar im direkten Verkauf dieser Aufmerksamkeit. Daher muss Journalismus im Wesentlichen die Erwartungen seiner Kunden erfüllen. Werden diese Erwartungen regelmäßig enttäuscht, wenden sich die Kunden anderen Medien zu. Überfordert, verstört oder langweilt der Journalismus seine Kunden, vertreibt er sie und muss seine Tätigkeit einstellen.

Da viele Menschen weder besonders geduldig noch besonders interessiert an den Ergüssen der Welterklärer sind, sind Zeitschriftenregale und Fernsehprogramme vor allem bunt, laut/fett gedruckt und voller unterhaltsamer Trivialitäten. Der selbsternannte Qualitätsjournalismus fristet ein Nieschendasein in der Aufmerksamkeitsökonomie.

Und er läuft ständig Gefahr seine Rolle als wichtigste Kontroll-Instanz der repräsentativen Demokratie an die unerbittlichen Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie und Massenpsychologie zu verraten. Letzteres scheint in Buschs Amerika geschehen zu sein. Ja, er macht unsere Gesellschaftsform sogar extrem verletzlich gegenüber Terrorismus, wie ich hier erläutert habe, und gegen wirtschaftliche Übernahme, wie Berlusconi in Italien bewiesen hat. Am schlimmsten wirkt jedoch wahrscheinlich die Werbung. Werbung ist heute die übermächtige Propaganda-Maschine des Neo-Liberalismus. Jede Werbung versucht uns zu überzeugen, dass wir kaufen müssen, um wer zu sein, um glücklich zu sein, um etwas zu gelten. Kaufen ist der einzige Sinn des Lebens. Und Werbung wirkt bekanntlich. Aus diesen Gründen stellt wirtschaftlich finanzierter Journalismus eine Gefahr für freie Gesellschaften dar. Ja, vielleicht macht er sie gar unmöglich.

Doch Journalismus, das Auffinden, Aufbereiten, Erörtern und Diskutieren von gesellschaftlich relevanten Informationen ist essentiell für freie Gesellschaften. Diese Aufgaben kann nicht jeder selbst meistern. Aber ein gesellschaftlicher Dialog über wichtige Themen ist unerlässlich für das Erreichen eines breiten Konsens bezüglich zentraler Fragen. Das Aufdecken von Missständen ist Voraussetzung für Ihre Behebung.

Professioneller Journalismus hat diese Rolle gefüllt und das war richtig und wichtig. Doch zwei Dinge haben sich heute geändert, und daher können und sollten wir dieses fragile und aufgrund der Werbung auch kontraproduktive System durch ein überlegenes ersetzen. Diese zwei Dinge sind

  1. Es gibt heute sehr viel mehr hinreichend gebildete Menschen mit ausreichend Zeit, diese Aufgabe zu übernehmen. Sollte darüber hinaus der volkswirtschaftliche Wahnsinn des Marketings aufgegeben werden und unsere sich selbst kontinuierlich absurd aufblähende Administration durch ein effizienteres System ersetzt werden, hätten viele Menschen noch viel mehr Zeit diese Aufgabe zu übernehmen.
  2. Es gibt das Internet. Die Kosten für Veröffentlichungen sind heute so gering, dass sie keine Hürde mehr für die meisten Mitglieder von Informationsgesellschaften dar stellen.

Journalistische Arbeit lässt sich z.B. in folgende Bereiche gliedern: Recherche, Aufbereitung und Diskussion. In allen drei Bereichen deutet sich schon heute die Überlegenheit des post-kommerziellen Journalismus an.

Aufbereitung und Diskussion geschieht heutzutage in Blogs. Die Aufbereitung verzichtet meist auf editorische oder redaktionelle Nachbereitung. Das nimmt Blog-Veröffentlichungen zwar oft den Nimbus der Professionalität. Dafür überzeugen Blogs durch Personalität. Bekanntlich ist es auch mit der profesionellen Neutralität komerzieller Medien nicht allzu weit her, und die Berichterstattung variiert erheblich mit den jeweiligen Publikationen. Bei Blogs ist die Person des Autors immer sichtbar und der Leser wird nicht erst verleitet an zu nehmen, er lese neutrale Informationen. Insbesondere in Verbindung mit einem Instrument wie KiIsWhoWi ist das viel nützlicher als traditionelle Medien. Und es hindert Autoren natürlich auch nicht daran sich zurecht den Ruf leidlich neutraler Berichterstatter zu erarbeiten.

Die Diskussion findet teils in den Foren der Blogs statt. Dieses Instrument haben kommerzielle Online-Publikationen vielfach übernommen. Doch es ist wie gesagt nur ein Teil des Dialogs, und vermutlich nicht der relevanteste. Der vielleicht wichtigere Teil der Diskussion findet zwischen den Autoren verschiedener Blogs statt. Durch die allgegenwärtige Praxis der Verlinkung zwischen Blogs entsteht ein auch für den gelegentlichen Leser leicht nachvollziehbarer schriftlicher Dialog. Dieses essentielle Mittel des Modernen Dialogs können kommerzielle Medien nicht nutzen, da sie die Aufmerksamkeit ihrer Leser niemals von sich auf die „Konkurrenz“ lenken dürfen. Diese professionelle Praxis des nicht Verlinkens ist natürlich auch ein erheblicher Nachteil für die Aufbereitung, da sie die Quellen von Informationen für Leser vielfach unauffindbar macht. Die Personalität von Blogs führt wiederum tendenziell zu pointierteren Positionen in Blog-Diskussionen, was diese für die Leserschaft attraktiver machen kann.

Die Recherche wird meist von Insidern übernommen. Hier kommt WikiLeaks in Spiel, als kleiner Baustein des freien Medien-Mosaiks. Denn WikiLeaks bietet Insidern lediglich die Möglichkeit ihre Information anonym zu veröffentlichen. Darüber hinaus versucht WikiLeaks das veröffentlichte Material nach gewissen Kriterien zu filtern. Zweifellos muss WikiLeaks mehr tun um selbst transparent zu machen, wie diese Filter funktionieren. Doch solange wir diesen essentiellen Baustein einer freien Medien-Landschaft als eine Gruppe von Outlaws behandeln, haben die sicher andere Sorgen. Wenn eine freie Medien-Landschaft erst erreicht ist, wird dieses eher nebensächliche Problem in den Hintergrund treten. Wenn WikiLeaks das Problem nicht behebt werden sich eben andere Plattformen durchsetzen. Eine Pluralität derartiger Plattformen ist ohnehin unerlässlich.

Heute sind die Rechercheure wie gesagt meist Insider. In einer freien Gesellschaft wird es nicht hinreichen zum Aufdecken von Missständen auf Insider angewiesen zu sein. Daher muss eine freie Gesellschaft transparent sein. Unternehmen dürfen Recherchen externer Personen nicht verhindern können. Politiker sind mit den von Propaganda lebenden Medien natürlich der nächste wunde Punkt unserer Gesellschaft und gehören folgerichtig abgeschafft. Doch nehmen wir mal an, wir würden uns zunächst von der Propaganda befreien und damit den kommerziellen Medien die Geschäftsgrundlage entziehen. Würden unsere Politiker es dann als unwürdig ablehnen, Bloggern Interviews zu geben? Wohl kaum. Eher ist zu erwarten, dass bestimmte Blogger mit großer Leserschaft vor dem penetranten Mitteilungsbedürfnis unserer so genannten politischen Elite geschützt werden müssen.

Bleibt die Frage, ob Privat-Leute tatsächlich den immensen Aufwand vernünftiger Recherche in ihrer Freizeit auf sich nehmen würden. Die Antwort ist natürlich ja (zumal wenn wie oben angedeutet noch mehr Freizeit verfügbar wäre). Man vergegenwärtige sich nur welche Unmengen Zeit (und Geld) manche Menschen in die abwegigsten Hobbys investieren. Die Blogosphäre macht heute schon deutlich, dass das journalistische Potential von Freizeit-Bloggern überwältigend ist. Wenn die kommerziellen Medien verschwänden und Privat-Rechercheure so zwangsläufig ernst genommen würden, würden sich ohne Frage reichlich Menschen finden, die genau das tun würden.

Die Überlegenheit privater Rechercheure liegt darin, dass wirklich jeder einer werden kann. Alle Augen sehen doch ein wenig mehr als zwei. Und wenn jemandem etwas auffällt kann er dem nach gehen. Oft wäre das heute nicht mal nötig. Es würde genügen, wenn einige der Menschen, denen etwas auffällt, dies mitteilen würden. Andere könnten dann die Zusammenhänge bilden und herausarbeiten.

Dies führt uns zur größten Stärke dieses überlegenen Medien-Systems. Es basiert nicht auf der spezifischen Leistung bezahlter Individuen. Es basiert auf der Vernetzung teils eher unspezifischer Leistungen sehr vieler Menschen. Eine Nachricht kann sich aus Mitteilungen vieler Individuen ergeben, die alle nichts von der „großen“ Nachricht geahnt haben, bis irgendwer die großen Puzzleteile zusammenfügt, die selbst aus vielen kleinen Mosaik-Steinchen bestehen. Und die vernetzte „Crowd“ hat wieder und wieder bewiesen, dass sie jedes Individuum weit abgeschlagen stehen lässt.

Sie zweifeln? Sie zweifeln zurecht. Diese unbegreifliche Macht vieler vernetzter Individuen ist die mit Abstand bedeutendste Entdeckung der letzten Jahrzehnte. Und dem Mainstream ist diese Entdeckung weitgehend verborgen geblieben. Einer Crowd von Millionen von Individuen aus wirklich allen Winkeln der Welt ist es gelungen, Betriebssysteme und darauf aufbauende Software zu schaffen, die Lösungen für eine überwältigende Vielfalt von Problemen bietet und dabei kommerziellen Alternativen in vielerlei Hinsicht überlegen ist. Die Komplexität dieses filigranen Informationsgewebes übersteigt jede Vorstellungskraft. Wenn die Crowd so ein Gebilde schaffen kann, schaffen wir eine freie Medienlandschaft mit ähnlichen Mitteln mit links. Und den Rest unseres gesellschaftlichen Betriebssystems dazu.

WikiLieb?

Es zieht sich ein bemerkenswerter Bruch durch unsere Gesellschaft. Die selbsternannte QualitätsJournaille und die politischen und wirtschaftlichen Machthaber verdammen WikiLeaks mehrheitlich für die Veröffentlichung der Cablegate Depeschen. Ein signifikanter Teil der Blogosphäre und mein persönliches Umfeld befürwortet die Veröffentlichung sehr deutlich. Das bemerkenswerte daran ist, dass dieser Bruch nicht so sehr zwischen Konservativen und Progressiven, Rechten und Linken oder anderen Gesellschaftsgruppen verläuft. Der Bruch verläuft zwischen denen, die am langen Ende der Hebel der Macht sitzen und uns am kurzen Ende dieser Hebel. Insofern riecht Cablegate nach Revolution. Aber steht hinter dieser Zustimmung eine moralische Legitimierung? Oder gründet sie in niederen Motiven wie z.B. der Lust die Mächtigen bloß gestellt zu sehen?

Eine persönliche moralische Bewertung mag oft folgender Argumentation folgen: WikiLeaks hat scheinbar Geheimnisse verraten. So etwas tut man nicht. Doch diese Argumentation geht von einer falschen Annahme aus. WikiLeaks hat kein Geheimnis verraten. Vor der Veröffentlichung hatten je nach Quelle einige Millionen Menschen Zugriff auf die Depeschen, mehr als 1% der Amerikaner. Hier kann man beim besten Willen nicht mehr von einem Geheimnis sprechen und persönliche Bewertungs-Kriterien greifen nicht mehr.

Interne Informationen der US-Amerikanischen Administration wurden der Weltöffentlichkeit zugänglich gemacht. Um die Frage nach der Legitimität dieses Vorganges zu beantworten muss man ein gegebenenfalls vorhandenes legitimes Interesse der USA an der Geheimhaltung dieser Information gegen ein gegebenenfalls vorhandenes Interesse der Weltöffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Informationen abwägen.

Ein legitimes Interesse der USA könnte z.B. vorliegen, wenn sie ihre Diplomaten im Interesse des Weltfriedens, der Völkerverständigung, des globalen Umweltschutzes, des Kampfes gegen den Hunger oder für die Rechte der Unterdrückten einsetzen würde. Doch über jeglichen derartigen Verdacht ist die USA sicher erhaben. Ein legitimes Interesse könnte auch vorliegen, wenn sie ihre eigenen Interessen strikt im Rahmen der internationalen Verhaltensnormen verfolgen würde. Doch diese Normen verletzt die USA regelmäßig und wissentlich, wie schon das erste Promille der Depeschen eindrucksvoll belegt: Die USA untergräbt den spanischen Rechtsstaat; Sie arbeitet gegen legitime lateinamerikanische Regierungen und kollaboriert wider besseres Wissen mit illegitimen Regimen; Sie spioniert illegitim gegen die UNO; Sie spielt ein doppeltes Spiel im mittleren Osten. Wenn das tatsächlich erst ein Tausendstel der amerikanischen Vergehen wäre, wäre die moralische Bilanz der USA wahrhaft monströs. Doch selbst dieser kleine Auszug legt schon sehr nahe, dass das Interesse der USA an der Geheimhaltung der Depeschen jedenfalls nicht nur legitim ist.

Welches Interesse hat die Weltöffentlichkeit an der Veröffentlichung? Die USA geriert sich regelmäßig als Weltpolizei, die außerhalb ihrer Grenzen vorgeblich für Freiheit und Demokratie kämpft. Die massiv von der militärischen Intervention der USA betroffene Restwelt hat selbstverständlich ein legitimes Interesse zu erfahren welchen Interessen diese Interventionen wirklich folgen und welchen Verhaltensnormen sich die Weltpolizei unterwirft. Die USA profitiert enorm von dem Umstand, dass sie als einzige die globale Leitwährung drucken darf. Die Weltgemeinschaft, die der USA diese immense Dividende zahlt, hat selbst nach der in den USA maßgeblichen Markt-Logik ein legitimes Interesse daran zu erfahren, ob und wie die USA diesen Vorschuss zurück zu zahlen gedenkt.

Die USA selbst bringen zur Verteidigung der Geheimhaltung regelmäßig das Argument vor, dass die Informanten der USA gefährdet würden. Wie oben dargelegt helfen diese Informanten dabei illegitime Interessen durch zu setzen. Informanten dienen der Beschaffung von Informationen jenseits der legalen Kanäle. Wir reden also von Menschen die auf nicht offiziellen, oft vermutlich illegalen Wegen der Durchsetzung illegitimer Interessen dienen. Die Vergangenheit hat noch erheblich krassere Beispiele US-Amerikanischen Missverhaltens gesehen: der Sturz sozialistischer Regierungen südlich der US-Grenze, welche dann mehrfach durch faschistische Terror-Regime ersetzt wurden, welchen Zig-Tausende Lateinamerikaner zum Opfer gefallen sind; das Führen eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges im Irak, befördert und gerechtfertigt durch eine ausschließlich auf Lug, Trug, Aggression und Einschüchterung bauende Diplomatie. All dies hätte durch eine zeitige Offenlegung der diplomatischen Informationen der USA möglicher Weise verhindert werden können. Der Schutz dubioser Informanten eines dubiosen Regimes kann kaum derartige Argumente überwiegen.

Ich komme also zu dem Schluss, dass die Veröffentlichung der Cablegate Depeschen legitim ist. Darüber hinaus glaube ich aber, dass sich daraus ein generellerer Schluss ziehen lässt. Der verbrecherische Krieg im Irak und die verbrecherischen Tätigkeit unter anderem in Latein-Amerika wären vermutlich unter dem Medialen Auge der Welt- und vor allem auch der US-Öffentlichkeit wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Das Busch Regime und auch Berlusconi legen den Verdacht nahe, dass freie und geheime Wahlen die Demokratie allein nicht vor dem Faschismus zu schützen vermögen. Garantierte Transparenz der Regierung scheint dazu eher in der Lage zu sein – sofern die Regierung Kritik nicht unterdrücken kann.

Und in so fern ist WikiLeaks tatsächlich teil einer Revolution. Die Ränke der Mächtigen werden hoffentlich ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Sicherlich wird es damit etwas schwieriger manche legitimen Interessen durch zu setzen. Aber es wird ganz erheblich schwieriger jegliche nicht legitimen Interessen durch zu setzen. Es ist schwer vorstellbar, dass das letztendlich nicht im Interesse der Machtlosen ist. Die Befreiung der Information wird die Revolution der Informationsgesellschaften sein, und sie hat das Potential, völlig unblutig zu verlaufen.