Schüss Chef

Der Chef ist ein zivilisatorischer Atavismus. Seine gesellschaftliche Rolle ist so reformbedürftig, dass die Reform eher eine Abschaffung und Neuerfindung ist.

Die Chefs sind an allem Schuld. Immer. Sei es Politik, Wirtschaft, öffentlicher Dienst – geht es schief ist der Chef Schuld. Also der Chef an sich. Denn das Konzept “Chef” ist heute falsch. Ein Chef ist jemand, der anderen sagen darf, was sie zu tun und zu lassen haben. Und ein Chef ist folgerichtig für alles Tun und Lassen seiner Untergebenen verantwortlich.

Ich habe das in der Einleitung dieses Artikels schon erörtert und werde das im Detail hier nicht wiederholen: Der “Chef” ist ein zivilisatorischer Atavismus. Ich habe das in jenem Artikel in Bezug auf Hierarchien erörtert und die gesamte Arbeitsorganisation behandelt. Hier geht es nun speziell um die Rolle des Chefs. Diese Rolle ist grundsätzlich sinnvoll, oft sogar notwendig, doch ihre Ausgestaltung, ja schon ihre grundsätzliche Definition ist heute kaum mehr tragbar.

Der Chef ist unqualifiziert

Die moderne Arbeitswelt ist zunehmend durch die Kooperation hochgradiger Spezialisten gekennzeichnet. Kein Mitglied des Teams deckt alle Qualifikationen des gesamten Teams ab, schon gar nicht der Chef. Denn jener sollte idealer Weise ein Spezialist in seinem eigenen Fachgebiet, dem Führen von Mitarbeitern, sein. Dennoch ist der Chef für alle Aktivitäten seines Teams verantwortlich.

Um dem gerecht zu werden, müsste der Chef seinen Team-Mitgliedern fachlich überlegen sein, er müsste die beste Taktik und die beste Strategie haben (was nicht das Gleiche ist!), er müsste über die besten Kommunikationsfähigkeiten verfügen, die größte Empathie besitzen … der Mensch, der den Anforderungen an einen “Chef” gerecht wird, existiert in der modernen Arbeitswelt nicht.

Führer, vielleicht folgen wir

Der “Chef” ist durch seine Weisungsbefugnis definiert. Hier liegt der Systemfehler. Wir brauchen Menschen, die Entscheidungen für andere treffen. Das ist nicht nur sinnvoll sondern unerlässlich. Doch wir haben das falsche Leitbild. Wir sollten nicht an Generäle denken sondern an Führer. Bitte alle Assoziationen an den Führer ausblenden!

Ein Führer ist jemand, der den Weg kennt. Er zeigt dem Team fortwährend in welche Richtung das Ziel liegt, welche Abkürzung man nehmen sollte, wo verborgene Hindernisse oder Fallen liegen. Andere Team-Mitglieder lösen alle möglichen Probleme auf dem Weg. Niemand ist gezwungen, einem Führer in diesem Sinn zu folgen. Er überzeugt durch Kompetenz in seinem Fachgebiet.

Doch ein Führer steht nicht über der Gruppe, die er führt. Ein Bergführer ist in der Regel Angestellter, Untergebener seiner Gruppe. Es gibt keinen prinzipiellen Grund, wieso das in der Arbeitswelt anders sein sollte. Meist ist es ja richtig, wenn den Anweisungen des Chefs folge geleistet wird. Aber die Definition des “Chefs” – Weisungsbefugnis – untegräbt gerade die Kernkompetenz desselben: Führen.

Führen auf dem Drahtseil

Das Führen hoch qualifizierter Mitarbeiter ist ein delikater Balanceakt. Die hohe Qualifikation des Personals in der Informationsökonomie sorgt dafür, dass kaum ein Chef mehr eine wirklich signifikante Überlegenheit über seine Kollegen besitzt. Die Arbeitsabläufe erfordern eine hohe Motivation des Personals und diese wird durch unsensible den Vorstellungen des Personals zuwiderlaufende Anordnungen gestört. Diese Störung kann größere Schäden anrichten, als kleinere Fehler – zumal es meist viele Wege zum Ziel gibt.

Es gilt also, stets eine Balance zu finden, möglichst nur die Anordnungen zu geben, die das Team auf einem Weg zum Ziel halten und so weit möglich, das Team machen zu lassen. Wenn Korrekturen nötig sind, sollte dies nicht in Form von Befehlen geschehen. Der Führer sagt, welchen Weg er warum für den richtigen hält und wo er Probleme beim eingeschlagenen Weg sieht. Das Team kann das diskutieren und evtl. andere Lösungen vorschlagen. Ein Chef, der sein Handwerk versteht, muss praktisch nie Befehle erteilen.

Den Weg zeigen

Muss er es doch einmal, sagt er dem Team, ausdrücklich, dass er glaubt einen gewissen Weg einschlagen zu müssen. Das Team wird einem bewährten Führer folgen, auch ohne dass er unbedingte Macht über seine Gefolgschaft besitzt – auch dann, wenn der Führer, wie jeder Kollege, mal Fehler macht.

Darüber hinaus trifft ein Chef natürlich zahlreiche Entscheidungen in seiner täglichen Arbeit. Auch seine Kollegen tun dies ja dauernd. Oft benötigen seine Kollegen Entscheidungen, die nicht allein ihren Bereich betreffen und fragen den Chef, der dies dann für sie tut. Dies bedeutet aber nicht, dass der Chef über seinen Kollegen steht. Dieses Entscheidungen treffen lässt sich auch als Service für seine Kollegen begreifen.

Bis hierhin habe ich “lediglich” eine Umdefinition der Rolle des Chefs vorgenommen. Dies ist nötig doch erst der halbe Weg. Ich habe die für einen Chef erforderlichen Qualifikationen in der Einleitung kurz anklingen lassen: Fachkompetenz, Strategie, Taktik, Kommunikation, Empathie und vieles mehr. Kein Mensch kann all das, was ein Chef braucht, wirklich gut. Daher sollte die Rolle des Chefs nicht nur umdefiniert sondern auch verteilt werden.

Crowd-Cheffing

In Ansätzen geschieht dies heute schon. Es gibt Personalchefs, Produktmanager, technische Leiter und so weiter. Hier werden verteilte Führungsrollen nach Fachkompetenzen geschaffen. Doch ist es immer noch so, dass diese Partialführer jeweils ihr Team haben, dem gegenüber sie weisungsbefugt sind. Dies ist falsch und das nicht nur wegen der Weisungsbefugnis.

Es gibt Menschen, die visionäre Ideen haben, die eine Firma oder ein Team weit bringen können. Es gibt Menschen, die die analytischen Fähigkeiten besitzen, die nötig sind, um visionäre Ideen in Produkte zu verwandeln. Es gibt Menschen, die den ökonomischen Verstand besitzen, dies bezahlbar umzusetzen. Es gibt Menschen, die die Moderationsfähigkeiten besitzen, all diesen Aspekten und mehr den nötigen Raum zu verschaffen.

All diese Menschen – und mehr! – sollten als “Führer” betrachtet werden. Sie führen gemeinsam mit allen anderen das Team oder die Teams zum Erfolg. Warum hat man das nicht schon immer so gemacht? Weil es zu Kompetenzgerangel und hohen Reibungsverlusten führt.

Eine disfunktionale Kultur

Dies ist ein kulturelles Problem. Solange es die Rolle des Chefs gibt, gibt es Menschen, die diese Rolle anstreben, die keine Rücksicht auf den Erfolg des Teams nehmen, sondern ihren eigenen Vorteil über alles stellen. Diese Menschen, zerstören diesen Ansatz. Doch wenn es die Rolle des Chefs nicht mehr gibt, funktioniert diese egoistische Strategie nicht mehr. Wer führt tut dies allein aus dem Grund, dass die anderem ihm folgen, weil die anderem ihm vertrauen. So funktioniert menschliche Gesellschaft natürlicher Weise und genau so sollte sie in der Wirtschaft funktionieren.

In vielen Situationen funktioniert das aber heute nicht ad hoc. Eine komplexe vertrauensbasierte Arbeitsverteilung erfordert ein eingespieltes Team. Es ist schwer zu beurteilen, wer am besten welche Aufgaben übernehmen kann. Doch dieses Problem wird gelöst werden. Wir erleben heute die sich entwickelnde Vernetzung von Information. Wir werden die Vernetzung von Vertrauen erleben und dies wird völlig andere Arbeitsorganisationsformen erlauben. Ich habe mich damit z.B. hier und hier beschäftigt (hier ist eine Übersicht relevanter Artikel von mir).

Wer Menschen institutionelle Macht gibt, überfordert die meisten, tut den Machtbefugten wie ihren Untergebenen Unrecht. Chefs sollten die Diener ihrer Kollegen sein. Sie stehen nicht über ihnen sondern erfüllen – wie alle anderen auch – spezielle Aufgaben für das Team. Hierarchien – auch flache – sind nicht nötig sondern kontraproduktiv. Auf der untersten Organisationsstufe moderner Software-Entwicklung setzt sich hierarchielose Arbeitsorganisation zunehmend durch. Man benötigt, damit das funktioniert, spezielle Arbeitsprozesse.

Doch Hierarchielosigkeit sollte das Leitbild für die gesamte Arbeitswelt sein. Natürlich werden die meisten Chefs ihre komfortable, weitgehend unangreifbare Positionen nicht einfach aufgeben. Die Macht der Chefs wurde über Jahrtausende zu Ungunsten ihrer Untergebenen durchgesetzt. Doch letztlich wird sich das überlegene System durchsetzen.

Dieser Artikel (Englisch) verfolgt sehr ähnliche Ideen aus einer etwas anderen Perspektive.

Vetternwirtschaft 2.0

Das Vertrauensnetz wird die Welt radikal verändern. Aufgrund seiner enormen wirtschaftlichen Bedeutung wird es nicht aufzuhalten sein.

Das soziale Netz ist alles. Egal, worum es geht, Marketing, höheres Management, Politik, Militär, auch die meisten Privat-Leben – immer ist es unerlässlich im Aufgabengebiet Leute zu kennen von denen man weiß woran man ist, und die mit einem zusammenarbeiten. Beziehungen, Vetternwirtschaft, Seilschaften, Vitamin B: alles Wörter für die gleiche Sache. Es gibt keinen Faktor, der eine ähnlich große Bedeutung für den Erfolg hat. Die größten Versager können mit Beziehungen Präsident der USA werden und die größten Genies können ohne Beziehung kaum großen Erfolg haben.

Man mag das beklagen, doch genau so kann man die Schwerkraft beklagen. Wäre es nicht schön, wenn wir alle fliegen könnten? Weiß nicht. Wäre es nicht schön, wenn wir keine Menschen wären? Weiß nicht. Wir sind Menschen und sollten das Beste daraus machen. Wir sind soziale Tiere. Das ist gut. Und wir sind auf Kooperation angewiesen. Auch gut. Vetternwirtschaft ist teils menschlicher Makel, teils aus der Not geborene Strategie um mit einem ganz speziellen Engpass umzugehen: dem allgemeinen Mangel an Vertrauen.

Der Mangel an Vertrauen

Vertrauen ist heute wahrscheinlich der begrenzende Faktor der Wirtschaft. Riesige Kapital-Mengen marodieren auf der Suche nach lohnenden Investitionsmöglichkeit um den Globus. Riesige Arbeitslosenheere verstopfen viele große Volkswirtschaften. Kapital und Arbeitskraft sind im Überfluss vorhanden. Doch wenn eine neue wirtschaftliche Unternehmung gegründet wird – vulgo: ein Startup – ist zunächst das Kapital das existentielle Problem und dann, die richtigen Leute für den Job zu finden.

Und beide Probleme haben die gleiche Wurzel: den Mangel an Vertrauen.

Vertrauen ist eine einzigartige Ressource. Es ist schwer zu verdienen, sehr leicht zu verspielen und nur sehr eingeschränkt übertragbar. Letzteres geschieht durch eine Empfehlung. Diese kann einen Vertrauensvorschuss – Vertrauen auf Kredit! – vermitteln, welcher es erlaubt, sich das Vertrauen auf neuer Position viel schneller zu erarbeiten.

Die Grenzen der Vertrauens-Übertragung

Dieser Vorgang der Empfehlung zeigt, dass Vertrauen durchaus übertragbar ist, wenn auch mit Einschränkungen. Die Einschränkung besteht darin, dass die Übertragung des Vertrauens durch den Mangel an Vertrauen dem Empfehlenden gegenüber beschränkt ist. Der Vorgang der Empfehlung ist so alt wie die Menschheit – für X lege ich meine Hände ins Feuer – und heute durch Arbeitszeugnisse und Empfehlungen formalisiert.

Doch diese Formalisierung stammt noch aus der Ära der Holzmedien. Sie ist enorm umständlich, bürokratisch, ineffizient (Arbeitszeugnisse verwenden z.B. einen speziellen Sprach-Code) und skaliert schlecht bis garnicht. Letzteres bedeutet, dass sie nur für Einzelfallprüfung taugt und sich nicht beschleunigen lässt.

Netzwerke

Wir leben heute in einer Utopie. Der überwiegende Teil der Menschheit ist heute zumindest eingeschränkt Teil des globalen Informationsnetzes und es wird nicht lange dauern, bis fast jeder Mensch uneingeschränkten Zugang zum Informationsnetz haben wird (siehe hier). Das war vor dreißig Jahren völlig unvorstellbar. Und es hat die Welt für die Teilnehmer des Informationsnetzes grundlegend verändert.

Nun stellen Sie sich bitte eine andere Utopie vor: Wir alle seien Teilnehmer eines globalen Vertrauensnetzes. Das Vertrauensnetz unterscheidet sich grundlegend vom Informationsnetz. Ich könnte mir Information theoretisch auch aus einer einzigen Quelle abrufen und es wird gerade versucht, die Netzstruktur des Informationsnetzes genau in diese Richtung um zubauen. Doch das Vertrauensnetz kann ausschließlich als Netzstruktur funktionieren – und es setzt das Informationsnetz voraus.

Ich kann die Vertrauenswürdigkeit einer Person nur beurteilen, wenn ich sehe, welches Vertrauen dieser Person von anderen entgegengebracht wird, welches Vertrauen diesen anderen entgegen gebracht wird und so weiter. Das Vertrauensnetz erfordert also eine netzförmige Informationsübertragung zwischen seinen Teilnehmern.

Vertrauensnetz

Es ist keine Utopie. Das Vertrauensnetz existiert. Doch wir leben in seiner Steinzeit. Wenn Sie alt genug sind, wissen Sie vielleicht noch, wie sich das WWW vor Google angefühlt hat. Information zu finden war furchtbar umständlich. Ein Internetsuche hat meist viel Zeit in Anspruch genommen und man hat bergeweise Information gefunden, die man überhaupt nicht gesucht hat.

Erinnern Sie sich vielleicht auch noch an die Zeit vor den großen Suchmaschinen wie Lycos, Altavista und Metager? Anfang der Neunziger gab es schon große Informationsmengen im Netz, aber sie waren nur sehr schwer zugänglich. Surfen mit Mosaic machte Spaß und war total spannend, hatte aber noch kaum praktische Bedeutung. Es war jenseits der Universitäten eine Spielerei.

Das Vertrauensnetz befindet sich heute irgendwo zwischen diesen ersten Anfängen mit Mosaic und dem Auftauchen von Googles Page-Rank Algorithmus. Doch das Problem des Vertrauensnetzes ist nicht nur das Fehlen einer Suchmaschiene sondern vor allem das Fehlen der tieferen Vernetzung.

Vertrauensnetz-Tools schießen wie Pilze aus dem Boden. Immer mehr Dienste bieten Bewertungs-Möglichkeiten für alles Mögliche. Kunden-Reviews von Amazon-Produkten, Bewertungen von Verkäufern auf Ebay, von Handwerkern auf Myhammer, Bewertungen von Geschäften auf Yelp, Bewertungen von Bars, Restaurants und Shops auf Foursquare, Bewertung von Arbeitgebern auf Kununu, Bewertung von Arbeitnehmern auf Dutzenden Freelancer-Plattformen und geschäftlichen sozialen Netzen wie LinkedIn, die Bewertung des persönlichen Wohnumfeldes auf airbnb – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Es gibt heute nur noch wenige Lebensbereiche, für die keine Bewertungsplattformen existieren.

Und dann gibt es noch die großen sozialen Netze, allen voran Facebook. Auch hier finden mit “Freundschaften” und “likes” dauernd Bewertungen statt, auch wenn die Bewertungsmöglichkeiten hier um des sozialen Friedens willen sehr eingeschränkt sind. Es existiert ein riesiges Netz von Bewertungen. Und diese Bewertungen drücken oft Vertrauen aus: ich vertraue diesem Produkt (oder auch nicht), diesem Handwerker und so weiter.

Kein Vertrauen ohne Netz

Doch insbesondere von Amazon ist das Kernproblem bekannt: ausgesprochenes Vertrauen nutzt genau gar nichts, wenn man dem nicht trauen kann, der das Vertrauen ausgesprochen hat. Interessanter Weise funktioniert es anders herum schon einigermaßen: wer brauchbare Produkte bei Amazon sucht, muss Produkte mit vielen Bewertungen suchen und kann sich dann ein brauchbares Urteil aus Zahl und Inhalt der negativen Bewertungen bilden. Die positiven sind irrelevant, da sie oft gefälscht sind.

Denn was fehlt ist die Vernetzung: wüsste ich, dass ich den Bewertern trauen kann, wären die Bewertungen viel hilfreicher.  Natürlich versucht Amazon dieses Problem mit dem Top-Rezensenten-Programm zu adressieren, stellt sich dabei aber gleich wieder selbst ein Bein.

Dasselbe gilt auf allen Bewertungsportalen: Sie sind nicht völlig nutzlos. Doch da meist nur eine einzelne Ebene des Vertrauens abgebildet und nicht tiefer vernetzt wird, ist der Nutzen extrem eingeschränkt. Das Vertrauensnetz steckt noch in seiner Steinzeit.

Aber wird es hier denn eine dem WWW und Informationsnetz vergleichbare Entwicklung überhaupt geben? Handelt es sich nicht um ein Randphänomen? Oh, ja, diese Entwicklung wird es geben. Oh nein, das ist kein Randphänomen. Das soziale Netz ist alles. Das Vertrauensnetz ist eine Killerapplikation. Eine Killerappliation ist eine Anwendung, die zum Selbstläufer wird und ganzen Technologie-Familien zum gesellschaftlichen Durchbruch verhelfen, weil sie so ungemein nützlich sind. Beispiele? Technologie – Killerapplikation:

  • Elektrizität – elektrisches Licht

  • Computervernetzung – Email

  • Internet – WWW

Ein funktionierendes Vertrauensnetz bedeutet, dass ich genau weiß, welchen Bewertungen, welchen Kommentaren, welchen Artikeln ich trauen kann. Dadurch wird der Wert der Information enorm gesteigert; und unsere Gesellschaft mit einer Radikalität transformiert, die die Anfänge der Vernetzung bis heute recht beschaulich aussehen lässt.

Denn der Mangel an Vertrauen hat unsere Gesellschaft geprägt wie kein anderer Faktor. Menschen organisieren sich auf allen Ebenen zu Gruppen, die meist eine gewisse Zeit bestehen. Von der Familie zur Abteilung, vom Fußballverein zu den Bilderbergern: egal, was man erreichen möchte, man benötigt eine Gruppe von Menschen und diese funktioniert nur mit Vertrauen.

Disruption Reloaded

Wenn nun Vertrauen überall reichlich vorhanden ist, ändert das vieles. Natürlich werden die traditionellen Gruppen fortbestehen, sie sind Teil unserer menschlichen Natur. Doch das Vertrauensnetz erlaubt es, unmittelbar Ad-Hoc-Gruppen zu bilden, die sofort effizient arbeiten können. Jedes Mitglied, weiß, was es von den anderen erwarten kann und was nicht, auch wenn sich alle Mitglieder noch nie vorher begegnet sind. Wenn ich irgendeine Aufgabe zu erledigen habe, kann ich mit Hilfe des Vertrauensnetzes sofort die ideale Person zur Lösung der Aufgabe finden.

Es ist möglich, dass sich feste Arbeitsverhältnisse langfristig weitgehend auflösen. Voraussetzung ist das Vertrauensnetz und die Freelancer-Platformen arbeiten genau daran. Doch es sind nicht nur feste Arbeitsverhältnisse betroffen. Die potentielle Änderung der Organisationsform betrifft alle Bereiche der Gesellschaft.

Man mag das beklagen, doch genau so kann man die Schwerkraft beklagen. Es hat (auch?) Vorteile. Es wird zum Beispiel kein Problem sein, einen guten Handwerker zu finden. Und viele meiner utopischen Ideen setzen das Vertrauensnetz voraus.

Jedenfalls wird es sich kaum aufhalten lassen. Denn der wirtschaftliche Vorteil ist enorm. Es lässt sich beobachten, wie die Wirtschaft zunehmend Projekt-orientiert wird. In Teilen der IT-Wirtschaft gibt es einen Trend, nur mit einer Kernbelegschaft zu arbeiten und die Hauptarbeit von Projekt-bezogenen Ab-Hoc-Teams aus Freelancern erledigen zu lassen. Somit haben solche Unternehmen immer die perfekte Mannschaft für die Projekte und müssen keinen Leerlauf bezahlen, wenn die Auftragslage mal mau ist.

Mit zunehmender Automation wird die Projekt-Bezogenheit zunehmen. Denn die eigentliche Produktion, Dienstleistung und so weiter nimmt immer weniger Arbeitskraft in Anspruch. Was mindestens noch eine Weile bleiben wird ist die Markt-Exploration und der Aufbau neuer Produkte, Dienstleistungen, Produktionsabläufe usw. Alls dies ist Projekt-Arbeit. Und es wird in all diesen Bereichen und mehr immer wichtiger für einen recht begrenzten Zeitraum ein Team auch hoch spezialisierten Experten zusammen zu stellen.

Es ist fraglich, ob die starren Strukturen der traditionellen Wirtschaft den immer schnelleren Innovationszyklen gewachsen sein werden. Der Freelancer-Markt wächst stetig und das trotz gering ausgebildetem Vertrauensnetz und obwohl bisher nur spezielle Persönlichkeiten zu Freelancern werden, da die sozialen Sicherungs-Systeme nicht mit diesem radikalen Wandel mithalten.

An anderer Stelle zeigen sich die Auswirkungen des frühen Vertrauensnetzes noch deutlicher: Airbnb und anderen Plattformen ist es gelungen, den Vertrauensmangel in einem speziellen Marktsegment soweit zu sättigen, dass die Branche der vorübergehenden Unterbringung gerade revolutioniert wird. Nebenwirkungen sind niedrigere Kosten und ein erheblich besserer Service für die Kunden. Dieser Artikel bietet eine interessante Diskussion zu dem Thema und geht explizit und ausführlich darauf ein, was das mit Vertrauen zu tun hat.

Echte Markwirtschaft braucht Vertrauen

Abstrakter lässt sich feststellen, dass mit zunehmender Ausbildung des Vertrauensnetzes die Transaktionskosten auf breiter Front einbrechen. Das Vorhandensein und die Höhe der Transaktionskosten bei der Benutzung des Marktes sind überhaupt dafür verantwortlich, dass es Firmen und andere wirtschaftliche Institutionen gibt. Wenn die Transaktionskosten sinken, sollte das dazu führen, das der Markt kleinteiliger wird. Das heißt es gibt viel mehr kleine Anbieter und viel weniger große.

Genau das lässt sich im Unterbringungsmarkt beobachten, womit wir wieder bei obigem Beispiel Airbnb sind. Auch Ebay, Amazon Marketplace und viele andere Angebote, die die Transaktionskosten senken, haben genau den gleichen Effekt.

Für mich ist das ein Grund zum jubeln. Ich glaube, dass der Markt funktionieren würde und die beste Organisationsform der Wirtschaft wäre, wenn man ihm denn eine Chance gäbe. Doch statt vom Markt ist unsere Wirtschaft von Monopolen und Kartellen geprägt. Mit zunehmender reife neigt jeder Markt zu starker Konzentration auf Anbieter-Seite. Das heißt, der Markt schafft sich stets selbst ab. Ein wichtiger Grund für diese Konzentration sind die hohen Transaktionskosten, die durch das Vertrauensnetz massiv gesenkt werden. Ein anderer ist übrigens die Werbung, wie ich hier erörtere.

Wir sehen also Zeiten entgegen, die meinen Idealen deutlich näher kommen. Dieser Artikel stellt das ganz ähnlich dar. Auch hier werden Grenzkosten, Transaktionskosten und der Vertrauensfaktor betrachtet.

Rückkopplung auf die Menschen

Das Vertrauensnetz wirkt natürlich auch auf die Menschen zurück. Wenn ich Mist baue, kann sich das auf das mir entgegen gebrachte Vertrauen auswirken. Und “Mist” kann sowohl fachliche als auch menschliche Dimensionen haben. In einer Welt schnell wechselnder Kooperationen kann es sich z.B. ein Chef nicht leisten, seine Mitarbeiter schlecht zu behandeln – mit ihm würde schlicht niemand arbeiten wollen. Gleiches gilt möglicherweise, für moralisch fragwürdige Unternehmungen: wenn ich z.B. an einem ausbeuterischen Projekt mitarbeite verbaue ich mir damit möglicher Weise meine berufliche Zukunft.

Doch das ist nicht auf den Beruf beschränkt. Wir werden eine Demokratisierung der Wirtschaft erleben. Jemand, der beispielsweise persönlich für die Lieferung von Waffen in Krisengebiete verantwortlich ist, bekommt möglicherweise kein Bier mehr in einer Kneipe. Grund dafür ist der Arschlochdetektor. Man mag den beklagen, aber verhindern wird man ihn kaum. Auch hier wird das z.B. anhand der kaum aufzuhaltenden automatischen Gesichtserkennung erläutert.

Das Vertrauensnetz wird die Welt radikal verändern. Etwas, das so wichtig für unsere Zukunft ist, sollten wir nicht allein zunehmen monopolisierten privatwirtschaftlichen Interessen überlassen. Doch genau das geschieht gerade. Wir brauchen Gesetze, die allgemeinen Zugang zu diesen essentiellen Informationen sichern und Initiativen, die diese Informationen auf öffentlichen Plattformen, ähnlich Wikipedia, zugänglich machen – siehe z.B. KiIsWhoWi.

0,5 Billion

Sehr viel Geld und sehr viel Macht in sehr wenigen sehr unlegitimierten Händen.

0,5 Billion. Ich habe sie extra klein gemacht, 0,5 Billion. Das sieht als Ziffernfolge imposanter aus: 500.000.000.000. Aber sie entzieht sich als Zahlwort wie als Ziffernfolge dem menschlichen Verständnis. Kein halbwegs normaler Mensch kann sich auch “nur” eine Milliarde vorstellen. 0,5 Billion sind 500 Milliarden.

Ich hatte neulich ein interessantes Gespräch mit einem Kapitalismusverschwörungstheoretiker. Krasses Zeug! Ein Haupterzählstrang dieses Genres scheint es zu sein, dass den Rothschilds im wesentlichen die Welt gehört. Oder mindestens so die Hälfte.

Rothschild?

Ich finde Verschwörungstheorien meist ziemlich unterhaltsam. Blöd ist nur, wenn man versucht, hinter die Verschwörungstheorie zu schauen. Oft sieht es dahinter ziemlich löchrig aus. Andernfalls wär die Verschwörungstheorie wohl auch schon mal als gar zu dämlich aufgefallen. Also google ich mal ein bisschen Rothschild.

Ja, die gibt es noch, nach bald 200 Jahren. Und nicht zu knapp. Die untersten Schätzungen ihres Vermögens … halt. Um das schnell klar zu stellen, das sind jetzt keine Verschwörungstheoretiker “Fakten”. Das sind Schätzungen, die in diversen  allgemein  für seriös befundenen Medien standen (Focus, Yahoo Finance und Zeit). Und dann schreibt der Spiegel noch, dass die jetzt mit den Rockefellers unter einer Decke stecken. Lolwut?! Echt jetzt, lassen wir den Verschwörungsscheiß. Also, selbst die konservativsten Schätzungen kratzen an einer halben Billion. Sind eher so 0,4 Billion, aber jetzt seid mal nicht kleinlich. Damit sind sie Galaxien davon entfernt, die ganze Welt zu besitzen oder auch “nur” die Halbe. Pah! Verschwörungstheoretiker!

Staatsmacht

Allerdings. So was! Die Rothschilds gibts noch und die bestimmen so über eine halbe Billion. Vermögen. Nur um das mal einzuordnen: Das ist knapp das Doppelte des deutschen Staatshaushalts. Das eine ist zwar Kapital und das andere Umsatz, aber der Unterschied ist gar nicht so groß. Je nach Branche schätzt man einen Unternehmenswert in der Größenordnung des Unternehmensumsatzes. Eher macht man mit Vermögen mehr Umsatz als den Vermögenswert.

Man kann also wohl total konservativ sagen, die Rothschilds haben so rund doppelt so viel Macht wie die Bundesregierung. Die Rothschilds können natürlich keine Gesetze machen. Aber die könnten 3 Millionen Arbeitslose durch- und noch 6 Millionen Hungerlöhnern zufüttern. Und das ist erst die Hälfte der Macht. Die könnten noch Kriege führen, alle Lehrer, Richter und Polizisten in Deutschland befehligen, die Rente stützen, den öffentlichen Rundfunk betreiben und so weiter. Und das ganze dann mal zwei: 6 Millionen Arbeitslose, 12 Millionen Hungerlöhner, mehr Kriege, die Lehrer, Richter, Polizisten und Medien halb Westeuropas …

Dann wären sie natürlich nach einem Jahr pleite. Aber rückblickend muss man annehmen, dass sie ihr Geld etwas cleverer anlegen. Es geht ja nur darum, die Macht einzuordnen, wie vielen Menschen und Maschinen die letztlich irgendwie weisungsbefugt sind. Also zweimal die Bundesregierung. Eine Familie.

Wozu braucht man Verschwörungstheorien? Da gibt es eine Familie, denen gehört nicht die Welt, auch nicht die halbe sondern die Bundesregierung. Zwei mal. Macht das irgendwie Sinn, dass wir einzelnen unter uns erlauben, eine solch immense Macht auszuüben?

Wie ich gewählt habe und warum

Der Glaube an den Neoliberalismus setzt den Glauben voraus, dass mit Wachstum alles gut wird. Doch dieses Wachstum – genug davon – gibt es in Deutschland seit 40 Jahren nicht mehr.

In Deutschland gibt es heute 10 Millionen Arbeitnehmer, die keine Arbeit haben, von der sie leben können – 3 Millionen Arbeitslose und 7 Millionen prekär Beschäftigte. Das sind ein Viertel bis ein Drittel aller Arbeitnehmer und damit ein ähnlich großer Teil der ganzen Gesellschaft. Die 7 Millionen prekär Beschäftigten sind Ergebnis der Deutschen Niedriglohnpolitik, die SPD und Grüne eingeführt und CDU/CSU und FDP ausgebaut haben.

Außerhalb Deutschlands hat diese Politik aufgrund relativ sinkender deutscher Lohnstückkosten zu massiven wirtschaftlichen Verwerfungen innerhalb Europas geführt und dazu, dass die Lage in Südeuropa noch weit schlimmer ist, als bei uns. Wir versuchen – mit durchaus signifikanten Teilerfolgen – unser Beschäftigungsproblem zu exportieren.

Da ich nicht an das heilbringende Wachstum glaube und aufgrund zahlreicher Einzelpositionen sind für mich in dieser Reihenfolgen CDU/ CSU, FDP und SPD nicht wählbar.

Ich habe bisher meist Grün gewählt. An der Wählerschaft der Grünen kann man sehen, dass man sich die hehren Ziele der Grünen leisten können muss. Wir Grünenwähler sind satt, wohlhabend, besser gestellt, wirtschaftlich wie moralisch überlegen, aber eher keine Unternehmer, die durch Grüne Politik wieder zu viel zu verlieren haben.

Deshalb muss man selbst, wenn man Grüne Ziele verfolgt, erst die Probleme der sich ausbreitenden Massenarmut bekämpfen. Denn der stets steif aufgereckte moralische Zeigefinger der Grünen kann nur Beachtung finden, wenn der Bauch gefüllt ist. Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

Bleiben die Linken. Im Kern stehen sie für den Glauben, dass es besser wird, wenn wir kapitalistische Bevormundung durch staatliche Bevormundung ersetzen. Bei historischer Betrachtung scheint mir diese These gewagt. Und hier im deutschen Westen sind die Chaoten der ehemaligen WASG unwählbar. Dennoch. Stärkere Linke heißt, dass die Problematik deutschen Lohndumpings mehr mediale Airtime bekommt, dass Nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik in öffentlichen Diskussionen nicht gänzlich ignoriert wird, dass es noch eine pazifistische Stimme im ehemals pazifistischen Deutschland gibt.

Ich habe meine Stimme dafür verwendet, bestimmten Standpunkten in den Medien etwas mehr Raum zu verschaffen. Wenn die Linke eine realistische Machtoption hätte, hätte sie meine Stimme nicht bekommen. Doch selbst als Junior-Partner der gemäßigt neoliberalen SPD – eine sehr unwahrscheinliche Option – könnte die Linke kaum all zu viel Schaden anrichten.

Hier Archie dort Teamwork

Die Organisation unserer Arbeitswelt folgt überwiegend archaischen Mustern. Das ließe sich – für alle Beteiligten – sehr viel besser und angenehmer regeln.

Wir stammen aus einer Welt in der kaum jemand Ahnung hatte und in der Fehlentscheidungen schnell mal tödlich waren. Zu früh gesät, zu spät? Ernteausfall, Exitus. Gedacht, die Strecke ist sicher? Ausgeraubt, aufgeschlitzt. Krankheit nicht gekannt? Angesteckt, hingestreckt. Wetter verschätzt, rausgesegelt? Blub, blub. Mit dem falschen angelegt? Ganz schlechte Idee.

Hierarchie rettete Leben

Wir stammen aus einer Welt mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von Mitte 40. Wer die Kombination aus Unerfahrenheit, Ahnungslosigkeit und letaler Umwelt lebt, ist sehr froh, wenn er jemanden hat, der brauchbare Entscheidungen für ihn trifft. Wir stammen aus einer Welt, in der Hierarchie einen großen Wert auch für die hatte, die unten in der Pyramide der Macht standen.

Folgerichtig war und ist Hierarchie das zentrale Organisationsprinzip unserer Gesellschaft. Hierarchie ist das System, in dem die vielen Unerfahrenen Ahnungslosen optimal vom Wissen der weisen Wissenden profitieren können. Nicht, dass letztere das nicht gnadenlos ausgenutzt hätten.

Hierarchie ist ein zivilisatorischer Atavismus

Doch in den letzten paar hundert Jahren hat es zwei Entwicklungen gegeben, die die Prämissen grundlegend geändert haben: Die meisten Menschen verfügen über spezialisierte Kompetenzen. Fehler sind kaum noch unmittelbar tödlich. Somit sind alle Gründe, die Hierarchie zum Organisationsprinzip der Wahl machen, obsolet. Hierarchie ist heute ein Atavismus unserer kulturellen Evolution. Sie nutzt nur noch denen, die oben stehen – und wird von diesen entsprechend verteidigt.

In jüngerer Zeit gibt es eine weitere Entwicklung, die die Unterlegenheit der Hierarchie verschärft und offensichtlicher werden lässt: das omnipräsente Datennetz mit seinen im Prinzip gleichberechtigten Knoten. Dieses Netz könnte eine elementare Rolle in einer egalitäreren Organisation unserer Gesellschaft spielen. Doch in diesem Artikel soll es um ein Beispiel gehen, in dem das Netz keine hervorgehobene Rolle spielt: wie könnte eine vernünftigere Organisation der Arbeitsabläufe im Krankenhaus aussehen?

Der Medicus

Es war einmal in einer Welt vor unserer Zeit, da verfügten Ärzte über ein gehütetes Spezialwissen. Ihre Kunst bestand in der Stellung der Diagnose. Die eigentliche Behandlung war aufgrund der sehr beschränkten Möglichkeiten i.d.R. relativ simpel und konnte von weitgehend unqualifiziertem Pflege-Personal durchgeführt werden. Eine echte Prüfung der Diagnose war oft nicht möglich, da es wenig aussagekräftige Analyse-Techniken gab. In diesem Umfeld waren Ärzte unangefochtene Halbgötter auf deren Schultern allein sich Verantwortung und Ruhm verteilten.

Doch dann kam die Aufklärung, dann kamen die Volks-Bildung, die Naturwissenschaft, die moderne Technologie und ein galoppierendes Expertentum, das jeden antiken Arzt neben einer modernen Krankenschwester aussehen lässt wie der schäbige Quacksalber, der er war. Schwestern und Ärzte sind heute Teams mit verteilten Spezialfähigkeiten. Ein Patient benötigt das spezielle Wissen von Schwestern und Ärzten. Es ist keineswegs so, dass Ärzte über alle Fähigkeiten und Erkenntnisse des Pflegepersonals verfügen und lediglich aus Effizienzgründen delegieren.

Arbeit ist eine Team-Sportart

Wie bei fast allen modernen Unternehmen liegt der Erfolg eines Krankenhauses nicht in den arkanen Künsten seiner Halbgötter, sondern im Prozess der alle Team-Mitglieder zusammen zum Erfolg führt. Jede ungewaschene Hand, zahllose Unaufmerksamkeiten oder Therapiefehler von Ärzten oder Pflegern können den Erfolg vereiteln. Nur wenn jeder seinen Job gut erledigt – und das gilt „selbst“ und hier besonders fürs Raumpflege-Personal – kann die gemeinsame Anstrengung von Erfolg gekrönt sein.

Dennoch gibt es ihn immer noch. Schlecht bezahlt und überarbeitet, doch Halbgott bleibt Halbgott. In den Händen der Ärzte liegt nach wie vor die ganze „Verantwortung“ für das Wohl und Wehe der Patienten. „Verantwortung“ bedeutet hier, sie müssen teure Versicherungen abschließen, die einspringen, wenn im „Verantwortungsbereich“ des Arztes z.B. eine Schwester auf Anordnung des Arztes ihre „Kompetenzen“ überschritten hat und dabei ein Fehler unterläuft. Diese Praxis der Konzentration der Verantwortung und Weisungsbefugnis auf die Halbgötter ist genauso deplaziert und anachronistisch wie ein Aderlass.

Orderlass

Doch im Gegensatz zum Aderlass erfreut sich die Hierarchie nach wie vor bester Gesundheit. Denn die wahrhaft großen Führer – jene die zum Erfolg der Geführten führen statt zum eigenen – sind eine seltene Spezies. Und jene, die vor allem den eigenen Erfolg im Blick haben, profitieren trefflich von ihren Führungspositionen.

Das Pflegepersonal hat sehr viel mehr Kontakt zu einzelnen Patienten als die Ärzte. Das Pflegepersonal kümmert sich auch – mit Ausnahme intravenöser Spritzen – um die Verabreichung der Medikation und hat daher bei einem gegebenen Patienten einen besseren Überblick als der Arzt darüber, was der Patient alles bekommt, und wie die Therapie anschlägt. Wenn dieser reiche Informationsschatz von den Ärzten genutzt wird – was durchaus vorkommt – geschieht das nicht wegen des Systems, sondern gegen das System.

Besonders augenfällig ist diese kontraproduktive Arbeitsteilung bei Hebammen und Reproduktionsmedizinern. Erstere umgeben sich mit allerlei Mumpitz und realen Therapie-formen, die das Gesetz ihnen lässt, letztere blicken mit mehr oder weniger Verachtung auf die Hebammen und ihr teils Jahrtausende altes Wissen. Die feine Beobachtungsgabe und der oft enge Kontakt der Hebammen zu den Müttern wird von Ärzten kaum genutzt.

Team-Diagnose

In einer idealen Welt – oder auch in jeder Welt, die den Realitäten der modernen Medizin auch nur halbwegs gerecht würde – wären Ärzte und Pflegepersonal Teil gleichberechtigter Teams. Natürlich können Schwestern Diagnosen stellen. Einen Patienten allein der Diagnose einer einzigen Schwester zu überlassen ist natürlich genau so idiotisch, wie ihn der Diagnose eines einzigen Arztes zu überlassen.

Es gibt nichts wichtigeres als Gesundheit. Sie ist das höchste Gut, das wir haben. Diesem Wert ist ein einzelnes Urteil niemals angemessen. Das Team muss gemeinsam überzeugt sein von der Diagnose – oder mehrere Pfade gleichzeitig verfolgen. Wertvolle Informationen wie die Beobachtungen, die Schwestern über Tage machen, einfach wegzuwerfen, ist eine bemerkenswerte Torheit.

Fehler und Verantwortung

Und wenn eine Schwester eine Fehldiagnose stellt? Dann haftet sie. Es ist jedoch falsch, ein Mitglied eines Teams alleine haften zu lassen. Es müssen alle zusammen überzeugt sein, also müssen sie auch zusammen haften. Ein Pfleger, der gerade von der Schule kommt und mit der Ausbildung beginnt, kann natürlich nicht die gleiche Verantwortung übernehmen, wie ein erfahrener Arzt. Ein auszubildender Pfleger haftet also mit einem deutlich geringeren Anteil als der Arzt.

Wer mit welchem Anteil haftet hängt von der individuellen Kompetenz ab. Diese wird durch gegenseitige Zuschreibung in einem System wie KiIsWhoWi ermittelt. Jeder teilt dort mit, für wie kompetent er andere in Fachgebieten hält. Jemand, der von anderen für kompetent gehalten wird, hat in seiner Fachdisziplin eine größere Wertungskraft als „Inkompetente“. In so einem System trüge eine erfahrene Hebamme eine größere Verantwortung als ein Arzt frisch von der Uni – und so sollte es auch sein.

Vertrauen und Verantwortung

Ich sollte auch nicht für Fehler von Kollegen haften, die ich für inkompetent halte. Wenn also eine Fehlentscheidung getroffen wird, haftet zunächst der oder die EntscheiderIn. Dann wird geschaut, wie die Kompetenz und das gegenseitige Vertrauen im Team  verteilt sind und die Haftung ausgehend vom Entscheider entsprechend verteilt. Jedes Teammitglied kann mit diesem Wissen selbst entscheiden, wie viel Verantwortung es übernehmen möchte, ob es Entscheidungen trifft oder Mangels „Deckung durchs Team“ lieber anderen überlässt.

Da Ärzte in der Regel über besondere Kompetenzen verfügen, würde sich oberflächlich betrachtet gar nicht viel ändern. Doch tatsächlich würde sich sehr viel und sehr grundlegend ändern. Es gäbe keinen Chef per Dekret mehr. Führung und Verantwortung wären abhängig vom gegenseitigen Ansehen. Erfahrene Schwestern trügen große Verantwortung. Senile Professoren verlören nach und nach ihren Status. Ärzte, die nicht teamfähig sind, könnten entsprechend auch keine Teams führen. Es wäre eine Arbeitswelt, wie sie sein sollte.

Dank

Dieser Artikel ist aus einer Diskussion mit Christiane Kretschmer entstanden.
Vielen Dank Christiane.
Christiane kennt die Abläufe im Krankenhaus aus erster Hand –
von Seiten des Pflegepersonals. Ihre Einsichten, decken sich mit
denen meiner Mutter, die die gleichen Missstände aus Sicht der
Ärzteschaft kritiert hat.

Anti Amok Utopie

Wie müsste eine Gesellschaft aussehen, in der jeder schnell und risikolos an eine Kriegswaffe gelangen kann?

Es ist jetzt bestimmt zehn Jahre her, eher mehr. Doch die Erinnerung ist lebhaft. Denn es war das Highlight der Exkursion. Im Fraunhofer-Institut stand das Ding. Es war nicht der Grund, aus dem wir da waren. Wir wollten irgendeinen Laufroboter besichtigen. Doch dieser Plexiglaskasten war sehr viel eindrucksvoller. Primitiv zwar, doch unverkennbar standen wir vor dem Urahn des Star Trek Replikators. Ein früher 3D-Drucker im Fraunhofer-Institut.

Bei unserem Staubsauger ist diese Halterung rausgebrochen, wo man das Saugrohr im Lagerzustand reinhängt. Ich habe das Teil mit Blender modelliert. Ein Kollege hat jetzt einen 3D-Drucker und hat mir das Teil gedruckt. Der erste Versuch scheiterte an meiner Klebetechnik – habs zu heiß gemacht. Der zweite war ganz gut, aber ich hätte vorm Kleben schmirgeln müssen, hat nicht lange gehalten. Beim dritten experimentierte mein Kollege mit dem Material – zu schwach. Aber wir kriegen das in den Griff, kein Zweifel. Die Technik steckt für den Heimbedarf noch nicht mal in den Kinderschuhen sondern in so einem Säuglings-Strampler mit Söckchen dran. Doch das Potential ist unverkennbar.

Gewehr Gedruckt

Cody ist ein Ami. Und selbst für einen Ami sind seine Vorstellungen von Freiheit „interessant“ – wenn auch leider keineswegs einzigartig. Er findet, jeder sollte das Recht haben, mit Kriegswaffen rumzulaufen. Obama findet das nicht. Oder Obama sieht nach dem Newtown Massaker eine Chance mit dem Thema Wählerstimmen abzugreifen. Was auch immer. Aber nicht mit Cody. Cody arbeitet daran, mit einem 3D-Drucker ein Teil herzustellen, mit dem man aus einer Halbautomatik-Waffe eine Maschinengewehr machen kann. Und er druckt größere Magazine. Denn natürlich sollte jeder das Recht haben, mit fünfzig-Schuss Magazinen in seiner Kriegswaffe rumzulaufen – egal was Obama meinen lässt. Cody ist erfolgreich. 600 Schuss ohne Ausfall.

Ich war lange in keinem Fraunhofer-Institut mehr. Aber die Drucker haben die Forschungsanstalten eh lange verlassen. Sie krempeln gerade die Industrieproduktion um. Lasersintern. Selektives Laserschmelzen. Damit lässt sich Metall und Keramik drucken. Ich versteh nichts von Metallurgie. Aber die Technik – Laser, Argon-Athmosphäre, diverse Stähle als Werkstoffe – klingt für mich, als könnte man damit grundsätzlich auch Waffenstahl drucken. Man kann Härten und Anlassen, den Kohlenstoffanteil und die Legierung wählen. Durch die ultradünnen Schichten hat man unvergleichliche Kontrolle über die Materialeigenschaften. Im Zweifelsfall müssen die Läufe deutlich dicker sein als bei High-Tech-Waffen. Das macht sie schwerer aber nicht weniger tödlich.

Amok auf Abruf

Wann kommt diese Technik in unseren Haushalten an? Meine Tochter erklärt meiner Frau ihr Handy. Erklärt meine Enkelin meiner Tochter dereinst ihren Lasersinter? Druckt mein Enkel eine Kalaschnikow, wenn er das Mobbing nicht mehr aushält?

Heute bereiten sich Amokläufer lange auf ihre Tat vor. Das schwierigste und langwirigste ist die Waffenbeschaffung. Das ist viel Zeit für Zweifel. Wie muss eine Gesellschaft aussehen, in der jeder, sofort, ohne Risiko, ohne großen Aufwand, ohne Probleme oder Kosten, eine Kriegswaffe drucken kann?

Um das gleich mal aus der Welt zu schaffen: Es gibt da nicht die eine Lösung, auch keine simplen Lösungen, es ist nicht ganz einfach und es wird ganz bestimmt nicht alles gut.

Verbrechen Deorganisieren

Der wichtigste Aspekt im Umgang einer Gesellschaft mit der Verfügbarkeit schwerer Waffen ist das organisierte Verbrechen. Darauf will ich jetzt aber gar nicht groß eingehen. Die USA demonstriert überzeugend, dass man dem mit Null-Toleranz und Sicherheitspolitischer Aufrüstung nicht Herr wird. Man kann dem organisierten Verbrechen aber beikommen, indem man ihm die Grundlage entzieht. Ich habe das für Drogen-Handel mal hier dargelegt und für Menschen-Handel hier. Für Drogen beweist Portugal übrigens seit einem Jahrzehnt, dass das keinesfalls ein Hirngespinst ist.

Der Waffenhandel erledigt sich ja vermutlich von selbst. Schrecklich, aber nun geht es ja gerade darum, wie man damit umgehen kann. Andere Betätigungsfelder des organisierten Verbrechens lassen sich durch allgemeine wirtschaftliche Transparenz bekämpfen, wie ich sie z.B. hier und hier analysiere.

Gemeinschaft gegen Amok

So. Zum Thema. Amok. Das Problem verschärft sich vor allem dadurch, dass Waffen leicht und schnell zugänglich sind. Es ist davon auszugehen, dass die heute „erfolgreichen“ Amokläufer nur ein winziger Bruchteil derer sind, die grundsätzlich in Frage kämen. Nur die, die ihr Vorhaben über Monate konsequent verfolgen, laufen heute Amok. Wenn ein gemobbter Schüler am nächsten Tag mit einer Uzi in der Tür des Klassenraumes stehen kann, dürfte das ein Problem werden. Gleiches gilt für die Gemobbten, Geschassten, Aufgegebenen, Ausgeschlossenen in Schulen, Fabriken, Büros, Arbeitsämtern, Altenheimen und so weiter.

Das Amok-Potential unserer Gesellschaft ist erschütternd, weil wir es uns leisten, so, so viele aus unserer ohnenhin atomisierten Gemeinschaft auszuschließen. „Gemeinschaft“ ist das Schlüsselwort. Wenn jeder beim nächsten Treffen mit einer automatischen Waffe auftauchen kann, gibt es zwei Möglichkeiten, dem zu begegnen: Wir rüsten alle auf. Oder wir vertrauen einander.

Vertrauen setzt aber Vertrautheit voraus, Gemeinschaft. Wenn wir nicht zu einer Gesellschaft von Waffennarren werden wollen, müssen wir wieder eine Gemeinschaft werden. Wir müssten zum Beispiel die Getthoisierung von all jenen aufgeben, die ihr Leben (noch) nicht auf dem Altar des Konsums opfern, wie ich hier erörtere. Wir müssten allen eine Chance geben, mit uns zusammen etwas zu unserer Gesellschaft beizutragen. Dazu müssen wir uns Regeln geben, die Arbeit verteilt und mehr nach persönlichem Einsatz entlohnt als nach persönlicher Chancenlosigkeit.

Wir müssten aufeinander achten und dazu müssten wir ein Stück von unserer eingebildeten Privatsphäre abgeben. Wir müssten mehr Zeit miteinander verbringen als damit, uns zu besseren Konsumenten erziehen zu lassen. Und wir müssten füreinander Verantwortung übernehmen. Diesen letzten Artikel habe ich noch nicht geschrieben. Wird nachgeliefert.

Ich sollte wissen, was Twitter weiß

Wir haben Angst vor Twitter, Google, Facebook. Wieso kann es nicht umgekehrt sein?

Dies ist eine Entgegnung auf Martin Weigerts Artikel “Ich weiß, was du diesen Sommer twittern wirst”. Dort geht es darum, dass Daten – insbesondere Big Data – Menschen vorhersehbar machen und wie das missbraucht werden könnte – ein lesenswerter Artikel. Leider fügt er sich nahtlos in die große Menge derartiger Artikel ein, wenn er auch qualitativ eher positiv hervorsticht und das Thema immerhin differenziert betrachtet.

Das größte Missbrauchs-Potential sieht Martin Weigert in gezielter Meinungsmache zu konkreten politischen Projekten. Ja, in der Tat, Spin-Doktoren, Profi-Lobbyisten, Kampagnen-Journalisten – sie alle sind fleißig dabei die Reste unserer erodierten Demokratie zu zerstören und mit mächtigeren Werkzeugen wird das schneller gehen. Doch so weit muss man meiner Meinung nach gar nicht denken.

Wissen ist Geld ist Macht

Google, Facebook und andere können das Verhalten von Menschen beeinflussen. Diese Fähigkeit ist die Grundlage ihrer Geschäftsmodelle. Die Möglichkeit, das Verhalten von Menschen zu beeinflussen nennt man auch schnöde “Macht”. Informations-Konzerne haben sich zu gigantischen in keiner Weise legitimierten Machtzentren gewandelt.

Nutzen sie diese Macht zur Förderung des Gemeinwohls? Eher nicht. Wie alle großen Konzerne diversifizieren sie ihre Macht. Sie versuchen mehr Einfluss in der Informationswirtschaft zu erlangen, sie verdienen sehr viel Geld (= Macht) und beginnen auch politisch Einfluss zu nehmen indem sie ihre Lobby-Ausgaben erhöhen und eigene Kampagnen fahren.

Werbung für den Untergang

Dabei ist ihr Kerngeschäft die Werbung, die Förderung eines konsumeristischen Weltbildes und Lebensstils, der auf der Ausbeutung der Arbeit und Ressourcen wirtschaftlich unterlegener Kulturen basiert und unseren Planeten in atemberaubenden Tempo zerstört. Ich kann da nicht Gutes aber sehr viel Schlechtes dran erkennen.

Dennoch scheint die Einsicht recht abwegig zu sein, dass gigantische, unkrontrollierte Machtkonzentrationen an sich etwas Schlechtes sind. Warum? Warum akzeptieren wir das einfach? Weil es unvermeidlich scheint?

Machtdiffusion

Ich glaube, die offensichtliche Neigung unseres Wirtschaftssystems zu solchen Machtkonzentrationen ist ein Systemfehler – einer der sich durch eine Reihe von Eingriffen überwinden ließe, ohne dafür dieses System komplett aufgeben zu müssen. Ein wichtiger Faktor für die Neigung unseres Systems zur Machtkonzentration ist unsere Informationsgesetzgebung.

Geschichtsstunde

Es ist mittlerweile offensichtlich, dass die von uns gewährte Möglichkeit, anderen die Nutzung bestimmter Informationen zu verbieten, unmittelbar zu Machtkonzentration führt. Die Indizienkette dazu reicht von der Effizienzsteigerung der Dampfmaschine Anfang des 19. Jahrhunderts über den englischen Buchmarkt um die Mitte des 19. Jahrhunderts, die Bell-Company, IBM, Microsoft, Google bis zu Facebook.

Und in all diesen Fällen gibt es deutliche Hinweise, dass es ohne Patente, Copyright und andere Informationsschranken nicht deutlich schlechter gegangen wäre.

Nachdem das unsäglich Patent von Watt auslief, beschleunigte sich die Effizienzsteigerung der Dampfmaschine stärker als durch Watt – ohne dass die entsprechenden Entwicklungen patentiert worden wären. Der urheberrechtslose Buchmarkt in Deutschland war diversifizierter, schneller und größer als der konzentrierte englische und bot dem durchschnittlichen Autor bessere Verdienstmöglichkeiten.

Microsoft hatet Ende der 90er das Internet verschlafen und hat es dann geschafft, die Entwicklung der Web-Technologie mindestens um fünf Jahre zu verlangsamen indem sie ihren marktbeherrschenden Browser „Internet Explorer“, der für jeden Web-Entwickler eine unerträgliche Zumutung war, über Jahre nicht weiter entwickelten, manche Standards kaputt-verhandelt und andere mit ihren “Alternativ”-Entwicklungen und extra “Features” untergraben haben.

Freiheit für Information und Mensch

Was ist die Schlussfolgerung aus all dem? Information darf in der Wirtschaft keine Schranken haben. Sie, lieber Leser, Martin Weigert und ich, wir alle müssen in der Lage sein, bei Google in die Firma zu spazieren, unsere (gegebenefalls “sterilisierten”) USB-Sticks in beliebige Computer zu stecken, und zu kopieren, was uns interessiert. Wir müssen die Überwachung unserer Wirtschaft Crowd-sourcen. Und wir müssen verhindern, dass solche gefährlichen Leviathane wie Google und Facebook in Zukunft entstehen. Wir können nicht verhindern, dass andere Einfluss auf uns haben. Aber wir können verhindern, dass dieser Einfluss auf wenige Akteure konzentriert wird.

Machtfragen

Welche verbreiteten Vorstellung gibt es darüber, wie unsere Gesellschaft organisiert sein sollte? Wie ordnet sich dieses Blog da ein?

Wie soll unsere Gesellschaft organisiert sein? Das läuft auf die Fragen hinaus: Wie werden Entscheidungen getroffen, wie Macht verteilt? Es gibt zwei starke Fraktionen unter uns, die versuchen, ihre jeweilige Antwort auf diese Frage durchzusetzen. Die einen sind die aktuellen Machthaber in Staat und Wirtschaft. Die anderen sind der überwiegende Teil der linken und progressiven Kräfte. Dann gibt es noch libertäre und anarchistische Splittergruppen sowie Proponenten von (auch flüssigen) Basis-Demokratien und Räte-Republiken. Meiner Ansicht nach liegen diese alle „falsch“. Keine der verbreiteten Antworten stellt mich auch nur ansatzweise zufrieden, weshalb ich mich vor vor gut zehn Jahren diesem Thema verschrieben habe.

Wirtschaft versus Staat

Die aktuelle Machtelite möchte die Steuerung unserer Gesellschaft im Großen wie im Kleinen der Geld-getriebenen Marktwirtschaft überlassen. Der Staat soll lediglich einen rechtlichen Rahmen bieten, der marktwirtschaftliche Transaktionen rechtlich vorhersagbar macht und die so errungenen Vorteile gegen die Benachteiligten absichert. Dazu soll eine weitgehende Überwachung der Bevölkerung und autoritäre Durchsetzung der Gesetze im Law & Order Stil umgesetzt und andere – z.B. Sozial-Gesetzgebung – zurückgefahren werden. Große Kapital- und somit Macht-Akkumulation wird als segenbringend begrüßt. Macht wird vor allem an wirtschaftlich Erfolgreiche und ihre Erben verteilt. Entscheidungen werden nach der Maxime der Maximierung des Profits getroffen. Diese Position lässt sich zusammenfassen als „Alle Macht den Kapitalisten“.

Die populärste Replik darauf lautet heute wie vor hundert Jahren: „Alle Macht dem Staat“. Die Extremposition dieser Fraktion ist der Sozialismus. Diese Position hat mit dem Zusammenbruch des Ostblocks stark an Einfluss verloren. Doch Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen setzen letztendlich schon darauf, dass der Staat Geld und somit Macht einsammelt und wieder verteilt. Mindesteinkommen, Bankenaufsicht, politische Europäische Einheit und Solidarität – all dies sind Forderungen nach einem starken Staat, der uns vor den Kapitalisten beschützt. Die Macht wird auf gewählte Repräsentanten konzentriert. Da Repräsentanten i.d.R. alleine nichts entscheiden können, müssen Mehrheiten organisiert werden. Entscheidungen werden also nach der Maxime des politischen Kuhhandels und der Wiederwahl in spätestens vier Jahren – also kurzfristiger Popularität – getroffen. Letzteres bedeutet, dass Entscheidungen vor allem bei jenen gut ankommen müssen, die nichts von der Materie verstehen – denn von den allermeisten Themen verstehen auch ausgesprochene Experten von Einzeldisziplinen nichts.

Ferner liefen

Anarchisten lehnen eine formale Regelung der Gesellschaft gänzlich ab. Meist stehen dahinter linke Ideologien und die Hoffnung, dass Menschen sich „von allein“ vernünftig verhalten. Diese Ideale finden sich schon in der jüdischen Heilsversprechung (Schalom) und (sehr viel später) im Kommunismus. Libertäre wünschen eine Form von Anarcho-Kapitalismus.

Basisdemokraten aller Couleur fordern die Verteilung von Macht gleichmäßig auf alle. Die Extremposition dieser Richtung ist die Räte-Republik („Rat“ in diesem Sinn heißt auf russisch „Sowjet“, die Sowjet-Union war allerdings eine Diktatur). Ich kann nicht sagen, welche die Entscheidungsprinzipien einer reinen Basisdemokratie wären, da das Prinzip nicht auf größere Gruppen von Menschen skaliert – sprich Basisdemokratie funktioniert nur in sehr kleinem Rahmen und ist dort schon recht anstrengend.

Die von den Piraten favorisierte liquid (= flüssige) Demokratie ist eine Mischform aus Basis-Demokratie und repräsentativer Demokratie (das aktuelle deutsche politische System). Es gibt noch keine hinreichenden Erfahrungswerte mit flüssiger Demokratie um Aussagen über die Entscheidungsprinzipien zu treffen.

Die deutsche und skandinavische Praxis der sogenannten sozialen Marktwirtschaft ist eine Kompromissposition aus Kapitalismus und (repräsentativ-demokratischem) Sozialismus. Tatsächlich ist das deutsche System in dieser Hinsicht auffällig ausgewogen. Etwa die Hälfte des Geldes, also die Hälfte der Macht, wird wirtschaftlich gesteuert, die Hälfte politisch. Allerdings hat die Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten massiv Einfluss auf die Politik erlangt und große Teile der politisch verwalteten Macht werden nach wirtschaftlichen und teils entsprechend unmenschlichen Gesichtspunkten angewendet.

Summa Summarum

Hier noch einmal eine kompakte Zugsamenfassung aller hier besprochenen Extrem-Positionen:

  • Alle Macht den Kapitalisten; Entscheidung nach Profitmaximierung;
  • Alle Macht dem Staat; Entscheidung nach Popularität;
  • Keine formelle Macht-Verteilung;
  • Macht gleichmäßig an alle verteilen;

Bezüglich der Verteilung der Macht gibt es offenbar nur zwei Positionen: Starke Konzentration oder maximale Verteilung. Konzentriert wird entweder auf Superreiche oder Regierungsoberhäupter und ihr Kabinett. Verteilt wird auf alle oder gar nicht – wobei Letzteres eine informelle Verteilung impliziert. Mir ist nur ein einziges Konzept bekannt, das wenigstens versucht, die Verteilung der Macht etwas intelligenter zu gestalten – die flüssige (liquid) Demokratie. Doch ich vermute, das Konzept scheitert daran, wie Entscheidungen letztendlich zustande kommen, da es die meisten Fehler gängiger Demokratie-Konzepte wiederholt und teils verschlimmert.

Staattdessen

Mein Ideal ist eine Verteilung der Macht, die so breit wie möglich und eine Konzentration, die so stark wie nötig ist. Wir brauchen keinen Führer eines ganzen Volkes – höchstens als präsidiale Identifikationsfigur. Wir brauchen keine unantastbaren Wirtschaftslenker. Aber natürlich sollten Entscheidungen von denen getroffen werden, die etwas von den anstehenden Problemen verstehen. Doch es gibt sehr viel mehr kompetente Entscheider als mächtige. Wir könnten und sollten Macht viel stärker verteilen. Wo starke Machtkonzentration nötig ist – z.B. wenn Gesetze für ein ganzes Volk gemacht werden – muss diese z.B. zeitlich begrenzt werden (auf die Verabschiedung eines einzigen Gesetzes), so dass die Macht nicht so leicht korrumpierbar ist und ein bewegliches Ziel bleibt. Macht sollte auch nicht – z.B. in Form von Vermögen – vererbbar sein.

Geld und Wählerstimmen sind nicht die schlechtesten Ratgeber. Aber es sind auch nicht die besten. Den Entscheidungen, die wir als Gesellschaft treffen fehlt eine langfristige Motivation. Und Menschlichkeit. Menschen streben nicht direkt nach Macht und Geld. Sie streben nach gegenseitiger Anerkennung. Und diese Anerkennung sollte direkten Einfluss auf unsere Entscheidungen haben. Mit Geld belohnen wir Menschen teils für Unmenschlichkeit. Doch unsere ehrliche und direkte Anerkennung vergeben wir für Integrität, Kompetenz, langfristigen Erfolg. Wenn es um den Ruf eines Menschen geht, geht es um eine Lebenspanne, nicht um eine Legislaturperiode. Es geht um unsere gesamte Urteilskraft, nicht „bloß“ um Geld. Achtung kann ich auch Entscheidungen entgegenbringen, die nicht in meinem unmittelbaren Interesse sind.

Verteilung der Macht so breit wie möglich und so eng wie nötig; Entscheidungen nach Kompetenz, persönlicher Verantwortung und gegenseitiger Anerkennung – diese zwei Prinzipien ergeben ein völlig neues System. Doch sieht es oberflächlich betrachtet nicht unbedingt so anders aus wie unser derzeitiges. Marktwirtschaft enthält beispielsweise bereits viele Elemente zur breiten Verteilung von Macht nach Kompetenz. Auch ist das alles nicht neu. Noch vor hundert Jahren war „Ehre“ ein enorm wichtiges Konzept.

Doch eine freiheitliche Gesellschaft, mit individualistisch liberaler Kultur, mit überall flachen bis nicht-existenten Hierarchien, mit über soziale Netzwerke vermittelter persönlicher Verantwortung und Anerkennung: das wäre eine beispiellose (R)Evolution, meine Vision für die Gesellschaft, in der ich leben möchte.

Einmal Recht, bitte

Was wäre, wenn man sich bei Vertragsabschluss (z.B. Kauf) ein Rechtssystem aussuchen könnte? Ein kundenfreundliches?

Der nächste bitte, was hättens denn gern? Einmal Recht, bitte.

Wer nicht gerade US-Amerikaner ist, ist höchstwahrscheinlich Kunde einer ausländischen, also US-amerikanischen, Firma – Google, Apple, Facebook, Amazon … Das kann alle möglichen rechtlichen Probleme mit sich bringen, wie zum Beispiel diese Norwegerin erfahren musste, die Dutzende von Büchern „verlor“. Wenn es zu rechtlichen Problemen kommt, ist man schnell völlig rechtlos, da kaum jemand in der Lage ist, sein Recht fern der Heimat und in einem fremden Rechtssystem durchzusetzen.

Diese sporadische Erfahrung von Internetnutzern ist kaum die Spitze des Eisberges. Gigantische Waren-, Dienstleistungs- und Geldströme werden in jeder Sekunde quer über den Globus durch unzählige Rechtssysteme bewegt. Im Gegensatz zu Privatpersonen haben Unternehmen meist die möglich, ihr Recht auch in fremden Rechtssystemen durchzusetzen. Doch auch dies bedeutet einen riesigen völlig sinnlosen Aufwand.

Wahlrecht

All diese wirtschaftlichen Transaktionen – zwischen Privatleuten und Unternehmen und zwischen Unternehmen untereinander – werden im Wesentlichen (in Deutschland) durch das Bürgerliche Gesetzbuch geregelt. Es gibt keinen prinzipiellen Grund, diese Art der Rechtsprechung geografisch – also national – zu binden. Es wäre durchaus praktikabel, ein beliebiges Rechtssystem zu wählen, egal, wo man sich auf dem Globus befindet. Natürlich würde sich kein nationaler Souverän dieses Vorrecht nehmen lassen, aber sehen wir davon erst mal ab.

Allein die Möglichkeit, sich international bei Vertragsabschlüssen (also z.B. bei der Eröffnung eines Accounts auf einem türkisch-russischen Server auf den Philippinen) auf eines von einer handvoll international etablierter Rechtssysteme zu einigen, allein diese Möglichkeit würde unsere Wirtschaft signifikant entlasten und könnte die Welt für ihre Bewohner ein klein bisschen besser machen. Das heutige System bevorzugt große Teilnehmer deutlich: Unternehmen stehen besser da als Privatleute und große Unternehmen besser als kleine. Denn Finanzkraft ist für das bestehen im internationalen Rechtschaos unabdinglich. Die seltenen Siege von David gegen Goliath erlangen nur aufgrund ihrer Absonderlichkeit eine gewisse Bekanntheit. Dass David sich international gegen Dole durchsetzt ist gleich ein historisches Ereignis.

Das Recht des Schwächeren

Man stelle sich vor, die Rechtsparteien hätten eine freie Wahl des Rechtssystems. Wie wäre es mit einem System, das die finanzstärkere Partei nicht bevorzugt? So ein System hätte das Potential, eine große Verbreitung zu finden. Denn für Kunden wäre ein Angebot unter so einem Rechtssystem ungleich attraktiver als unter einem beliebigen anderen.

Es ist allerdings nicht damit getan, ein Gesetzbuch zu „schreiben“. Eine Entität, die ein Rechtssystem anbietet, muss auch Jurisdiktion, Legislative und Exekutive anbieten. Das muss natürlich nicht alles aus einer Hand kommen, doch will ich darauf nicht näher eingehen. Rechtsprechung ist ein ausgesprochen komplexes unterfangen. Vor Gericht und auf hoher See sind wir bekanntlich allein in Gottes Hand. Doch trotz dieses Bonmots liegt der wesentliche Vorteil eines Rechtssystems darin, dass es eine gewisse Vorhersagbarkeit bietet, zumindest in „eindeutig“ gelagerten Fällen.

Rechtsstaat

Um diese Vorhersagbarkeit zu bieten bedarf es mehr als eines Gesetzbuches. Die Jurisdiktion muss als Prozess (im Sinn von „prozedural“) etabliert sein, der durch die Gesetze geregelt wird. Nur ein etablierter Rechtsprechungsprozess kann eine gewisse Vorhersagbarkeit bieten.

Eine Exekutive ist auch im bürgerlichen Recht nötig, um die errungenen Rechtstitel durchsetzen zu können. Exekutive benötigt im Gegensatz zu Judikative und Legislative geografisch lokalisierte Elemente. Es spielt keine elementare Rolle für die Nutzer eines Rechtssystems, wo Gesetze gemacht werden oder wo die Verhandlung stattfindet – letzteres kann zum Beispiel im Prinzip durch Tele-Präsenz irrelevant werden. Doch die Exekutive muss vor Ort Urteile gegen die Rechtsparteien durchsetzen und zum Beispiel physisches Eigentum pfänden können.

Daher kann die Exekutive eines internationalen Rechtssystem zum Beispiel aus Verträgen mit lokalen Exekutiven bestehen, oder darin, die errungenen Rechtstitel im lokalen Rechtssystem nochmal nach dem Vertragsrecht durchzusetzen und somit von der lokalen Exekutive durchsetzbare Rechtstitel zu liefern.
Eine Legislative letztlich ist nötig, um das Rechtssystem ständig den sozialen und technischen Neuerungen anzupassen.

All dies kann kaum in Form einer kommerziellen Dienstleistung erbracht werden. Wer würde schon einem Rechtssystem vertrauen, dessen Ziel allein die eigene Profitmaximierung ist, und das aufgrund der kulturellen Gegebenheiten vermutlich allein von den Unternehmen und nicht von Privatleuten bezahlt wird? Natürlich kann ein transnationales Rechtssystem Gebühren zur Kostendeckung erheben. Aber sein Ziel darf eben nicht die Rendite sein.

Ideal wäre es, wenn ein internationales Rechtssystem nicht nur zu dem Zeck existierte, unabhängigen Parteien als Service zur Verfügung zu stehen. Stattdessen sollte es aus internationalen staaten-artigen Gebilden hervorgehen. Nur so kann sich der komplexe Prozess aus Legislative, Judikative und Exekutive einschleifen, etablieren und genügend Vertrauen aufbauen, um tatsächlich unabhängige Parteien als „Kunden“ zu gewinnen. Internationale „Staaten“ sind ein eigenes Thema, das ich an anderer Stelle angeschnitten habe.

Preisgericht

Klassische Rechtssysteme kranken an der Bevorzugung, finanzstarker Parteien. Schon eine gerichtliche Instanz kann bei nicht trivialem Gegenstand mit ein paar Gutachten, Anwälten und Gerichtskosten schnell mal 10.000 € kosten. Juristisches Recht zu erstreiten können sich nicht viele leisten. Das ist eine große Chance für Alternativen: Wie wäre es, wenn ich bei Vertragsschluss – also z.B. mit einem Kauf – mein bevorzugtes Rechtssystem wähle. Die Rechtskosten könnten dann durch eine prozentuale Abgabe auf den Vetragsgegenstand gedeckt werden. Die Rechtskosten für einen Lolli wären geringer als für einen Fernseher. Im Falle eines Rechtsstreites fallen dann keinerlei zusätzliche Kosten an, bwz. nur im Falle des Missbrauchs des Rechtssystems. Eine universelle – zivilrechtliche – Rechtsschutzversicherung. Wahrscheinlich wäre es sachdienlich, die Streitparteien in geringem Maße – und vermögens- und einkommens-abhängig – an den Kosten eines tatsächlichen Verfahrens zu beteiligen, um eine Hemmschwelle einzubauen. Doch das sind Details 🙂

Kultur Kann Man Nicht Delegieren

Kultur ist das was wir alle tun und wie wir es tun. Kultur lässt sich daher nicht delegieren, Arbeitsteilung funktioniert hier nur sehr eingeschränkt. Das Urheberrecht einzuführen war einer der größten Fehler unserer jüngeren Geschichte.

Neulich lief mal wieder „I am Legend“ in der Glotze. Kannte ich schon, hatte ich mehr als einmal gesehen, wollte ich nicht nochmal sehen. Aber als ich den Fernseher einschaltete, landete ich zufällig in dem Film und zwar wenige Sekunden nach dem Anfang. Der Protagonist bewegt sich durch ein menschenleeres Manhattan, er Jagd ein Reh. Manns-hohes Gras wächst aus Rissen im Asphalt. Gerade als er seine Beute stellt, kommt ihm ein Löwen-Rudel zuvor. Ich bleibe in dem Film hängen und sehe ihn mit anderen Augen.

Medien Meister

Der Film hat zahlreiche sehr starke Szenen, die eines verbindet: sie machen sich sehr gut auf der Leinwand. Es ist ein enormes kreatives Potential in diesen Streifen geflossen. Daran gemessen ist der künstlerische Gehalt erschütternd gering. Doch es gibt noch viel krassere Beispiele für dieses Phänomen: Transformers, gigantische Roboter kämpfen um die Weltherrschaft. Die Protagonisten wurden mit enormen Aufwand in teils künstlichen, teils realen Settings zum leben erweckt. Allein der Aufwand, einen computergenerierten Robotor in einer Realfilm-Szene natürlich aussehen zu lassen, erfordert immense Meisterschaft und Kreativität. Während ein minimaler künstlerischer Gehalt es trotz kommerzieller Zwänge in „I am Legend“ geschafft hat, kann man das den Transformers nicht vorwerfen.

Ich habe mich Jahrzehnte gefragt, wo die Meisterwerke der bildenden Kunst unserer Zeit sind. Sind Gerhard Richter und Gesellen tatsächlich das Höchste was unsere Kultur hervorbringt? Nein, unsere visuellen Meisterwerke sind in der Matrix, im Herrn der Ringe und in Computerspielen, mit denen ich mich aber nicht mehr auskenne. Kunstwerke wie die Matrix hat keine Epoche vor uns hervorbringen können: Schauspiel, Choreografie, Musik, Lichtkunst, Skulpturen, „Malerei“ verbinden sich zu einem einzigartigen Gesamtkunstwerk. Abertausende unserer begabtesten Künstler arbeiten in CGI-Firmen, bei Spieleherstellern und natürlich in der Werbung.

Kommerz Kunst

Doch unsere Meisterwerke sind vor allem Produkte. In der Antike wurde nicht zwischen Kunst und Handwerk unterschieden. Zwar lässt unser „Handwerk“ in der Regel die künstlerische Liebe zum Werk vermissen, aber unsere Kunst ist meist ein Handwerk – und lässt leider zu oft und genau wie unsere Produkte die Qualität und handwerkliche/künstlerische Liebe zum Werk vermissen. Schließt sich bei uns der Kreis? Ist Kunst und Kultur um ihrer selbst willen ein exzentrisches Pläsier verbohrter Bildungsbürger?

Wir sind als Persönlichkeiten nicht von unserer Kultur unabhängig, ganz im Gegenteil. Wir sind zu einem erheblichen Maße was wir tun und wie wir es tun. Und eben das ist auch Kultur: Kultur sind Tischsitten, Redewendungen, Benimm und Höflichkeit, unser alltäglicher Umgang, die Art, wie wir unsere Arbeit verrichten. Kunst spiegelt immer die Alltagskultur. Kunst steht nie allein, Meisterwerke entstehen auf den Schultern von Riesen – den Meistern der Vergangenheit – und auf unser aller Schultern, denn wir schaffen die Kultur aus der die Meisterwerke hervorgehen.

Ich glaube an das Ideal, dass Kunst frei sein sollte. Doch die überwältigende Mehrheit der Kunst mit der ich im Alltag konfrontiert bin, ist nicht frei sondern verfolgt unerbittlich eins von lediglich zwei universellen Zielen: 1. Sieh her! 2. Kauf mich! Entweder soll Aufmerksamkeit für Werbung oder Umsatz des Werkes selbst erregt werden oder es handelt sich um Werbung. Oder einfacher gesagt: Es ist Eigenwerbung, Werbung für Werbung oder Werbung.

Arbeitsteilung = Delegation

Die enormen Fähigkeiten unserer Kultur sind auf Arbeitsteilung zurückzuführen. Arbeitsteilung ist eine phantastische Errungenschaft. Doch lässt sie sich nicht auf alles anwenden. Ich bin zu einem guten Teil was ich tue und Kultur ist, was wir alle tun. Wir können Kultur nicht delegieren, wir können nicht anders als sie selbst zu erschaffen. Natürlich gibt es Menschen unter uns, die besondere Fähigkeiten besitzen und einen herausragenden Beitrag zu unserer Kultur leisten. Und wir wollen tatsächlich, dass dieses herausragende Schaffen fast ausschließlich unter den Maximen „Sie her!“ und „Kauf mich!“ entsteht? Dass die Sperrspitze unserer Kultur mit derselben Lieblosigkeit produziert wird wie unsere Alltagsprodukte? Und wir wundern uns über die Lieblosigkeit der Letzteren während wir denen Kulturverachtung vorwerfen, die Freiheit für kulturelles Schaffen fordern?

Ideale

Unsere kulturellen Vorreiter sind Vorbilder und Ideale. Justin Biber und Konsorten haben ab einem gewissen Alter unserer Kinder größeren Einfluss auf dieselben als die Eltern. Wir sind was wir tun, Kultur ist was wir alle tun, Vorbilder prägen unsere Kultur, ihre Motive prägen die Vorbilder. Die Existenz und gegebenenfalls Gestaltung des Urheberrechts hat darum großen Einfluss darauf, wer wir sein werden. Sind Geld und Ruhm alles, was im Leben zählt?  „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ [unbekannt] Doch unsere Kultur wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach radikal wandeln. Zumindest hat sie das in den letzten Jahrhunderten getan.

Ein Blick in die Vergangenheit

Wo kommt unsere Kultur her, wer waren wir? Kultur ist das, was ihre Mitglieder tun und wie sie es tun. Was hätten wir, Sie und ich, früher um diese Zeit getan? Die folgende Beschreibung gilt für Bewohner der nördlichen gemäßigten Breiten mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dreihundert bis vor dreitausend Jahren.

Sie und ich, wir, Sie bei sich, ich bei mir. Ein kalter Herbst-Abend vor dreihundert Jahren. Nur dreihundert Jahre. Wir haben beide wahrscheinlich mit jemandem geredet, der mit jemandem geredet hat, der mit jemandem geredet hat, der das selbst alles erlebt hat. Um uns herum ist es mehr oder weniger düster. Vielleicht hat einer von uns beiden das Glück, sich ein paar Kerzen leisten zu können, oder stinkende Öllampen. Aber es um diese Zeit wirklich hell zu haben – das kann sicher keiner von uns zweien finanzieren.

Die Arbeit des Tages ist getan, denn im Dunkeln kann man nicht arbeiten. Wir können nicht lesen, ich als Mann mache keine Handarbeiten. Doch genau jetzt prägen wir unsere Kultur. Die Zeit der Reflektion des Tagewerks prägt das Tagewerk. Jetzt arbeitet die Tradition, die Kunst „das Feuer weiter zu tragen, nicht die Asche zu bewahren“ [Gustav Mahler]. Wir singen, wir erzählen unseren Kindern Märchen und uns Geschichten aus unserem Leben. Wir schaffen den Fundus, aus dem die Begabtesten von uns die Meisterwerke unserer Zeit schaffen.

Die Kultur formt Sein und Bewusstsein

Es ist kalt und feucht und zugig. Wie praktisch alle Menschen um diese Zeit in diesen Breiten, sitzen wir wahrscheinlich am Feuer. Wir kennen Feuer ganz genau. Wir haben endlose Stunden hinein geschaut in unserem Leben. Wir wissen genau, wie sich Holz in Asche verwandelt, vom lodernden Scheit zum glühenden Kohlen, zum Zerbrechen in kleinere Scheite, zum Glimmen und Erlöschen.

Was würden wir um diese Zeit tun, Sie und ich, in einer Kultur wie vor 300 oder 3000 Jahren? Ich würde ins Feuer starren, wie alle anderen. Dabei würde ich mir vielleicht Bilder vorstellen wie Hieronymus Bosch, Bilder, die ich natürlich niemals malen könnte. Denn mir würde das Geld für die teuren Utensilien fehlen und ich könnte gar nicht malen – wie sollte ich neben der harten Arbeit in meinem abgelegen Städtchen einen Meister finden und bezahlen? Oder ich würde mir Märchen von der Art ausdenken, die andere Eltern nicht so gern weiter erzählen. Abwegige Märchen, wie ich es auch jetzt tue. Ich könnte kaum Spuren hinterlassen.

Und Sie? Was würden Sie tun? Natürlich, Sie würden ins Feuer starren. Sie wüssten auf die Minute genau, wann der nächste Scheit bricht. Doch Sie hätten keine auch nur entfernt genaue Vorstellung, wie lange eine Minute dauert. Und was würden Sie sonst jetzt gerade tun, am Abend eines kalten Herbsttages?

Kultur kann man nicht delegieren

Stattdessen sitze ich auf dem Sofa. Der Kamin brennt, doch ich starre nicht in sein Feuer. Ich starre ins kalte Feuer eines Tablett-PC Bildschirms und tippe einen abwegig utopischen Text in sein angedocktes Keyboard. Sie blicken ebenfalls auf einen Bildschirm und lesen das Zeug. Wir machen immer noch Kultur. Ich indem ich ein mikroskopisches Tröpfchen zum kulturellen Schaffen beitrage, Sie indem Sie das weitertragen (durchs Erzählen, Liken, Verlinken) oder nicht.

Wow. Wir sind weit gekommen. Und wie soll es weiter gehen mit unserer Kultur? Mal angenommen wir verpassen eine erdrückende Zahl an Möglichkeiten, unsere Zivilisation zu vernichten, wo wollen wir in 30 und 300 Jahren an einem kalten Herbstabend sein und was wollen wir tun? Sie können diese Entscheidung nicht treffen, genauso wenig, wie ich. Aber Sie und ich können mit allen anderen entscheiden, ob und wem wir diese Entscheidung überlassen wollen. Ob wir sie wirklich allein kommerziellen Interessen überlassen wollen.

Und egal wie wir uns entscheiden: Wir können die Entscheidung anderen überlassen, doch abnehmen kann sie uns keiner. Denn Kultur ist das, was wir tun. Kultur kann man nicht delegieren.