Anonymi tät uns nicht gut

Regeln formen unser Sein. Welche Regeln machen uns zu guten Menschen?

Das Leben ist kein Spiel. Und doch prägen uns die Spielregeln stärker, als wir gemeinhin glauben. Sie regeln nicht nur, welche Handlungsalternativen wir haben, sie beeinflussen auch teils erheblich wer wir sind. Unser Sein ist ganz oder teilweise bestimmt durch unser Tun. Und letzteres ist den Regeln unseres Zusammenlebens unterworfen.

Seins-Regeln

Die offensichtlichsten dieser Regeln sind unsere Gesetze. Doch wichtiger noch als diese sind subtilere Regeln, wie Benimmregeln. Ob wir reserviert, höflich oder gerade-heraus sind wird nicht zuletzt durch unsere Kultur geformt. Auch die subtileren Regeln sind ein Stück weit dem politischen System unterworfen, in dem wir zusammen leben. Das betrifft sicher nicht alle Menschen gleichermaßen, doch es genügt, Gesellschaften einen deutlichen Stempel aufzudrücken.

Es war mit Nichten so, dass um die Wende zum 20sten Jahrhundert eine abnorme Häufung böser Menschen in Deutschland geboren wurde, die dann die Mitte dieses Jahrhunderts zur Hölle auf Erden machten. Vielmehr lebte unsere Gesellschaft nach Regeln, die offensichtlich das Schlechteste in vielen Menschen heraus kehren. Gleiches lässt sich in geringerem Maße von den folgenden Regimen des Ostblocks und auch vom Neoliberalismus sagen.

Leitbilder

Es gibt einen universellen Antrieb der meisten Menschen, der herausragende Bedeutung für unser Zusammenleben hat. Es ist das Streben nach Anerkennung. Dementsprechend sind die Regeln nach denen sich diese Anerkennung erringen lässt von größter Bedeutung für unsere Gesellschaft. Noch vor hundert Jahren ging es um Ehre, dann um Blut und „Deutsche Tugenden“, heute um Geld.

All diese Leitbilder gegenseitiger Anerkennung sind nicht sonderlich angetan, unsere besten Seiten zum Vorschein zu bringen. Das liegt nicht daran, dass die Menschen schlecht sind. Wir sind, was wir sind. Doch unsere Regeln, die sind schlecht. Das Netz kennt ein hervorragendes Rezept, Schlechtes zu Tage zu fördern: Anonymität + Publikum. Das resultierende Phänomen wird liebevoll als Troll bezeichnet. Und Anonymität prägt unsere Gesellschaft zunehmend.

Spiel-Theorie

„Journey“ ist ein Spiel. Es ist auch eine Reise zu unseren guten Seiten.  Hier wurde offenbar ein Regelsatz entworfen, der das Beste in uns zeigt. Leider lässt sich das nicht auf unsere Gesellschaft übertragen. Dennoch empfehle ich, den verlinkten Artikel über Journey zu lesen.

Journey hat für eine bestimmte Klasse von Spielen einen Regelsatz gefunden, der das Beste in uns zum Vorschein bringt. Es ist das Ziel, das ich mit diesem Blog Verfolge: Regeln zu finden, die das Beste in uns zum Vorschein bringen. Dies sind einige meiner Regeln: Universelle Transparenz, das Gegenteil von Anonymität. Verteilung von Macht so breit wie möglich. Konzentration von Macht, stark genug um die Gesellschaft zu formen, aber so kurfristig, dass Missbrauch kaum möglich ist. Persönliche Verantwortung. Soziale Kontrolle und gegenseitige Anerkennung. Gegenseitige Verantwortung füreinander. Freiheit der Wahl der persönlichen Mikro- und Makrogesellschaft.

4 Gedanken zu „Anonymi tät uns nicht gut“

  1. Hallo Schrotie, absolut unterstützenswertes Ziel, das du oben für deinen Blog formuliert hast! Aber bist du sicher, dass ein Playstation-Spiel hier auf derselben Ebene angesiedelt ist?
    Gruß urb

    1. Was hat das damit zu tun? Wenn das Prisoner’s Dilemma das erste mal in den Regeln eines Playstation-Spiels vorgekommen wäre, wäre es damit als zentraler Bestandteil der ökonomischen und soziologischen Spieltheorie disqualifiziert? Und wenn Newtons Mechanik zuerst als Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Variante veröffentlicht worden wären würde es keine moderne Physik geben?

      Bedauerlicher Weise musste ich im Artikel feststellen, dass sich die Regeln von „Journey“ „Leider […] nicht auf unsere Gesellschaft übertragen“ lassen. Dennoch ist es bemerkenswert, wie außergewöhnlich positiv kooperativ die Spielerfahrung von „Journey“ offenbar ist. Ich habe sehr viele Spiele gespielt aber nie etwas Vergleichbares erlebt. „Journey“ kenne ich auch nicht, aber ich glaube dem Autor mal. Warum auch nicht?

      Denn es geht ja gerade nicht um ein Spiel. „Das Leben ist kein Spiel“ ist der Anfang des Artikels. Ich halte die Spieltheorie für einen sehr wichtigen Ansatz der Geisteswissenschaften. Und ich bin überzeugt, dass die Regeln unserer Gesellschaft unser Sein ein Stück weit bestimmen. Und ich glaube, dass es Regeln gibt, die unser Zusammenleben verbessern können.

      Siehst Du das denn anders? Geht es auf Deiner Hyperbaustelle nicht auch darum, positive Gesellschaftsentwürfe zu finden?

      Die Begründung für die Existenz der Hyperbaustelle beginnt mit

      Angesichts von überbordender Kritik und Negativdarstellungen in den Medien und der fehlenden Visionen in Politik und Gesellschaft sollen auf der Hyperbaustelle utopische Themen und Momente sowie positive Ansatzpunkte für die Zukunft gesammelt werden.

      Aber nur solange der „positive Ansatzpunkt“ nicht in einem Playstation-Spiel vorkommt?

      1. Spieltheorie ist wichtig für das Entwickeln neuer Perspektiven, sehe ich genauso, und die Zielsetzung der Hyperbaustelle gleicht der deinen! Um was es mir bei meinem Kommentar ging: Das Spielen auf der Playstation hat auf einer grundlegenderen Ebene eine eher anonymisierende Auswirkung. Immerhin scheint bei Journey das Konkurrenzprinzip suspendiert zu sein. Nicht „töte, was dir fremd ist“, sondern „gehe Beziehungen“ ein, wäre somit aus dem Spiel zu lernen. Nur resultiert aus diese elektronischen Beziehungen tatsächliche Beziehungsfähigkeit?

      2. Ich glaube bei dieser speziellen Frage spielt das Konkurrenz-Prinzip gar keine wichtige Rolle. Trolle treten ebenso wenig in eine als solche wahrgenommene Konkurrenz wie Helfer. Auch geht es glaube ich bei Journey nicht darum, Beziehungen einzugehen. Natürlich gibt es eine temporäre Beziehung, doch die ist eher praktischer Natur und wird nicht um ihrer selbst eingegangen. Das Töten oder Trollen in Spielen geschieht auch nicht – wenn es nicht ohnehin aufgrund der Konkurrenz geschieht – als ein „töte was Dir fremd ist“ sondern aus einer Lust am Ärger des Gegenübers.

        Es geht also um zwei Prinzipien, die weder in klassischen geisteswissenschaftlichen Theorien noch in klassischer linker Theorie eine große Rolle spielen: die Lust am Ärgern und die Lust am Helfen. Beides sind wahrscheinlich unterschätzte Faktoren im menschlichen Miteinander – gerade auch in der Online-Welt.

        Es ist interessant, wie der verlinkte Artikel beides beleuchtet und Regeln zeigt, die entweder das eine oder das andere stark in den Vordergrund bringen.

        Ich danke Dir für Deine Denkanstöße. Ich habe diese Aspekte völlig vernachlässigt. Vielleicht bekomme ich dazu irgendwann noch etwas sinnvolle zusammen. (Womit ich diese Diskussion keinesfalls als beendet erklären möchte.)

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