Postpostprivacy – Teil 2

Der Datenschutz muss leider als gescheitert angesehen werden. Hier werden Alternativen zum Datenschutz vorgestellt und diskutiert.

Im ersten Teil dieses Artikels habe ich mich kritisch mit den heutigen Datenschutzbemühungen auseinandergesetzt. In diesem Teil wird es nun darum gehen, Alternativen aufzuzeigen. Dazu muss man sich zunächst klar machen, was überhaupt das Ziel ist, das zu erreichen der Datenschutz so spektakulär scheitert. Im ersten Teil dieses Artikels habe ich eingangs die beteiligten Gruppierungen aufgezählt und behauptet, Ziel der Datenschützer sei es, uns vor den Interessen der Wirtschaft und der staatlichen Exekutive zu schützen. Pointiert geht es um den Schutz vor staatlicher Willkür und ausuferndem Marketing – zu letzterem gehört übrigens auch Kreditvergabepolitik und ähnliches.

Doktorspiele

Der Datenschutz ist hier nur ein Herumdoktorn an den Symptomen. Sowohl wirtschaftliche wie exekutive Akteure sind meist weitgehend intransparent und versuchen Transparenz der Bürger her zu stellen. Dieses Informationsgefälle stellt ein Machtgefälle dar, das als Bedrohung empfunden wird und tatsächlich die Form ungerechter Willkür annehmen kann – als staatliche Willkür oder wirtschaftliche Benachteiligung. Datenschutz ist nun das Bestreben, mit einigen Regeln (deren Einhaltung sich aber aufgrund des Informationsgefälles oft nicht überprüfen lässt) den Missbrauch dieses Informationsgefälle zu vermeiden.

Heilung

Es ist eine Grundthese von Extreme Governing, dass dieses Informationsgefälle keinen sozialen oder volkswirtschaftlichen Nutzen hat. Natürlich hat es einen privatwirtschaftlichen Nutzen – die Bereicherung Weniger – und wird daher vehement verteidigt. Auch erfordert unser antiquiertes Staatswesen ein solches Machtgefälle. Doch beidem kann prinzipiell abgeholfen werden und Extreme Governing erklärt wie.

Doch eine Informationsparität verhindert noch nicht zwangsläufig Informationsmissbrauch. Daher nimmt Extreme Governing den wirtschaftlichen und exekutiven Akteuren auch die Motivation für diesen Missbrauch. Somit wären die grundsätzlichen Ursachen behoben, die zu dem Bedürfnis nach Datenschutz führen und letzterer – die fortwährend scheiternde Bekämpfung der Symptome – wäre überflüssig.

Doch selbst, wenn all das erreicht ist, bleiben gute Gründe, in bestimmten Situationen „Anonymität“ zu erlauben. Hierzu liefert dieser Artikel neue Ansätze, die noch nicht in Extreme Governing angedeutet sind. Es sind diese Ansätze, die der Postprivacy im Titel dieser Artikel-Serie ein weiteres „Post“ verschaffen.

Das Geheimnis lüften

Die Abschaffung betrieblicher Geheimnisse wäre ein relativ simpler legislativer Akt. Man räume jedem Bürger das Recht ein, in jedem Betrieb auf jede ihm passend erscheinende Art zu recherchieren, beobachten und katalogisieren. Jedem stehe voller Zugang zu allen betrieblichen Informationen offen. Kosten, die dem Betrieb dadurch entstehen hat selbstverständlich der Rechercheur in Gänze zu tragen.

Wäre das das Ende der Marktwirtschaft? Ist das Geheimnis Grundvoraussetzung für einen marktwirtschaftlichen Gewinn? Zur Beantwortung dieser Frage müssen unterschiedlich Betriebsarten betrachtet werden.

Da wären zunächst reine Produktions- und Dienstleistungsbetriebe. Solche haben i.d.R. Relativ wenige Betriebsgeheimnisse und der Erfolg eines vornehmlich produzierenden/dienstleistenden Betriebes hängt nicht an der Geheimhaltung. Der Schlüssel zum Erfolg eines produzierenden/dienstleistenden Betriebes liegt viel mehr im Prozess und dieser wird von den Mitarbeitern getragen. Es ist die Art, wie eine Hand der anderen zuarbeitet, wie dabei Effizienz erreicht und Qualität und Kundenzufriedenheit sicher gestellt werden. Dieses Know How ist Teil der Unternehmenskultur und lässt sich nicht mal eben kopieren. Solche Betriebe wären von einer neuen Offenheit nicht gravierend betroffen. Allerdings ist zu erwarten, dass sich erfolgreiche Unternehmensprozesse deutlich schneller verbreiten würden, was der Gesamtproduktivität und somit der Allgemeinheit zugute käme.

Das andere Extrem bilden reine Forschungs- und Entwicklungsunternehmen. Hier muss wiederum zwischen Software-Entwicklung und anderer Forschung und Entwicklung unterschieden werden. Wie marktwirtschaftliche Software-Entwicklung mit Informationsfreiheit in Einklang zu bringen ist, habe ich hier ausführlich dargelegt. Andere Forschung und Entwicklung wird unter Extreme Governing mit der sogenannten Infotax marktwirtschaftlich organisiert.

Infotax ist eine volkswirtschaftlich vernünftigere Lösung des Problems, das wir vergeblich mit Patenten zu lösen versuchen. Infotaxes erlauben es mir, Lizenzgebühren aus der Vermarktung meiner Erfindungen und Forschungsergebnisse zu erheben. Da ich selbst diese Gebühren an den Staat entrichten muss, wenn ich meine eigene Erfindung vermarkte, kann ich andere Produzenten nicht bei der Vermarktung meiner Erkenntnisse benachteiligen. Andere dürfen jederzeit auf meinen Ergebnissen aufbauen und entsprechend zusätzliche Gebühren kassieren, wenn ihre Weiterentwicklung vermarktet wird.

Ein Betrieb, der vornehmlich in der Forschung und Entwicklung aktiv ist muss also lediglich jederzeit seinen aktuellen Forschungs-/Entwicklungsstand öffentlich dokumentieren. Dann hat er jederzeit Anspruch auf Gebühren für seinen jeweiligen Stand/Anteil, selbst wenn andere seine Ideen weiterführen – und dieses Weiterführen fremder Ideen eröffnet gerade ein enormes Entwicklungspotential. Es ist anzunehmen, dass die marktwirtschaftliche Forschung und Entwicklung unter diesen Bedingungen nicht zum erliegen käme, sondern im Gegenteil in nie dagewesenen Maße aufblühen würde. Da Infotaxes natürlich mit der Zeit auf Null fallen müssen – der Erfinder legt den Startwert als Prozent des Verkaufspreises fest, dann fällt dieser Prozentsatz in einer gesetzlich festgelegten Zeitspanne kontinuierlich auf Null – würde dieser Entwicklungsschub der Allgemeinheit zugute kommen, und nicht die Taschen weniger füllen wie es unser heutiges Erfindungsverhinderungsrecht (besser bekannt als Patentrecht) tut.

Informationsfreiheit würde also übermäßige Gewinne einzelner Betriebe schmälern. Doch Dienstleistung, Produktion, Forschung und Entwicklung würden stark davon profitieren. Und dieser Profit würde allen statt wenigen zugute kommen. Informationsfreiheit ist also in einer Marktwirtschaft volkswirtschaftlich sehr wünschenswert. Und im Rahmen der Datenschutzdiskussion würde sie einen Teil des bedrohlichen Informations- und Machtgefälles beseitigen.

Das Leben der anderen

Den anderen Teil dieses Gefälles bildet der Staat. Von Bürgerseite dürfte es unbestritten sein, dass ein voll transparenter Staat für eine moderne Gesellschaft absolut wünschenswert ist. Das einzige, wo möglicherweise Bedenken auftauchen könnten, sind die Strafverfolgung und die Geheimdienste. Und gerade die sind es auch, wo das Informationsgefälle die größte Bedrohung darstellt.

Extreme Governing geht davon aus, dass Nationalstaaten ein überkommenes Konstrukt sind. Geografische Grenzen verschwinden schon heute für die besser Gestellten. Abgesehen von der Bedienung niederster Wählerinstinkte – Nationalismus, ökonomischer Egoismus, Fremdenfeindlichkeit – dienen nationale Grenzen heute vor allem als staatliches Förderprogramm für die organisierte Kriminalität, wie ich hier ausführlicher Erörtert habe.

Vernetzte Gesellschaften werden diese Grenzen hinter sich lassen. Meine Nachbarn, meine Kollegen, die Menschen mit denen ich täglich verkehre, werden sich womöglich einem anderen Staatswesen zurechnen als ich. Sie werden in die Sozial- und Rentenkassen anderer Verbände einzahlen als ich, ihre Steuern an andere Kollektive entrichten und sich einer anderen Rechtsprechung unterwerfen.

In diesem Mosaik von Gesellschaften wird es nicht nur wie heute ethisch höchst fragwürdig sein, sich in dem Geschäft der Spionage und des Staatsterrorismus zu engagieren. Es wird für eine offene Gesellschaft, die sich mittels Extreme Governing organisiert, auch völlig überflüssig sein. Geopolitische Kriege und Geopolitik allgemein sind in der Mosaikgesellschaft passé. Eine kontinuierliche Regierung, die die Geheimdienst-Informationen nutzen könnte, gibt es nicht (siehe unten). Innerhalb der offenen Informationsgesellschaft ist die weitere Geheimhaltung der auf fragwürdigem Wege gewonnenen Information praktisch unmöglich. Extreme Governing etabliert daher keine eigenen Geheimorganisationen.

In Extreme Governing ist jeder Bürger auch Teil des Staatsapparates. Es gibt keine Hauptberuflichen Staatsangestellten. Jeder geht gegebenenfalls einer gewerblichen Tätigkeit nach, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, und engagiert sich zudem im Staatsdienst. Das gilt natürlich auch für Polizisten. Des Weiteren baut Extreme Governing auf persönliche Verantwortung und Verantwortlichkeit. Jeder ist dem Urteil seiner Mitmenschen unterworfen. Das gilt natürlich in jeder Gesellschaft, und auch bei uns werden diese Urteile teils öffentlich, teils nicht öffentlich festgehalten. Doch unter Extreme Governing ist die öffentliche Urteilsbildung ein formalisiertes System, das für die (Selbst-)Organisation des Staates genutzt wird. Näheres dazu gibt es im Originaltext und in KiIsWhoWi.

Für dieses System ist es unerlässlich, dass auch die Arbeit von Polizisten transparent und öffentlich dokumentiert sein muss. Sollte sich zeigen, dass die Offenlegung von Ermittlungsverfahren diese zu stark behindert – die Bekämpfung organisierter Kriminalität muss ohnehin völlig andere Wege gehen, und betreffs anderer Vebrechensformen halte ich die Notwendigkeit zur Geheimhaltung von Ermittlungen für nicht bewiesen – so kann die Ermittlung immerhin völlig offen gelegt werden, sobald sie abgeschlossen ist.

Es zeigt sich also, dass das Informations- und Machtgefälle zum Nutzen aller abgeschafft werden kann. Doch solange Staat und Wirtschaft nach wie vor motiviert sind, die verfügbaren Informationen gegen die Interessen der Bürger ein zu setzen, ist noch nicht all zu viel gewonnen.

Die Exekutive und das Urteil des Souveräns

Wie wir gerade gesehen haben, ist die Exekutive des Extreme Governing Teil der Bürgerschaft des selben und ständig der Beurteilung dieser Bürgerschaft ausgesetzt. Unter diesen Bedingungen kann es nicht im Interesse der Exekutive sein, gegen die Interessen der Bürgerschaft zu handeln, da sich die (in diesem Moment) im Staatsdienst Befindlichen damit selbst unmittelbaren Schaden – als Bürger doch vor allem als Beurteilte – zufügen würden.

Geld regiert die Welt

Bei der Wirtschaft liegt die Sache anders. Hier geht es den Betrieben ja nicht um sozialen Status sondern um monetäre Gewinne. Nun kann man (zurecht) annehmen, dass negative Beurteilungen eines Unternehmens diesem auch finanziell schaden. Doch Unternehmen haben eine Möglichkeit, dem im erheblichen Maße entgegen zu wirken – die Werbung. Die relevanten und richtigen Urteile der Bürgerschaft könnten vom viel „lauteren“ Marketing der Beurteilten übertönt werden.

Dies ist eine Grundeigenschaft von Marketing: Der einzige Zweck der Werbung ist i.d.R. Die Verbreitung von Fehlinformation. Werbung versucht Verbindungen herzustellen, die es so nicht gibt, z.B. die Verbindung zwischen dem Kauf eines Produktes sowie sozialer Anerkennung, Glück, Schönheit, Reichtum und so weiter. Es wird versucht, das Produkt besser darzustellen, als es tatsächlich ist. Werbung dient auch der Finanzierung eines erheblichen Teils unser Medien, Kommunikationsmittel und Kultur.

Es gibt zahlreiche Gründe, die Finanzierung der Kernelemente einer Informationsgesellschaft nicht ausgerechnet durch die Verbreitung von Fehlinformationen zu finanzieren. Dieses Vorgehen stellt nebenbei bemerkt einen volkswirtschaftlichen Unsinn sondergleichen dar. Doch im Kontext der Datenschutz-Diskussion ergeben sich ganz andere Argumente.

Das Bestreben, gezielt Werbung zu verbreiten, ist der wesentliche Grund für Unternehmen, die persönlichen Daten der Bürger zu missbrauchen. Wenn es keine Werbung mehr gibt, gibt es auch diesen Datenmissbrauch nicht mehr.

Ein Verbot von Werbung ließe sich relativ leicht durchsetzen, denn Werbung muss gerade möglichst viel Aufmerksamkeit erregen. Das verträgt sich schlecht mit kriminellen Unternehmungen – wobei die Beseitigung von Email-Spam offenbar schon nicht leicht ist. Doch in einer transparenten Gesellschaft sollte es gelingen, auch das in den Griff zu bekommen.

Es muss allerdings darauf geachtet werden, die freie Rede in keiner Weise zu beeinträchtigen. Daher schlägt Extreme Governing folgende Definition vor: Es ist verboten, jemanden dafür zu bezahlen, einen dritten von etwas zu überzeugen. Diese Definition umfasst sowohl Werbung als auch die meisten Formen politischer Propaganda, doch sie beschränkt die freie Meinungsäußerung nicht im geringsten. Ich darf jederzeit sagen, dass Cola-Trinken mich reich, sexy, cool und beliebt gemacht hat – man darf mich nur nicht dafür bezahlen, dies zu sagen.

So ließe sich also eine Gesellschaft verwirklichen, in der die Transparenz zwischen Bürgern, Regierung und Unternehmen symmetrisch ist; Und in der weder die Exekutive noch die Wirtschaft ein Interesse am Missbrauch der Transparenz der Bürger hat. Die Bedenken manch antikapitalistischer Datenschützer lassen sich so sicher nicht anfechten. Aber die Bedenken der heute vielfach schon recht freizügigen Bürgerschaft sollten damit ausgeräumt sein.

Postpostprivacy

Doch eine völlig transparente Gesellschaft macht eine anonyme Opposition praktisch unmöglich. Sie erstickt den Untergrund im Keim. Eine solche Gesellschaft wäre für manche ein formidables Schreckgespenst und das nicht zu unrecht. Denn wenn nicht alles nach meinen Idealvorstellungen läuft und sich warum auch immer ein suppressives Regime herausbildet, steckt die Gesellschaft in einer Sackgasse, aus der sie nicht so leicht wieder herauskommt. Natürlich wäre dies in einer Mosaikgesellschaft kein Problem, denn man könnte sich einfach einem anderen Staat anschließen. Doch wenn sich eine Gesellschaft als dominierend herausbildet, sollte auch sie noch einen Fußweg aus der Sackgasse bieten.

Zudem ist völlige Transparenz auch gar nicht durchsetzbar. Denn gegen Kryptoanarchisten ist (glücklicher Weise) kein technisches Kraut gewachsen. Die Underdogs des Informationszeitalters haben sich bisher jedem technischen Angriff weit überlegen gezeigt und werden das voraussichtlich auch in Zukunft tun. Ihnen verdanken wir alles, was uns technisch stark gegen Terrorregime macht: Email-Verschlüsselung, TOR, Freenet, Bitcoin und so fort. Wir sollten diese Tugend also zum Prinzip machen.

Unser heutiges Recht erzwingt als juristische Personen solche, die vom Staat in irgendeiner Form erfasst sind: zum Beispiel im Einwohnermeldeamt oder im Unternehmensregister. Dies ist wiederum ein wichtiger Kniff zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens. Doch dies muss wie gesagt ohnehin ganz anders bekämpft werden. Ich schlage vor, von diesem Rechtsgrundsatz abzusehen.

Ich kann mir ein beliebiges Pseudonym zulegen, oder in beliebiger anderer Form Verträge eingehen, die sich nicht ohne weiteres mit anderen rechtlichen Repräsentationen meiner Person in Verbindung bringen lassen. Natürlich wird sich nicht jeder und nicht jedes Unternehmen darauf einlassen, mit solchen „Inselpersonen“ Geschäftsverhältnisse einzugehen. Und auch über solche Inselpersonen können Profile (zum Beispiel bei KiIsWhoWi) angelegt werden. Doch solange die Person hinter diesen Fassaden verhindern kann, dass die Fassaden verbunden werden, genießt sie reichlich Anonymität.

Diese Anonymität erfordert natürlichen erheblichen Aufwand – das tut sie übrigens heute schon, wie ich im ersten Teil dieser Miniserie angedeutet habe. Sie wird auch nur von sehr wenigen tatsächlich genutzt werden – wie übrigens heute schon. Doch viele Leute werden wenig gegen Verbindung der Fassaden gesicherte Pseudopersonen aufbauen – auch dies lässt sich heute schon beobachten. Es ist dies offenbar ein Bedürfnis vieler Menschen. Und es ist ein weiteres Argument für die Legalisierung dieses Vorgehens, denn ein Staat sollte den Bedürfnissen seiner Bürger nichts in den Weg legen, wenn nichts kritisches dem entgegen steht.

Die technischen Voraussetzungen für pseudonyme Finanztransaktionen existiert mit Bitcoin übrigens bereits und lässt sich womöglich nicht so leicht aus der Welt schaffen. Ich tue hier also nicht viel mehr, als die Gesetze schnell den von der Wirklichkeit geschaffenen Fakten hinterher zu definieren.

Wenn es möglich wäre, rechtliche bindende Verträge und Transaktionen mit pseudonymen Personen durch zu führen, und nur dann, wäre ein wirksamer Datenschutz durchführbar. Denn dann wäre ich nicht mehr gezwungen, meine Daten in irgendeiner Form herauszugeben. Die Spackeria hat völlig recht, wenn sie behauptet, dass ich Daten die ich einmal herausgegeben habe als öffentlich ansehen sollte. Nur Daten, die ich nicht herausgebe sind wirklich geschützt. Deshalb kann es Datenschutz nur mit diesem rechtlichen Kniff geben.

Utopilotik

Das ist eine Welt, in der ich gerne Leben würde. Bezüglich des Elixiers der Informationsgesellschaft – eben bezüglich der Information – bin ich mit den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft gleich gestellt. Ich habe auch ohnehin nichts vor ihnen zu fürchten, denn sie haben keinen Grund (mehr), mir zu schaden. Wenn es denn nach meinem Geschmack wäre, könnte ich auch trotzdem versuchen, meine rechtliche Repräsentation zu fragmentieren und diese Fragmente vor dem Auge der Öffentlichkeit getrennt zu halten. Und wenn alle Stricke reißen, suche ich mir halt einen anderen Staat, ohne umziehen zu müssen, und wenn auch das nicht geht, schließe ich mich dem Untergrund an, der extra zu seinem Schutz eine spezielle Rechtsprechung genießt.

Postpostprivacy – Teil 1

Eine kritische Auseinandersetzung mit den heutigen Datenschutzbestrebungen

Als ich 2002 den ersten Entwurf von Extreme Governing schrieb (damals noch unter dem Namen „German Public License“) war dies – unter anderem – ein radikaler, vollkommen kompromissloser Postprivacy Entwurf. Der Begriff war mir damals natürlich nicht bekannt. Mein nächster Entwurf – diesmal als „Extreme Governing“ – war in dieser Hinsicht schon etwas milder. Heute, bald eine Dekade später, haben andere den Begriff „Postprivacy“ etabliert. Er ist als Begriff, wenn auch sicher nicht als Überzeugung, im Mainstream der einschlägigen Kreise angekommen. Ich versuche nun, die entsprechenden Aspekte von Extreme Governing weiter zu entwickeln und Lösungsansätze für die Probleme des Datenschutzes und der Postprivacy anzureißen.  Dieser erste Teil ist eine kritische Auseinandersetzung mit den heutigen Datenschutzbestrebungen, im zweiten Teil zeige ich Alternativen auf.

Die Akteure

Wenn man die wenigen Postprivacy-Advokaten mitzählt, gibt es fünf wichtige Gruppen in der Diskussion um unsere Privatheit, den Umgang mit den uns betreffenden Informationen:

  • Wirtschaftliche Unternehmen suchen möglichst umfangreichen Zugang zu unseren Daten. Sie möchten diese Daten umfassend erheben, verarbeiten, auswerten und handeln. Letztendlich sollen die Daten meist dazu genutzt werden, wirtschaftliche Produkte möglichst effizient zu vermarkten. Bei uns kommen diese Bemühungen meist als Werbung an. Unternehmen versuchen meist umgekehrt, ihre eigenen Informationen möglichst geheim zu halten und nur streng dosiert und gezielt über ihr Marketing zu veröffentlichen. Die Motivation von Unternehmen ist letztlich immer, Geld zu verdienen.
  • Die Exekutive des Staates möchte für den Fall des Falles Zugriff auf alle uns betreffenden Information. Diese sollen möglichst schon in Datenbanken aufbereitet und für den schnellen Zugriff und die Suche von Verdächtigen nach beliebigen Kriterien abfragbar sein. Ziel der Exekutive ist die Gewährleistung der inneren Sicherheit.
  • Datenschützer sind moderne Bürgerrechtler. Sie versuchen sich den einschlägigen Interessen der Unternehmen und staatlicher exekutiv-Organe entgegen zu stellen. Ihr Ziel ist, dass wir selber entscheiden können, was mit unseren Daten geschieht. Dieses Ziel wird auch „informationelle Selbstbestimmung“ genannt. Datenschützer handeln meist aus ideellen und teils altruistischen Motiven.
  • Politiker versuchen einen Interessenausgleich zwischen obigen Parteien herzustellen. Die wichtigste Informationsquelle, die Politiker zur Entscheidung jedweder Sachverhalte nutzen, sind immer wirtschaftliche Unternehmen durch ihre Lobbyisten. Viele Wähler interessieren sich auch nicht sonderlich für Datenschutz, daher ist die Position der Datenschützer relativ schwach. Die innere Sicherheit interessiert die Bürger hingegen sehr, da die Medien einschlägige Propaganda in einer Dauerschleife darbieten. Politiker wollen vor allem wieder gewählt werden.
  • Die Postprivacy-Advokaten glauben an eine bessere Zukunft in der Datenschutz nicht mehr notwendig ist und eine Gegenwart in der er auch nicht mehr möglich ist. In dieser Welt, die nach dem geschichtlich kurzen Intermezzo der Privatheit kommt, kann jeder alles über jeden erfahren. Postprivacy-Advokaten sind ebenfalls Idealisten – allerdings i.d.R. deutlich jüngere als die Datenschützer – die jedoch zu der Überzeugung gelangt sind, dass Datenschutz nicht umsetzbar ist.

Bruderzwist

Nun könnte man ja annehmen, dass die Idealisten sich irgendwie zusammenraufen und sich jeder auf seine Art dem Imperium entgegenstellen. Doch weit gefehlt. Constanze Kurz beispielsweise, CCC Sprecherin und bekannte Datenschützerin, titulierte die unliebsamen Jungidealisten als Spackos und prügelt beispielsweise hier gänzlich unentspannt auf ihnen rum. Eins zu null für das Imperium. Naja, genau genommen steht es ganz erheblich mehr als eins zu leider kaum mehr als null.

Was geschieht dort? Die Datenschutzbewegung ist schon etwas älter, sie hat mit zunehmender Vernetzung an Bedeutung gewonnen. Als Startpunkt kann man die Popularisierung des Internets durch die Erfindung des WWW 1992 annehmen – natürlich gab es das alles vorher schon, doch es war kein Phänomen, das jeden ständig in der heutigen Weise betraf. Datenschützer, insbesondere diejenigen, die über größeren Einfluss in der öffentlichen Debatte verfügen, sind meist nicht mehr ganz so jung. Sie durften auch schon mal ein bisschen an den Pfründen der Macht schnüffeln, wofür sie Jahre, teils Jahrzehnte gekämpft haben. Über den Großteil ihrer Laufbahn waren Datenschützer unerschütterlich überzeugt, dass Datenschutz richtig (the right thing TM) ist und alles andere böse. Und das gesamte Umfeld der Datenschützer – zumindest der Teil, der fachlich einigermaßen mithalten kann – stimmte dem zu.

Da haben sie sich also nun endlich etwas etabliert, dürfen sogar mal bei den richtigen Politikern in einer Kommission sitzen, und dann kommen diese jungen Spackos, behaupten glatt das Gegenteil von allem woran die Datenschützer glauben … und? UND? Werden gehört, geben Interviews im Spiegel, bekommen haufenweise Airtime. Zum kotzen. Spackos. Leider ist nicht zu erwarten, dass der Zorn der Datenschützer irgendwann verfliegt und sie dann gemeinsame Sache mit den Spackos machen. Denn Überzeugungen einer gewissen Tiefe verfliegen nicht so schnell. Aber der Spackos sind ja nicht so viele, marginalisieren wir sie also.

Von Spackos, Technophilen und Normalos

Da ist nur ein Problem. Die Spackos haben recht (die Argumente sind z.B. hier sehr gut zusammengefasst). So sehr sich manche von ihnen auch informationelle Selbstbestimmung wünschen, der Zug ist abgefahren. 500 Mio. Facebook-Nutzer sind nur die Spitze des Eisberges. Alle paar Wochen gibt es irgendwo Datenlecks gigantischen Ausmaßes. Aber selbst das ist nur das Rascheln im Blätterwald. Normale Menschen (im Gegensatz zu technophilen Knallköpfen wie mir, den Spackos oder den Datenschützern) sind mit Payback, Adsense und was weiß ich nicht noch alles bereits so transparent, dass man sich schon etwas wundern könnte, in was für einer Fantasiewelt Datenschützer so leben. Ein erschütterndes Beispiel für den Stand der Technik, findet sich in der hier besprochenen Preisliste für persönliche Daten.

Es ist eben die Fantasiewelt der Technophilie. Der unerschütterliche Glaube an die Beherrschbarkeit der Technik. Die überwältigende Mehrheit der Datenschützer ist stark Technik-affin. Sie wissen was ein Cookie ist und sie beherrschen ihre Cookies. Was für Normalos ziemlich schräg klingt ist für Technophile Alltag – und Voraussetzung für die informationelle Selbstbestimmung. Wenn Sie, lieber Leser, Cookies für Kekse halten, gibt es für Sie keine informationelle Selbstbestimmung. Und Cookies sind natürlich erst der Anfang, das A eines ziemlich langen Alphabets. Datenschützer sind Bürgerrechtler, die leider die Bürger aus den Augen verloren haben.

Freiheit

Datenschutz muss immer die Errichtung von Informationsschranken bedeuten. Diese Schranken sind ein Hemmnis für den Fluss des Rohstoffes der Informationsgesellschaft. Datenschutz ist immer eine Einschränkung. Als solcher eröffnet er niemals Chancen sondern verbaut diese nur. Es ist schon fraglich ob der angenommene Nutzen der informationellen Selbstbestimmung die so vergebenen Potentiale aufwiegt. Wichtiger noch ist aber, dass der Datenschutz die Natur der von ihm errichteten Schranken verkennt: es sind Schranken, die nur die Unbedarften beschränken. Garstge Hacker umgehen sie technisch, mächtige Unternehmen umgehen sie juristisch oder geografisch, finstere Regime umgehen sie wie es ihnen gerade passt. Technophile Datenschützer, die uns ausgefeilten Datenschutz empfehlen, sind ein bisschen wie Steuerberater, die uns ein kompliziertes Steuerrecht empfehlen – letzere helfen Unbegüterten so wenig wie erstere den Technophoben. Solche Regeln nutzen am Ende immer den Falschen.

Die Leute, die sich für Datenschutz einsetzen, sind tendenziell die selben, die sich für Informationsfreiheit mindestens in Form der Privatkopie und in der staatlichen Administration einsetzen, die den Einsatz freier Software propagieren, die für Netzneutralität und gegen jegliche Form einer Netz-Zensur-Infrastruktur (z.B. Kinderpornosperren) sind, die sich gegen Software-Patente und Gängelung durch missratene Urheberrechte und die Content-Mafia (= Rechteverwerter) wehren. Die meisten Datenschützer setzen sich in praktisch allen Belangen für Informationsfreiheit und -Gleichheit ein. Nur bei persönlichen Daten plädieren sie für eine das gesamte Informationsnetz bis in die Spitzen durchdringenden Zensur-Infrastruktur, Copyright-Regelungen, Schranken, Sperren, Verbote, Überwachung, Sanktionen. Felix „Fefe“ von Leitner schreibt in seinem Blog regelmäßig über kognitive Dissonanzen bei den von ihm Geschmähten, empfindet aber selbst den oben dargestellten Widerspruch in seinen Rants nicht im Geringsten.

Datenschutz wäre – wenn er denn überhaupt mehr als das löchrige Alibi wäre, das er heute abgibt – bestenfalls ein Schutz für die kleine aber wirkmächtige Minderheit der Technophilen. Diese Minderheit kämpft für den Datenschutz in weitgehender Ignoranz der Lebenswirklichkeit ihrer weniger nerdigen Mitbürger und kompromittiert dafür das einzige Ziel, für das wir Machtlosen je erfolgreich gekämpft haben: die Freiheit.

Der Wunsch nach Datenschutz entspringt jedoch einem gerechtfertigten Bedürfnis. Im zweiten Teil stelle ich dar, wie diese Bedürfnisse befriedigt werden können, ohne die breite Bevölkerung links liegen zu lassen und dabei jedoch im Einklang mit dem Wunsch nach Freiheit zu bleiben.

Menschen, die

Was sind das für Menschen, die unsere Geschicke leiten? Und was sollten das besser für Menschen sein? Wie werden diese Menschen ausgewählt, nach welchen Kriterien sollten sie statt dessen ausgewählt werden und wie lässt sich das bewerkstelligen?

Was sind das für Menschen, die unsere Geschicke leiten? Vor ein paar hundert Jahren konnte man nur relativ wenig darüber sagen. Es waren Menschen, die Kinder von Königen waren, von Fürsten und Rittern. Wer führte und wer folgte wurde durch Erbfolge bestimmt. Und heute?

Demokraten und andere Despoten

Es sind Menschen, die rhetorisch begabt sind, Menschen die planen und vermitteln können; Menschen, die Probleme erkennen und lösen können. Es sind Kommunikatoren. Doch bei weitem nicht alle Menschen, die solche Eigenschaften besitzen, schaffen es an die Spitze. Denn das Wichtigste ist der Wille es nach oben zu schaffen. Heute leiten unsere Geschicke Menschen, die das unbedingt wollen; Menschen, die das wichtiger finden als alles andere, wichtiger als Hobbys, wichtiger als andere Menschen, die das auch wollen, wichtiger als ihre Gesundheit und ihre Familie.

In unserer Gesellschaft gibt es grundsätzlich zwei unterschiedliche Gebiete, in denen Menschen unsere Geschicke leiten. Das erste ist die Politik, das zweite die Wirtschaft. Welches „oben“ sich Menschen als ihr Ziel wählen hängt vermutlich teils vom Zufall ab, teils aber auch von den persönlichen Präferenzen: will man lenken und leiten oder will man lenken und leiten und reich werden?

Das Rätsel der fehlenden Arschlöcher

Menschen, die ihren persönlichen Erfolg wichtiger finden als ihre Gesundheit, ihre Kollegen und ihre Familien, sind nicht immer unbedingt die Menschen, die ich mir als Freunde wünsche. Ich habe mich viele viele Jahre über einen mir offenkundigen scheinenden Widerspruch gewundert: Menschen tun, wie man täglich in den Medien erfahren kann, andauernd schreckliche Dinge. Viele dieser Dinge setzen eine bemerkenswerte Menschenverachtung voraus. Aber wo sind all diese Fieslinge? Ich lerne andauernd nette Leute kennen. Wir sind alle schwach und fehlbar und allzu menschlich. Doch wo sind all die echten Arschlöcher?

Heute habe ich einen Verdacht. Es gibt gar nicht so viele davon. Aber um es ganz nach oben zu schaffen braucht man mehr als Schwäche und Fehlbarkeit und Menschlichkeit. Das schafft man kaum, wenn man übermäßige Rücksicht auf die Mitmenschen nimmt. Es gibt sicher zahlreiche Ausnahmen. Es gibt Menschen, die sich für ihre Ideale nach oben kämpfen und sich diese Ideale sogar bewahren. Es gibt Menschen, die es aufgrund ihrer herausragenden Fähigkeiten nach oben schaffen und auf dem Weg nicht völlig verdorben werden. Doch insgesamt fürchte ich, unser Gesellschaftssystem ist ein ziemlich brauchbarer Arschlochselektor. Man lernt die nicht kennen, weil die viel zu beschäftigt mit ihrem Erfolg sind. Vorsichtshalber seien ambitionierte Arschlöcher aber gewarnt: es reicht nicht, ein Arsch zu sein. Man muss dabei auch gut aussehen.

Es war sicher eines der größten Probleme der Monarchie, dass sie meist die Falschen Führer ausgewählt hat. Und vielleicht ist das auch immer noch eins unserer größten Probleme. Dabei scheint das Problem kaum als solches anerkannt zu werden. Die einzige einigermaßen populäre Alternative zu unserem System – der Sozialismus – ignoriert das Problem komplett. Er nimmt den Menschen, die Geld und Macht wollen, diese Option und schickt sie auch noch in die Politik. Dort sind sie dann mit noch umfassenderen Befugnissen ausgestattet als in unserem System. Das heißt, die paar wenigen Idealisten werden weiter „verdünnt“ und so zur völligen Bedeutungslosigkeit verdammt. Das erklärt ziemlich gut das Bild, das der Sozialismus historisch abgegeben hat.

Die meisten sind besser als die Schlechtesten

Es wäre also schon mal ein Fortschritt, wenn wir nicht ausgerechnet jene Menschen als unsere Führer bevorzugten, die dazu aus sozialen Gesichtspunkten am wenigsten geeignet sind. Trotzdem sollten sie natürlich sachlich möglichst gut für ihre Aufgabe qualifiziert sein. Und sie sollten motiviert sein, im Sinne der Gemeinschaft zu entscheiden.

Extreme Governing wählt als Entscheider die Menschen, die von anderen sachlich und ethisch positiv beurteilt werden. So werden nur Menschen ausgewählt, die ethisch und sachlich qualifiziert sind. Die Entscheidungen gehen wieder in die Beurteilungen der Entscheider ein, und da jeder höchstens nur sehr wenige Entscheidungen von größter Tragweite treffen darf, sind diese sehr wichtig für seine Beurteilung. Und die Beurteilung spielt ein wichtige Rolle im Leben. So werden die Entscheider motiviert im Sinne der sie Beurteilenden zu entscheiden.

Kultur in Ketten

Wir kriminalisieren unser Kultur und mit ihr u.a. unsere Kinder. Die Gründe die dafür angeführt werden waren früher schon falsch, heute sind sie absurd.

Wir haben uns die Ketten selbst angelegt. Genau genommen waren es unsere Vorfahren. Doch auch heute zweifeln eher wenige daran, dass wir diese Ketten brauchen. Haben Sie vielleicht Kinder? Teenager? Oder bist Du vielleicht ein Teenager oder unter etwa 25? Dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Ihre Kinder oder eben Du selbst kriminell sind/bist.

Da wäre natürlich  unsere absurde Drogenpolitik, mit der die USA die Population ihrer Gefängnisinsassen größer hält als die ihrer Universitäten. Die Politik mit der wir Mexiko in einen Drogenkrieg getrieben haben, den es nicht gewinnen kann. Doch darum wird es in einem anderem Artikel gehen. Hier geht es um unsere Kultur, um Musik, Kunst, Literatur, Film usw.

In Ihrem Haus oder in Ihrer Wohnung befinden sich mit großer Wahrscheinlichkeit sogenannte Raubkopien. Abgesehen davon, dass sie sich so natürlich erheblichen zivilrechtlichen Forderungen aussetzen können – in den Medien hat z.B. der Fall von Jammie Thomas eine gewisse Aufmerksamkeit erhalten – machen Sie sich strafbar. Die sympathischen Hinweise auf bezahlten DVDs („Raubkopierern“ bleibt dieses zweifelhafte Vergnügen oft erspart) sind tatsächlich ernst gemeint. Ein großer Teil der Bevölkerung der westlichen Welt besteht aus Kriminellen. Ein Viertel des Datenverkehrs im Internet ist offenbar kriminell, weil dieses Viertel der Verbreitung unserer Kultur dient. Die meisten tragen ihre Ketten gerade nicht, aber sie könnten jederzeit angelegt werden. Denn die Ketten sind Teil unserer Kultur.

Und damit sind wir bei unseren Vorfahren. In Deutschland haben wir die wichtigsten Schritte 1837 in Preußen und dann 1871 im Deutschen Reich getan. Heute glauben die meisten Menschen, dass die Kriminalisierung der Kultur-Verbreitung eine notwendige Voraussetzung für die wirtschaftliche Schaffung von Kultur ist. Das wird uns ja auch ständig von Lobbyisten und ihren Politikern eingebläut. Doch dies ist eine bewusste oder unbewusste Lüge.

Dieser erhellende Vergleich der Situationen in Deutschland vor Einführung des Urheberrechtes und der Situation in England wo es damals schon Copyright gab, ist sehr aufschlussreich. Es gab sehr viel mehr Bücher in Deutschland, der Büchermarkt war sehr viel vielfältiger sowohl in der Breite wie in der Tiefe und die Autoren verdienten im Schnitt sehr viel besser. In England gab es weniger Verlage, die weniger Bücher verlegten. Diese wenigen Verlage hatten aber höhere Gewinnmargen. Nur Top-Autoren verdienten besser als vergleichbare Autoren in Deutschland.

Das Copyright schützt also offenbar nicht die Schöpfer der Kultur. Ganz im Gegenteil, vielmehr schützt es die überhöhten Gewinnmargen derjenigen, die unsere Kultur finanziell abschöpfen. In der Musik sieht es ganz ähnlich aus. Die überwältigende Mehrheit der Musiker lebt nicht von CD Verkäufen. Die allermeisten sind vor allem Musiklehrer. Dann gibt es auch nicht wenige, die mit Auftritten einiges verdienen. Selbst viele Mega-Acts verdienen an Auftritten mehr (als genug), mehr als durch CD-Verkäufe.

Allerdings ist gerade die musikalische Kultur massiv durch die Kriminalisierung ihrer Verbreitung beeinträchtigt.  Wenn Musiker die Ideen anderer Musiker übernehmen und weiter entwickeln und -verbreiten werden ihre Auftrittsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt. Denn für viele kleinere Etablissements ist der unverhältnismäßige Aufwand der Erfüllung der GEMA-Auflagen bürokratisch wie finanziell nicht tragbar. Auch die Verbreitung ihrer Musik ist natürlich eingeschränkt. Selbst wenn die Musiker, die sich von anderen inspirieren ließen, ihre Musik verschenken wollen ist das nicht mehr möglich.

Es genügt nicht einmal ein Stück quasi neu zu erfinden. Selbst wenn Musiker Rhythmus, Tempo, Tonart und Sound eines Stückes komplett ändern sowie Text und Melodie deutlich variieren haben sie das Stück nicht von den Ketten des ursprünglichen Autors befreit. Das gilt natürlich auch, wenn die ursprüngliche Version völlig unbekannt ist und als wenig originell gelten darf während das „Plagiat“ eine große Schöpferische Leistung darstellt.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wäre unsere Kultur heute sehr viel ärmer, wenn schon immer so ein irrsinniges Urheberrecht gegolten hätte wie heute. Denn Kultur lebt gerade davon, dass Ideen von anderen Künstlern weiter entwickelt werden. Kulturelle Leistungen kommen niemals aus dem nichts. Dabei ist es völlige Willkür, was geschützt ist – in der Musik z.B. im Wesentlichen Text und Melodie. Sound-Tüftler beispielsweise gehen da eher mal leer aus. Es kann gut sein, dass sich gerade aus diesem Grund unsere Musik in den vergangenen Jahrzehnten vor allem im Bereich Sound weiterentwickelt hat.

Dabei würde sich für kaum einen Musiker etwas wesentliches ändern, wenn wir aufhören würden unsere Kinder – die offenbar kulturbegeisterter sind als wir – wegen der Verbreitung unserer Kultur zu kriminalisieren. Denn kaum ein Musiker lebt hauptsächlich vom Verkauf seines sogenannten geistigen Eigentums. Anders ist dies zum Beispiel bei Autoren und Filmschaffenden.

Wer sich eingängiger mit Youtube beschäftigt muss zu dem Schluss kommen, dass das Ende der kriminalisierten Kultur-Verbreitung nicht das Ende des Films wäre. Die meisten Clips sind dort kurz doch es gibt durchaus auch längere Filme. Die hochwertigsten sind oft Arbeiten von Film-Studenten und erreichen teils ein erstaunliches Niveau. Es gibt Dokumentationen, Propaganda, Unterhaltung jeder Art, Musik, Sport (insbesondere im Bereich E-Sports auf teils beachtlichem Niveau) Kunst usw.

Natürlich kann all dies technisch nicht mit den Top-Produktionen auf Hollywood mithalten. Cineastisch habe ich auch nichts gesehen, was mit den besten Filmemachern mithalten kann. Doch hier sind zwei Dinge zu beachten. Technisch können die besten freien Produktionen durchaus mit professionellen Produktionen von vor 10 bis 20 Jahren mithalten. Der technische Fortschritt erlaubt es heute mit einem Hobby-Budget Dinge zu produzieren, die vor einigen Jahren Millionen verschlungen haben. Es ist nicht an zu nehmen, dass dieser Prozess ein plötzliches Ende finden sollten. Das heißt aber, dass eine Entkriminalisierung unserer Kultur den Film technisch höchstens um ein paar Jahre zurückwerfen würde.

Wichtiger noch ist aber dieser Punkt: die wahren Filmverrückten arbeiten heute vielfach beim Film. Würden wir aufhören, unsere Kultur zu kriminalisieren, würden all diese Verrückten aufhören, Filme zu machen? Wohl kaum. Vielmehr ist an zu nehmen, dass freie Filme teils professioneller würden. Die Lücke zwischen heutigen professionellen und künftigen freien Werken würde sich also technisch verkleinern und vom cineastischen Anspruch wohl möglich egalisieren. Das gleiche gilt für Musik-Produktionen.

Oben wurde bereits auf diesen verblüffenden Artikel verwiesen, wo dargelegt wird, dass die historische Kriminalisieren der Kulturverbreitung den aller meisten Autoren schwer geschadet hat. Heute ist leider nicht an zu nehmen, dass eine Befreiung der Kultur den Autoren entsprechend nützte. Vor der Kriminalisierung unserer Kultur konnten die Verlage ihren zeitlichen Vorsprung und geschickte Marktplatzierung nutzen um sich vor Plagiaten zu schützen. Heute lässt sich die Duplikation voll automatisieren und praktisch ohne Investitionen und Zeitverluste durchführen.

Aggregatoren könnten beliebige Inhalte bei sich versammeln um aus dem resultierenden Traffic Werbeeinnahmen zu generieren. Dies ist ein weiterer Grund, Werbung zu verbieten. Ich bin bereits verschiedentlich auf andere Gründe eingegangen. Wichtig ist es, das Verbot so zu formulieren, dass freie Rede in keiner Weise beeinträchtigt wird. Wenn dieses Hindernis beseitigt ist, gibt es keinen Grund mehr, Kultur zu stehlen. Doch die wirtschaftliche Verwertbarkeit von Geschriebenem ist auch dahin – wenn man mal von modernen Ansätzen wie Crowd-Sourcing absieht. Doch hier muss sich erst noch erweisen, ob das langfristig besteht.

Aber es gibt noch einen Unterschied zwischen der Zeit vor der Kriminalisierung unserer Kultur und der Zeit danach: Damals war der Arbeitsaufwand für die Beschaffung des Lebensunterhalts eines Menschen sehr viel höher und die Fähigkeit zu schreiben, sowie auch die fachliche Qualifikation zum Verfassen von Fachtexten sehr viel seltener. Heute haben sehr viele hoch qualifizierte Menschen so viel Freizeit, dass sie einen nie dagewesenen Tsunami von Geschriebenem über uns hereinbrechen lassen.

Das selbe gilt für alle andere Formen von kriminalisierter Kultur: sie ist keine begrenzte Ressource mehr. Marktwirtschaft ist gut in der effizienten Verarbeitung begrenzter Ressourcen. Doch in unseren kulturellen Gütern ist die Marktwirtschaft heute völlig fehl geleitet. Denn diese Güter sind heute reichlich vorhanden, es ist völlig unmöglich, die Grenzen des ständig neu geschaffenen zu erkunden, denn diese Grenzen entfernen sich schneller als irgendjemand lesen, hören oder sehen könnte. Wir können jetzt aufhören, unsere Kinder, ein viertel des Datenvolumens und unsere Kultur an sich zu kriminalisieren. Denn selbst die fadenscheinigen Begründungen, die einmal dafür herhalten mussten, sind heute offensichtlich absurd.

Aus dem Ghetto

Es waren natürlich nicht nur – wie mancher immer noch gerne hinter vorgehaltener Hand zum Besten gibt – die Autobahnen. Nein auch die Ghettos waren offenbar Produkt einer bemerkenswerten Weitsicht. Hier kann man störende Elemente fein säuberlich von den erwünschten separieren, so dass die Unerwünschten die Gesellschaft nicht stören. Die alten Betonplatten-Autobahnen wurden mittlerweile erheblich verbessert. Doch die Ghettos sind gar nicht mehr wieder zu erkennen, so wurden sie verbessert.

Szene 1, In the Ghetto

Die erwünschten Elemente, das sind heute die produktiven. Und alles, was diese Produktivität stört, muss weg. Alte werden zur Kostenminimierung (also zur Senkung der Unproduktivität) möglichst sediert und in Altenheimen aufbewahrt. Behinderte werden in artgerechten Werkstätten gehalten. Akademiker-Kinder werden in Gymnasien auf maximale Produktivität gedrillt, Hauptschüler in ihren ganz eigenen Ghettos auf ihre Karrieren als Harz IV Empfänger oder Kriminelle vorbereitet und die Realschüler im Fegefeuer dazwischen genötigt, gute Mine zum bösen Spiel zu machen.

Kinder stören. Das kann sicher jeder bestätigen, der schon mal eins getroffen hat. Kinder stören so was von. Das Konzept der Ganztagsschule ist unbestritten ein wichtiger Schritt zu einer etwas weniger ungerechten Gesellschaft. Aber es ist auch echt praktisch, dass die kleinen Racker jetzt ganztags in ihrem Ghetto sitzen dürfen.

Da gibt es nur ein kleines Problem. Aus den kleinen Rackern werden irgendwann große, und die sollen dann das Feuer weiter tragen. Unsere freiheitliche Gesellschaft hat aber eine zu geringe Kohärenz, als dass zwei drei Stunden täglicher Kontakt zwischen der Kultur des Bildungsghettos und der des Mainstreams diese beiden Kulturen noch zusammenhalten könnten. Unsere Kultur zerfällt. Der soziale Zusammenhalt zerfällt. Die Gesellschaft zerfällt.

Schnitt, In Utopia

Nun hat die Produktivität, seit sie zum alleinigen Gott erklärt wurde, ja durchaus zugenommen. In der Tat hat sie bemerkenswerte Ausmaße angenommen. Es scheint auch nicht so, als sollte dieser Trend ein baldiges Ende nehmen. Extreme Governing macht zudem einige Vorschläge, die die volkswirtschaftliche Produktivität noch einmal erheblich steigern sollten. Was machen wir dann mit dieser ungeheuren Produktivität? Mehr Dinge aufhäufen? Teurere Dinge aufhäufen? Ich behaupte, genug ist genug. Heute haben auch in Deutschland viele Menschen nicht genug. Doch das ist ein Verteilungsproblem, und auch hier macht Extreme Governing Vorschläge.

Also nehmen wir mal an, wir hätten genug und auch die Verteilung stimmte einigermaßen. Nach der Logik der Werbung, die wohl einen nicht unwesentlichen Einfluss auf unser Streben hat, wäre damit unserem Leben der Sinn genommen. „Genug“ ist das Ende der Geschichte. Doch Werbung haben wir ja glücklicher Weise auch abgeschafft. Und auf dem Weg zu „genug“ haben wir wohl ein, zwei Dinge verloren. Unsere enorme Produktivität würde uns erlauben, diese wieder zu gewinnen. Von diesen verlorenen Dingen halte ich unsere Menschlichkeit für das Wichtigste.

Rückblende

Wir Menschen haben die paar hundert tausend Jahre, die es uns gibt, in kleinen bis mittelgroßen Gruppen zusammengelebt. Zusammen mit Kindern und Alten, nicht mal die Behinderten wurden abgesondert. Den größten Teil dieser Zeit war die Erde sehr dünn besiedelt. Daher war es kein Problem, sich bei Bedarf ab zu sondern. Denn erzwungene Gesellschaft ertragen wir offenbar auch nicht gut. Doch in den letzten paar hundert oder tausend Jahren hat die Besiedlung dramatisch zugenommen. Die Verhältnisse wurden beengt und die erzwungene Gesellschaft zu einem Problem.

Wir haben dieses Problem heute damit gelöst, dass wir die Teile der Gesellschaft absondern, die am meisten stören. Doch nun haben wir erstmals die Ressource, uns die notwendigen Freiräume auf andere Art und Weise zu schaffen. Ich glaube, dass selbst der produktive Teil der Gesellschaft profitieren würde, wenn wir wieder mehr gemeinsam lebten. Vor allem aber sind wir es den Ausgesonderten schuldig, sie wieder auf zu nehmen. Und unsere Gesellschaft könnte ein bisschen mehr Zusammenhalt auch sehr gut brauchen.

Flash-Foreward

Gesamtgesellschaftlich betrachtet sind der wichtigste Teil der Ausgesonderten unsere Kinder, unsere Zukunft. Daher habe ich in Extreme Governing vorgeschlagen, zunächst unsere Kinder wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Doch das gilt natürlich für alle Ausgesonderten. Kinder könnten mit ihren Lehrern in die Betriebe kommen. Die Menschen, die dort arbeiten, würden den Kindern erklären, was sie tun. Manches könnte den Kindern dort direkt beigebracht werden. Anderes könnte separat in Konferenz- bzw. Lehr-Räumen von den Lehrern vermittelt werden. Das würde unter anderem auch endlich die berechtigte immer wieder kehrende Frage der Kinder klären, warum sie bestimmte Sachen lernen sollen.

Dazu wären ein paar Dinge nötig. Das Betreuungsverhältnis müsste verbessert werden. Das ist evtl. schon durch die Beteiligung der in den Betrieben Beschäftigten möglich. In vielen Betrieben müssten die Sicherheitsvorkehrungen weiter erhöht werden. Es ist wohl nicht wünschenswert, dass beliebig kleine Kinder in beliebig gefährlichen Betrieben hospitieren. Doch grundsätzlich ist ein Arbeitsumfeld sehr wünschenswert, das selbst für Kinder weitgehend ungefährlich ist.

Vor allem jedoch müssten die in den Betrieben Beschäftigten einen Teil ihrer Zeit für die Kinder (und gegebenenfalls andere heute Ausgestoßene) opfern. Und das bringt augenscheinlich einen Verlust der Produktivität mit sich. Wenn man die Zeit, die die Beschäftigten sich mit anderen Dingen als ihrer Arbeit abgeben, als Arbeitszeit anrechnet, trifft das in der Tat zu. Doch das muss man ja nicht. Was die Produktivität allerdings tatsächlich etwas senkt sind die deutlich höheren Sicherheitsanforderungen an das Arbeitsumfeld.

Andere Voraussetzungen werden durch weitere Aspekte von Extreme Governing abgedeckt. Eine der wichtigsten Voraussetzungen ist die Transparenz der Betriebe. Die hier vorgetragene Vision würde heute schon an den Betriebsgeheimnissen scheitern. Doch die gibt es mit Extreme Governing nicht mehr. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Abschaffung der Werbung. Heute können sich große Unternehmen praktisch jede Schweinerei erlauben. Durch finanziell gut ausgestattetes Marketing lässt sich fast alles wieder gerade biegen. Doch ohne dieses, müssten Betriebe sehr auf ihr Ansehen achten. Da wäre eine soziale Vision, wie die hier vorgetragene, viel eher um zu setzen. Die Einbindung der Beschäftigten in die Bildung und Erziehung der Kinder, sowie in soziale Interaktion mit anderen heute Ausgesonderten, wäre unter Extreme Governing ganz einfach möglich. Denn Extreme Governing macht jeden zu einem Teil des Staates und so kann sich auch jeder einen kleinen Teil seiner Zeit als Lehrer oder Pfleger einsetzen.

Epilog

Es lässt sich heute schon beobachten, dass in bestimmten Berufen Privatleben und Beruf verschwimmen. Immer mehr Menschen arbeiten im Home Office. Noch viel mehr sind ständig an ihre Kommunikations-Kanäle angeschlossen und praktisch immer irgendwie im Einsatz. Ich finde diese Entwicklung offenbar eigentlich gar nicht so schlecht. Doch der fatale Fehler, den wir dabei machen, ist, dass wir der Arbeit in der Regel unbedingten Vorrang einräumen. Ich schlage vor, dem sozialen Vorrang einzuräumen.

Dies ist ein Plädoyer für eine noch viel weiter gehende Verschmelzung von Arbeit und sozialem Leben. Wir werden immer produktiver. Somit müssen wir für die Erfüllung unserer Bedürfnisse weniger Zeit aufwenden. Diese gewonnene Zeit sollten wir dafür einsetzen, wieder menschlicher zu werden. Das heißt vor allem, dass das Arbeitsumfeld menschlicher werden muss. Die vermeintliche Arbeitszeit könnte in etwa gleich bleiben, doch soziale Aspekte nehmen mehr und mehr Einzug in die Arbeitswelt. Wir sollten den ungeheuren Reichtum unserer Gesellschaft nicht nur in Dingen anlegen. Wir sollten auch bisschen für die Menschlichkeit abzweigen.

Software Marktwirtschaft ohne Copyright

Es gibt viele Argumente, das Copyright für Software ab zu schaffen. Das mit Abstand wichtigste Argument gegen diese Freigabe lautet in etwa: Dann würde kaum mehr innovative Software entwickelt und für viele Nieschen-Märkte gäbe es gar nichts mehr. Manche Leute führen gar an, dass es dann ja überhaupt keine professionelle Software gäbe. In diesem Artikel versuche ich diese Argumente zu entkräften. Diese Diskussion ist leider sehr fachspezifisch. Aber ihre Implikationen betreffen jedes Mitglied einer Informationsgesellschaft. Tatsächlich ist es eine Diskussion über Freiheit, Transparenz, Solidarität und vor allem Macht-Konzentration. Auch wenn Sie kein IT-Fachmann sind: halten Sie durch.

Verantwortungskultur

Es gibt nach wie vor viele Vorbehalte gegen den professionellen Einsatz freier Software, auch und gerade von IT-Fachleuten. Meiner Erfahrung nach wurzeln diese Vorbehalte aber nicht in Erfahrung mit der Qualität freier Software oder dem Support für diese. Es gibt bei professioneller Software derartig viele Beispiele katastrophaler Qualität und nicht vorhandenen Supports, und bei freier Software so viele gegenteilige Beispiele, dass man derartige Begründungen getrost als vorgeschoben betrachten darf. Derartige Vorbehalte sind schlicht Teil unserer Wirtschafts-Kultur.

Wenn ein Mitarbeiter für seine Firma etwas benötigt, organisiert er ein professionelles Produkt oder einen professionellen Service. Tut er das und es geht etwas schief, ist der Anbieter des Produktes oder Services gegenüber der Firma verantwortlich. Organisiert der Mitarbeiter ein nicht-professionelles Produkt oder eine nicht professionelle Dienstleistung, ist der Mitarbeiter verantwortlich, wenn etwas schief geht.

Hier sind zwei Dinge wichtig: Verantwortung und Professionalität. Mitarbeiter sind oft nicht bereit, Verantwortung für ein überlegenes Produkt zu übernehmen, wenn sie mit einem unterlegenen ihren Job erledigen und sich aus der Verantwortung stehlen können. Das ist völlig verständlich, denn bei IT-Lösungen gibt es praktisch immer Probleme. Wieso sollte man sich unnötig Probleme aufhalsen? Glücklicher Weise führt die in vielen Feldern ausgeprägte Überlegenheit freier Software verbunden mit ihren auf der Hand liegenden geringeren Investitionskosten immer öfter zu professionellem Einsatz freier Software. Dadurch etablieren sich immer mehr professionelle Service-Dienstleister für freie Software und auch professionelle Entwicklungen nehmen zu. Die wirtschaftliche Bedeutung freier Software hat sich massiv gewandelt und der Wandel ist lange nicht abgeschlossen. Die Unkenrufe über angebliche Unprofessionalität werden also bald von allein verstummen, unsere Wirtschafts-Kultur diesen Wandel vollenden.

Service & Anpassung

Wenn man sich den heutigen professionellen Markt freier Software betrachtet, überwiegen zwei Geschäftsmodelle. Viele Unternehmen entwickeln ein Produkt (z.B. ein Programm). Sie verkaufen dann Service-Leistungen rund um ihr Produkt, entwickeln bezahlte Spezial-Versionen ihres Produktes für Kunden mit speziellen Anforderungen und bieten der Allgemeinheit manchmal erweiterte Funktionen zum Kauf. Eine Andere Gruppe von Unternehmen spezialisiert sich auf bestimmte Problemkreise – z.B. e-commerce Plattformen oder Geschäftliche Prozesse – und passt komplexe freie Systeme an die Anforderungen des jeweiligen Kunden an. Natürlich bieten auch solche Unternehmen Service für Ihre Lösungen.

Beide Geschäftsmodelle haben Gemeinsamkeiten: eine wichtige Komponente ist immer Software-Service. Mit der Komplexität moderner Systeme ist Service eine Notwendigkeit geworden. Genauso wie kaum noch jemand ein modernes Fahrzeug selbst warten würde, würde kaum noch eine Firma selbst ihre Software warten, selbst wenn sie selbst Entwickler zu ihrem Personal zählt. Professioneller Software-Service wäre auch in einer copyrightlosen Marktwirtschaft zweifellos ein signifikantes Geschäftsfeld.

Wichtiger noch ist aber folgender Faktor: beide Geschäftsmodelle leben (auch) von der Anpassung bestehender freier Lösungen. Man kann offensichtlich nur etwas anpassen, was schon da ist. Da im Laufe der Zeit immer mehr (und komplexere Software) entwickelt wird, wird auch der Fundus immer größer, aus dem Anpassungen entwickelt werden können. Bezüglich der Anpassbarkeit sind freie Lösungen professionellen schon heute in der Regel weit überlegen. Die Ursachen hierfür liegen in Entwicklungsprozessen und kulturellen Hintergründen, ich werde jetzt aber nicht weiter darauf eingehen. Die Frage ist also nur: wird Software-Copyright auf Dauer von alleine Bedeutungslos? Und wenn nicht, hat es dann nicht eine Daseins-Berechtigung?

Virale Freiheit

Ich vermute, sehr langfristig würde Software-Copyright tatsächlich bedeutungslos. RMS wird mit seiner viralen GPL diesen Krieg langfristig gewinnen (die GPL ist eine virale freie Software-Lizenz, die sich immer weiter ausbreitet). Es sei denn Software Patente blieben uns erhalten. Doch die Diskussion dieses volkswirtschaftlichen Wahnsinns, sei anderen überlassen. Hier muss der Verweis genügen, dass maximal Infotags volkswirtschaftlichen Sinn machen könnten. Ein weiteres potentielles Hemmnis für die Verbreitung freier Software ist Software as a Service, doch dazu später mehr.

Wie auch immer, es könnte lange dauern, bis freie Software sich komplett durchsetzt. Denn Unternehmen in marktbeherrschender Stellung werden diese Position immer nutzen um die Weiterentwicklung ihres Marktsegmentes zu verhindern. Microsoft ist es z.B. gelungen, die enorme Innovationskraft des World Wide Web für ein ganzes Jahrzehnt stark zu bremsen. Freie Software würde sich also vermutlich sowieso irgendwann durchsetzen, bis dahin ließe sich aber erheblicher Schaden abwenden, wenn die Abschaffung des Copyrights vorgezogen würde.

Innovation durch Monopole?

Würde somit die Innovationskraft der Softwarebranche beschnitten? Patente gelten gemeinhin als guter Anzeiger der Innovationskraft. Da ist es billig, auf ein paar Beispiele der vorgeblichen Innovationskraft des Marktes zu verweisen. Informativer ist es aber wohl ein paar Beispiele an zu führen, die nicht oder nicht ausschließlich kommerziell entwickelt wurden: Die E-Mail wurde in einem Unternehmen erfunden, allerdings tat der Entwickler es aus eigenem Interesse, entgegen seiner eigentlichen Aufgabenstellung; MP3 ist eine halb-kommerzielle Entwicklung, die aber auf rund hundert Jahre, großen Teils öffentlich finanzierter, psycho-akustischer Forschung zurück geht; Die SMS wurde von einer Behörde (Bundespost) in Kooperation mit einem Unternehmen entwickelt; Das World Wide Web wurde an einer Forschungseinrichtung entwickelt.

In diesen Beispielen, spiegelt sich ein Grund-Thema. Sie zeigen, dass Innovation nicht grundsätzlich  auf Marktwirtschaft angewiesen ist. Aber all diese Beispiele betreffen grundlegende Technologien, was sicher kein Zufall ist. Die Ausgestaltung dieser Technologien geschieht dann doch oft im Rahmen marktwirtschaftlicher Unternehmungen. Während also das Argument der mangelnden Innovationskraft freier Entwicklung relativ leicht zu entkräften ist, ist das mit dem Nieschen-Markt-Argument ungleich schwieriger.

Als roter Faden dieser Erörterung mag folgendes Beispiel dienen: Die automatisierte Spracherkennung ist ein etabliertes Forschungsgebiet an dem sehr viele öffentlich finanzierte Forscher gearbeitet haben. Doch nachdem die (kommerziell viel-versprechenden) Prinzipien erforscht waren, haben kommerzielle Unternehmen die Perfektionierung dieser Verfahren übernommen. Insbesondere haben Unternehmen die Spracherkennung für Diktate von Anwälten und Medizinern optimiert.

Gerade letzteres ist ein perfektes Beispiel für die Vorteile der Marktwirtschaft. Irgendwer hat erkannt, dass sich u.a. bei Anwälten und Medizinern große Einsparungen erzielen lassen, wenn man Diktate automatisieren könnte. Also wurde investiert und so ein Mehrwert geschaffen. Es ist nicht sonderlich naheliegend, dass freie Entwickler aus Spaß oder zur Mehrung des eigenen Ruhms den hohen, großen teils vermutlich stupiden Aufwand zur Bewältigung dieser Aufgabe auf sich genommen hätten – zumal sich Anwälte in Kreisen, die sich freier Software widmen, nicht gerade eines hohen Ansehens erfreuen.

Software als Service

Wie könnte so eine Software also in einer Copyright-losen Gesellschaft entwickelt werden? Eine naheliegende Antwort aus heutiger Perspektive ist: Als Software as a Service. Der Arzt diktiert, die Audio-Daten werden an den Server der Transkriptions-Firma übermittelt und dort in einen Text übersetzt, der wiederum an den Arzt zurück übertragen wird. Für den Arzt gibt es keinen merklichen Unterschied in seinem Arbeitsablauf. Aber die Übersetzungs-Software verlässt nie die Server der Übersetzungsfirma und somit kann sie niemand kopieren.

Aber darf der Arzt, der ja einer Schweigepflicht unterliegt, seine Diagnosen an eine fremde Firma übertragen? Bei freier Software geht es nicht vorrangig um Copyright, sondern offen gelegte Programme. Bei freien Programmen kann jeder (der sich damit auskennt) nachvollziehen, was sie tun. Wenn der Software Service freie Software verwendete, müsste der Arzt keine Bedenken haben. Andernfalls kann er nicht sicher sein, was mit seinen Diagnosen geschieht, auch wenn er sich vielleicht rechtlich absichern kann.

Es zeigt sich also, dass eine Abschaffung des Copyright nicht genügt. Ohne die Forderung der Offenlegung der Software, würden Software-Services die Copyright-Regelungen aushebeln und die wichtige Forderung der Transparenz umgehen. Ist Offenlegung aber gefordert, funktioniert auch Software as a Service nicht mehr zur Vermarktung von Nieschen-Produkten – zumindest nicht mit den überkommenen Formen von Marketing. Diese bestehen darin, Software entweder zu verkaufen oder zu vermieten.

Service als Chance

Doch Software Services bieten hier sehr wohl eine Chance, man muss das Problem nur anders betrachten. Wozu überhaupt Software? Software erlaubt uns zuweilen, Dinge zu tun, die wir ohne sie nicht tun könnten. Doch der bei weitem verbreitere Grund für den wirtschaftlichen Einsatz von Software ist Kostenersparnis. Man möchte menschliche Arbeitskräfte effizienter machen oder sie für bestimmte Aufgaben ersetzen. In diesem Fall besteht die Aufgabe in der Transkription von Diktaten.

Man stelle sich also einen Internet Service für die Transkription von Diktaten vor. Wohlgemerkt, hier geht es um die Finanzierung der Entwicklung von Software. Nehmen wir also an, unser Service verfügt nur über einen frühen Prototypen einer Spracherkennungs-Software, der gerade aus der öffentlichen Forschung abgeleitet wurde. Auch damit ließen sich vor 15 Jahren (in den 1990er Jahren) prinzipiell Kosten gegenüber Diktaten mit menschlichen Sekretären sparen. Allerdings war das eher umständlich. Speziell auf diese Software geschultes Personal wäre aber für unseren Service selbstverständlich. Und so könnte der Diktierservice die gleiche Qualität günstiger bieten als ohne den Einsatz seiner Software.

Gleichzeitig könnte sich der Anbieter vor Nachahmern schützen, da er einen Vorsprung in der Schulung seines Personals hat. Da der Service auch seine Software weiter entwickelt und optimiert, kann er diesen Vorsprung bei entsprechendem Einsatz auch halten. Wenn die Software irgendwann ausgereift ist, schwindet der Vorsprung und das Produkt geht automatisch ins allgemein Gut über.

Eine denkbare Möglichkeit der Abgrenzung gegen die Konkurrenz besteht auch darin, umfassenderen Service an zu bieten. So könnten weitere IT-Bedürfnisse der Kunden – z.B. Arzt-Praxen – in Services ausgegliedert werden. In den Praxen stünden nur noch einfach zu wartende so genannte thin Clients. Der Service-Anbieter pflegt und Administriert die IT-Systeme der Kunden in seiner (des Anbieters) virtualisierten Server Landschaft.

In einem transparenten System würde dies die Sicherheit der Daten der Kunden der Praxen wahrscheinlich eher erhöhen. Denn heute kümmern sich eben oft keine Profis um die Wartung und Sicherung dieser Systeme. Aus Anbietersicht stellt dies einen Schutz gegen Konkurrenz dar, da es natürlich schwieriger ist, einen komplexen rund-um Service zu bieten als sich auf einen Diktier-Service zu beschränken.

Man vergleiche dieses Geschäftsmodell mit heutigen – aus Kundensicht. Heute würde der Prototyp verkauft und Kunden sehen sich über Jahre den Zumutungen von Entwicklungssoftware ausgesetzt, während sich Einsparungen aufgrund des Einsatzes durch ungeschultes Personal in Grenzen halten. Der Hersteller muss viel Kapital vorschießen, da er ein unausgereiftes nicht lukratives Produkt am leben halten muss, bis es sich für alle lohnt. Dann darf er damit weitgehend ohne weitere Leistungen seinerseits Geld drucken.

König Kunde

Im Service-Modell lohnt sich der Einsatz von Anfang an für alle Seiten. Der Hersteller hat gute Einnahmen während der Entwicklung und nicht danach. Kunden bekommen von Anfang an ein ausgereiftes Produkt. Durch die kontinuierliche Entwicklung ist der Preis des Produktes am Anfang hoch (wenn auch dennoch billiger als die herkömmliche Diktiermethode) und sinkt kontinuierlich, bis er am Ende gegen Null geht. Aufgrund der Transparenz des Service Dienstleisters kann durch jeden überprüft werden, ob die Prozesse des Service-Anbieters den Anforderungen an Umgang mit Daten beispielsweise einer Arztpraxis genügen.

Natürlich ist diese Vermarktungsstrategie nicht im Interesse der etablierten Anbieter. Sie verlieren ihre Gelddruck-Monopole. Zudem setzt dieses Modell auch künftige Anbieter einem größeren Konkurrenz-Druck aus als heutige Modelle. Denn im Service Modell kann jeder auf der aktuellen Version der Diktiersoftware aufsetzen und versuchen einen konkurrierenden Service zu etablieren. Im herkömmlichen Modell schützen frühere Investitionen vor Konkurrenz, da ein Vorsprung in der Investition in geschützte Software schwieriger auf zu holen ist als der Vorsprung in der Schulung der Anwendung dieser Software. Das Service-Modell ist also tatsächlich viel Stärker Markt-orientiert als das Monopol-Modell.

Das Service-Modell lässt sich auf viele Anwendungen übertragen, doch bei weitem nicht auf alle. Ich werde noch drei weitere Klassen von Anwendungsentwicklung betrachten.

Geschäfts-Logik

Ein sehr großer Teil der Software-Entwicklung besteht heute darin, Software für die Optimierung von Geschäftsprozessen diverser Firmen an zu passen. Da diese Prozesse so individuell sind wie die Firmen, gibt es hier einen großen Markt. Es gibt drei große Fraktionen, die sich nicht ganz klar trennen lassen, die sich diesen Markt teilen.

Da wären zunächst die Software-Riesen wie SAP und Oracle (vormals Sun, da es hier vor allem um Java geht). Diese haben es geschafft, Software-Ökosysteme von enormer Komplexität zu schaffen. Ein Heer von Beratern, Entwicklern und Dienstleistern lebt davon, diese Systeme an die Anforderungen individueller Firmen an zu passen.

Dann gibt es zahlreiche kleinere Firmen und Freelancer, die das selbe mit unbekannteren, oft innovativen und teils schon freien Technologien tun. Die Kunden dieser Unternehmen sind oft selbst eher kleine und mittlere Unternehmen.

Und schließlich haben viele mittlere und große Unternehmen eigene IT-Abteilungen, die eben diese Aufgaben für sie erfüllen und aus dem Pool der Technologien und Services der ersten beiden Gruppen schöpfen.

All diese Anpassungen wären durch einen Fall des Copyright nicht gefährdet. Problematisch ist augenscheinlich aber die Finanzierung der Weiterentwicklung der Software-Plattformen. Das ist heute die Aufgabe eben dieser Software-Riesen. Doch interessanter Weise sind Java und SAP schon heute weitgehend Open Source. Auch hier also keine unlösbaren Probleme.

Automation

Ich arbeite für eine Firma, die Automationssysteme, Smart Systems, Smart Meters und ähnliches verkauft. Während es auf dem Markt der Gebäudeautomation viele kleinere Anbieter und Projekte gibt, werden Smart Systems (z.B. Automation von Straßenbeleuchtung) und intelligente Zähler meist von sehr großen Firmen und in großen Projekten eingesetzt. Die Leistung der Software-Entwicklung besteht hier heute darin, bestehende Lösungen zu integrieren und an zu passen. Aufgrund der Größe dieser Projekte wäre es möglich, diese Leistungen durch ihren Einsatz in sehr großen Projekten zu finanzieren.

Heute werden Lösungen oft zunächst in kleineren Projekten eingesetzt. Erst, wenn sich die Systeme dort bewähren, werden sie in größerem Maßstab eingesetzt. Dies würde von den Großunternehmen, die solche Projekte umsetzen, langfristige Planungen und Strategien erfordern. Doch ist dies kein Ausschlusskriterium für derartige Finanzierungs-Modelle. Der Schutz gegen die Konkurrenz besteht hier wieder darin, dass auch beim Personal viel Know-How über die Umsetzung derartiger Projekte angehäuft werden muss. Man kann nicht einfach eine Software stehlen und dann damit große Beleuchtungs-Projekte umsetzen. Derartige Software ist im übrigen oft auch an bestimmte Hardware gebunden. Die muss man ja nicht unbedingt an seine Konkurrenz verkaufen.

Allerdings würde sich durch eine Abschaffung des Copyrights vermutlich auch hier der Konkurrenzdruck erhöhen – was ja aus marktwirtschaftlicher Sicht nicht schlecht ist. Es bleibt fest zu halten, dass derartige Großprojekte langfristige Planung und große vorab-Investitionen erfordern. Dies würde möglicher Weise den Markt für derartige Produkte deutlich verändern. Es ist jedoch nicht an zu nehmen, dass Großprojekte der Automatisierungstechnik grundsätzlich durch eine Abschaffung des Copyrights unmöglich gemacht würden.

Klassische freie Software

Eine letzte große Software-Sparte soll nicht verschwiegen werden, obwohl man meinen sollte, dass die hier gemachten Feststellungen mittlerweile Gemeingut sind. Heim-Anwender benötigen bereits heute kaum kommerzielle Software. Ich verwende seit über zehn Jahren fast ausschließlich freie Software und mein Nutzungsumfang sowie meine Ansprüche sind wahrscheinlich eher hoch. Sicher gibt es noch die eine oder andere Nieschenanwendung, die mancher nicht so leicht wird ersetzen können. Aber das sind eher Ausnahmen, die mit dem Fall des Copyrights bald obsolet wären.

Es ist zu erwarten, dass sich die Entwicklungsmodelle klassischer freier Software – die andere sind als die von Software-Riesen wie SAP, die ihre Mammut-Produkte offen gelegt haben – sich auch weiter in die Welt jener Software ausbreiten werden, die vorrangig kommerziell eingesetzt wird. Eine Abschaffung des Copyrights würde diesen Vorgang natürlich beschleunigen.

Ein Sektor der vermutlich unter einer Abschaffung des Copyrights leiden würde, ist Unterhaltungssoftware. Es ist denkbar, dass manche Unterhaltungsfirmen Modelle finden, mit denen sich weiter Geld zur Finanzierung dieser Software-Sparte verdienen lässt. Dies könnten z.B. Services sein, die die Etablierung großer Communities für massive multiplayer games oder ähnliches erlaubt. Auch gibt es freie Unterhaltungs-Software. Diese reicht aber im Gegensatz zur Anwendungssoftware und anderen produktiven Sparten bei weitem nicht an das Niveau der kommerziellen Pendants heran.

Auch hier ist zu erwarten, dass eine Abschaffung des Copyrights freien Produkten zu gute käme. Doch erwarte ich, dass diese Sparte qualitativ ein paar Jahre hinter den heutigen kommerziellen Status Quo zurück fällt. Man mag das bedauern oder nicht. Volkswirtschaftlich ist es bedeutungslos, da diese Software eben keine produktive Bedeutung hat.

Was vom Tage übrig blieb

Es wurde eine mögliche Software-Marktwirtschaft illustriert, die nicht trotz der Abwesenheit von Copyright funktioniert, sondern eine, die gerade deswegen viel marktwirtschaftlicher ist. Gewaltige Kapital-Anhäufungen durch anti-marktwirtschaftliche Monopole würden verhindert. Durch die Einsparung dieser Anhäufungen ergibt sich ein Volkswirtschaftlicher Nutzen – dieses Geld steht dann anderswo zur Verfügung.  Denn Software Giganten waren selten große Innovatoren. Microsoft z.B. hat sich dadurch hervor getan, Konkurrenz zu zerstören und den Fortschritt soweit irgend möglich auf zu halten. Denn der Fortschritt entzieht den etablierten Monopolen oft die Grundlage.

Hier wurden nur einige Beispiele von Software-Entwicklung und ihrer Finanzierung beleuchtet. Es gibt noch viele viele andere, und sicher auch anders geartete, auf die sich die hier illustrierten Beispiele vielleicht nicht übertragen lassen. Man muss sich jedoch einen zentralen Punkt vor Augen halten: Mit Software lässt sich Geld sparen. Ich weigere mich zu glauben, dass sich ohne Copyright keine Wege finden ließen, etwas von diesem Geld für die Entwicklung von Software ab zu zweigen. Ich habe in einigen Beispielen gezeigt, wie es gehen könnte. Wenn es wirklich kein Copyright mehr gäbe, davon bin ich überzeugt, fänden sich kreative Köpfe, die Wege finden, trotzdem Geld zu verdienen. Tatsächlich gibt es ja heute schon reichlich derartige Beispiele, obwohl es Copyright gibt.

Die Feinde freier Software bezeichnen diese oft als Software-Sozialismus. Dabei sind diese Feinde freier Software selbst die Feinde der Marktwirtschaft. Denn sie versuchen Monopole zu errichten und zu verteidigen. Eine Welt ohne Copyright wäre weniger sozialistisch, da sie nicht auf die destruktive Planwirtschaft der siechen Software-Riesen angewiesen wäre. Sie wäre im Gegenteil von einer freieren Wirtschaft, und was wichtiger ist, von freieren Nutzern geprägt.

Pauperozid

Pauperozid bezeichnet den globalen Armenmord, den wir – die Industriegesellschaften – zu verantworten haben.

Zu meiner Verblüffung habe ich fest gestellt, dass Google weder den Begriff „Pauperozid“ noch „pauperocide“ kennt. Um noch mehr vom Elend in der Welt profitieren zu können, reklamiere ich diese Wortschöpfung also hiermit für mich, in der Hoffnung dadurch reich oder wenigstens berühmt zu werden.

Pauperozid bezeichnet den globalen Armenmord. Arme lässt man weltweit verhungern. Z.B. verhungern jährlich 6 Millionen Kinder. Ein Mord ist das, weil wir (die Industriegesellschaften) Entwicklungsländer gezwungen haben – durch Weltbank und Währungsfond – unser System (Marktwirtschaft) zu übernehmen und dieses System nun dazu nutzen lokale selbstversorgende Agrarsysteme wirtschaftlich zu zerstören und lokale Agrarressourcen zu uns zu schaffen. Das Welt-Agrarsystem gäbe genug Ressourcen für 12 Milliarden Menschen her. Die Zahlen (6 Millionen Kinder, genug für 12 Milliarden) entstammen übrigens dem World Food Report der FAO, der Ernährungsorganisation der Uno. Es wär also genug zu essen da, wir enthalten es ihnen nur bewusst vor. Zu Mord gehören noch niedere Motive. Mehr Auto fahren zu wollen (Biodiesel) und das dringende Bedürfnis, mehr Fleisch zu fressen, kann man wohl als solche zählen.

Also liebe Mitmörder. Bei unserem nächsten Mord (in spätestens 5 Sekunden ist ein Kind fällig) nennen wir dieses – das Kind – beim Namen. Es handelt sich um Pauperozid. Wenn ich ein bisschen rechne und die Bevölkerungszahlen der Industrieländer sowie meine Lebenserwartung einbeziehe, komme ich übrigens darauf, dass ein ganzes Kind für mich drauf geht. Da ich eher überdurchschnittlich verdiene und entsprechend Ressourcen verbrate, sind es vielleicht auch zwei oder drei. Sprache formt bekanntlich das Denken und die Steuerung der Sprache ist vermutlichen ein wesentlicher Teil der Misere unserer verkommenen Gesellschaft. Also benennen wir unser Verbrechen. Wir begehen Pauperozid.

WikiLieb?

Es zieht sich ein bemerkenswerter Bruch durch unsere Gesellschaft. Die selbsternannte QualitätsJournaille und die politischen und wirtschaftlichen Machthaber verdammen WikiLeaks mehrheitlich für die Veröffentlichung der Cablegate Depeschen. Ein signifikanter Teil der Blogosphäre und mein persönliches Umfeld befürwortet die Veröffentlichung sehr deutlich. Das bemerkenswerte daran ist, dass dieser Bruch nicht so sehr zwischen Konservativen und Progressiven, Rechten und Linken oder anderen Gesellschaftsgruppen verläuft. Der Bruch verläuft zwischen denen, die am langen Ende der Hebel der Macht sitzen und uns am kurzen Ende dieser Hebel. Insofern riecht Cablegate nach Revolution. Aber steht hinter dieser Zustimmung eine moralische Legitimierung? Oder gründet sie in niederen Motiven wie z.B. der Lust die Mächtigen bloß gestellt zu sehen?

Eine persönliche moralische Bewertung mag oft folgender Argumentation folgen: WikiLeaks hat scheinbar Geheimnisse verraten. So etwas tut man nicht. Doch diese Argumentation geht von einer falschen Annahme aus. WikiLeaks hat kein Geheimnis verraten. Vor der Veröffentlichung hatten je nach Quelle einige Millionen Menschen Zugriff auf die Depeschen, mehr als 1% der Amerikaner. Hier kann man beim besten Willen nicht mehr von einem Geheimnis sprechen und persönliche Bewertungs-Kriterien greifen nicht mehr.

Interne Informationen der US-Amerikanischen Administration wurden der Weltöffentlichkeit zugänglich gemacht. Um die Frage nach der Legitimität dieses Vorganges zu beantworten muss man ein gegebenenfalls vorhandenes legitimes Interesse der USA an der Geheimhaltung dieser Information gegen ein gegebenenfalls vorhandenes Interesse der Weltöffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Informationen abwägen.

Ein legitimes Interesse der USA könnte z.B. vorliegen, wenn sie ihre Diplomaten im Interesse des Weltfriedens, der Völkerverständigung, des globalen Umweltschutzes, des Kampfes gegen den Hunger oder für die Rechte der Unterdrückten einsetzen würde. Doch über jeglichen derartigen Verdacht ist die USA sicher erhaben. Ein legitimes Interesse könnte auch vorliegen, wenn sie ihre eigenen Interessen strikt im Rahmen der internationalen Verhaltensnormen verfolgen würde. Doch diese Normen verletzt die USA regelmäßig und wissentlich, wie schon das erste Promille der Depeschen eindrucksvoll belegt: Die USA untergräbt den spanischen Rechtsstaat; Sie arbeitet gegen legitime lateinamerikanische Regierungen und kollaboriert wider besseres Wissen mit illegitimen Regimen; Sie spioniert illegitim gegen die UNO; Sie spielt ein doppeltes Spiel im mittleren Osten. Wenn das tatsächlich erst ein Tausendstel der amerikanischen Vergehen wäre, wäre die moralische Bilanz der USA wahrhaft monströs. Doch selbst dieser kleine Auszug legt schon sehr nahe, dass das Interesse der USA an der Geheimhaltung der Depeschen jedenfalls nicht nur legitim ist.

Welches Interesse hat die Weltöffentlichkeit an der Veröffentlichung? Die USA geriert sich regelmäßig als Weltpolizei, die außerhalb ihrer Grenzen vorgeblich für Freiheit und Demokratie kämpft. Die massiv von der militärischen Intervention der USA betroffene Restwelt hat selbstverständlich ein legitimes Interesse zu erfahren welchen Interessen diese Interventionen wirklich folgen und welchen Verhaltensnormen sich die Weltpolizei unterwirft. Die USA profitiert enorm von dem Umstand, dass sie als einzige die globale Leitwährung drucken darf. Die Weltgemeinschaft, die der USA diese immense Dividende zahlt, hat selbst nach der in den USA maßgeblichen Markt-Logik ein legitimes Interesse daran zu erfahren, ob und wie die USA diesen Vorschuss zurück zu zahlen gedenkt.

Die USA selbst bringen zur Verteidigung der Geheimhaltung regelmäßig das Argument vor, dass die Informanten der USA gefährdet würden. Wie oben dargelegt helfen diese Informanten dabei illegitime Interessen durch zu setzen. Informanten dienen der Beschaffung von Informationen jenseits der legalen Kanäle. Wir reden also von Menschen die auf nicht offiziellen, oft vermutlich illegalen Wegen der Durchsetzung illegitimer Interessen dienen. Die Vergangenheit hat noch erheblich krassere Beispiele US-Amerikanischen Missverhaltens gesehen: der Sturz sozialistischer Regierungen südlich der US-Grenze, welche dann mehrfach durch faschistische Terror-Regime ersetzt wurden, welchen Zig-Tausende Lateinamerikaner zum Opfer gefallen sind; das Führen eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges im Irak, befördert und gerechtfertigt durch eine ausschließlich auf Lug, Trug, Aggression und Einschüchterung bauende Diplomatie. All dies hätte durch eine zeitige Offenlegung der diplomatischen Informationen der USA möglicher Weise verhindert werden können. Der Schutz dubioser Informanten eines dubiosen Regimes kann kaum derartige Argumente überwiegen.

Ich komme also zu dem Schluss, dass die Veröffentlichung der Cablegate Depeschen legitim ist. Darüber hinaus glaube ich aber, dass sich daraus ein generellerer Schluss ziehen lässt. Der verbrecherische Krieg im Irak und die verbrecherischen Tätigkeit unter anderem in Latein-Amerika wären vermutlich unter dem Medialen Auge der Welt- und vor allem auch der US-Öffentlichkeit wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Das Busch Regime und auch Berlusconi legen den Verdacht nahe, dass freie und geheime Wahlen die Demokratie allein nicht vor dem Faschismus zu schützen vermögen. Garantierte Transparenz der Regierung scheint dazu eher in der Lage zu sein – sofern die Regierung Kritik nicht unterdrücken kann.

Und in so fern ist WikiLeaks tatsächlich teil einer Revolution. Die Ränke der Mächtigen werden hoffentlich ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Sicherlich wird es damit etwas schwieriger manche legitimen Interessen durch zu setzen. Aber es wird ganz erheblich schwieriger jegliche nicht legitimen Interessen durch zu setzen. Es ist schwer vorstellbar, dass das letztendlich nicht im Interesse der Machtlosen ist. Die Befreiung der Information wird die Revolution der Informationsgesellschaften sein, und sie hat das Potential, völlig unblutig zu verlaufen.